

Probeneinblicke bei Leonce und Lena
von Georg Büchner, Regie: Ulrich Rasche
Leonce und Lena
Teaservideo
Trailer Leonce und Lena
Leonce und Lena
Trailer
Flitter zu Gold
Text: Nis-Momme Stockmann
Ulrich Rasches Regiearbeit am Deutschen Theater findet im Januar 2023 vorerst ihren Abschluss. Bei seiner nun dritten Premiere Leonce und Lena am 20. Januar arbeitet er erstmals mit dem Choreografen Jefta van Dinther zusammen und bringt einen Weg zu Ende, den er mit 4.48 Psychose und Oedipus bereits begonnen hat: weg von der Maschine, hin zum Körper. Der Autor Nis-Momme Stockmann schreibt hier über das Überrolltwerden, die Virtuosität und das Kindsein in Ulrich Rasches Theater-Kosmos.

Ulrich Rasche; © Tobias Kruse
Mein erstes Erlebnis mit Ulrich Rasches Regiearbeit ist mir noch sehr gegenwärtig: Es war 2010, ich hatte gerade am Schauspiel Frankfurt als Hausautor angefangen, der Chefdramaturg des Theaters setzte mich in die Generalprobe von Rasches Wilhelm Meister. Ich fragte ihn, was ich zu erwarten habe. Er lachte: "Schwierig zu beschreiben. Entweder man liebt es oder hasst es." Das Licht ging aus. Der Rausch begann.
Ich habe es sofort geliebt. Dieses Theater war so anders als alles, was ich bis dahin gesehen hatte. Ästhetisch: ja – denn da war eine Vision spürbar, die sich gleichermaßen radikal wie mühelos von der seiner Zeitgenossen unterschied. Vor allen Dingen aber dramaturgisch: Wo heute in fast alles (selbst in die sogenannten "anstrengenden Arbeiten") ein Vokabular der Verdaulichkeit hineininszeniert wird, einem also sofort die Hand gehalten wird, wenn es schwierig oder langweilig zu werden droht (und mit Effekten und Affekten gegengesteuert wird) – hatte Rasche eine große geduldige Prozession inszeniert: sequenziell und redundant – die sich flach, schwebend, treibend rhythmisch jeglichem Gliederungsversuch entzog – eine nur schwer dividierbare Einheit mit einer sich in großer Ruhe ausbreitenden Dramaturgie der bedachten Dringlichkeitssteigerung. Ein das Denken und Fühlen, aber auch den Körper einnehmendes Gesamtereignis, das sich im Raum ausbreitet wie Schall. Während Theater in der Regel alles Ereignislose zu nivellieren versucht, schien sich diese Arbeit zur Aufgabe gemacht zu haben, der Zäsur eine zum Ereignis gleichwertige Bühne zu geben. Ähnlich wie in der Musik die Zäsur ein gleichwertiges Element zum Ton ist. Dadurch ragten dann die Monologe wie Riffe aus der wellenartig fließenden Struktur von Musik, Gesang und Abschreiten der Bühne. So, als müsste man erst hypnotisiert werden, um empfänglich zu werden für das Gewicht der Worte, die wir sonst im Vorbeigehen wegnicken: "jaja – verstehe schon". Das ist Teil Rasches großer Kunstfertigkeit: Die nötige Rezeptionshaltung, die Brille, den Filter, schafft er zunächst als Stimmung im Raum. Diese Rezeption ist ganz anders als das bloße Befülltwerden mit Einsichten oder Inhalten. Kein "Aha", sondern ein "Um Gottes Willen!".
