
Drei Frauen drehen am Rad der Geschichte
Heute definieren Regisseurinnen das Bild des Deutschen Theaters maßgeblich mit. Machen sie etwas anders als die Männer? Anne Lenk, Lilja Rupprecht und Jette Steckel über Geschlechterpolitik und Theaterstrukturen

"Das Himmelszelt", Regie: Jette Steckel; © Arno Declair
Die Frage, ob es in der Literatur eine weibliche Schrift gibt, ist zwar ein bisschen aus der Mode gekommen. Und doch finden sich die Künste in einem gesellschaftlichen Umbruch wieder, der erneut die Beziehungen von Geschlecht und Ästhetik in den Vordergrund rückt, vielleicht so deutlich wie seit einem halben Jahrhundert nicht mehr. Selbstverständlich auch im Theater. Am Ende der Intendanz von Ulrich Khuon im Deutschen Theater tragen heute mehr Frauen Regieverantwortung als bei seinem Antritt 2009. Drei dieser Regisseurinnen geben hier Auskunft über die geschlechterpolitischen Aspekte ihrer Arbeit und darüber, was sich zum Guten gewendet hat, wo sie neue Gefahren sehen und wo noch immer alte.
Jette Steckel kommt aus einer Theaterfamilie. Viele ihrer Abende bearbeiten moderne Klassiker, etwa von Camus oder Sartre. Und auf der Bühne zeugen sie von einer Sehnsucht, die Spielenden emotional präzise wie wuchtig, künstlich und nah zugleich zu zeigen. So arbeitet Jette Steckel manchmal mit raumgreifenden Videos, immer aber mit viel Musik. Ganz aktuell von ihr im Deutschen Theater zu sehen: die deutsche Erstaufführung von Lucy Kirkwoods Das Himmelszelt, ein zeitgenössisches Stück für fast nur Frauen, das im achtzehnten Jahrhundert spielt. Es geht darin um den weiblichen Körper als Kampfplatz und Gericht. Ist es heute einfacher, solche Stücke zu inszenieren?
"Der weibliche Körper ist ein gesellschaftlich unverzichtbares Instrument, über das Frauen an vielen Orten auf der Welt nicht frei entscheiden dürfen. Gerade erleben wir, wie sie darum kämpfen. Der Mut zur Sprachfindung für diese Themen wächst – aber präsent sind sie seit es Frauen gibt. Schon im antiken Theater mit seinen kolossalen Frauenfiguren. Es gibt zum einen gerade eine große kritische Befragung des Kanons, welche Rolle Frauen darin spielen. Zum anderen entstehen Stücke, die das komplexe Thema des ‚Frau-Seins‘ stärker ins Zentrum stellen, und dazu zählt Das Himmelszelt."
Seit Jette Steckel ihr Regiestudium jung begann, sind schon fast 20 Jahre vergangen. Wie haben sich die Theaterhäuser seither selbst verändert?
"Die Themen sind nun an der Oberfläche, jetzt müssen wir Wege finden, dauerhaft die Strukturen zu verändern. Der Mut im Theater ist noch nicht besonders groß, neue Leitungsstrukturen auszuprobieren. Die Gefahr liegt trotz allen Fortschritts da, wo neue Grenzen gezogen werden, Konsens darüber herrscht, was falsch und was richtig ist, oder wenn nicht alle alles spielen dürfen. Da sehe ich neue Probleme auf die Kunstfreiheit zukommen, bei aller Notwendigkeit, Emanzipation und Ausgrenzung offensiv zu diskutieren. Unsere Aufgabe besteht aber nicht darin, konform zu sein, sondern Kontroversen zuzulassen."
Anne Lenk hat eine einzigartige Position aufgebaut: Sie inszeniert meistens Stücke aus dem klassischen Kanon wie Maria Stuart, Der Menschenfeind oder Der zerbrochne Krug, arbeitet sorgfältig an der Sprache, sie zeigt viel Respekt vor den Texten und entfaltet dennoch entschieden aktuelle Lesarten. Und sie kann Humor. Im Publikum hat man bei ihr immer das Gefühl, dass selbst die Spitzenspieler:innen ausgesprochen gerne auf der Bühne stehen. Weil sie zeigen dürfen, was sie können, aber dazu nie ganz aus dem Stück heraustreten müssen. Lenks aktuelle Regie im Deutschen Theater: Lessings Minna von Barnhelm. Was ist aus dem 250jährigen Text über unsere Geschlechterdiskussionen zu lernen?
