
Der Mensch erscheint im Holozän
nach der gleichnamigen Erzählung von Max Frisch
„Ein Weg ist ein Weg auch im Nebel."
Ist da ein Riss im Boden? Und was ist mit dem großen Riss durchs Gelände? Mit der phantastischen Wachheit des Einsamen beobachtet Herr Geiser seine Umwelt. Es regnet seit Wochen. Was, wenn der Berg ins Rutschen kommt und das Haus, das Dorf, das ganze Tal verschüttet für alle Zeit? Herr Geiser beginnt zu sammeln: Wissen, das nicht verloren gehen darf: Daten, Fakten, Listen, Notizen. Auch, um seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, das in letzter Zeit deutliche Lücken aufweist. Einen nächtlichen Fluchtversuch in Richtung seiner alten Heimat Basel bricht er unversehens ab und kehrt zurück in sein Haus am Berg. Oder war er überhaupt je weg gewesen? Dem eigenen Verschwinden ist nicht zu entkommen.
Für Der Mensch erscheint im Holozän (1979) ließ sich Max Frisch vom Sonderling und Einsiedler Armand Schulthess inspirieren, der im Tessin einen enzyklopädischen Garten anlegte und zeitlebens versuchte, das humane Universum zu rekonstruieren. In seiner ersten Arbeit für das Deutsche Theater nähert sich der Schweizer Regisseur Thom Luz mit seinem Ensemble auf assoziativ-musikalische Weise diesem Text, der in ungewissen Zeiten wieder an Bedeutung gewinnt. Ein Versuch von Ordnung der Wirklichkeit im natürlichen Chaos, ein theatraler Vorgang über den unvermeidlichen Verfall des menschlichen Körpers und gegen das unaufhaltsame Abhandenkommen der Welt.
In einer Fassung von Thom Luz und David Heiligers
Ist da ein Riss im Boden? Und was ist mit dem großen Riss durchs Gelände? Mit der phantastischen Wachheit des Einsamen beobachtet Herr Geiser seine Umwelt. Es regnet seit Wochen. Was, wenn der Berg ins Rutschen kommt und das Haus, das Dorf, das ganze Tal verschüttet für alle Zeit? Herr Geiser beginnt zu sammeln: Wissen, das nicht verloren gehen darf: Daten, Fakten, Listen, Notizen. Auch, um seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, das in letzter Zeit deutliche Lücken aufweist. Einen nächtlichen Fluchtversuch in Richtung seiner alten Heimat Basel bricht er unversehens ab und kehrt zurück in sein Haus am Berg. Oder war er überhaupt je weg gewesen? Dem eigenen Verschwinden ist nicht zu entkommen.
Für Der Mensch erscheint im Holozän (1979) ließ sich Max Frisch vom Sonderling und Einsiedler Armand Schulthess inspirieren, der im Tessin einen enzyklopädischen Garten anlegte und zeitlebens versuchte, das humane Universum zu rekonstruieren. In seiner ersten Arbeit für das Deutsche Theater nähert sich der Schweizer Regisseur Thom Luz mit seinem Ensemble auf assoziativ-musikalische Weise diesem Text, der in ungewissen Zeiten wieder an Bedeutung gewinnt. Ein Versuch von Ordnung der Wirklichkeit im natürlichen Chaos, ein theatraler Vorgang über den unvermeidlichen Verfall des menschlichen Körpers und gegen das unaufhaltsame Abhandenkommen der Welt.