Rasches vielleicht stringentestes ästhetisches Merkmal ist die Rhythmisierung von Körpern und Sprache. Es wird immer geschritten, selten je stillgestanden. Das ist kein leerer Manierismus oder sein "Regieprofil". Vielmehr ist es die logische Konsequenz einer manischen Genauigkeit mit dem gesprochenen Wort. Wer hinter die festgefahrenen Konnotationen der Sprache schauen möchte, sollte sich in einen Rasche-Abend setzen und erleben, wie die Spieler:innen mit der Sprache ringen (während man selbst mitringt und versucht, die Dissonanzen aufzulösen). Sie tun das nicht nur als szenische Behauptung, sondern ganz tatsächlich – in technischer Hinsicht. In einer Zeit, in der manchmal ganze Produktionsteams nicht wissen, warum etwas wie gesprochen werden soll – und es am Ende im Zweifelsfall dann egal ist – durchleuchtet er jeden Satz minutiös. In Oedipus zum Beispiel wird die ansteigende Verzweiflung des Königs nicht nur "behauptet", sondern kollektiv durchlitten. Es ist sozusagen das ästhetische Gegenstück zum Method Acting: Während dieser Ansatz behauptet, man müsse ein griechischer Tyrann sein, um einen griechischen Tyrannen spielen zu können, legt Rasche die "Rolle" in quälender Distanz zum König- und (im größeren Kontext) zum Menschsein an. Und forciert so ein Wiedersäuglingwerden vor der Sache. Ein Überrolltwerden. Oder eher: Eine Wiederverzauberung. Es fordert dich heraus, ist still, ist laut, ist verstörend und radikal – ohne Geschrei, Nacktheit und Kunstblut, Bühnenrangeleien, Vergewaltigungen oder schlechte Ohrfeigen. Wenn du dich öffnest, sickert es ganz tief in dich hinein und unterspült dich existenziell. Dort, wo du denkst, dass längst alles feststeht: deine Identität und Prägung, die Sprache zur Welt.
Das große Geschenk, das dieses Theater uns macht, ist ZEIT. Um uns wirklich und intensiv mit den Entitäten hinter den Worten zu beschäftigen. Das passiert aber auf ganz anderem Wege als bei vielen der poststrukturalistischen Künstler:innen, die dem Sprechen und der Wahrheit nicht trauen: Rasche scheint viel- mehr zu sagen: Irgendwo, da in Worten, hinter all dem Profanen und Abgeschmackten, schwebt eine vollkommene Wahrheit. Sie ist grausam und schön, wie der Mensch selbst. Fast ist man da, man kann sie ja schon spüren. Nur eine Nuance noch und du bist da.
Ulrich Rasche ist ein Glücksfall für das Gegenwartstheater. Er beweist echten Mut. Mut, formal aus allen Registern herauszufallen. Mut, sich in einer Zeit, in der den Trends hinterhergearbeitet wird, dem Menschen in seiner Archaik zu widmen (diese Archaik beinhaltet nämlich alle diese Trends). Vor allen Dingen aber Mut zur unabgesicherten Zuwendung zu Schönheit und Abgrund. Er beweist, dass es auch im Zeitalter der Ironie möglich ist, authentische Kunst zu schaffen. Er lässt sich nicht von Trends und Hypes beirren, denen hinterherzuarbeiten wäre, und ist dabei völlig auf der Höhe der Zeit. Denn seine Abende enthalten die Themen unserer Zeit, wie die Eichel die Eiche. Auf Trends beruhende Theaterabende altern selten schmeichelhaft. Ulrich Rasche hingegen ist zeitlos und unkopierbar (würde man es versuchen, wäre das dann einfach ein Rasche-Abend – von jemand anderem). Seine Arbeit ist ein Schmelztiegel des ganzen postmodernen Tands: Flitter zu Gold.
Meine Begeisterung für sein Theater ist über die Jahre immer mehr gewachsen, ja, hat sich mit seiner Arbeit mitentwickelt. Genau wie er eine Phase der Gigantomanie hatte, hatte ich sie auch als Fan: größer, noch größer bitte, noch lauter. Bei all dem Pomp der großen Inszenierungen und gigantischen Bühnen der letzten Jahre ist das eigentliche formale Merkmal Rasches sein wunderbarer Minimalismus. Seine Genauigkeit. Sein Kreisen um den Menschen, als Gefangener in einer Welt der Menschen, aber auch konkret: als Körper, als Stimmkörper. Ich freue mich, dass Ulrich Rasche abermals Mut beweist, und die kleineren Formate wieder für sich entdeckt. Denn was schaffen diese gigantischen Setzungen anderes als die Winzigkeit des Einzelnen zu prononcieren? Am schärfsten, stelle ich mir vor, wäre sein Theater am Ende vielleicht mit nur einem Menschen auf einer leeren Bühne.
