
Marat/Sade
von Peter Weiss
"In einer Gesellschaft von Verbrechern grub ich das Verbrechen aus mir selbst hervor, um es zu erforschen…"
An der Konfrontation von Marquis de Sade und dem Wortführer der französischen Revolution Jean Paul Marat interessiere ihn der Konflikt zwischen dem äußersten Individualismus und der Idee einer politisch-sozialen Umwälzung, so Peter Weiss über sein 1965 uraufgeführtes Stück. Zu welchen Extremen der Individualismus sich entwickelt, hatte er damals kaum ahnen können und gleichzeitig nicht, wie radikal sich damit die Frage der gesellschaftlichen, politischen und religiösen Zugehörigkeit stellt. Doch nicht nur das Spannungsfeld zwischen Individualismus und politischer Bewegung beschäftigt Peter Weiss in Marat/Sade. Zentral ist auch das Verhältnis zur Gewalt. Bezeichnenderweise tut sich sein Marquis de Sade, Namenspatron des "Sadismus", mit der realen Anwendung von Gewalt schwerer als der Ideologe Jean Paul Marat. Das Spektrum der Gewaltformen umfasst dabei nicht nur Staatsterrorismus, Säuberungen, Kriege und die pervertierten Gewaltanwendungen der Folter, sondern auch die Gewalt der Straße. Was zu der vielleicht aktuellsten Frage führt, die Peter Weiss, der am 8.11.2016 hundert Jahre alt geworden wäre, mit seinem Stück stellt: Wer ist das Volk? Welches Maß an Mündigkeit ist ihm zuzutrauen, welche Gefahren der Manipulation und des Rückfalls in Barbarei bestehen? Und in welchem Dilemma zwischen Fortschritt und Rückschritt steht damit die Demokratie?
Kooperation mit der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" Berlin
An der Konfrontation von Marquis de Sade und dem Wortführer der französischen Revolution Jean Paul Marat interessiere ihn der Konflikt zwischen dem äußersten Individualismus und der Idee einer politisch-sozialen Umwälzung, so Peter Weiss über sein 1965 uraufgeführtes Stück. Zu welchen Extremen der Individualismus sich entwickelt, hatte er damals kaum ahnen können und gleichzeitig nicht, wie radikal sich damit die Frage der gesellschaftlichen, politischen und religiösen Zugehörigkeit stellt. Doch nicht nur das Spannungsfeld zwischen Individualismus und politischer Bewegung beschäftigt Peter Weiss in Marat/Sade. Zentral ist auch das Verhältnis zur Gewalt. Bezeichnenderweise tut sich sein Marquis de Sade, Namenspatron des "Sadismus", mit der realen Anwendung von Gewalt schwerer als der Ideologe Jean Paul Marat. Das Spektrum der Gewaltformen umfasst dabei nicht nur Staatsterrorismus, Säuberungen, Kriege und die pervertierten Gewaltanwendungen der Folter, sondern auch die Gewalt der Straße. Was zu der vielleicht aktuellsten Frage führt, die Peter Weiss, der am 8.11.2016 hundert Jahre alt geworden wäre, mit seinem Stück stellt: Wer ist das Volk? Welches Maß an Mündigkeit ist ihm zuzutrauen, welche Gefahren der Manipulation und des Rückfalls in Barbarei bestehen? Und in welchem Dilemma zwischen Fortschritt und Rückschritt steht damit die Demokratie?