In einer Fassung von Thom Luz und David Heiligers
Regie Thom Luz
Musikalische Leitung Mathias Weibel
Bühne Wolfgang Menardi, Thom Luz
Kostüme Sophie Leypold
Dramaturgie David Heiligers
Licht Matthias Vogel
Premiere am 23. September 2016, Deutsches Theater
Koproduktion mit dem Theater Basel
Koproduktion mit dem Theater Basel
Ulrich MatthesHerr Geiser

Judith HofmannElsbeth, seine verstorbene Frau

Franziska MachensCorinne, seine abwesende Tochter

Leonhard DeringDer Schwiegersohn aus Basel, der immer alles besser weiß

Wolfgang MenardiEin deutscher Sonnenforscher

Daniele PintaudiArmand Schulthess

Margitta AzadianBesucher
Mohammed AzadianBesucher
Martin HeiseBesucher
Till-Jan MeinenBesucher
Sarah Maria NeugebauerBesucher
Valentin OlbrichBesucher
Nina PhilippBesucher
Thomas ReimannBesucher
Herr Geiser
Elsbeth, seine verstorbene Frau
Corinne, seine abwesende Tochter
Der Schwiegersohn aus Basel, der immer alles besser weiß
Ein deutscher Sonnenforscher
Armand Schulthess
Margitta Azadian, Mohammed Azadian, Martin Heise, Till-Jan Meinen, Sarah Maria Neugebauer, Valentin Olbrich, Nina Philipp, Thomas Reimann
Besucher
Im Nachgespräch zu Der Mensch erscheint im Holozän am 7. Oktober 2016 gab Regisseur Thom Luz einige Geheimnisse preis. So zum Beispiel, warum eine aufwendige Bühnenbildidee nicht realisiert wurde und warum er gern einmal unter kurzzeitiger Amnesie leiden würde. Die Schweizer Publizistin Beatrice von Matt, die auch ein Buch über Max Frisch geschrieben hat, gab ihren Eindruck wieder von dieser Inszenierung.
Außerdem im Spielplan
PREMIERE
Künstlerische Leitung: Sofie Hüsler, Kristina Stang
Im Anschluss Nachgespräch mit Nils Mohl, Autor von Henny & Ponger. Moderation: Annette Wostrak von LesArt
Anschließend: Premierenparty in der Bar
Anschließend: Premierenparty in der Bar
Box
19.00
Ausverkauft
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
VORSTELLUNGSÄNDERUNG
Regie: Hanna Rudolph
Aufgrund eines Krankheitsfalls im Ensemble muss die heutige Vorstellung von Liebe, einfach außerirdisch von René Pollesch (Regie: René Pollesch) leider entfallen. Stattdessen zeigen wir Tagebuch eines Wahnsinnigen von Nikolai Gogol (Regie: Hanna Rudolph). Bereits gekaufte Karten für Liebe, einfach außerirdischkönnen Sie ab sofort umbuchen oder innerhalb von 14 Tagen an der Theaterkasse zurückgeben.
DT Bühne.
20:00 - 21.15
[...] Thom Luz ist ein Regisseur, der in solche Vorlagen eher locker hineinlauscht, als sie sklavisch (und chronologisch) nachzubuchstabieren. Er mixt den Erzähltext neu, reicht ihn zwischen seinen Spielern hin und her, legt Live-Klaviermusik von Bach bis Beethoven darüber. Etwas vokale Tessiner Volksmusik ist auch drin. Das Programmheft gibt die Fußnoten.
Alles zielt auf den ersten Blick weniger auf die konkrete Geschichte des Herrn Geiser als sogleich ins philosophisch Abstrakte. Als Schattengestalten streifen die Akteure durch eine kreideweiß getünchte Bühne, auf der ein morgentauender Nebel die Objekte verschleiert: die unzähligen Klaviere ringsherum, das hohe Podest mit der offenen Hausfassade mittig. Teils wird der ahndungsvolle Raum von Suchscheinwerfern durchschnitten (phantastische Licht-Kompositionen von Matthias Vogel).
Wie eine Fremdenführerin geleitet Judith Hofmann eine Menschengruppe umher, Franziska Machens und Wolfgang Menardi steuern gesampelte Romanfetzen bei; der Akzent der Auswahl liegt auf den Wissensbrocken des Buches. Nur ein Spieler sitzt stumm vorn auf einem Stuhl, dem Publikum den Rücken zukehrend, und schaut dem Treiben die Hälfte der Spielzeit über reglos distanziert zu: Ulrich Matthes als Herr Geiser. Zweimal hebt er an, sich einzumischen. Zweimal verschluckt die Umgebung seine zögerlichen Versuche.
Mit Ulrich Matthes kommt die persönliche, konkrete, menschliche, tragische Note in den so weitstreifenden und tiefschauenden Abend. Wie das Klavierspiel teils nur einzelne Töne gleich einem Kirchglockenläuten anschlägt, so dämpft auch Matthes seinen Ausdruck, bezaubert durch Minimalismus. Mit filigraner Nüchternheit stellt er diesen peniblen Herrn Geiser vor, diesen Studiosus der letzten Stunde. Hauchzart scheinen das Misanthropische und Sonderlingshafte der Figur durch, ohne dass sie damit im Geringsten klein gerechnet wäre. Die Worte fallen aus, ein kurzes Stocken, Herr Geiser ringt um seine Merksätze, um seine Gedächtniskraft: "Wissen beruhigt", sagt er. Matthes lässt es seine Figur mit einer verräterischen Anspannung vorbringen, die rissig wirkt, die die Absturzangst kennt. "Alles geht kaputt. Der Mensch bleibt ein Laie."
