Der Zauberberg

nach Thomas Mann
Regie / Bühne Sebastian Hartmann
Videoanimation Tilo Baumgärtel
Dramaturgie Claus Caesar
Livestream Bildregie Jan Speckenbach
Livestream Kamera Marlene Blumert, Max Hohendahl, Dorian Sorg
Szenisches Video Lennart Löttker
Head of Stream Peter Stoltz
Sendeton Marcel Braun, Björn Mauder
Ton Marcel Braun, Eric Markert
Livestream-Premiere
20. November 2020
deutschestheater.de
nachtkritik.de
Elias Arens
Manuel Harder
Markwart Müller-Elmau
Linda Pöppel
Birgit Unterweger
Cordelia Wege
Niklas Wetzel
Samuel WieseLive-Musik
Berliner Morgenpost
Peter Zander, 21.11.2020
Virtuos wurde da eine Choreographie einstudiert, damit Kameraleute und Darsteller sich umschwirren, aber nicht umschubsen. Diese Aufnahmesituation wird auch nicht kaschiert, sondern noch betont. Mal nimmt eine Kamera eine andere ins Visier. Mal irrt sie mit einem Schauspieler auch hinter die Bühne. Was bei einer analogen Vorführung nicht möglich wäre. Vor allem werden die Live-Bilder aber auch gleich filmisch verfremdet: die Gesichter absichtsvoll überbelichtet, damit sie nur noch weiß sind, oder zu grellen Masken trickanimiert. Eine reizvolle Meta-Ebene. Virtuos wurde da eine Choreographie einstudiert, damit Kameraleute und Darsteller sich umschwirren, aber nicht umschubsen. Diese Aufnahmesituation wird auch nicht kaschiert, sondern noch betont. Mal nimmt eine Kamera eine andere ins Visier. Mal irrt sie mit einem Schauspieler auch hinter die Bühne. Was bei einer analogen Vorführung nicht möglich wäre. Vor allem werden die Live-Bilder aber auch gleich filmisch verfremdet: die Gesichter absichtsvoll überbelichtet, damit sie nur noch weiß sind, oder zu grellen Masken trickanimiert. Eine reizvolle Meta-Ebene.
Berliner Zeitung
Doris Meierhenrich, 21.11.2020
[...] Es ist ihm gerade das Spiel mit den Räumen nun besonders gut gelungen, die sich dank mitlaufender Handkameras in mehrere öffnen und damit auch die Zuschauersicht erweitern. Wechselblicke von der Bühne in den Zuschauerraum und zurück, Perspektiven von weit oben herab und aus den Seitenbühnen heraus, korrespondieren sogar noch pathetischer mit den verzweifelten Sinn- und Lebenssuchern auf der Bühne als im analogen Frontalraum. Nähe intensiviert sich und Verfremdung. Denn grafisch karikiert werden Gesichter überblendet und blitzartig durchleuchtet, dass Lust und Schrecken, Tod und seine medizinische Beherrschung immer gleich präsent bleiben. [...] Es ist ihm gerade das Spiel mit den Räumen nun besonders gut gelungen, die sich dank mitlaufender Handkameras in mehrere öffnen und damit auch die Zuschauersicht erweitern. Wechselblicke von der Bühne in den Zuschauerraum und zurück, Perspektiven von weit oben herab und aus den Seitenbühnen heraus, korrespondieren sogar noch pathetischer mit den verzweifelten Sinn- und Lebenssuchern auf der Bühne als im analogen Frontalraum. Nähe intensiviert sich und Verfremdung. Denn grafisch karikiert werden Gesichter überblendet und blitzartig durchleuchtet, dass Lust und Schrecken, Tod und seine medizinische Beherrschung immer gleich präsent bleiben.
Die Deutsche Bühne
Barbara Behrendt, 21.11.2020
Am DT verabschiedet er [Sebastian Hartmann] sich nun von jeder Erzählebene und zeigt allein seine radikal subjektiven, bizarren Assoziationswelten. Er arbeitet sich fast ausschließlich an der Episode ab, in der sich Castorp auf einer Schneewanderung verirrt und der Welt beinahe verloren geht – im weißen Wahn fantasiert er sich da blutige Albträume zusammen. In der Figur von Markwart Müller-Elmau blitzt Castorp hier und da durch, wenn er ins Leere starrt und Sätze sagt wie: "Ich bin der Welt abhanden gekommen. Gestorben bin ich der Welt."