Sie sagt: "Texte wie Minna von Barnhelm zeigen uns, wie uralt unsere Probleme mit den fiktiven Ideen von Geschlechterbildern sind, und dass wir doch nicht so viel gelernt haben. Mein Blick auf die Literatur und die Welt ändert sich mit jeder neuen Lebenserfahrung. Ich habe das Stück vor ungefähr zehn Jahren als Anfängerin schon einmal inszeniert, und was sich bestimmt verändert hat, ist meine Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg."
Auf die Frage, ob sie Texte anders bearbeitet als ihre männlichen Kollegen, auch als ihre Lehrer und Mentoren, antwortet Lenk:
"Als weiblich gelesene Person werde ich anders behandelt und geprägt. Und der Blick auf die Literatur ist sicherlich von der Biografie gezeichnet. Mein Umgang mit dem Ensemble hat sich schon immer von der Arbeit meiner Mentor:innen unterschieden. Vielleicht wollte ich nicht nur ein anderes Theater machen, sondern auch sehen: klare Erzählweisen, klare Setzungen, aber freie Spielende. Denn ich finde eine Regieperson nicht so spannend wie das Ureigene, das Schauspielende mitbringen. Als Regisseurin habe ich die Fäden in der Hand und muss sie zusammenführen, das Ensemble muss mich aber nicht abbilden. Vielleicht nehme ich mich nicht so ernst, wie die Generation vor mir sich manchmal ernst genommen hat. Verändert hat sich auch im Probenalltag viel: Früher musste ich zum Beispiel kämpfen, wenn ich dem Ensemble einen freien Samstagvormittag zugestehen wollte. Das ist heute keine Frage mehr, zumindest in den ersten Probenwochen."
Lilja Rupprecht hat gleich nach ihrem Regiestudium vor über zehn Jahren angefangen, auch am Deutschen Theater zu inszenieren. Viel Beachtung hat kurz vor Ausbruch der Pandemie ihre Regie von Ode gefunden, dem Stück von Thomas Melle über die Kulturkämpfe unserer Tage. Wenn Rupprecht mit Melle bereits die Frage gestellt hat, wo Freiheitsbewegungen – in der Kunst – zu neuen Unfreiheiten führen und wo man diese auszuhalten habe, rückt Albert Camus in Caligula diesen Kippmoment ins Zentrum des Textes, wenn die Titelfigur vom Freiheitskämpfer zum Tyrannen konvertiert. Es ist übrigens ein Stück fast nur mit Männerfiguren. Nicht für Lilja Rupprecht allerdings, deren Inszenierung am 17. Dezember Premiere hat.
"In meiner Fantasie wechselt Caligula als fluider Clown zwischen Poesie, Verkleidung, Körper, Tanz, den sozusagen weiblichen Attributen, und den stereotyp männlichen Zuschreibungen wie Krieg, Kraft, Herrschaft, Tyrannei, Macht, Erfolg hin und her. Wir wollen das Caligula-Prinzip von seinem ursprünglich männlich-universalen Ausgangspunkt weiterdenken, aber leider hindert der Verlag uns ein wenig daran: gegengeschlechtliche Besetzung ist nicht gestattet."
Ob in den Theatern etwas in Gang gekommen sei in den letzten Jahren oder es sich manchmal bloß um Rhetorik handle:
"Doch, da ist ordentlich etwas passiert, aber es reicht noch lange nicht. Man spürt eine Sensibilisierung, und Frauen haben heute mehr Chancen als noch vor ein paar wenigen Jahren. Manchmal fühlt es sich aber leider nur dekorativ an. Die Angst vieler Männer, nun etwas falsch zu machen und dafür an den Pranger gestellt zu werden, ist stark spürbar. Manche verharren in der Angst, andere sind neugierig und setzen sich ein für noch mehr Wandel. Mehr davon! Das Theater ist zwar ein dunkler Ort, wo Fantasie und Leidenschaft, Emotionen und der spielerische Umgang mit Regeln eine eigene Welt erschaffen. Das soll so bleiben, aber nicht auf Basis von Machtmissbrauch, Ausbeutung und Narzissmus."