Kooperation mit der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" Berlin
Regie Stefan Pucher
Bühne Barbara Ehnes
Kostüme Annabelle Witt
Musik Christopher Uhe
Video Meika Dresenkamp
Künstlerische Leitung des Chors Christine Groß
Coaching Puppen Hans-Jochen Menzel
Dramaturgie John von Düffel
Licht Matthias Vogel
Maske Andreas Müller
Premiere am 27. November 2016, Deutsches Theater
Felix GoeserMarquis de Sade

Daniel HoevelsJean Paul Marat

Michael GoldbergSimonne Evrard, seine Frau

Katrin WichmannCharlotte Corday

Bernd MossDuperret, Liebhaber Cordays

Benjamin LillieJacques Roux, ehemaliger Priester

Anita VulesicaAusrufer / Direktor Coulmier

Chikara AoshimaMusiker

Michael MühlhausMusiker
Tabitha FrehnerChor
Johanna MeinhardChor
Viktor NilssonChor
Johannes NussbaumChor
Thomas PrennChor
Mascha SchneiderChor
Alexander StürmerChor
Victor TahalChor
Sonja ViegenerChor
Juno ZobelChor
Marquis de Sade
Jean Paul Marat
Simonne Evrard, seine Frau
Charlotte Corday
Duperret, Liebhaber Cordays
Jacques Roux, ehemaliger Priester
Ausrufer / Direktor Coulmier
Musiker
Tabitha Frehner, Johanna Meinhard, Viktor Nilsson, Johannes Nussbaum, Thomas Prenn, Mascha Schneider, Alexander Stürmer, Victor Tahal, Sonja Viegener, Juno Zobel
Chor
Festspiele Ludwigshafen
18. und 19. November 2017
18. und 19. November 2017
Außerdem im Spielplan
Vorstellung fällt leider aus
Regie: Jessica Weisskirchen
Leider muss die Vorstellung von Edward II. Die Liebe bin ich entfallen. Der Grund dafür sind Erkrankungen im Ensemble.
Box
19.00
Ausverkauft
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
Wiederaufnahme
Regie: Christian Schwochow
DT Bühne
20.00 - 21.15
Ausverkauft
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
Bar
21.00
Ausverkauft
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
[...]
Das Volk tritt auf in grauen Anzügen, Pilzkopfperücken und verwischten Lippenstift. Ein chorischer pop-konformer Chor, latent gewaltbereit. "wir wollen in Wohlstand leben", knallt es zehn-köpfig mit einer Wucht heraus, die Daniel Hoevels' Marat schmal aussehen lässt - die Irren als geklonte Masse, die sehr genau weiß, was sie will. Und die im Spiel ihre ganz eigene Kraft entwickelt, laut ihre Forderungen herausbellt.
[...]
Subtile Szenen über die Kluft zwischen Reden und Handeln, Handlung. Ein Abend, der nie so tut, als würden die Brandreden seiner Figuren zu einer Lösung führen. Mit Peter Weiss' weltanschaulich offenem Ende ist es Stefan Pucher ernst. Aber er treibt auch sein Spiel damit.
Am wirkungsmächtigsten agiert nicht Marat, nicht Sade, sondern Anita Vulesica als Conferencier. In einem Kasperlehäuschen leitet sie als kurzbeinige Ansagerin prologisch in die Geschichte ein. Verwandelt sich im schwarzen Frack in eine augenzwinkernd-witzelnde Moderatorin, denn "was wär eine Revolution, ohne eine knackige Moderation". Nicht nur knackig, sondern schlagfertig würdevoll buhlt Vulesica ums Verständnis fürs Bühnengeschehen. Sie ist die große Sympathieträgerin des Abends. Beschwichtigt am Ende das Ausbleiben der Revolution mit komischen Duktus und einer Prise Grand Guignol-Charme. Alles eh nur Kasperletheater: das Revolutionsstück, politische Umsturzversuche, das Theater selbst, bei dem es in dem Spiel im Spiel auch geht. Aber eines mit erhöhtem Spaßfaktor, und in der ironischen Show schälen sich die unvereinbaren Positionen, das unlösbare und Absurde, das Irre-werden an all den geführten Diskussionen heraus. Alle Fragen zur Weltlage offen, Pucher baut daraus eine krasse Show höheren Galgenhumors. Video, Hammondorgel, Musikeinlagen spielen in diesem Pucher-Abend wieder eine tragende Rolle. Aber auch Puppenunterleibe und historische Kostüme, die die Schauspieler in verzerrte Posen zwängen. Ein großes Kostümfest im Grand Guignol-Stil, und eine Show der Selbstdarstellung, mit der alle hier um Gunst werben. Felix Goeser als Marquis de Sade fährt als despotischer Wortführer den anderen ins Wort, mal der launische Regisseur, der die Fäden in der Hand halten will, mal der unverdrossen gut gelaunte Aristokrat, der sowieso an nichts mehr glaubt.
