
Laudatio zur Verleihung des Hermann-Sudermann-Preises an Miroslava Svolikova
gehalten am 21. Juni 2017 im Deutschen Theater Berlin
Von Nina Peters
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Miru,
den ersten Eindruck, den wir im Verlag von Miroslava Svolikovas Literatur erhielten, vermittelte das Manuskript die hockenden. Die Seiten, gekippt ins Querformat, der Text in Kleinschreibung in meist kurzen vierstimmigen Sprechblöcken verteilt über das Papier, kursiv, wenn das Sprechen chorisch wird. Eine Partitur, wie man sie von Autoren mit starkem Formbewusstsein kennt wie etwa Svolikovas Verlagskollegen Wolfram Höll oder Thomas Köck, alle 1986 geboren, drei Jahre vor der so genannten Wende. Vielleicht wird es einmal eine Masterarbeit geben über die TheaterautorInnen dieses Jahrgangs, über ihren literarischen Sound, die Widerständigkeit ihrer Sprache und ihrer visuellen Gestaltung, ihren spezifischen Humor und ihren Umgang mit Geschichte.
Das Stück die hockenden, für das die Autorin 2016 den Retzhofer Dramatikerpreis erhielt und eine Uraufführung am Burgtheater, beschreibt eine geschlossene Welt. Man schaut auf diese Szenerie wie in eine Schneekugel, in der keine Bewegung zu erwarten ist außer dem Fallen von Schnee nach dem Schütteln des Glases. Die Kulisse ist ein Dorf, darin drei Kneipen, immerhin, und eine Haltestelle für einen Bus, der das Dorf nie verlässt. Entlang der Dorfgrenze zieht er seine Kreise, wenn er nicht wieder fast versinkt in einem der Schlammlöcher. Einen Himmel gibt es auch, aber gebrochen, als Spiegelbild in den Scheiben des Fahrzeugs. Und drei Stufen in den Bus hinein und wieder hinaus. Ein starkes Bild entwirft Miroslava Svolikova, die auch bildende Künstlerin ist und deren Schreiben sich immer wieder zu eindrücklichen Bildern verdichtet.
Und wer hockt hier? Ein Kollektiv selbstgefälliger Menschen, die ihren Ort, ihre Mulde, sagen wir Heimat, nie verlassen haben: "für alles ist gesorgt hier, nichts muss man tun, es reicht, da zu bleiben, wo man ohnehin schon steht und der zu sein, der man schon ist und sich nicht zu rühren, weil man immer schon richtig steht, da wo man ist." Die Figuren sind märchenhaft verwachsen mit ihrem Untergrund, fixiert wie 60 Jahre zuvor Nagg und Nell in Becketts Endspiel. Und worauf warten sie? Tatsächlich auf die Hoffnung: "Wir warten so lang, bis eine Hoffnung kommt. Es ist ja noch Zeit." Die Lethargie wird nicht konkret, aber deutlich spürbar beschrieben. Aus der Sinnlosigkeit ihres Seins ziehen die Figuren ihr Selbstbewusstsein: "wenns uns nicht gäbe, wär das alles sinnlos ganz und gar / wenn wir nicht wären, es wär alles sinnlos / was hier passiert, passiert ja nichts." Und dass auch ihr Leben nur von kurzer Dauer ist, wissen sie: "die zeit vergeht, die uhren ticken, die Kinder werden geboren und abgetupft und alt und sterben."
Diese Menschen leben in einer absurden, einer unbehaglichen Welt. Denn wo Gemeinschaft ist, gibt es Ausgrenzung. Es gibt ein "wir", ein "die", und einen Außenseiter gibt es auch. Und schließlich auch Gewalt. "am fortsatz des gestreckten Armes", so heißt es, "lässt sich der finger ausfahren. fährt der finger aus, ist es, als zeige einer mit dem pfeil auf den anderen. ist einmal so der pfeil ausgerichtet, weiß jeder, wo er draufprügeln muss." Dass es "zwischen den kneipen schnell gefährlich ist in der nacht", davon ist die Rede. Im Nacherzählen des Stückes könnte man einzelne Handlungsspuren nachzeichnen, es scheint sogar eine Heldenfigur auf, die den anderen zunächst ihr Ende prophezeit, sich dann aber im Suff verliert. Man könnte von den Bränden sprechen, die immer wieder gelegt werden, aber dazu hat das Stück "im grunde" "kaum etwas dazu zu sagen".
