YOUR VERY OWN DOUBLE CRISIS CLUB

Ein übersetztes Klagelied mit furchtbarem Akzent
Bühne / Kostüme Sigi Colpe
Musik Tamás Matkó
Uraufführung am 23. Juni 2017, Kammerspiele
Hicham-Tankred Felske
Felix Goeser
Christian Hankammer
Esther Maria Hilsemer
Judith Hofmann
Richard Manualpillai
Til Schindler
Mariann Yar
Hicham-Tankred Felske, Felix Goeser, Christian Hankammer, Esther Maria Hilsemer, Judith Hofmann, Richard Manualpillai, Til Schindler, Mariann Yar
nachtkritik.de
Gabi Hilft, 24.06.2017
YOUR VERY OWN DOUBLE CRISIS CLUB von Sivan Ben Yishai ist beim Lesen das stärkste der drei Stücke, ein Lamento von enormer sprachlicher Wucht und Schönheit, mit einem zwingenden Rhythmus, der einen hineinzieht in die unerträgliche Lage der Geflüchteten. Ein "Wir" spricht direkt zum Publikum. Es sind Geflüchtete aus einer abgebrannten Stadt, die nichts zu verkaufen haben als ihre Geschichten – aber es gibt keine Geschichten mehr für sie, keinen Sinn, keinen Anfang, keine Mitte und kein Ende. Trotzdem müssen sie etwas liefern – und alles wird ihnen zu Immigrantenpoesie und Kriegsporno.

Die erste Stunde wird das "Wir" von sechs Schauspielstudent*innen der Berliner Universität der Künste verkörpert. [...]

Alles in allem war das ein erfreulich starker Jahrgang mit neuen Perspektiven, die das Theater gut gebrauchen kann.
YOUR VERY OWN DOUBLE CRISIS CLUB von Sivan Ben Yishai ist beim Lesen das stärkste der drei Stücke, ein Lamento von enormer sprachlicher Wucht und Schönheit, mit einem zwingenden Rhythmus, der einen hineinzieht in die unerträgliche Lage der Geflüchteten. Ein "Wir" spricht direkt zum Publikum. Es sind Geflüchtete aus einer abgebrannten Stadt, die nichts zu verkaufen haben als ihre Geschichten – aber es gibt keine Geschichten mehr für sie, keinen Sinn, keinen Anfang, keine Mitte und kein Ende. Trotzdem müssen sie etwas liefern – und alles wird ihnen zu Immigrantenpoesie und Kriegsporno.

Die erste Stunde wird das "Wir" von sechs Schauspielstudent*innen der Berliner Universität der Künste verkörpert. [...]

Alles in allem war das ein erfreulich starker Jahrgang mit neuen Perspektiven, die das Theater gut gebrauchen kann.
rbbI24
Fabian Wallmeier, 24.06.2017
YOUR VERY OWN DOUBLE CRISIS CLUB von Sivan Ben Yishai erzählt eine viel größere Geschichte – ebenfalls lückenhaft, aber in ihren Einzelteilen sprachlich drastischer.

Eine Stadt in einem Kriegsgebiet wird beschworen. "Die Stadt wird gegangbangt – und wir gucken zu", heißt es an einer Stelle. Sechs junge Männer und Frauen in blauen Arbeitsanzügen stehen auf der zunächst kahlen Hinterbühne der Kammerspiele. Sie tragen Sterne auf der Brust, die Assoziation liegt auf der Hand: Sie sind Europa. Oder sie wollen es sein. Sie danken den Zuschauern fürs Kommen, kündigen an, bald all ihre Habseligkeiten zu verkaufen – und kommen dann doch nicht dazu, so oft der Text auch neu ansetzt.

Die Schilderungen des Krieges, der Angriffe, des Sterbens, der Vergewaltigungen sind drastisch und eindringlich. Doch der Text distanziert sich auch immer wieder von seiner eigenen Eindringlichkeit: "Kriegsporno" sei das, heißt es an einer Stelle. Yishai nimmt immer wieder auch die Außenperspektive ein, lässt die sechs Schauspieler das Publikum immer wieder direkt ansprechen, blickt auf die Bühnensituation und die Unmöglichkeit des Erzählens. [...]

Was András Dömötör in seiner Produktion für das Deutsche Theater daraus macht, ist allerdings wirklich spektakulär. Er nimmt das Springen zwischen den Ebenen als Anlass für den ganz großen Bühnenzauber, mit offenem Kulissengeschiebe und Perspektivwechseln. Man hat das ähnlich zwar schon oft gesehen, aber in einer solchen Fülle und so gut getimet nur selten.