[...]
In den besten Augenblicken schafft Hartmann mit seinem Ensemble und breit aufgestellten technischen Team albgeträumte Existenzbilder und Momente höllischer Verzweiflung. Etwa die Projektion der pseudo-nackten Menschen auf der Bühnenwand, die nun wirken, als fielen sie aus schwarzen Wolken in einen finsteren Abgrund. Die gruseligen Todesmasken, die den Spielern immer wieder aufs Gesicht projiziert werden. Der Moment, wenn Cordelia Wege versucht, einen unsichtbaren Vogel zu fangen. Das einzige echte Leben. Und immer wieder: der Blick in das stumme, elendige, hoffnungslose Gesicht von Markwart Müller Elmau, der sich in Erinnerungen an den Krieg verliert, während schwarze Asche auf ihn rieselt.

Am DT verabschiedet er [Sebastian Hartmann] sich nun von jeder Erzählebene und zeigt allein seine radikal subjektiven, bizarren Assoziationswelten. Er arbeitet sich fast ausschließlich an der Episode ab, in der sich Castorp auf einer Schneewanderung verirrt und der Welt beinahe verloren geht – im weißen Wahn fantasiert er sich da blutige Albträume zusammen. In der Figur von Markwart Müller-Elmau blitzt Castorp hier und da durch, wenn er ins Leere starrt und Sätze sagt wie: "Ich bin der Welt abhanden gekommen. Gestorben bin ich der Welt."

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In den besten Augenblicken schafft Hartmann mit seinem Ensemble und breit aufgestellten technischen Team albgeträumte Existenzbilder und Momente höllischer Verzweiflung. Etwa die Projektion der pseudo-nackten Menschen auf der Bühnenwand, die nun wirken, als fielen sie aus schwarzen Wolken in einen finsteren Abgrund. Die gruseligen Todesmasken, die den Spielern immer wieder aufs Gesicht projiziert werden. Der Moment, wenn Cordelia Wege versucht, einen unsichtbaren Vogel zu fangen. Das einzige echte Leben. Und immer wieder: der Blick in das stumme, elendige, hoffnungslose Gesicht von Markwart Müller Elmau, der sich in Erinnerungen an den Krieg verliert, während schwarze Asche auf ihn rieselt.

nachtkritik.de
Falk Schreiber, 21.11.2020
Von heute ist der Einsatz des Live-Films. Der nämlich zeigt eine Möglichkeit auf, was Theaterstreaming kann, wenn man erstens den nötigen Aufwand nicht scheut und zweitens Könner*innen an den Kameras hat: Toll, wie die Kameras zu eigenständigen Akteurinnen werden, toll, wie Bilder den verwaisten Zuschauerraum einfangen, toll, wie selbstverständlich Hinterbühne, Saal, Gänge zu Theaterorten werden. Nicht zuletzt weckt der Filmeinsatz die Lust, den Abend ein weiteres mal zu sehen, nicht auf dem Bildschirm, sondern tatsächlich auf der Bühne, im Dezember oder wann auch immer. Hartmann kündigt an, dass die Bühnen-Inszenierung anders werde als die Filmarbeit, und da würde das Streaming dann tatsächlich einen Mehrwert generieren: als Inszenierung aus zwei Teilen, die sich im besten Falle ergänzen würden, hier die Filmversion, dort die Bühnenversion.
Von heute ist der Einsatz des Live-Films. Der nämlich zeigt eine Möglichkeit auf, was Theaterstreaming kann, wenn man erstens den nötigen Aufwand nicht scheut und zweitens Könner*innen an den Kameras hat: Toll, wie die Kameras zu eigenständigen Akteurinnen werden, toll, wie Bilder den verwaisten Zuschauerraum einfangen, toll, wie selbstverständlich Hinterbühne, Saal, Gänge zu Theaterorten werden. Nicht zuletzt weckt der Filmeinsatz die Lust, den Abend ein weiteres mal zu sehen, nicht auf dem Bildschirm, sondern tatsächlich auf der Bühne, im Dezember oder wann auch immer. Hartmann kündigt an, dass die Bühnen-Inszenierung anders werde als die Filmarbeit, und da würde das Streaming dann tatsächlich einen Mehrwert generieren: als Inszenierung aus zwei Teilen, die sich im besten Falle ergänzen würden, hier die Filmversion, dort die Bühnenversion.
rbb24
Ute Büsing, 21.11.2020
Selten war Warten auf das Deutsche Theater Berlin so spannend. Es hat sich gelohnt, denn Regisseur Sebastian Hartmann und sein Ensemble bescheren dem Haus zwei Sternstunden wie aus einer anderen Zeit. Der mit sechs Kameras und über Mikroports aufgenommene Livestream liefert einmalig ein ganz eigenes expressionistisch-düsteres Gesamtkunstwerk um den Krieg der Körper und die Vergänglichkeit der Zeit.

[...]
Die totale Verausgabung der großartigen Akteure und die kluge neue Mischform der technischen Elemente erzeugen einen unwiderstehlichen Sog beim Publikum am Bildschirm. Anders als sonst oft bei den metaphysisch wabernden Hartmann-Inszenierungen ist jedes Wort klar verständlich und der Sinn auch. Linda Pöppel, Birgit Unterweger und Cordelia Wege sind die Leidensfrauen und Sirenen. Die Männer liefern sich Schlagabtausche.

