
Die Wildente
von Henrik Ibsen
Regie: Stephan Kimmig
Regie: Stephan Kimmig

FÜNF FRAGEN AN STEPHAN KIMMIG
Durch deine Inszenierungen von „Nora“, „Hedda Gabler“ oder „Die Frau vom Meer“ giltst Du ja geradezu als Ibsen-Spezialist. Warum hat es so lange gedauert, bis Du Ibsens „Wildente“ für Dich entdeckt hast? Und was hat schlussendlich den Ausschlag gegeben?
Ich habe gezögert, weil sich der breite, gemütliche Erzählstil Ibsens vor diese im Kern erschütternde und grausame Geschichte geschoben hat. Und ich musste lange suchen, um eine nochmals zugespitzte innere Konstellation zu finden, um das Sich-Verlieren und Untergehen in den Mustern und Vorprägungen der Vergangenheit, um die Zerrissenheit und die Widersprüche der Figuren szenisch auf den Punkt zu bringen. Das hat auch mit der Besetzung zu tun, mit den konkreten Schauspieler:innen, ihren Kräften, Qualitäten und dem richtigen Zeitpunkt. Im Sinne der maximalen Intensität habe ich mich auf ein Kernensemble konzentriert. Und gerade mit Blick auf die Frauenfiguren, die im Original eher schwach und nebensächlich sind, habe ich mich entschieden, die Rolle des Sohnes Gregers Werle zu gendern und mit Anja Schneider zu besetzen, die mit dem Dämon ihres Vaters kämpft. Dieser Kampf einer Tochter mit der Vergangenheit um eine Zukunft hat für mich die größere Dringlichkeit.
Das Stück lebt ja insgesamt von seinen grenzgängerischen Figuren, die von Ibsen mal empathisch, mal pathologisch gezeichnet sind. Sie treibt vieles um, was man verstehen kann, die Kämpfe mit der Väter-Generation, das Schwanken zwischen Selbstbetrug und Wahrheit, zwischen Aufbruch und Bequemlichkeit. Gleichzeitig tragen sie auch immer wieder Rätsel und Reste von Unerklärlichem in sich. Ist es ein psychologisches Stück?
Ja. Wenn man Psychologie als Rätsel, Steinbruch, Abgrund begreift und nicht als etwas leicht Verständliches, das sich durch Einfühlung erschließt. Wenn etwas, das ich mit den Schauspieler:innen auf den Proben erforsche, bearbeite, immer rätselhafter und dunkler wird, dann ist das auch psychologisch. Aber es bleibt ohne Antwort und übersteigt das vermeintlich Normale.
„Die Wildente“ ist ein Drei-Generationen-Drama mit einer teils erfolgreichen, teils gescheiterten alten Unternehmergeneration, einer mittleren Generation, die mit diesem Erbe der Väter schwer klarkommt, und mit einer jungen Generation, auf die all diese Spannungen abgeleitet werden. Ist es für Dich vor allem die Geschichte eines Generationenkonflikts? Oder welcher Konflikt steht für Dich im Zentrum?
Die Kinder, die übersehen werden, durch den grenzenlosen Egoismus der Eltern, die so mit sich und ihrem Überleben beschäftigt sind, dass sie es nicht schaffen, über sich hinaus zu sehen und eine bessere Welt für die Nachfolgenden zu bauen. Stattdessen kommen sie aus ihren Verletzungen nicht raus und können sie nur immer weiter erleben. Diese Frage stellt das Stück aus meiner Sicht: Wie kann der Kreislauf der Zerstörung durchbrochen werden? Wie kann es gelingen, dass nicht nur immer wieder und wieder das Kaputte weitergegeben wird?
Die Topographie spielt in diesem Drama eine große Rolle, insbesondere der Kunst-Naturraum auf dem Dachboden der Familie Ekdal, wo eine Art Ersatzwald mit Kaninchen und Hühnern aufgebaut ist, zu dem auch die angeschossene, flügellahme Wildente gehört – das Titeltier sozusagen. Diese künstliche Tierwelt hat Ibsen ins Off verlagert. Doch wie korrespondiert sie mit dem Lebens- und Überlebensraum für die Figuren? In welchem Raum siehst Du ihre Geschichte?
Für mich sind die Figuren selbst wie seltene, beschädigte Tiere in einem Labor- und Untersuchungsraum. Und sie befinden sich nicht in ihrem natürlichen Habitat, keiner naturalistischen Wohnzimmerdekoration. Vielmehr sind sie ausgestellt und auf sich und die anderen Figuren zurückgeworfen. Ohne einen Rückzugswinkel, ohne Schlupfloch. Ganz pur.
Und schließlich die obligatorische Frage nach der Entstehungsgeschichte dieser Inszenierung unter Corona-Bedingungen. Wie hast Du mit dem Ensemble in dem Ausnahmezustand, der zum Dauerzustand wurde, geprobt? Und haben sich diese Bedingungen in Deiner Inszenierung eingeschrieben?
Wir haben mit Abstand geprobt. Und uns Lösungen überlegt, wie man das Brennen der Figuren untereinander hinbekommt – ohne körperliche Nähe, über die Entfernung. Tatsächlich verschärft das oft Vorgänge und macht sie vieldeutiger, weil es ungelöster scheint, ohne die Berührung. Darüber hinaus waren die Probenzeiten ohne jegliche Ablenkung oder Tagesgeschäft, extrem fokussiert auf die Arbeit an der Sache. Und ich hoffe, man spürt diese Intensität und Konzentration auch im Ergebnis.