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Das Volk tritt auf in grauen Anzügen, Pilzkopfperücken und verwischten Lippenstift. Ein chorischer pop-konformer Chor, latent gewaltbereit. "wir wollen in Wohlstand leben", knallt es zehn-köpfig mit einer Wucht heraus, die Daniel Hoevels' Marat schmal aussehen lässt - die Irren als geklonte Masse, die sehr genau weiß, was sie will. Und die im Spiel ihre ganz eigene Kraft entwickelt, laut ihre Forderungen herausbellt.
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Subtile Szenen über die Kluft zwischen Reden und Handeln, Handlung. Ein Abend, der nie so tut, als würden die Brandreden seiner Figuren zu einer Lösung führen. Mit Peter Weiss' weltanschaulich offenem Ende ist es Stefan Pucher ernst. Aber er treibt auch sein Spiel damit.
Am wirkungsmächtigsten agiert nicht Marat, nicht Sade, sondern Anita Vulesica als Conferencier. In einem Kasperlehäuschen leitet sie als kurzbeinige Ansagerin prologisch in die Geschichte ein. Verwandelt sich im schwarzen Frack in eine augenzwinkernd-witzelnde Moderatorin, denn "was wär eine Revolution, ohne eine knackige Moderation". Nicht nur knackig, sondern schlagfertig würdevoll buhlt Vulesica ums Verständnis fürs Bühnengeschehen. Sie ist die große Sympathieträgerin des Abends. Beschwichtigt am Ende das Ausbleiben der Revolution mit komischen Duktus und einer Prise Grand Guignol-Charme. Alles eh nur Kasperletheater: das Revolutionsstück, politische Umsturzversuche, das Theater selbst, bei dem es in dem Spiel im Spiel auch geht. Aber eines mit erhöhtem Spaßfaktor, und in der ironischen Show schälen sich die unvereinbaren Positionen, das unlösbare und Absurde, das Irre-werden an all den geführten Diskussionen heraus. Alle Fragen zur Weltlage offen, Pucher baut daraus eine krasse Show höheren Galgenhumors.
Es geht um die Mutter der Revolutionen einst in Paris und um die Frage inwieweit betrifft uns noch dies. Was ist Veränderung damals und heute, wer ist das Volk und wer die anderen Leute.
[…]
Als Ausrufer begleitet Anita Vulesica - virtuos wie das gesamte Ensemble - durch diesen Abend, der ganz auf "Illusionen und Sensationen, originale Gespenster und Geistererscheinungen" setzt. Diese Werbeworte zieren die Wand des Varieté-Theaters, das hier nun als Bühne auf der Bühne dient. Wenn sich der Vorhang lüftet, schaut man auf eine bühnenbreite Treppe, die sich nach hinten verjüngt, rechts und links flankiert von ebenfalls nach hinten kleiner werdenden Portalen.
[…]
Peter Weiss hat mit Marat/Sade ein zeitlos zeitgenössisches Werk über Demokratie und Demagogie, über soziale Bewegungen und Vereinzelung, über Volkes Wut und Glut. Stefan Pucher und sein bestechendes Ensemble fächern es poppig und politisch auf. Witzig und weise. Lustig und listig. Phantastisch. Ein phantastisches Stück. Warum wird es so selten gespielt? fragt man sich. Umso mehr nach einer Inszenierung wie der von Stefan Pucher. Kongenial sinnlich wie sinnhaft setzt dieser die beiden Protagonisten - den Narziss de Sade und den Sozialisten Marat in Szene. Sprichwörtlich. Schon Peter Weiss hat in seinem komplexen Stück witzig und wortgewaltig Fakten und Fiktion, Geschichte, Philosophie und Theater geschickt verquickt.
Es geht um die Mutter der Revolutionen einst in Paris und um die Frage inwieweit betrifft uns noch dies. Was ist Veränderung damals und heute, wer ist das Volk und wer die anderen Leute.
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Als Ausrufer begleitet Anita Vulesica - virtuos wie das gesamte Ensemble - durch diesen Abend, der ganz auf "Illusionen und Sensationen, originale Gespenster und Geistererscheinungen" setzt. Diese Werbeworte zieren die Wand des Varieté-Theaters, das hier nun als Bühne auf der Bühne dient. Wenn sich der Vorhang lüftet, schaut man auf eine bühnenbreite Treppe, die sich nach hinten verjüngt, rechts und links flankiert von ebenfalls nach hinten kleiner werdenden Portalen.