Miroslava Svolikova zitiert Personal und Ort eines Volksstückes, aber die Figuren dienen nur mehr zum Stimmungsbild, das kein Tun und kein Handeln vorsieht. Die Autorin entwirft eine Dorfgemeinschaft im Stillstand. Und wo die Handlung ausbleibt, betritt die Sprache als Protagonistin die Bühne. Die Autorin stanzt ihre geschliffenen, prägnanten Sätze gleichsam in den Raum. Jedes Wort zählt, verweist auf seine ursprüngliche Bedeutung, auf seinen Assoziationsraum, auf die Doppeldeutigkeit von Sprache. Mit fröhlichem Sprach-Skeptizismus beschreibt Miroslava Svolikova Welt nicht allein mit Sprache, sondern gleichsam in der Sprache. In einem musikalischen Verfahren wiederholt, variiert sie Worte und Sätze, verdichtet diese zu absurden und eindringlichen Bildern und erzeugt einen leichten, eigenwilligen Erzählsound.
Die Stärke der Theatertexte ergibt sich durch den Abstand zur Welt, von der sie erzählen und der RegisseurInnen Spielraum lässt. In beiden Stücken taugen die typisierten Figuren als StellvertreterInnen einer realen Welt. Aber sie lassen sich vom Realismus nicht "überwältigen" – hier taugt dieser Begriff. Sie verweisen auf unsere Welt mit gehörigem Abstand und zeichnen dennoch eine scharfe Skizze unserer gesellschaftspolitischen Lebensbedingungen und der Grundregeln menschlichen Seins. In die hockenden dient der dumpfe Ausgrenzungsmechanismus, der in Gewalt umschlägt, als gewaltiger Resonanzraum für diese Parabel menschlichen Lebens. Diese Mauer fasst sich selbst zusammen und der Stern hat gesprochen, der Stern hat auch was gesagt ist eine Farce: Die Europäische Union ist längst Vergangenheit und nunmehr im Museum zu bestaunen, und drei junge Menschen, Museumsbesucher und gefangen in einem scheinbar ewigen Wettbewerb, suchen ihren Platz suchen auf dem Arbeitsmarkt.
Miroslava Svolikovas Texte sind aus vielerlei Gründen politisch. Sie sind durchdrungen von der Haltung, das Erzählen selbst zu reflektieren und schärfen so den Blick für das Inszenierte; gültige Narrative oder Selbstverständlichkeiten werden infrage gestellt. Figur 2 in Diese Mauer fasst sich selbst zusammen vermutet ohnehin, dass das alles hier eine "Lüge" sei. Das Hologramm, diese aberwitzige Figur, das durch ein Museum mit Reliquien aus der Europäischen Union führt, hat seine liebe Not, die Erzählfäden zusammen zu halten: "die erzählstränge dürfen sich nicht verlaufen, die erzählstränge dürfen sich nicht losreißen, wie herrenlose hunde und über die bühne streunen. ich bemüh mich auch, dass alles zusammenhält. irgendwer muss die fäden zusammen und die zeit im blick behalten." Die Putzhilfe enttarnt sich als Vollblutregisseurin mit einem poetologischen Manifest, das in seiner Prägnanz und Leichtigkeit an Peter Handkes Publikumsbeschimpfung erinnert. Wenn das Stück eine Geschichte erzählt, dann die von der Unmöglichkeit, eine Geschichte zu erzählen: "ich meine, das ist auch ein politisches Stück", sagt die Putzhilfe einmal. "ja, genau. das ist nicht nur so zum spaß. auch wenn man bis zum schluss schon wieder vergessen haben wird, worum es ging …".