"National Treasure" würde man einen Regisseur wie Ulrich Rasche in den USA nennen. In Deutschland wird gerne über den militärisch wirkenden Gleichschritt geklagt (der Sprache in rhythmische Muster transponiert und sie so ganz anders erfahrbar macht), Körperkult, die dunkle Kleidung oder das Durchchoreografierte der Abende, das Schauspielkunst verhindere. Das halte ich für schlicht falsch. Begrenzung ist ein Kondensat für Größe. Auch der Darbietung. Die Strenge ist bei Rasche ein Okular für Virtuosität. So zum Beispiel bei Elias Arens als Kreon in Oedipus, der (innerhalb dieses Gerüsts) einen Ausbruch schafft, der eine solche Gewalt hat, dass einem das Knochenmark zittert – und der ohne die strenge formale Begrenzung wahrscheinlich gerademal ein inneres Achselzucken bewirkt hätte. Das ist vielleicht auch der Schlüssel zu diesem wunderbaren Theater: Es ist so nah am Pathos, den wir uns als postmoderne Wesen nicht gestatten wollen oder dürfen. Gleichzeitig aber fremd, beinahe astral – so dass es dann doch geht.
Wer Rasche nicht zustimmen möchte, möchte lieber weiter auf seinen (zumindest) immer verlässlichen Zynismus hören. Auch wenn man im Grunde seiner Seele gelangweilt ist von dieser Löffelfütterung mit dem Erwartbaren, Gefälligen und ungefährlich Kantinenliberalen. Ungefährlicher zumindest, als sich einzugestehen, dass etwas wirklich schön, wirklich rührend, wirklich verstörend ist. Dass es dich erreicht. Weil du ein Mensch bist, mit Angst, Freude und Tränen. Ja – weil du am Ende ein Kind bist – und die Welt wie ein Kind sehen möchtest.
Ulrich Rasche zeigt nun am DT nach Sarah Kanes 4.48 Psychose und Oedipus mit Leonce und Lena seine dritte und letzte Arbeit im Rahmen der Intendanz von Ulrich Khuon. Seine Arbeiten gehören zum Besten, was dort zu sehen war. Nicht (nur), weil seine Abende dionysische Happenings sind. Ein Blütenmeer der Theatermittel. Sondern auch, weil sie dem Keim dieser Blüten nachgehen – tief nach ihnen graben und sie weihevoll feiern.
NIS-MOMME STOCKMANN schreibt Theaterstücke, Hörspiele, Lyrik und Prosa. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. 2011 erhielt er den Friedrich-Hebbel-Preis, 2014 den Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft in der Sparte Dramatik und 2015 den Hermann-Sudermann-Preis. Sein erster Roman Der Fuchs wurde 2016 mit dem Aspekte- Literaturpreis für das beste Romandebüt des Jahres sowie für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.
Dieser Text entstand als Originalbeitrag für unser Dezember-Magazin
Ich habe es sofort geliebt. Dieses Theater war so anders als alles, was ich bis dahin gesehen hatte. Ästhetisch: ja – denn da war eine Vision spürbar, die sich gleichermaßen radikal wie mühelos von der seiner Zeitgenossen unterschied. Vor allen Dingen aber dramaturgisch: Wo heute in fast alles (selbst in die sogenannten "anstrengenden Arbeiten") ein Vokabular der Verdaulichkeit hineininszeniert wird, einem also sofort die Hand gehalten wird, wenn es schwierig oder langweilig zu werden droht (und mit Effekten und Affekten gegengesteuert wird) – hatte Rasche eine große geduldige Prozession inszeniert: sequenziell und redundant – die sich flach, schwebend, treibend rhythmisch jeglichem Gliederungsversuch entzog – eine nur schwer dividierbare Einheit mit einer sich in großer Ruhe ausbreitenden Dramaturgie der bedachten Dringlichkeitssteigerung. Ein das Denken und Fühlen, aber auch den Körper einnehmendes Gesamtereignis, das sich im Raum ausbreitet wie Schall. Während Theater in der Regel alles Ereignislose zu nivellieren versucht, schien sich diese Arbeit zur Aufgabe gemacht zu haben, der Zäsur eine zum Ereignis gleichwertige Bühne zu geben. Ähnlich wie in der Musik die Zäsur ein gleichwertiges Element zum Ton ist. Dadurch ragten dann die Monologe wie Riffe aus der wellenartig fließenden Struktur von Musik, Gesang und Abschreiten der Bühne. So, als müsste man erst hypnotisiert werden, um empfänglich zu werden für das Gewicht der Worte, die wir sonst im Vorbeigehen wegnicken: "jaja – verstehe schon". Das ist Teil Rasches großer Kunstfertigkeit: Die nötige Rezeptionshaltung, die Brille, den Filter, schafft er zunächst als Stimmung im Raum. Diese Rezeption ist ganz anders als das bloße Befülltwerden mit Einsichten oder Inhalten. Kein "Aha", sondern ein "Um Gottes Willen!".