Was diese drei weiblichen Regiepositionen von früheren Generationen darüber hinaus unterscheidet: Die Fragen, wie das Leben und die eigene Arbeit zu verändern seien, sind keine Nebenschauplätze. Sie betreffen ihre Kunst zentral: auf der Bühne.
Jette Steckel kommt aus einer Theaterfamilie. Viele ihrer Abende bearbeiten moderne Klassiker, etwa von Camus oder Sartre. Und auf der Bühne zeugen sie von einer Sehnsucht, die Spielenden emotional präzise wie wuchtig, künstlich und nah zugleich zu zeigen. So arbeitet Jette Steckel manchmal mit raumgreifenden Videos, immer aber mit viel Musik. Ganz aktuell von ihr im Deutschen Theater zu sehen: die deutsche Erstaufführung von Lucy Kirkwoods Das Himmelszelt, ein zeitgenössisches Stück für fast nur Frauen, das im achtzehnten Jahrhundert spielt. Es geht darin um den weiblichen Körper als Kampfplatz und Gericht. Ist es heute einfacher, solche Stücke zu inszenieren?
"Der weibliche Körper ist ein gesellschaftlich unverzichtbares Instrument, über das Frauen an vielen Orten auf der Welt nicht frei entscheiden dürfen. Gerade erleben wir, wie sie darum kämpfen. Der Mut zur Sprachfindung für diese Themen wächst – aber präsent sind sie seit es Frauen gibt. Schon im antiken Theater mit seinen kolossalen Frauenfiguren. Es gibt zum einen gerade eine große kritische Befragung des Kanons, welche Rolle Frauen darin spielen. Zum anderen entstehen Stücke, die das komplexe Thema des ‚Frau-Seins‘ stärker ins Zentrum stellen, und dazu zählt Das Himmelszelt."
Seit Jette Steckel ihr Regiestudium jung begann, sind schon fast 20 Jahre vergangen. Wie haben sich die Theaterhäuser seither selbst verändert?
"Die Themen sind nun an der Oberfläche, jetzt müssen wir Wege finden, dauerhaft die Strukturen zu verändern. Der Mut im Theater ist noch nicht besonders groß, neue Leitungsstrukturen auszuprobieren. Die Gefahr liegt trotz allen Fortschritts da, wo neue Grenzen gezogen werden, Konsens darüber herrscht, was falsch und was richtig ist, oder wenn nicht alle alles spielen dürfen. Da sehe ich neue Probleme auf die Kunstfreiheit zukommen, bei aller Notwendigkeit, Emanzipation und Ausgrenzung offensiv zu diskutieren. Unsere Aufgabe besteht aber nicht darin, konform zu sein, sondern Kontroversen zuzulassen."
Anne Lenk hat eine einzigartige Position aufgebaut: Sie inszeniert meistens Stücke aus dem klassischen Kanon wie Maria Stuart, Der Menschenfeind oder Der zerbrochne Krug, arbeitet sorgfältig an der Sprache, sie zeigt viel Respekt vor den Texten und entfaltet dennoch entschieden aktuelle Lesarten. Und sie kann Humor. Im Publikum hat man bei ihr immer das Gefühl, dass selbst die Spitzenspieler:innen ausgesprochen gerne auf der Bühne stehen. Weil sie zeigen dürfen, was sie können, aber dazu nie ganz aus dem Stück heraustreten müssen. Lenks aktuelle Regie im Deutschen Theater: Lessings Minna von Barnhelm. Was ist aus dem 250jährigen Text über unsere Geschlechterdiskussionen zu lernen?
Sie sagt: "Texte wie Minna von Barnhelm zeigen uns, wie uralt unsere Probleme mit den fiktiven Ideen von Geschlechterbildern sind, und dass wir doch nicht so viel gelernt haben. Mein Blick auf die Literatur und die Welt ändert sich mit jeder neuen Lebenserfahrung. Ich habe das Stück vor ungefähr zehn Jahren als Anfängerin schon einmal inszeniert, und was sich bestimmt verändert hat, ist meine Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg."