Die Fragen stellte Dramaturg John von Düffel.
Ich habe gezögert, weil sich der breite, gemütliche Erzählstil Ibsens vor diese im Kern erschütternde und grausame Geschichte geschoben hat. Und ich musste lange suchen, um eine nochmals zugespitzte innere Konstellation zu finden, um das Sich-Verlieren und Untergehen in den Mustern und Vorprägungen der Vergangenheit, um die Zerrissenheit und die Widersprüche der Figuren szenisch auf den Punkt zu bringen. Das hat auch mit der Besetzung zu tun, mit den konkreten Schauspieler:innen, ihren Kräften, Qualitäten und dem richtigen Zeitpunkt. Im Sinne der maximalen Intensität habe ich mich auf ein Kernensemble konzentriert. Und gerade mit Blick auf die Frauenfiguren, die im Original eher schwach und nebensächlich sind, habe ich mich entschieden, die Rolle des Sohnes Gregers Werle zu gendern und mit Anja Schneider zu besetzen, die mit dem Dämon ihres Vaters kämpft. Dieser Kampf einer Tochter mit der Vergangenheit um eine Zukunft hat für mich die größere Dringlichkeit.
Das Stück lebt ja insgesamt von seinen grenzgängerischen Figuren, die von Ibsen mal empathisch, mal pathologisch gezeichnet sind. Sie treibt vieles um, was man verstehen kann, die Kämpfe mit der Väter-Generation, das Schwanken zwischen Selbstbetrug und Wahrheit, zwischen Aufbruch und Bequemlichkeit. Gleichzeitig tragen sie auch immer wieder Rätsel und Reste von Unerklärlichem in sich. Ist es ein psychologisches Stück?
Ja. Wenn man Psychologie als Rätsel, Steinbruch, Abgrund begreift und nicht als etwas leicht Verständliches, das sich durch Einfühlung erschließt. Wenn etwas, das ich mit den Schauspieler:innen auf den Proben erforsche, bearbeite, immer rätselhafter und dunkler wird, dann ist das auch psychologisch. Aber es bleibt ohne Antwort und übersteigt das vermeintlich Normale.
„Die Wildente“ ist ein Drei-Generationen-Drama mit einer teils erfolgreichen, teils gescheiterten alten Unternehmergeneration, einer mittleren Generation, die mit diesem Erbe der Väter schwer klarkommt, und mit einer jungen Generation, auf die all diese Spannungen abgeleitet werden. Ist es für Dich vor allem die Geschichte eines Generationenkonflikts? Oder welcher Konflikt steht für Dich im Zentrum?
Die Kinder, die übersehen werden, durch den grenzenlosen Egoismus der Eltern, die so mit sich und ihrem Überleben beschäftigt sind, dass sie es nicht schaffen, über sich hinaus zu sehen und eine bessere Welt für die Nachfolgenden zu bauen. Stattdessen kommen sie aus ihren Verletzungen nicht raus und können sie nur immer weiter erleben. Diese Frage stellt das Stück aus meiner Sicht: Wie kann der Kreislauf der Zerstörung durchbrochen werden? Wie kann es gelingen, dass nicht nur immer wieder und wieder das Kaputte weitergegeben wird?
Die Topographie spielt in diesem Drama eine große Rolle, insbesondere der Kunst-Naturraum auf dem Dachboden der Familie Ekdal, wo eine Art Ersatzwald mit Kaninchen und Hühnern aufgebaut ist, zu dem auch die angeschossene, flügellahme Wildente gehört – das Titeltier sozusagen. Diese künstliche Tierwelt hat Ibsen ins Off verlagert. Doch wie korrespondiert sie mit dem Lebens- und Überlebensraum für die Figuren? In welchem Raum siehst Du ihre Geschichte?
Für mich sind die Figuren selbst wie seltene, beschädigte Tiere in einem Labor- und Untersuchungsraum. Und sie befinden sich nicht in ihrem natürlichen Habitat, keiner naturalistischen Wohnzimmerdekoration. Vielmehr sind sie ausgestellt und auf sich und die anderen Figuren zurückgeworfen. Ohne einen Rückzugswinkel, ohne Schlupfloch. Ganz pur.
Und schließlich die obligatorische Frage nach der Entstehungsgeschichte dieser Inszenierung unter Corona-Bedingungen. Wie hast Du mit dem Ensemble in dem Ausnahmezustand, der zum Dauerzustand wurde, geprobt? Und haben sich diese Bedingungen in Deiner Inszenierung eingeschrieben?
Wir haben mit Abstand geprobt. Und uns Lösungen überlegt, wie man das Brennen der Figuren untereinander hinbekommt – ohne körperliche Nähe, über die Entfernung. Tatsächlich verschärft das oft Vorgänge und macht sie vieldeutiger, weil es ungelöster scheint, ohne die Berührung. Darüber hinaus waren die Probenzeiten ohne jegliche Ablenkung oder Tagesgeschäft, extrem fokussiert auf die Arbeit an der Sache. Und ich hoffe, man spürt diese Intensität und Konzentration auch im Ergebnis.
Die Fragen stellte Dramaturg John von Düffel.