Thom Luz hat dem Deutschen Theater (in Kooperation mit dem Theater Basel) eine poetische Bühnenphantasie geschenkt, einen leisen, schwebenden Saisonauftakt mit Sätzen zum Festhalten: "Die Zeit ist noch nie stehengeblieben, bloß weil ein Mensch am Fenster steht und nicht weiß, was er denkt." Das gilt für die physikalische Zeit. In der Kunst aber will es mitunter scheinen, dass die Zeit stehenbleibt. Im Glücksmoment. Was für ein Spielzeitauftakt am Deutschen Theater Berlin!
[...] Thom Luz ist ein Regisseur, der in solche Vorlagen eher locker hineinlauscht, als sie sklavisch (und chronologisch) nachzubuchstabieren. Er mixt den Erzähltext neu, reicht ihn zwischen seinen Spielern hin und her, legt Live-Klaviermusik von Bach bis Beethoven darüber. Etwas vokale Tessiner Volksmusik ist auch drin. Das Programmheft gibt die Fußnoten.
Alles zielt auf den ersten Blick weniger auf die konkrete Geschichte des Herrn Geiser als sogleich ins philosophisch Abstrakte. Als Schattengestalten streifen die Akteure durch eine kreideweiß getünchte Bühne, auf der ein morgentauender Nebel die Objekte verschleiert: die unzähligen Klaviere ringsherum, das hohe Podest mit der offenen Hausfassade mittig. Teils wird der ahndungsvolle Raum von Suchscheinwerfern durchschnitten (phantastische Licht-Kompositionen von Matthias Vogel).
Wie eine Fremdenführerin geleitet Judith Hofmann eine Menschengruppe umher, Franziska Machens und Wolfgang Menardi steuern gesampelte Romanfetzen bei; der Akzent der Auswahl liegt auf den Wissensbrocken des Buches. Nur ein Spieler sitzt stumm vorn auf einem Stuhl, dem Publikum den Rücken zukehrend, und schaut dem Treiben die Hälfte der Spielzeit über reglos distanziert zu: Ulrich Matthes als Herr Geiser. Zweimal hebt er an, sich einzumischen. Zweimal verschluckt die Umgebung seine zögerlichen Versuche.
Mit Ulrich Matthes kommt die persönliche, konkrete, menschliche, tragische Note in den so weitstreifenden und tiefschauenden Abend. Wie das Klavierspiel teils nur einzelne Töne gleich einem Kirchglockenläuten anschlägt, so dämpft auch Matthes seinen Ausdruck, bezaubert durch Minimalismus. Mit filigraner Nüchternheit stellt er diesen peniblen Herrn Geiser vor, diesen Studiosus der letzten Stunde. Hauchzart scheinen das Misanthropische und Sonderlingshafte der Figur durch, ohne dass sie damit im Geringsten klein gerechnet wäre. Die Worte fallen aus, ein kurzes Stocken, Herr Geiser ringt um seine Merksätze, um seine Gedächtniskraft: "Wissen beruhigt", sagt er. Matthes lässt es seine Figur mit einer verräterischen Anspannung vorbringen, die rissig wirkt, die die Absturzangst kennt. "Alles geht kaputt. Der Mensch bleibt ein Laie."
Thom Luz hat dem Deutschen Theater (in Kooperation mit dem Theater Basel) eine poetische Bühnenphantasie geschenkt, einen leisen, schwebenden Saisonauftakt mit Sätzen zum Festhalten: "Die Zeit ist noch nie stehengeblieben, bloß weil ein Mensch am Fenster steht und nicht weiß, was er denkt." Das gilt für die physikalische Zeit. In der Kunst aber will es mitunter scheinen, dass die Zeit stehenbleibt. Im Glücksmoment.
Grabowski Die Hauptrolle des isolierten Rentners spielt Ulrich Matthes. Dominiert er den Abend?
Asel Lange ist Matthes nur als Silhouette auf einem Stuhl im Vordergrund sichtbar. Auch später bewegt er sich (und das kann er exzellent) wie tastend in einem ihm unvertrauten Körper. Um ihn herum bleiben die anderen Darsteller schemenhaft, mal wird eine Reisegruppe mit Informationen über das Tal vorbeigeführt, mal tauchen, wie aus der Erinnerung Familienmitglieder auf.