Auf die Frage, ob sie Texte anders bearbeitet als ihre männlichen Kollegen, auch als ihre Lehrer und Mentoren, antwortet Lenk:
"Als weiblich gelesene Person werde ich anders behandelt und geprägt. Und der Blick auf die Literatur ist sicherlich von der Biografie gezeichnet. Mein Umgang mit dem Ensemble hat sich schon immer von der Arbeit meiner Mentor:innen unterschieden. Vielleicht wollte ich nicht nur ein anderes Theater machen, sondern auch sehen: klare Erzählweisen, klare Setzungen, aber freie Spielende. Denn ich finde eine Regieperson nicht so spannend wie das Ureigene, das Schauspielende mitbringen. Als Regisseurin habe ich die Fäden in der Hand und muss sie zusammenführen, das Ensemble muss mich aber nicht abbilden. Vielleicht nehme ich mich nicht so ernst, wie die Generation vor mir sich manchmal ernst genommen hat. Verändert hat sich auch im Probenalltag viel: Früher musste ich zum Beispiel kämpfen, wenn ich dem Ensemble einen freien Samstagvormittag zugestehen wollte. Das ist heute keine Frage mehr, zumindest in den ersten Probenwochen."
Lilja Rupprecht hat gleich nach ihrem Regiestudium vor über zehn Jahren angefangen, auch am Deutschen Theater zu inszenieren. Viel Beachtung hat kurz vor Ausbruch der Pandemie ihre Regie von Ode gefunden, dem Stück von Thomas Melle über die Kulturkämpfe unserer Tage. Wenn Rupprecht mit Melle bereits die Frage gestellt hat, wo Freiheitsbewegungen – in der Kunst – zu neuen Unfreiheiten führen und wo man diese auszuhalten habe, rückt Albert Camus in Caligula diesen Kippmoment ins Zentrum des Textes, wenn die Titelfigur vom Freiheitskämpfer zum Tyrannen konvertiert. Es ist übrigens ein Stück fast nur mit Männerfiguren. Nicht für Lilja Rupprecht allerdings, deren Inszenierung am 17. Dezember Premiere hat.
"In meiner Fantasie wechselt Caligula als fluider Clown zwischen Poesie, Verkleidung, Körper, Tanz, den sozusagen weiblichen Attributen, und den stereotyp männlichen Zuschreibungen wie Krieg, Kraft, Herrschaft, Tyrannei, Macht, Erfolg hin und her. Wir wollen das Caligula-Prinzip von seinem ursprünglich männlich-universalen Ausgangspunkt weiterdenken, aber leider hindert der Verlag uns ein wenig daran: gegengeschlechtliche Besetzung ist nicht gestattet."
Ob in den Theatern etwas in Gang gekommen sei in den letzten Jahren oder es sich manchmal bloß um Rhetorik handle:
"Doch, da ist ordentlich etwas passiert, aber es reicht noch lange nicht. Man spürt eine Sensibilisierung, und Frauen haben heute mehr Chancen als noch vor ein paar wenigen Jahren. Manchmal fühlt es sich aber leider nur dekorativ an. Die Angst vieler Männer, nun etwas falsch zu machen und dafür an den Pranger gestellt zu werden, ist stark spürbar. Manche verharren in der Angst, andere sind neugierig und setzen sich ein für noch mehr Wandel. Mehr davon! Das Theater ist zwar ein dunkler Ort, wo Fantasie und Leidenschaft, Emotionen und der spielerische Umgang mit Regeln eine eigene Welt erschaffen. Das soll so bleiben, aber nicht auf Basis von Machtmissbrauch, Ausbeutung und Narzissmus."
Was diese drei weiblichen Regiepositionen von früheren Generationen darüber hinaus unterscheidet: Die Fragen, wie das Leben und die eigene Arbeit zu verändern seien, sind keine Nebenschauplätze. Sie betreffen ihre Kunst zentral: auf der Bühne.