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Peter Weiss hat mit Marat/Sade ein zeitlos zeitgenössisches Werk über Demokratie und Demagogie, über soziale Bewegungen und Vereinzelung, über Volkes Wut und Glut. Stefan Pucher und sein bestechendes Ensemble fächern es poppig und politisch auf. Witzig und weise. Lustig und listig. Phantastisch.
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Stefan Pucher kommt in seiner knapp zweistündigen Inszenierung am Deutschen Theater mit zwei Livemusikern (Chikara Aoshima, Michael Mühlhaus), sieben Schauspielern und einem Chor aus. Felix Goeser spielt Sade wuchtig und wortgewaltig, als Regisseur flippt er aus - schön theaterreflexiv -, wenn es auf der Seitenbühne zu laut ist oder das Saallicht angeht, weil nach dem ersten Akt eigentlich eine Pause kommt; die er aber gestrichen hat.
Sade ist der Vertreter des Individualismus, heute stünde er vielleicht der FDP nahe. Sein schmächtiger Gegenpart Marat (Daniel Hoevels), einer der Protagonisten der französischen Revolution von 1789 und ein geistiger Wegbereiter des Sozialismus, sitzt in der Badewanne, um seine Hauterkrankung verbunden mit einem schrecklichen Juckreiz (historisch verbürgt), zu lindem. Er ruft nach Feder und Papier, umsorgt von seiner Frau Simonne, eine Rolle, die Michael Goldberg auskostet. Charlotte Corday (Katrin Wichmann) ist die somnambule Mörderin, die immer wieder einnickt. Ihr Liebhaber Duperret (Bernd Moss), ein girondistischer Abgeordneter und Erotomane, befummelt sie bei jeder Gelegenheit. Jacques Roux (Benjamin Lillie), ehemaliger Mönch und jetzt glühender Marat-Anhänger, fordert attacmäßig auch gleich ein Ende der Waffenexporte und eine Kontrolle der internationalen Finanzströme und fragt: "Fehlt noch was?" Die großartige Anita Vulesica ist in der Doppelrolle des Irrenanstaltdirektors und des Ausrufers zu erleben, sie reimt, singt, tanzt – und beschwichtigt, schließlich spielt das Stück ja zu Zeiten der Restauration Anfang des 19. Jahrhunderts, da sind die schlimmen Zeiten der Revolution vorbei, und der neue Heilsbringer heißt Napoleon. Willkommen in der Welt des Grand Guignol, in der Irrenanstalt von Charenton, im Deutschen Theater. Stefan Pucher inszeniert "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspieltruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade" von Peter Weiss. Der vielleicht längste Titel aller Zeiten, aber einer, der die Handlung perfekt umreißt. Im Deutschen Theater wird daraus "Marat/Sade". Ein Spektakel. Ein Diskurs. Ein beglückender Abend. Totales Theater, in dem geliebt und gefoltert, gemordet, gesungen und diskutiert wird.
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Stefan Pucher kommt in seiner knapp zweistündigen Inszenierung am Deutschen Theater mit zwei Livemusikern (Chikara Aoshima, Michael Mühlhaus), sieben Schauspielern und einem Chor aus. Felix Goeser spielt Sade wuchtig und wortgewaltig, als Regisseur flippt er aus - schön theaterreflexiv -, wenn es auf der Seitenbühne zu laut ist oder das Saallicht angeht, weil nach dem ersten Akt eigentlich eine Pause kommt; die er aber gestrichen hat.