Allein wie Dömötör nach einer guten halben Stunde Felix Goeser und Judith Hofmann als vermeintliche Hauptfiguren des Abends einführt, ist ein großer Spaß – und bleibt hier nur angedeutet, um ihn nicht zu verderben.
YOUR VERY OWN DOUBLE CRISIS CLUB von Sivan Ben Yishai erzählt eine viel größere Geschichte – ebenfalls lückenhaft, aber in ihren Einzelteilen sprachlich drastischer.

Eine Stadt in einem Kriegsgebiet wird beschworen. "Die Stadt wird gegangbangt – und wir gucken zu", heißt es an einer Stelle. Sechs junge Männer und Frauen in blauen Arbeitsanzügen stehen auf der zunächst kahlen Hinterbühne der Kammerspiele. Sie tragen Sterne auf der Brust, die Assoziation liegt auf der Hand: Sie sind Europa. Oder sie wollen es sein. Sie danken den Zuschauern fürs Kommen, kündigen an, bald all ihre Habseligkeiten zu verkaufen – und kommen dann doch nicht dazu, so oft der Text auch neu ansetzt.

Die Schilderungen des Krieges, der Angriffe, des Sterbens, der Vergewaltigungen sind drastisch und eindringlich. Doch der Text distanziert sich auch immer wieder von seiner eigenen Eindringlichkeit: "Kriegsporno" sei das, heißt es an einer Stelle. Yishai nimmt immer wieder auch die Außenperspektive ein, lässt die sechs Schauspieler das Publikum immer wieder direkt ansprechen, blickt auf die Bühnensituation und die Unmöglichkeit des Erzählens. [...]

Was András Dömötör in seiner Produktion für das Deutsche Theater daraus macht, ist allerdings wirklich spektakulär. Er nimmt das Springen zwischen den Ebenen als Anlass für den ganz großen Bühnenzauber, mit offenem Kulissengeschiebe und Perspektivwechseln. Man hat das ähnlich zwar schon oft gesehen, aber in einer solchen Fülle und so gut getimet nur selten.

Allein wie Dömötör nach einer guten halben Stunde Felix Goeser und Judith Hofmann als vermeintliche Hauptfiguren des Abends einführt, ist ein großer Spaß – und bleibt hier nur angedeutet, um ihn nicht zu verderben.
Stage and Screen
Sascha Kriger, 25.06.2017
Sivan Ben Yishais kreisförmiger wie mehrschichtiger Text, der sich immer wieder in den Schwanz beißt, bei dem sich die Diskursebenen gegenseitig ins Wort fallen und Sand ins Getriebe werfen, der gar nicht von dem erzählt, von dem er erzählen scheint, sondern den Blick auf "uns" die Leidenskonsumenten, die Zuschauer der großen Flucht-Show lenkt, findet eine meist kongeniale Entsprechung in András Dömötörs zupackenden wie reduzierten Regie. Er setzt "uns" auf die Bühne, dreht den Spiegel um, macht "uns" zu den Hauptakteuren, die das Spiel kontrollieren, die Regeln bestimmen, das Zepter fest in der Hand halten. Dömötör nimmt den Rhythmus des Textes auf, macht aus ihm den Treiber der Inszenierung, nimmt die Inhalte als rhythmisches Material auf, dem die Körper, die Sprache, die Erzählung folgen. Die Erzählenden macht er zu dauerlächelnden Verkäuferpuppen, die um unsere Gunst betteln und gleichzeitig lebendiger bleiben als die Zombiewelt, in welche sie Einlass begehren. Dömötör lässt Sympathie und Empathie zu und entlarvt sie zugleich wiederholt als Machtinstrumente, als Marketingtricks auf dem Markt der Geschichten. Ein witziger, unterhaltsamer Abend, ein bitterböser, freundlich zubereiteter Text, der im wohligen Zuschauergrinsen ganz tief unten die Saat des Unwohlseins sät. Sivan Ben Yishais kreisförmiger wie mehrschichtiger Text, der sich immer wieder in den Schwanz beißt, bei dem sich die Diskursebenen gegenseitig ins Wort fallen und Sand ins Getriebe werfen, der gar nicht von dem erzählt, von dem er erzählen scheint, sondern den Blick auf "uns" die Leidenskonsumenten, die Zuschauer der großen Flucht-Show lenkt, findet eine meist kongeniale Entsprechung in András Dömötörs zupackenden wie reduzierten Regie. Er setzt "uns" auf die Bühne, dreht den Spiegel um, macht "uns" zu den Hauptakteuren, die das Spiel kontrollieren, die Regeln bestimmen, das Zepter fest in der Hand halten. Dömötör nimmt den Rhythmus des Textes auf, macht aus ihm den Treiber der Inszenierung, nimmt die Inhalte als rhythmisches Material auf, dem die Körper, die Sprache, die Erzählung folgen. Die Erzählenden macht er zu dauerlächelnden Verkäuferpuppen, die um unsere Gunst betteln und gleichzeitig lebendiger bleiben als die Zombiewelt, in welche sie Einlass begehren. Dömötör lässt Sympathie und Empathie zu und entlarvt sie zugleich wiederholt als Machtinstrumente, als Marketingtricks auf dem Markt der Geschichten. Ein witziger, unterhaltsamer Abend, ein bitterböser, freundlich zubereiteter Text, der im wohligen Zuschauergrinsen ganz tief unten die Saat des Unwohlseins sät.
Berliner Morgenpost
Katrin Pauly, 26.06.2017
Geschichten vom Fremdsein im Deutschen Theater