Das Schlussbild ist wirklich stark: wir sehen den längst in sich verkapselten Geiser im Fensterrahmen stehen, und ein halbdurchsichtiger Gazevorhang nach dem anderen wird zwischen ihn und uns heruntergelassen, bis er uns schier abhanden kommt. "Das Schlussbild ist wirklich stark"
Grabowski Die Hauptrolle des isolierten Rentners spielt Ulrich Matthes. Dominiert er den Abend?
Asel Lange ist Matthes nur als Silhouette auf einem Stuhl im Vordergrund sichtbar. Auch später bewegt er sich (und das kann er exzellent) wie tastend in einem ihm unvertrauten Körper. Um ihn herum bleiben die anderen Darsteller schemenhaft, mal wird eine Reisegruppe mit Informationen über das Tal vorbeigeführt, mal tauchen, wie aus der Erinnerung Familienmitglieder auf.
Das Schlussbild ist wirklich stark: wir sehen den längst in sich verkapselten Geiser im Fensterrahmen stehen, und ein halbdurchsichtiger Gazevorhang nach dem anderen wird zwischen ihn und uns heruntergelassen, bis er uns schier abhanden kommt.
Denn auch Regisseur Thom Luz hat Zeit, er nimmt sie sich. Es ist ein versponnener, musikalischer und traumschöner Abend, mit dem das Deutsche Theater seine neue Spielzeit eröffnet, die unter dem Motto "Keine Angst vor niemand" steht. Mutig, weil er fast ohne Handlung auskommt.
[...] All diese Schnipsel und Notizen, seine kleinen Endzeitbonmots verteilt Thom Luz klug auf verschiedene Spieler und Sprecher. Ulrich Matthes bleibt das Zentrum, ruhig, zurückgenommen, schon leicht gebrochen, aber noch staunend. Die anderen spielen keine eigentlichen Rollen, nur angedeutet wird, dass Judith Hofrnann Geisers Frau Elsbeth sein könnte, Franziska Machens seine Tochter Corinne, Leonhard Dering der Schwiegersohn und Wolfgang Menardi und Daniele Pintaudi irgendwelche Wissenschaftler. Luz bebildert den Text von Max Frisch nicht, er leuchtet ihn aus. Mit einem starken Lichtstrahl zum Beispiel, der, von den verspiegelten Notenpulten der Klaviere mehrfach umgelenkt, in scharfem Zickzack den Raum zerteilt (Lichtkonzept Matthias Vogel). Ein Scheinwerfer macht sich selbstständig, eine nackte Glühbirne verglimmt im Bühnenhimmel, einige singen ein Tessiner Volkslied. Manchmal sieht das bedeutungsschwer aus, meistens aber sehr poetisch, und wie der Herr Geiser in anderthalb Stunden vor unseren Augen fast verschwindet, ist anrührend. Am Ende nützt ihm all sein Wissen nichts. Ein weißer Gazevorhang nach dem anderen schiebt sich von oben zwischen ihn und uns. Herr Geiser hat Zeit. Die hat er nicht gewollt, lieber würde er draußen im Garten arbeiten. Aber es schüttet seit Tagen, und das Tessiner Bergdorf, in dem Herr Geiser lebt, ist durch ein Unwetter von der Außenwelt abgeschnitten. Herr Geiser ist Rentner, fast 74 verwitwet. Er war Fabrikbesitzer in Basel. Das war früher, aber jetzt ist nichts zu tun. Deshalb sitzt er auf einem kleinen Hocker und lauscht der Welt, sammelt Fakten gegen die Einsamkeit und den Gedächtnisverlust. Fast den halben Abend sitzt Ulrich Matthes so da. Vorne an der Bühne, aber mit dem Rücken zum Publikum. Im Halbdunkel erkennt man nur seine Silhouette. Von rechts betritt der Pianist Daniele Pintaudi das Parkett, setzt sich ans Klavier, spielt Beethoven, oben auf der Bühne stehen noch mehr Klaviere, ein halbes Dutzend insgesamt. Ein zweiter Klavierspieler stimmt ein. Herr Geiser bleibt sitzen.