Rasches vielleicht stringentestes ästhetisches Merkmal ist die Rhythmisierung von Körpern und Sprache. Es wird immer geschritten, selten je stillgestanden. Das ist kein leerer Manierismus oder sein "Regieprofil". Vielmehr ist es die logische Konsequenz einer manischen Genauigkeit mit dem gesprochenen Wort. Wer hinter die festgefahrenen Konnotationen der Sprache schauen möchte, sollte sich in einen Rasche-Abend setzen und erleben, wie die Spieler:innen mit der Sprache ringen (während man selbst mitringt und versucht, die Dissonanzen aufzulösen). Sie tun das nicht nur als szenische Behauptung, sondern ganz tatsächlich – in technischer Hinsicht. In einer Zeit, in der manchmal ganze Produktionsteams nicht wissen, warum etwas wie gesprochen werden soll – und es am Ende im Zweifelsfall dann egal ist – durchleuchtet er jeden Satz minutiös. In Oedipus zum Beispiel wird die ansteigende Verzweiflung des Königs nicht nur "behauptet", sondern kollektiv durchlitten. Es ist sozusagen das ästhetische Gegenstück zum Method Acting: Während dieser Ansatz behauptet, man müsse ein griechischer Tyrann sein, um einen griechischen Tyrannen spielen zu können, legt Rasche die "Rolle" in quälender Distanz zum König- und (im größeren Kontext) zum Menschsein an. Und forciert so ein Wiedersäuglingwerden vor der Sache. Ein Überrolltwerden. Oder eher: Eine Wiederverzauberung. Es fordert dich heraus, ist still, ist laut, ist verstörend und radikal – ohne Geschrei, Nacktheit und Kunstblut, Bühnenrangeleien, Vergewaltigungen oder schlechte Ohrfeigen. Wenn du dich öffnest, sickert es ganz tief in dich hinein und unterspült dich existenziell. Dort, wo du denkst, dass längst alles feststeht: deine Identität und Prägung, die Sprache zur Welt.
Das große Geschenk, das dieses Theater uns macht, ist ZEIT. Um uns wirklich und intensiv mit den Entitäten hinter den Worten zu beschäftigen. Das passiert aber auf ganz anderem Wege als bei vielen der poststrukturalistischen Künstler:innen, die dem Sprechen und der Wahrheit nicht trauen: Rasche scheint viel- mehr zu sagen: Irgendwo, da in Worten, hinter all dem Profanen und Abgeschmackten, schwebt eine vollkommene Wahrheit. Sie ist grausam und schön, wie der Mensch selbst. Fast ist man da, man kann sie ja schon spüren. Nur eine Nuance noch und du bist da.
Ulrich Rasche ist ein Glücksfall für das Gegenwartstheater. Er beweist echten Mut. Mut, formal aus allen Registern herauszufallen. Mut, sich in einer Zeit, in der den Trends hinterhergearbeitet wird, dem Menschen in seiner Archaik zu widmen (diese Archaik beinhaltet nämlich alle diese Trends). Vor allen Dingen aber Mut zur unabgesicherten Zuwendung zu Schönheit und Abgrund. Er beweist, dass es auch im Zeitalter der Ironie möglich ist, authentische Kunst zu schaffen. Er lässt sich nicht von Trends und Hypes beirren, denen hinterherzuarbeiten wäre, und ist dabei völlig auf der Höhe der Zeit. Denn seine Abende enthalten die Themen unserer Zeit, wie die Eichel die Eiche. Auf Trends beruhende Theaterabende altern selten schmeichelhaft. Ulrich Rasche hingegen ist zeitlos und unkopierbar (würde man es versuchen, wäre das dann einfach ein Rasche-Abend – von jemand anderem). Seine Arbeit ist ein Schmelztiegel des ganzen postmodernen Tands: Flitter zu Gold.