Bei den Autorentheatertagen dominierten drei Autorinnen mit sprachlicher Dringlichkeit.

Sie tragen Europas Farben: Tiefblau sind ihre Jacken und Hosen, mit gelben Sternen drauf. Ein Sprechchor aus dem Kriegsgebiet. Sie erzählen von Gewalt, von ihrer zerstörten, wimmernden Stadt. "Wir sind jetzt hier", sagen sie. "Wir und ihr", sagen sie, "in dem Haus eurer Geschichten." Dieses Haus ist das Deutsche Theater und die Geschichten, die hier normalerweise erzählt werden, der westliche Kanon, das sind nicht ihre Geschichten. Bis jetzt. [...]

Das Stück mit dem Sprechchor in Europa-Farben heißt YOUR VERY OWN DOUBLE CRISIS CLUB, geschrieben hat es die 1978 in Tel Aviv geborene Autorin Sivan Ben Yishai. Es ist von allen der formal überzeugendste Text, wuchtig, ruppig, fordernd. Fürs Deutsche Theater hat ihn Regisseur András Dömötör in Szene gesetzt. Zunächst vertraut er ganz aufs Wort, lässt den Chor den Rhythmus der Sätze aufnehmen. Das ist stark und erschütternd. Dann hebt sich die Tennwand, Bühnenarbeiter bauen ein riesiges Wohnzimmer auf. Felix Goeser und Judith Hofmann geben ein altmodisches (Theater)Bürgerpaar. Und der Chor versucht, sich unsichtbar zu machen, in diesem fremden Stück, dem engen Raum, aber es gibt kein Entkommen.
Geschichten vom Fremdsein im Deutschen Theater

Bei den Autorentheatertagen dominierten drei Autorinnen mit sprachlicher Dringlichkeit.

Sie tragen Europas Farben: Tiefblau sind ihre Jacken und Hosen, mit gelben Sternen drauf. Ein Sprechchor aus dem Kriegsgebiet. Sie erzählen von Gewalt, von ihrer zerstörten, wimmernden Stadt. "Wir sind jetzt hier", sagen sie. "Wir und ihr", sagen sie, "in dem Haus eurer Geschichten." Dieses Haus ist das Deutsche Theater und die Geschichten, die hier normalerweise erzählt werden, der westliche Kanon, das sind nicht ihre Geschichten. Bis jetzt. [...]

Das Stück mit dem Sprechchor in Europa-Farben heißt YOUR VERY OWN DOUBLE CRISIS CLUB, geschrieben hat es die 1978 in Tel Aviv geborene Autorin Sivan Ben Yishai. Es ist von allen der formal überzeugendste Text, wuchtig, ruppig, fordernd. Fürs Deutsche Theater hat ihn Regisseur András Dömötör in Szene gesetzt. Zunächst vertraut er ganz aufs Wort, lässt den Chor den Rhythmus der Sätze aufnehmen. Das ist stark und erschütternd. Dann hebt sich die Tennwand, Bühnenarbeiter bauen ein riesiges Wohnzimmer auf. Felix Goeser und Judith Hofmann geben ein altmodisches (Theater)Bürgerpaar. Und der Chor versucht, sich unsichtbar zu machen, in diesem fremden Stück, dem engen Raum, aber es gibt kein Entkommen.
Berliner Zeitung
Doris Meierhenrich, 26.06.2017
Vordergründig ist der Text eine ambitionierte, kunstkritische Collage aus Chor- und Einzelstimmen, die vor allem die Sicht von Flüchtenden einnehmen. Dann wechseln sie unmerklich in die Haut zwiespältiger Gutmenschen, voyeuristischer Medien, westlicher Politiker und auch der Machtapparat des "liberalen, demokratischen Hauses der Geschichten", gemeint ist das Theater, bleibt nicht unbesprochen. Allesamt versuchten sie, so das "Klagelied" der Stimmen aus dem Elend der Fremden mittels Eingemeindung eigenes Kapital zu schlagen: moralisches, machttechnisches, materielles. So steigert sich die Empörung dieses Textes fast unausweichlich in die eingangs schon anzitierte Wutrede gegen die "Schwanzotalität" dieser Welt, die Judith Hofmann gespreizt, gereizt vom Stapel lässt, während sie über die Sitzreihen der leeren Kammerspiele turnt.