Selten war Warten auf das Deutsche Theater Berlin so spannend. Es hat sich gelohnt, denn Regisseur Sebastian Hartmann und sein Ensemble bescheren dem Haus zwei Sternstunden wie aus einer anderen Zeit. Der mit sechs Kameras und über Mikroports aufgenommene Livestream liefert einmalig ein ganz eigenes expressionistisch-düsteres Gesamtkunstwerk um den Krieg der Körper und die Vergänglichkeit der Zeit.

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Die totale Verausgabung der großartigen Akteure und die kluge neue Mischform der technischen Elemente erzeugen einen unwiderstehlichen Sog beim Publikum am Bildschirm. Anders als sonst oft bei den metaphysisch wabernden Hartmann-Inszenierungen ist jedes Wort klar verständlich und der Sinn auch. Linda Pöppel, Birgit Unterweger und Cordelia Wege sind die Leidensfrauen und Sirenen. Die Männer liefern sich Schlagabtausche.

ExBerliner
Sophie Diesselhorst, Januar 2021
At Deutsches Theater, Sebastian Hartmann's production of "Der Zauberberg" ("The Magic Mountain"), based on the iconic 1920s novel by Thomas Mann, premiered as a livestream. Its sophisticated live camera direction is likely to serve as a model for future theatrical experiments. At Deutsches Theater, Sebastian Hartmann's production of "Der Zauberberg" ("The Magic Mountain"), based on the iconic 1920s novel by Thomas Mann, premiered as a livestream. Its sophisticated live camera direction is likely to serve as a model for future theatrical experiments.
Theater Heute
Franz Wille, Januar 2021
Die Bilder überblenden ständig, eins fließt ins andere, Texte werden parallel gesprochen oder ineinander geschnitten, dazu kommen Tilo Baumgärtels bläulich grünliche Videoanimationen von brechenden Wellenbergen - oder Hochgebirgsschneelawinen? Die Perspektiven wechseln vom Close-up aus wackeliger Handkamera in die Totale bis zur Vogelperspektive aus dem Schnürboden.

[...]
Schaut man gerade noch von
oben oder schon von der Seite? Und wenn, von welcher Seite?

[...]
Dissoziation, Auflösung wohin man blickt: Das Nacheinander der verwendeten Texte ist ein wildes Schnipselwerk, in dem sich Raum und Zeit auflösen: Die Traumsequenzen aus dem "Schnee"-Kapitel, in dem sich Castorp in arkadischen Landschaften wähnt, wechseln mit Mord- und Hexenfantasien, mit Naturbeschreibungen und Reflexionen über den Unterschied von toter und lebendiger Materie zu Fragen des Lebens schlechthin - "Was ist der Körper?" - und Impressionen aus dem Röntgenlabor des Sanatoriums.

[...]
Hartmanns neues "Zauberberg"-Zeitbild trägt zwar nicht unbedingt zur Klärung der gegenwärtigen Verhältnisse bei, hat sie dabei aber ziemlich gut getroffen. Das Castorpsche Gefühl hat sich an diesem 20. November jedenfalls erschreckend gut übertragen: viel unübersichtliche Bewegung in den letzten zehn Jahren. Und kein Ende in Sicht.
Die Bilder überblenden ständig, eins fließt ins andere, Texte werden parallel gesprochen oder ineinander geschnitten, dazu kommen Tilo Baumgärtels bläulich grünliche Videoanimationen von brechenden Wellenbergen - oder Hochgebirgsschneelawinen? Die Perspektiven wechseln vom Close-up aus wackeliger Handkamera in die Totale bis zur Vogelperspektive aus dem Schnürboden.

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Schaut man gerade noch von
oben oder schon von der Seite? Und wenn, von welcher Seite?

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Dissoziation, Auflösung wohin man blickt: Das Nacheinander der verwendeten Texte ist ein wildes Schnipselwerk, in dem sich Raum und Zeit auflösen: Die Traumsequenzen aus dem "Schnee"-Kapitel, in dem sich Castorp in arkadischen Landschaften wähnt, wechseln mit Mord- und Hexenfantasien, mit Naturbeschreibungen und Reflexionen über den Unterschied von toter und lebendiger Materie zu Fragen des Lebens schlechthin - "Was ist der Körper?" - und Impressionen aus dem Röntgenlabor des Sanatoriums.