Denn auch Regisseur Thom Luz hat Zeit, er nimmt sie sich. Es ist ein versponnener, musikalischer und traumschöner Abend, mit dem das Deutsche Theater seine neue Spielzeit eröffnet, die unter dem Motto "Keine Angst vor niemand" steht. Mutig, weil er fast ohne Handlung auskommt.
[...] All diese Schnipsel und Notizen, seine kleinen Endzeitbonmots verteilt Thom Luz klug auf verschiedene Spieler und Sprecher. Ulrich Matthes bleibt das Zentrum, ruhig, zurückgenommen, schon leicht gebrochen, aber noch staunend. Die anderen spielen keine eigentlichen Rollen, nur angedeutet wird, dass Judith Hofrnann Geisers Frau Elsbeth sein könnte, Franziska Machens seine Tochter Corinne, Leonhard Dering der Schwiegersohn und Wolfgang Menardi und Daniele Pintaudi irgendwelche Wissenschaftler. Luz bebildert den Text von Max Frisch nicht, er leuchtet ihn aus. Mit einem starken Lichtstrahl zum Beispiel, der, von den verspiegelten Notenpulten der Klaviere mehrfach umgelenkt, in scharfem Zickzack den Raum zerteilt (Lichtkonzept Matthias Vogel). Ein Scheinwerfer macht sich selbstständig, eine nackte Glühbirne verglimmt im Bühnenhimmel, einige singen ein Tessiner Volkslied. Manchmal sieht das bedeutungsschwer aus, meistens aber sehr poetisch, und wie der Herr Geiser in anderthalb Stunden vor unseren Augen fast verschwindet, ist anrührend. Am Ende nützt ihm all sein Wissen nichts. Ein weißer Gazevorhang nach dem anderen schiebt sich von oben zwischen ihn und uns.
[..] Dem jungen Schweizer Regisseur Thom Luz, der in seinen durch die Marthaler-Schule gegangenen Musiktheaterabenden seit jeher selbst eher enzyklopädisch als narrativ arbeitet und sich prinzipiell stärker für Atmosphären und Zustände auf der Bühne interessiert als für lineare Erzählstränge, kommt das sehr entgegen. In seiner ersten Arbeit am Berliner DT taucht der 34-Jährige das symbolträchtige Geiser-Universum denn auch in schmerzschöne Kompositionen von Bach über Beethoven bis Bartók sowie in formvollendete Bühnennebel-Bilder: alles von geradezu wohltemperierter Melancholie. [...] „Der Mensch bleibt ein Laie“, weiß Herr Geiser – und schafft dieser prinzipiell ernüchternden Erkenntnis zum Trotz durchaus Erstaunliches. Denn so, wie Ulrich Matthes diesen Geiser spielt – sehr leise, ganz bei sich und im strukturellen Daseinsdilemma auf eine irgendwie weise Art mit sich selbst grundversöhnt –, bekommt der Satz vom dilettierenden Homo sapiens tatsächlich fast etwas Erbauliches. Dass man dafür auch einen entsprechend langen Atem braucht, ist beabsichtigt und liegt in der Natur des Frisch-Textes.
[..] Dem jungen Schweizer Regisseur Thom Luz, der in seinen durch die Marthaler-Schule gegangenen Musiktheaterabenden seit jeher selbst eher enzyklopädisch als narrativ arbeitet und sich prinzipiell stärker für Atmosphären und Zustände auf der Bühne interessiert als für lineare Erzählstränge, kommt das sehr entgegen. In seiner ersten Arbeit am Berliner DT taucht der 34-Jährige das symbolträchtige Geiser-Universum denn auch in schmerzschöne Kompositionen von Bach über Beethoven bis Bartók sowie in formvollendete Bühnennebel-Bilder: alles von geradezu wohltemperierter Melancholie.
[...] Da spricht Herr Geiser schon eine Weile. Und zwar von sich, und zwar, wie es im Buch steht, in der dritten Person. So holen Thom Luz, der Regisseur, und David Heiligers, der Dramaturg, die Erzählung ins Theater. Sie haben die Vorlage klug filetiert. Manche Passagen tauchen auf, andere nicht. [...] Und schon bei Frisch ist der Zerfall des Zusammenhangs die Pointe. Die wird hier per Singspiel verschärft. Ulrich Matthes spricht seine Frisch-Sätze vom Herrn Geiser, der er ist, also etwa die Sätze über die Arten des Donners, immer so, dass man den Nebel mithören kann, aus dem jeder der Sätze kommt, in den jeder der Sätze weniger verschwommen als in Schattenrissen hinausragt.