Politisch sind Svolikovas Texte auch durch ihren absurden, scheinbare Gewissheiten aushebelnden Humor. Wenn die hockenden eine hermetische Welt im Geist von Beckett oder Bernhard beschreibt, dann ist die Welt in Diese Mauer fasst sich selbst zusammen aus den Fugen, wobei bereits die Worte nicht ganz dicht sind. Svolikovas anarchische Komik ist herrlich, sie gibt dem Erzählton seine besondere Klangfarbe. Wie ihre Kollegin Elfriede Jelinek liebt Svolikova den Kalauer und das dynamische Spiel mit der Variation von Worten. Die Figuren reden sich schon mal in Rage. Sie reden, also sind sie. Und sie unterbrechen ihre Rede deshalb nicht so gerne, weil sie wissen, dass Reden Macht bedeutet und ihre Existenz jäh erlöschen kann. Wer erzählt hier welche Geschichte, wessen Geschichten werden nicht erzählt? Darum geht es auch, und die Figuren ringen um "Eigenständigkeit" und eine ihnen angemessene Rolle. "Die Mauer" etwa sagt: "man wird ganz unwillkürlich willkürlich irgendeiner geschichte zugesprochen, was grad da ist, und soll dann zeugnis ablegen davon. ich habe es satt. ich bin nicht euer exponat, ich bin real!" Und das Hologramm kontert: "die geschichte ist nicht dafür gemacht, dass jeder drin vorkommt! schon mal darüber nachgedacht?"
Identitäten sind hybrid, im Wandel begriffen oder in Auflösung. Die Putzhilfe ist die geborene Regisseurin. Die drei Gewinner des Wettbewerbs, sind bereit für eine große Aufgabe. Welche, steht in den Sternen. Auch, ob sie tatsächlich einmal "Karierte" machen werden. Der Stern war einmal Teil der europäischen Flagge, heute trauert er der verlorenen Gemeinschaft nach. Es gibt, und das ist bei Svolikova eine politische Haltung, keine Gewissheit über eine spezifische Identität. Identität ist etwas Flüchtiges und keinesfalls zu definieren. "wir sind da, ich weiß nicht, ob wir schon da sind, da, wo wir sind", sagt eine der Gewinner_innen des Wettbewerbs. Inwieweit dieser Satz Ausdruck einer postmodernen, existenziellen Verunsicherung ist oder doch auch einer Freiheit jenseits von vorgegebenen Lebenswegen, ist eine Frage an die Regie.
Als eine Rezension Miroslava Svolikova aufgrund ihrer "Zweisprachigkeit" ein besonderes Sprachgefühl attestierte, dachte die Autorin in einem Telefonat über den Begriff der Mehrsprachigkeit nach: Ihre Familie war in den 80er Jahren aus der damaligen CSSR emigriert und sie in der Steiermark und in Wien aufgewachsen, ihr Abitur habe sie auf einer englischen Schule gemacht und sei durch französischsprachige Literatur geprägt worden. Es ist das Unbehagen gegen "Denken in Schubladen", das sich da Bahn brach. Und auch ihren Texten ist dieses Unbehagen eingeschrieben.
Miroslava Svolikova ist von oben in die deutschsprachige Theaterlandschaft eingestiegen. Ihr Debüt gab sie mit die hockenden (Regie Alia Luque) an der Burg, dem die deutsche Erstaufführung am Schauspiel Leipzig folgte, danach folgte die ebenfalls gelungene Inszenierung von Diese Mauer fasst sich selbst zusammen (Regie Franz-Xaver Mayr) am Schauspielhaus Wien. Sie erhielt das Hans-Grazer Stipendium und den Förderpreis des Schiller-Gedächtnispreises. Das ist, alles in allem, ein ungewöhnliches Theaterdebüt. Ich freue mich sehr, dass diese ungewöhnliche, feinsinnige, humorvolle, leichtfüßig zwischen mehreren Sprachen und Disziplinen sich bewegende Künstlerin, die in der vergangenen Woche ihr Diplom an der Wiener Akademie der bildenden Künste mit Auszeichnung gemacht hat, nun den Hermann-Sudermann-Preis erhält. Mit dem Preisträger verbindet sie das abgeschlossene Philosophiestudium. Und mit diesem Preis wird sie an ihrem neuen Stück schreiben, der Fortsetzung ihrer Auseinandersetzung mit der europäischen Identität.
Herzlichen Glückwunsch, Miru!