Meine Begeisterung für sein Theater ist über die Jahre immer mehr gewachsen, ja, hat sich mit seiner Arbeit mitentwickelt. Genau wie er eine Phase der Gigantomanie hatte, hatte ich sie auch als Fan: größer, noch größer bitte, noch lauter. Bei all dem Pomp der großen Inszenierungen und gigantischen Bühnen der letzten Jahre ist das eigentliche formale Merkmal Rasches sein wunderbarer Minimalismus. Seine Genauigkeit. Sein Kreisen um den Menschen, als Gefangener in einer Welt der Menschen, aber auch konkret: als Körper, als Stimmkörper. Ich freue mich, dass Ulrich Rasche abermals Mut beweist, und die kleineren Formate wieder für sich entdeckt. Denn was schaffen diese gigantischen Setzungen anderes als die Winzigkeit des Einzelnen zu prononcieren? Am schärfsten, stelle ich mir vor, wäre sein Theater am Ende vielleicht mit nur einem Menschen auf einer leeren Bühne.
"National Treasure" würde man einen Regisseur wie Ulrich Rasche in den USA nennen. In Deutschland wird gerne über den militärisch wirkenden Gleichschritt geklagt (der Sprache in rhythmische Muster transponiert und sie so ganz anders erfahrbar macht), Körperkult, die dunkle Kleidung oder das Durchchoreografierte der Abende, das Schauspielkunst verhindere. Das halte ich für schlicht falsch. Begrenzung ist ein Kondensat für Größe. Auch der Darbietung. Die Strenge ist bei Rasche ein Okular für Virtuosität. So zum Beispiel bei Elias Arens als Kreon in Oedipus, der (innerhalb dieses Gerüsts) einen Ausbruch schafft, der eine solche Gewalt hat, dass einem das Knochenmark zittert – und der ohne die strenge formale Begrenzung wahrscheinlich gerademal ein inneres Achselzucken bewirkt hätte. Das ist vielleicht auch der Schlüssel zu diesem wunderbaren Theater: Es ist so nah am Pathos, den wir uns als postmoderne Wesen nicht gestatten wollen oder dürfen. Gleichzeitig aber fremd, beinahe astral – so dass es dann doch geht.
Wer Rasche nicht zustimmen möchte, möchte lieber weiter auf seinen (zumindest) immer verlässlichen Zynismus hören. Auch wenn man im Grunde seiner Seele gelangweilt ist von dieser Löffelfütterung mit dem Erwartbaren, Gefälligen und ungefährlich Kantinenliberalen. Ungefährlicher zumindest, als sich einzugestehen, dass etwas wirklich schön, wirklich rührend, wirklich verstörend ist. Dass es dich erreicht. Weil du ein Mensch bist, mit Angst, Freude und Tränen. Ja – weil du am Ende ein Kind bist – und die Welt wie ein Kind sehen möchtest.
Ulrich Rasche zeigt nun am DT nach Sarah Kanes 4.48 Psychose und Oedipus mit Leonce und Lena seine dritte und letzte Arbeit im Rahmen der Intendanz von Ulrich Khuon. Seine Arbeiten gehören zum Besten, was dort zu sehen war. Nicht (nur), weil seine Abende dionysische Happenings sind. Ein Blütenmeer der Theatermittel. Sondern auch, weil sie dem Keim dieser Blüten nachgehen – tief nach ihnen graben und sie weihevoll feiern.
NIS-MOMME STOCKMANN schreibt Theaterstücke, Hörspiele, Lyrik und Prosa. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. 2011 erhielt er den Friedrich-Hebbel-Preis, 2014 den Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft in der Sparte Dramatik und 2015 den Hermann-Sudermann-Preis. Sein erster Roman Der Fuchs wurde 2016 mit dem Aspekte- Literaturpreis für das beste Romandebüt des Jahres sowie für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.
Dieser Text entstand als Originalbeitrag für unser Dezember-Magazin

Leonce und Lena
im Deutschen Theater
Interview mit Linda Pöppel und Enno Trebs bei radioeins
Zu Leonce und Lena, der einzigen Komödie, die Georg Büchner jemals geschrieben hat und die jetzt in der Regie von Ulrich Rasche auf die Bühne des Deutschen Theaters kommt, waren die Ensemblemitglieder Linda Pöppel und Enno Trebs bei radioeins zum Interview eingeladen.