Wer Singspiel sagt, kann von Christoph Marthaler nicht schweigen. Thom Luz ist ein junger Schweizer, Hausregisseur am Theater Basel, mit dem der Abend koproduziert ist, er ist auch Schauspieler und Musiker. Und wie Luz Texte in Szenen zerlegt, die für sich stehen dürfen, Szenen, in die Musik hineinweht, in denen Momente liedförmig werden, die Art, wie er nicht den Zusammenhang, sondern den Auseinanderfall privilegiert, seine Liebe zur Wiederholung und zur Variation, die Art, wie das Sanfte über das Laute geht und das Milde über das Harte, all das hat von Marthaler manches. [...]
Luz ist sanft, aber nüchtern. Und wird damit Frisch sehr gerecht, der diese späte Erzählung mit Sachmaterial aus Lexika (zwölfbändiger Brockhaus von 1953) auszuhärten versucht hat. Der alte Mann und sein Zettelsalat. Eine Welt, in der alles ins Rutschen gerät. Bei Luz rutscht es fast klinisch genau. Wenn am Ende Nebelwand hinter Nebelwand fällt, werden die Menschen und Dinge in ihren Konturen umso schärfer umrissen. Der Mensch erscheint im Holozän. Und er verschwindet wie im Alpental ein Gesicht in einer Nebelwand. Thom Luz inszeniert Max Frischs Erzählung "Der Mensch erscheint im Holozän". Die Pointe, der Zerfall des Zusammenhangs, wird per Singspiel verschärft.
[...] Da spricht Herr Geiser schon eine Weile. Und zwar von sich, und zwar, wie es im Buch steht, in der dritten Person. So holen Thom Luz, der Regisseur, und David Heiligers, der Dramaturg, die Erzählung ins Theater. Sie haben die Vorlage klug filetiert. Manche Passagen tauchen auf, andere nicht. [...] Und schon bei Frisch ist der Zerfall des Zusammenhangs die Pointe. Die wird hier per Singspiel verschärft. Ulrich Matthes spricht seine Frisch-Sätze vom Herrn Geiser, der er ist, also etwa die Sätze über die Arten des Donners, immer so, dass man den Nebel mithören kann, aus dem jeder der Sätze kommt, in den jeder der Sätze weniger verschwommen als in Schattenrissen hinausragt.
Wer Singspiel sagt, kann von Christoph Marthaler nicht schweigen. Thom Luz ist ein junger Schweizer, Hausregisseur am Theater Basel, mit dem der Abend koproduziert ist, er ist auch Schauspieler und Musiker. Und wie Luz Texte in Szenen zerlegt, die für sich stehen dürfen, Szenen, in die Musik hineinweht, in denen Momente liedförmig werden, die Art, wie er nicht den Zusammenhang, sondern den Auseinanderfall privilegiert, seine Liebe zur Wiederholung und zur Variation, die Art, wie das Sanfte über das Laute geht und das Milde über das Harte, all das hat von Marthaler manches. [...]
Luz ist sanft, aber nüchtern. Und wird damit Frisch sehr gerecht, der diese späte Erzählung mit Sachmaterial aus Lexika (zwölfbändiger Brockhaus von 1953) auszuhärten versucht hat. Der alte Mann und sein Zettelsalat. Eine Welt, in der alles ins Rutschen gerät. Bei Luz rutscht es fast klinisch genau. Wenn am Ende Nebelwand hinter Nebelwand fällt, werden die Menschen und Dinge in ihren Konturen umso schärfer umrissen. Der Mensch erscheint im Holozän. Und er verschwindet wie im Alpental ein Gesicht in einer Nebelwand.