Sade ist der Vertreter des Individualismus, heute stünde er vielleicht der FDP nahe. Sein schmächtiger Gegenpart Marat (Daniel Hoevels), einer der Protagonisten der französischen Revolution von 1789 und ein geistiger Wegbereiter des Sozialismus, sitzt in der Badewanne, um seine Hauterkrankung verbunden mit einem schrecklichen Juckreiz (historisch verbürgt), zu lindem. Er ruft nach Feder und Papier, umsorgt von seiner Frau Simonne, eine Rolle, die Michael Goldberg auskostet. Charlotte Corday (Katrin Wichmann) ist die somnambule Mörderin, die immer wieder einnickt. Ihr Liebhaber Duperret (Bernd Moss), ein girondistischer Abgeordneter und Erotomane, befummelt sie bei jeder Gelegenheit. Jacques Roux (Benjamin Lillie), ehemaliger Mönch und jetzt glühender Marat-Anhänger, fordert attacmäßig auch gleich ein Ende der Waffenexporte und eine Kontrolle der internationalen Finanzströme und fragt: "Fehlt noch was?" Die großartige Anita Vulesica ist in der Doppelrolle des Irrenanstaltdirektors und des Ausrufers zu erleben, sie reimt, singt, tanzt – und beschwichtigt, schließlich spielt das Stück ja zu Zeiten der Restauration Anfang des 19. Jahrhunderts, da sind die schlimmen Zeiten der Revolution vorbei, und der neue Heilsbringer heißt Napoleon.
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Alles putzige Schenkelklopfer-Show also? Nicht ganz. Schließlich gibt es noch einen weiteren Protagonisten bei Weiss - und überhaupt: das Volk. "Marat was ist aus unserer Revolution geworden / Marat wir woll'n nicht mehr warten bis morgen / Marat wir sind immer noch arme Leute / und die versprochenen Linderungen wollen wir heute", skandiert selbiges im Stück wiederholt.
[…] Während sich die Kollegen Revolutionsführer und -antagonisten mit ihren Ismen kurzbeinig im Grand-Guignol abhampeln, schlägt Puchers Chor sich nicht um Discounter-Brote, sondern tritt abendfüllend langbeinig und gut geschminkt an die Rampe, um seinen Anspruchskatalog zu skandieren. Gern postfaktisch, aber in überdurchschnittlicher handwerklicher Präzision. Am Schluss seines gut gestrafften Anderthalbstünders lässt Pucher dieses knappe "Volks"-Dutzend Elitenbashing nach Marat ins Publikum deklamieren - mit Zornesfalte auf der makellosen Stirn: "Ihr Lügner, immer werdet ihr vom Volk als von einer rohen und formlosen Masse sprechen, weil ihr getrennt von ihr lebt." Und: "Wir brauchen endlich einen wahren Abgeordneten des Volkes, einen Chef in der Zeit der Krise." Ziemlich unlustiges Finale für eine lustige Rocky-Horror-Revoluzzer-Show! "Illusionen, Sensationen, Original Gespenster- und Geistererscheinungen" steht auf den Pappmaché-Kulissen, die Bühnenbildnerin Barbara Ehnes ins Deutsche Theater gebaut hat. Die Werbung verspricht ausnahmsweise nicht zu viel. Tatsächlich hampeln hier schon bald der Marquis de Sade, Jean Paul Marat und weitere welthistorische Zombies in herzallerliebsten Retro-Kostümen übers Szenario.
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Alles putzige Schenkelklopfer-Show also? Nicht ganz. Schließlich gibt es noch einen weiteren Protagonisten bei Weiss - und überhaupt: das Volk. "Marat was ist aus unserer Revolution geworden / Marat wir woll'n nicht mehr warten bis morgen / Marat wir sind immer noch arme Leute / und die versprochenen Linderungen wollen wir heute", skandiert selbiges im Stück wiederholt.
[…] Während sich die Kollegen Revolutionsführer und -antagonisten mit ihren Ismen kurzbeinig im Grand-Guignol abhampeln, schlägt Puchers Chor sich nicht um Discounter-Brote, sondern tritt abendfüllend langbeinig und gut geschminkt an die Rampe, um seinen Anspruchskatalog zu skandieren. Gern postfaktisch, aber in überdurchschnittlicher handwerklicher Präzision. Am Schluss seines gut gestrafften Anderthalbstünders lässt Pucher dieses knappe "Volks"-Dutzend Elitenbashing nach Marat ins Publikum deklamieren - mit Zornesfalte auf der makellosen Stirn: "Ihr Lügner, immer werdet ihr vom Volk als von einer rohen und formlosen Masse sprechen, weil ihr getrennt von ihr lebt." Und: "Wir brauchen endlich einen wahren Abgeordneten des Volkes, einen Chef in der Zeit der Krise." Ziemlich unlustiges Finale für eine lustige Rocky-Horror-Revoluzzer-Show!