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Hartmanns neues "Zauberberg"-Zeitbild trägt zwar nicht unbedingt zur Klärung der gegenwärtigen Verhältnisse bei, hat sie dabei aber ziemlich gut getroffen. Das Castorpsche Gefühl hat sich an diesem 20. November jedenfalls erschreckend gut übertragen: viel unübersichtliche Bewegung in den letzten zehn Jahren. Und kein Ende in Sicht.
Theater der Zeit
Fritz Göttler, Februar 2021
Der Berliner "Zauberberg" strebt eine andere Authentizität an, die des Theatralischen, die natürlich nie trügerisch ist, ihrer Natur nach spekulativ. Es ist eine tastende, tapsige Inszenierung, von einer aufrichtigen Unförmigkeit, die bewegend ist, weil nur so neue Formen gefunden und erprobt werden können.

[...]
Der Rausch, der Traum. "All that we see or seem is but a dream within a dream", wird bei Hartmann Edgar Allen Poe zitiert. Er braucht die Totale, die leere Bühnenlandschaft, oder die extreme Nahaufnahme, das Gesicht. Die klassischen Formen des traditionellen Erzählkino meidet er, den two shot, zwei Leute gemeinsam in einer Einstellung, oder die Alternation zwischen zwei halbnah gefilmten Personen im Dialog. Lieber umkreist er die Akteure, um sie in ihrer Unsicherheit zu ertappen, wie die amerikanischen Dokumentarfilmer der Sechziger es machten, Richard Leacock oder Donn A. Pennebaker und Chris Hegedus. Die Kamera sieht mehr ... Der kreative Moment im Kino, der, den es im Theater nicht geben kann, ist, wenn zwei Einstellungen im Schnitt aneinanderstoßen und - so Godards berühmte Formel - daraus etwas Drittes entsteht. Kreativ für den Filmemacher wie für den Zuschauer.

[...]
Auch Sebastian Hartmann hat für solche Momente den Bühnenboden verlassen. Etwas Drittes entsteht aus dem Clash der beiden Einstellungen, etwas Ungeahntes, bislang Unsichtbares. In diesen Momenten wird das Kino erfunden immer wieder aufs Neue. Was die Kamera sieht ... Am Anfang des "Zauberbergs" gibt es die Alpen, aber man erlebt, wie sie Wellen schlagen. Das Festgelegte, Monumentale, Steinerne windet sich, gerät in Bewegung. Eine tolle Einstellung, ein Stück Animation, das schon die ganze Inszenierung in sich trägt. Der Animationsfilm gilt vielen als der Inbegriff des Kinos, als cinema pur.
Der Berliner "Zauberberg" strebt eine andere Authentizität an, die des Theatralischen, die natürlich nie trügerisch ist, ihrer Natur nach spekulativ. Es ist eine tastende, tapsige Inszenierung, von einer aufrichtigen Unförmigkeit, die bewegend ist, weil nur so neue Formen gefunden und erprobt werden können.

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Der Rausch, der Traum. "All that we see or seem is but a dream within a dream", wird bei Hartmann Edgar Allen Poe zitiert. Er braucht die Totale, die leere Bühnenlandschaft, oder die extreme Nahaufnahme, das Gesicht. Die klassischen Formen des traditionellen Erzählkino meidet er, den two shot, zwei Leute gemeinsam in einer Einstellung, oder die Alternation zwischen zwei halbnah gefilmten Personen im Dialog. Lieber umkreist er die Akteure, um sie in ihrer Unsicherheit zu ertappen, wie die amerikanischen Dokumentarfilmer der Sechziger es machten, Richard Leacock oder Donn A. Pennebaker und Chris Hegedus. Die Kamera sieht mehr ... Der kreative Moment im Kino, der, den es im Theater nicht geben kann, ist, wenn zwei Einstellungen im Schnitt aneinanderstoßen und - so Godards berühmte Formel - daraus etwas Drittes entsteht. Kreativ für den Filmemacher wie für den Zuschauer.

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Auch Sebastian Hartmann hat für solche Momente den Bühnenboden verlassen. Etwas Drittes entsteht aus dem Clash der beiden Einstellungen, etwas Ungeahntes, bislang Unsichtbares. In diesen Momenten wird das Kino erfunden immer wieder aufs Neue. Was die Kamera sieht ... Am Anfang des "Zauberbergs" gibt es die Alpen, aber man erlebt, wie sie Wellen schlagen. Das Festgelegte, Monumentale, Steinerne windet sich, gerät in Bewegung. Eine tolle Einstellung, ein Stück Animation, das schon die ganze Inszenierung in sich trägt. Der Animationsfilm gilt vielen als der Inbegriff des Kinos, als cinema pur.

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Außerdem im Spielplan

Mit englischen Übertiteln

Forever Yin Forever Young

Die Welt des Funny van Dannen
Regie: Tom Kühnel und Jürgen Kuttner
Kammer
19.30 - 22.10
Ausverkauft
Evtl. Restkarten an der Abendkasse