Die Zukunft der Kunst Der Fall McNeal von Ayad Akhtar und die KI-Revolution in der Literatur von Karla Mäder
4. März 2025 auf der DT Bühne: Jeffrey Goldberg ist skeptisch. Kein Argument der beiden ihm gegenübersitzenden Männer kann ihn davon überzeugen, dass KI einen positiven Nutzen für die Kunst oder die Gesellschaft haben könnte. Der Herausgeber des Magazins The Atlantic Monthly bildet als grundsätzlich nicht einverstandener Moderator einen witzigen Kontrast zu seinen Gästen: den beiden Autoren Ayad Akhtar und Daniel Kehlmann, die als Freunde seit Jahren in einem Gespräch über „large language models“ wie ChatGTP sind und diese auch praktisch erproben. Eingeladen zu diesem Dreiergespräch, das unter dem Titel Art, AI, and the stories we tell stand, hatte die American Academy, eine ehrwürdige Institution, die amerikanische Intellektuelle unterschiedlichster Fachbereiche als Residents in einer geschichtsträchtigen Villa am Wannsee begrüßt. Auch wenn Akhtar und Kehlmann mit neugierig-verspieltem Forscherdrang auf die neuen Technologien reagieren, sehen sie dennoch die Zukunft ihrer Zunft nicht allzu rosig. Akhtar fürchtet bereits, dass er selbst als Autor in vielen Feldern überflüssig werden wird, basiert ein Großteil der Hollywood- und NetflixProduktionen doch jetzt schon auf KI-basiertem Storytelling.
Kehlmann hofft als Europäer auf Regulierung und prognostiziert, dass menschengemachte Literatur weiterhin existieren, aber ein Luxussegment bilden und nur noch in sehr kleinen Auflagen gedruckt werden wird.
gen gedruckt werden wird. Die Lage ist also ernst für die Literatur. Akhtar hat es selbst ausprobiert, wie das so funktionieren könnte mit dem kreativen Schreiben und der KI, und das Ergebnis ist sein neuestes Stück, Der Fall McNeal (übersetzt von Daniel Kehlmann). Dafür hat er zwei Jahre lang ein – sich rasant veränderndes – large language model trainiert, bis es in der Lage war, so zu schreiben wie er: in seinem Stil, in seinem Sinn. Einzelne Sätze des Stücks hat er seinem digitalen Assistenten teilweise in Schwerstarbeit abgerungen, erzählt er.
Der Theatertext zeigt einen Autor namens Jacob McNeal „in der nahen Zukunft“ auf dem Höhepunkt seines Ruhms (Literaturnobelpreis) und am Ende seines Lebens (Leberzirrhose). Und während McNeal eingeholt wird von den zerstörerischen Beziehungen und Lebensweisen seiner Vergangenheit, wird er gleichzeitig überholt von einer Technologie, die es ihm ermöglicht, einen qualitativ hochwertigen ersten Romanentwurf in nur zwei Tagen zu schreiben: „Zu sehen, wie diese Seiten aus dem Drucker kamen, das war, wie mitansehen zu müssen, wie der letzte Eisberg vor der Küste Grönlands versinkt“, stellt McNeal fest, bevor er sich umzubringen versucht. Und je länger der Theaterabend voranschreitet, desto mehr ahnen wir, dass längst eine KI den Text übernommen hat, die die Hauptf igur nicht sterben lässt.
„Die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug“, bemerkt der alte Hegel im Vorwort zu seiner Rechtsphilosophie. Ein Satz, den Ayad Akhtar auf dem Podium im DT zitiert. Was Hegel mit diesem Satz meint, ist vielfach so interpretiert worden: Eine Erkenntnis gesellschaftlicher Verhältnisse ist erst dann möglich, nachdem ihre Wirklichkeit sich entfaltet hat. Die Göttin Minerva ist das römische Pendant zur griechischen Athene und beide Göttinnen hatten als Hüterinnen der Klugheit den Vogel der Weisheit als mythologisches Attribut, die nachtaktive Eule. Die Erkenntnis stellt sich also erst ein, wenn etwas zu Ende geht, sie schließt eine Epoche ab und begründet sie nicht etwa, wie Hegel zuvor behauptet hatte. Es scheint, als seien wir bereits in eine neue Epoche eingetreten, die unsere Gesellschaft durch KI stärker verändern wird, als wir wahrhaben wollen.
Befragt von Jeffrey Goldberg, welche Kunst wohl am wenigsten anfällig sei für die Übernahme durch eine KI, nennen Akhtar und Kehlmann Comedians und Theaterschauspieler:innen. Akhtar setzt große Hoffnung in das Theater als einen widerständigen Ort der Zusammenkunft gegen jeden Zeitgeist. Er erzählt von den Höhlenmalereien in Lascaux, die vor mehr als 4.000 Jahren entstanden sind und die noch heute zu uns sprächen, weil sie eine universelle Dimension des Menschseins thematisieren. Und Menschen, die sich auf eine Bühne stellen und andere mit einer Geschichte anlocken, das sei doch eigentlich ein Geschenk: die Möglichkeit des Zusammenseins von lebendigen, fehlbaren, ineffizienten, gefühlvollen, intelligenten Menschen in einer Höhle, wie das Theater eine sein kann.