Die weisen Frisch-Sätze des Unabwendbaren hat Luz mehrheitlich auf drei Spieler*innen verteilt: Judith Hofmann verkündet sie in sachlichem Informationston dem Touristentrüpplein, das sie durchs stille Tal mit der «Aussicht wie vor Jahrhunderten» führt, Franziska Machens und Wolfgang Menardi kommentieren, während sie in der Vorläufigkeit des Bühnenentwurfs werkeln und Leonhard Dering und Daniele Pintaudi mit Beethoven, Bach, Bartok und italienischen Volksliedern so schmerzlich wie versöhnend das beisteuern, was Worte nicht zu sagen vermögen (ein Thema, das Max Frisch lebenslang begleitet hat). Nur einer schweigt, mit dem Rücken zum Publikum, lange, lange, lange: Herr Geiser. Ulrich Matthes. So still sah man den DT-Protagonisten noch nie. Und als er sich endlich umdreht, den Blick nach innen gerichtet, in den eigenen Kopf, in dem er schließlich doch noch etwas findet: «Begonnen hat es ...» – da fällt der Vorhang. Die Hirnzellen sterben ab in diesem Kopf, und am Ende platzt ein Äderchen in Max Frischs Erzählung. Matthes spielt das langsame Erlöschen mit zartem Staunen und sachlicher Schicksalsergebenheit: Es ist, wie es ist, unfassbar – «der Mensch bleibt ein Laie», der immer nur Schneisen schlagen kann in die Fülle des Faktischen. So wie die gleißenden Lichtschneisen, die Matthias Vogel durch den Nebel bahnt, der sich immer diffuser über diese Bühne legt. Sie ist wahrscheinlich nichts anderes als Herrn Geisers sich vernebelnder Kopf. Ein Gazevorhang nach dem anderen fällt, wie Schattenrisse wandern jetzt die Figuren durch den Nebel, wie Traumerscheinungen werden sie zu Elsbeth, der toten Frau, und Corinne, der Tochter. Das letzte Bild ist Herr Geiser selbst, ein Schatten nur noch, am Fenster stehend, sich selbst und der Welt abhandengekommen. So friedlich kann man Abschied nehmen. Auf der Bühne. Thom Luz, dessen Arbeiten sich dem Archivierenden schon öfter zugewandt haben und die mindestens so sehr von Musikatmosphären leben wie die von Christoph Marthaler, hat zusammen mit Wolfgang Menardi ein von mindestens einem halben Dutzend Klavieren umringtes Häuschengestell auf einem fragilen Podest auf die Bühne des Deutschen Theaters getupft, so leicht und skizzenhaft, wie alles sein wird an diesem melancholisch-heiteren, völlig unaufgeregten Abend im Angesicht des Weltuntergangs. Denn der scheint sich anzukündigen im Tessiner Tal, die ganz große Naturkatastrophe, gegen die man ja gar nichts machen kann außer «Ruhe bewahren. Alt wird man überall.»
Die weisen Frisch-Sätze des Unabwendbaren hat Luz mehrheitlich auf drei Spieler*innen verteilt: Judith Hofmann verkündet sie in sachlichem Informationston dem Touristentrüpplein, das sie durchs stille Tal mit der «Aussicht wie vor Jahrhunderten» führt, Franziska Machens und Wolfgang Menardi kommentieren, während sie in der Vorläufigkeit des Bühnenentwurfs werkeln und Leonhard Dering und Daniele Pintaudi mit Beethoven, Bach, Bartok und italienischen Volksliedern so schmerzlich wie versöhnend das beisteuern, was Worte nicht zu sagen vermögen (ein Thema, das Max Frisch lebenslang begleitet hat). Nur einer schweigt, mit dem Rücken zum Publikum, lange, lange, lange: Herr Geiser. Ulrich Matthes. So still sah man den DT-Protagonisten noch nie. Und als er sich endlich umdreht, den Blick nach innen gerichtet, in den eigenen Kopf, in dem er schließlich doch noch etwas findet: «Begonnen hat es ...» – da fällt der Vorhang. Die Hirnzellen sterben ab in diesem Kopf, und am Ende platzt ein Äderchen in Max Frischs Erzählung. Matthes spielt das langsame Erlöschen mit zartem Staunen und sachlicher Schicksalsergebenheit: Es ist, wie es ist, unfassbar – «der Mensch bleibt ein Laie», der immer nur Schneisen schlagen kann in die Fülle des Faktischen. So wie die gleißenden Lichtschneisen, die Matthias Vogel durch den Nebel bahnt, der sich immer diffuser über diese Bühne legt. Sie ist wahrscheinlich nichts anderes als Herrn Geisers sich vernebelnder Kopf. Ein Gazevorhang nach dem anderen fällt, wie Schattenrisse wandern jetzt die Figuren durch den Nebel, wie Traumerscheinungen werden sie zu Elsbeth, der toten Frau, und Corinne, der Tochter. Das letzte Bild ist Herr Geiser selbst, ein Schatten nur noch, am Fenster stehend, sich selbst und der Welt abhandengekommen. So friedlich kann man Abschied nehmen. Auf der Bühne.