Nina Peters, Jg. 1975, ist Lektorin im Suhrkamp Theater Verlag.
Von Nina Peters
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Miru,
den ersten Eindruck, den wir im Verlag von Miroslava Svolikovas Literatur erhielten, vermittelte das Manuskript die hockenden. Die Seiten, gekippt ins Querformat, der Text in Kleinschreibung in meist kurzen vierstimmigen Sprechblöcken verteilt über das Papier, kursiv, wenn das Sprechen chorisch wird. Eine Partitur, wie man sie von Autoren mit starkem Formbewusstsein kennt wie etwa Svolikovas Verlagskollegen Wolfram Höll oder Thomas Köck, alle 1986 geboren, drei Jahre vor der so genannten Wende. Vielleicht wird es einmal eine Masterarbeit geben über die TheaterautorInnen dieses Jahrgangs, über ihren literarischen Sound, die Widerständigkeit ihrer Sprache und ihrer visuellen Gestaltung, ihren spezifischen Humor und ihren Umgang mit Geschichte.
Das Stück die hockenden, für das die Autorin 2016 den Retzhofer Dramatikerpreis erhielt und eine Uraufführung am Burgtheater, beschreibt eine geschlossene Welt. Man schaut auf diese Szenerie wie in eine Schneekugel, in der keine Bewegung zu erwarten ist außer dem Fallen von Schnee nach dem Schütteln des Glases. Die Kulisse ist ein Dorf, darin drei Kneipen, immerhin, und eine Haltestelle für einen Bus, der das Dorf nie verlässt. Entlang der Dorfgrenze zieht er seine Kreise, wenn er nicht wieder fast versinkt in einem der Schlammlöcher. Einen Himmel gibt es auch, aber gebrochen, als Spiegelbild in den Scheiben des Fahrzeugs. Und drei Stufen in den Bus hinein und wieder hinaus. Ein starkes Bild entwirft Miroslava Svolikova, die auch bildende Künstlerin ist und deren Schreiben sich immer wieder zu eindrücklichen Bildern verdichtet.
Und wer hockt hier? Ein Kollektiv selbstgefälliger Menschen, die ihren Ort, ihre Mulde, sagen wir Heimat, nie verlassen haben: "für alles ist gesorgt hier, nichts muss man tun, es reicht, da zu bleiben, wo man ohnehin schon steht und der zu sein, der man schon ist und sich nicht zu rühren, weil man immer schon richtig steht, da wo man ist." Die Figuren sind märchenhaft verwachsen mit ihrem Untergrund, fixiert wie 60 Jahre zuvor Nagg und Nell in Becketts Endspiel. Und worauf warten sie? Tatsächlich auf die Hoffnung: "Wir warten so lang, bis eine Hoffnung kommt. Es ist ja noch Zeit." Die Lethargie wird nicht konkret, aber deutlich spürbar beschrieben. Aus der Sinnlosigkeit ihres Seins ziehen die Figuren ihr Selbstbewusstsein: "wenns uns nicht gäbe, wär das alles sinnlos ganz und gar / wenn wir nicht wären, es wär alles sinnlos / was hier passiert, passiert ja nichts." Und dass auch ihr Leben nur von kurzer Dauer ist, wissen sie: "die zeit vergeht, die uhren ticken, die Kinder werden geboren und abgetupft und alt und sterben."
Diese Menschen leben in einer absurden, einer unbehaglichen Welt. Denn wo Gemeinschaft ist, gibt es Ausgrenzung. Es gibt ein "wir", ein "die", und einen Außenseiter gibt es auch. Und schließlich auch Gewalt. "am fortsatz des gestreckten Armes", so heißt es, "lässt sich der finger ausfahren. fährt der finger aus, ist es, als zeige einer mit dem pfeil auf den anderen. ist einmal so der pfeil ausgerichtet, weiß jeder, wo er draufprügeln muss." Dass es "zwischen den kneipen schnell gefährlich ist in der nacht", davon ist die Rede. Im Nacherzählen des Stückes könnte man einzelne Handlungsspuren nachzeichnen, es scheint sogar eine Heldenfigur auf, die den anderen zunächst ihr Ende prophezeit, sich dann aber im Suff verliert. Man könnte von den Bränden sprechen, die immer wieder gelegt werden, aber dazu hat das Stück "im grunde" "kaum etwas dazu zu sagen".