Es ist eine der amüsantesten Leerlauf-Szenen, mit denen Regisseur András Dömötör versucht, den zerissenen Text zu greifen. Mit einem Flüchtlingschor aus sechs UdK-Studenten in zynisch sauberen Europaflaggenkostümen und den DT-Schauspielern Judith Hofmann und Felix Goeser hat er ihn in weiten Teilen effektvoll als Sprecherchor choreografiert.
Vordergründig ist der Text eine ambitionierte, kunstkritische Collage aus Chor- und Einzelstimmen, die vor allem die Sicht von Flüchtenden einnehmen. Dann wechseln sie unmerklich in die Haut zwiespältiger Gutmenschen, voyeuristischer Medien, westlicher Politiker und auch der Machtapparat des "liberalen, demokratischen Hauses der Geschichten", gemeint ist das Theater, bleibt nicht unbesprochen. Allesamt versuchten sie, so das "Klagelied" der Stimmen aus dem Elend der Fremden mittels Eingemeindung eigenes Kapital zu schlagen: moralisches, machttechnisches, materielles. So steigert sich die Empörung dieses Textes fast unausweichlich in die eingangs schon anzitierte Wutrede gegen die "Schwanzotalität" dieser Welt, die Judith Hofmann gespreizt, gereizt vom Stapel lässt, während sie über die Sitzreihen der leeren Kammerspiele turnt.

Es ist eine der amüsantesten Leerlauf-Szenen, mit denen Regisseur András Dömötör versucht, den zerissenen Text zu greifen. Mit einem Flüchtlingschor aus sechs UdK-Studenten in zynisch sauberen Europaflaggenkostümen und den DT-Schauspielern Judith Hofmann und Felix Goeser hat er ihn in weiten Teilen effektvoll als Sprecherchor choreografiert.
Theater heute
Franz Wille, 01.08.2017
András Dömötör lässt auf der Bühne der Kammerspiele den Theaterapparat mit den Muskeln spielen. Erst ein siebenköpfiger Migrantenchor in EU-Flaggen-bunten Uniformen, die sich zwischen Gefühlsernst und Showironie die Verse aufteilen, dann zwei große Monologshoweinlagen von Felix Goeser (am Schlagzeug) und Judith Hofmann (aus dem Zuschauerraum), schließlich wird unter mächtigem Technikereinsatz auf offener Bühne ein Spießer-Wohnzimmer zusammengeschraubt, indem sich Goeser/Hofmann wiederfinden und unter dessen Tischen und Stühlen die Migranten wie David-Lynch-Gespenster lauern. András Dömötör lässt auf der Bühne der Kammerspiele den Theaterapparat mit den Muskeln spielen. Erst ein siebenköpfiger Migrantenchor in EU-Flaggen-bunten Uniformen, die sich zwischen Gefühlsernst und Showironie die Verse aufteilen, dann zwei große Monologshoweinlagen von Felix Goeser (am Schlagzeug) und Judith Hofmann (aus dem Zuschauerraum), schließlich wird unter mächtigem Technikereinsatz auf offener Bühne ein Spießer-Wohnzimmer zusammengeschraubt, indem sich Goeser/Hofmann wiederfinden und unter dessen Tischen und Stühlen die Migranten wie David-Lynch-Gespenster lauern.

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Zum 150. Mal
von Nikolai Gogol
Kammerspiele
19.30 - 20.45

Dirk und ich

von und mit Marcel Kohler
Zu unserem Bedauern muss das Nachgespräch mit Renate Eichenberger krankheitsbedingt leider entfallen.
Box
19.30 - 21.00

Schwabenpower und Kollateralschlager

Ein Videoschnipselabend für Ulrich Khuon
von Jürgen Kuttner
Deutsches Theater
20.00