Miroslava Svolikova zitiert Personal und Ort eines Volksstückes, aber die Figuren dienen nur mehr zum Stimmungsbild, das kein Tun und kein Handeln vorsieht. Die Autorin entwirft eine Dorfgemeinschaft im Stillstand. Und wo die Handlung ausbleibt, betritt die Sprache als Protagonistin die Bühne. Die Autorin stanzt ihre geschliffenen, prägnanten Sätze gleichsam in den Raum. Jedes Wort zählt, verweist auf seine ursprüngliche Bedeutung, auf seinen Assoziationsraum, auf die Doppeldeutigkeit von Sprache. Mit fröhlichem Sprach-Skeptizismus beschreibt Miroslava Svolikova Welt nicht allein mit Sprache, sondern gleichsam in der Sprache. In einem musikalischen Verfahren wiederholt, variiert sie Worte und Sätze, verdichtet diese zu absurden und eindringlichen Bildern und erzeugt einen leichten, eigenwilligen Erzählsound.
Die Stärke der Theatertexte ergibt sich durch den Abstand zur Welt, von der sie erzählen und der RegisseurInnen Spielraum lässt. In beiden Stücken taugen die typisierten Figuren als StellvertreterInnen einer realen Welt. Aber sie lassen sich vom Realismus nicht "überwältigen" – hier taugt dieser Begriff. Sie verweisen auf unsere Welt mit gehörigem Abstand und zeichnen dennoch eine scharfe Skizze unserer gesellschaftspolitischen Lebensbedingungen und der Grundregeln menschlichen Seins. In die hockenden dient der dumpfe Ausgrenzungsmechanismus, der in Gewalt umschlägt, als gewaltiger Resonanzraum für diese Parabel menschlichen Lebens. Diese Mauer fasst sich selbst zusammen und der Stern hat gesprochen, der Stern hat auch was gesagt ist eine Farce: Die Europäische Union ist längst Vergangenheit und nunmehr im Museum zu bestaunen, und drei junge Menschen, Museumsbesucher und gefangen in einem scheinbar ewigen Wettbewerb, suchen ihren Platz suchen auf dem Arbeitsmarkt.
Miroslava Svolikovas Texte sind aus vielerlei Gründen politisch. Sie sind durchdrungen von der Haltung, das Erzählen selbst zu reflektieren und schärfen so den Blick für das Inszenierte; gültige Narrative oder Selbstverständlichkeiten werden infrage gestellt. Figur 2 in Diese Mauer fasst sich selbst zusammen vermutet ohnehin, dass das alles hier eine "Lüge" sei. Das Hologramm, diese aberwitzige Figur, das durch ein Museum mit Reliquien aus der Europäischen Union führt, hat seine liebe Not, die Erzählfäden zusammen zu halten: "die erzählstränge dürfen sich nicht verlaufen, die erzählstränge dürfen sich nicht losreißen, wie herrenlose hunde und über die bühne streunen. ich bemüh mich auch, dass alles zusammenhält. irgendwer muss die fäden zusammen und die zeit im blick behalten." Die Putzhilfe enttarnt sich als Vollblutregisseurin mit einem poetologischen Manifest, das in seiner Prägnanz und Leichtigkeit an Peter Handkes Publikumsbeschimpfung erinnert. Wenn das Stück eine Geschichte erzählt, dann die von der Unmöglichkeit, eine Geschichte zu erzählen: "ich meine, das ist auch ein politisches Stück", sagt die Putzhilfe einmal. "ja, genau. das ist nicht nur so zum spaß. auch wenn man bis zum schluss schon wieder vergessen haben wird, worum es ging …".
Politisch sind Svolikovas Texte auch durch ihren absurden, scheinbare Gewissheiten aushebelnden Humor. Wenn die hockenden eine hermetische Welt im Geist von Beckett oder Bernhard beschreibt, dann ist die Welt in Diese Mauer fasst sich selbst zusammen aus den Fugen, wobei bereits die Worte nicht ganz dicht sind. Svolikovas anarchische Komik ist herrlich, sie gibt dem Erzählton seine besondere Klangfarbe. Wie ihre Kollegin Elfriede Jelinek liebt Svolikova den Kalauer und das dynamische Spiel mit der Variation von Worten. Die Figuren reden sich schon mal in Rage. Sie reden, also sind sie. Und sie unterbrechen ihre Rede deshalb nicht so gerne, weil sie wissen, dass Reden Macht bedeutet und ihre Existenz jäh erlöschen kann. Wer erzählt hier welche Geschichte, wessen Geschichten werden nicht erzählt? Darum geht es auch, und die Figuren ringen um "Eigenständigkeit" und eine ihnen angemessene Rolle. "Die Mauer" etwa sagt: "man wird ganz unwillkürlich willkürlich irgendeiner geschichte zugesprochen, was grad da ist, und soll dann zeugnis ablegen davon. ich habe es satt. ich bin nicht euer exponat, ich bin real!" Und das Hologramm kontert: "die geschichte ist nicht dafür gemacht, dass jeder drin vorkommt! schon mal darüber nachgedacht?"
Identitäten sind hybrid, im Wandel begriffen oder in Auflösung. Die Putzhilfe ist die geborene Regisseurin. Die drei Gewinner des Wettbewerbs, sind bereit für eine große Aufgabe. Welche, steht in den Sternen. Auch, ob sie tatsächlich einmal "Karierte" machen werden. Der Stern war einmal Teil der europäischen Flagge, heute trauert er der verlorenen Gemeinschaft nach. Es gibt, und das ist bei Svolikova eine politische Haltung, keine Gewissheit über eine spezifische Identität. Identität ist etwas Flüchtiges und keinesfalls zu definieren. "wir sind da, ich weiß nicht, ob wir schon da sind, da, wo wir sind", sagt eine der Gewinner_innen des Wettbewerbs. Inwieweit dieser Satz Ausdruck einer postmodernen, existenziellen Verunsicherung ist oder doch auch einer Freiheit jenseits von vorgegebenen Lebenswegen, ist eine Frage an die Regie.
Als eine Rezension Miroslava Svolikova aufgrund ihrer "Zweisprachigkeit" ein besonderes Sprachgefühl attestierte, dachte die Autorin in einem Telefonat über den Begriff der Mehrsprachigkeit nach: Ihre Familie war in den 80er Jahren aus der damaligen CSSR emigriert und sie in der Steiermark und in Wien aufgewachsen, ihr Abitur habe sie auf einer englischen Schule gemacht und sei durch französischsprachige Literatur geprägt worden. Es ist das Unbehagen gegen "Denken in Schubladen", das sich da Bahn brach. Und auch ihren Texten ist dieses Unbehagen eingeschrieben.
Miroslava Svolikova ist von oben in die deutschsprachige Theaterlandschaft eingestiegen. Ihr Debüt gab sie mit die hockenden (Regie Alia Luque) an der Burg, dem die deutsche Erstaufführung am Schauspiel Leipzig folgte, danach folgte die ebenfalls gelungene Inszenierung von Diese Mauer fasst sich selbst zusammen (Regie Franz-Xaver Mayr) am Schauspielhaus Wien. Sie erhielt das Hans-Grazer Stipendium und den Förderpreis des Schiller-Gedächtnispreises. Das ist, alles in allem, ein ungewöhnliches Theaterdebüt. Ich freue mich sehr, dass diese ungewöhnliche, feinsinnige, humorvolle, leichtfüßig zwischen mehreren Sprachen und Disziplinen sich bewegende Künstlerin, die in der vergangenen Woche ihr Diplom an der Wiener Akademie der bildenden Künste mit Auszeichnung gemacht hat, nun den Hermann-Sudermann-Preis erhält. Mit dem Preisträger verbindet sie das abgeschlossene Philosophiestudium. Und mit diesem Preis wird sie an ihrem neuen Stück schreiben, der Fortsetzung ihrer Auseinandersetzung mit der europäischen Identität.
Herzlichen Glückwunsch, Miru!
Nina Peters, Jg. 1975, ist Lektorin im Suhrkamp Theater Verlag.