
"Im Bermuda-Dreieck der deutsch-israelisch-palästinensischen Beziehung"
Gespräch mit Sivan Ben Yishai
Dein Stück Wounds Are Forever (Selbstportrait als Nationaldichterin) wird dieses Jahr als Teil des Gastspielprogramms der Autor:innentheatertage gezeigt. Kannst Du Dich an einen bestimmten Moment erinnern, als die Idee für dieses Theaterstück entstanden ist?
Für mich ist die Idee nicht mit einem Ort und einem Moment verbunden. Meine Stücke bestehen aus verschiedenen Schichten, die über Jahre hinweg entwickelt werden. Für Wounds Are Forever habe ich 2,5 Jahre gebraucht. Das Stück hat viele verschiedene Ebenen: Es gibt die Ebene der Protagonistin, die meinen Namen trägt, die Ebene der toten Klezmerin, die Ebene der reflektierenden Eltern, die Ebene der Zeit und letztendlich die Ebene der Nationaldichterin, die Ebene des Theaters. Allgemein sind meine Texte immer eine Fortsetzung voneinander. Sie sind miteinander verbunden und setzen einander fort. Als ich das Stück Liebe. Eine argumentative Übung beendet habe, war es gleichzeitig der Moment, in dem ich mit Wounds Are Forever begann.
Unter anderem geht es in dem Text um Offenbarung eigener Wunden, um dadurch kollektive Wunden sichtbar zu machen. Warum ist Dir das wichtig?
Das ist die Aufgabe der Kunst in der Gesellschaft. Manche können eine Analyse der aktuellen Situation aus der geopolitischen Perspektive geben, die Verbindungen zwischen den Konflikten und den Welten zeigen. Künstler:innen sprechen von einer Wunde als Spiegel, als Landkarte. Was mir an der kollektiven Wunde, wie auch an der privaten Wunde als Thema gefällt, ist, dass sie immer ein Beweis für einen Akt der Gewalt ist. Man zeigt keine Geschichte einer Person, kein Porträt, sondern das Zeugnis einer Gewalttat, einen Fingerzeig auf den Täter, der diese Gewalttat begangen hat.
In Wounds Are Forever verrätst Du schon im Untertitel, dass es auch um Deine Position als israelische Autorin an einem deutschen Nationaltheater gehen wird.
Du sagtest gerade "israelische Autorin", aber ich würde mich nicht so definieren. Ich bin die Autorin Sivan Ben Yishai. In Deutschland wird einem Namen gern ein Adjektiv zugeschrieben: feministisch, trans, weiblich, weiblich etc. Ich glaube, dass einem dadurch der Raum genommen wird, man wird reduziert. Wenn man das Adjektiv "israelisch" hinzufügt, bedeutet das, dass die Lektüre meines Schreibens durch diesen Filter gelesen wird, der mir weniger Raum zum Antworten lässt. Der beste Umgang damit ist für mich immer, aus einer anderen Perspektive zu antworten. Du wurdest als Jüdin gefragt, antworte als Feminist:in. Wurdest du als Feminist:in gefragt, antworte aus einer pro-palästinensischen Perspektive. Damit erobert man den Raum für sich zurück und darum geht es auch zum Teil in meinem Stück.
Wieso hast Du Dich dann für diesen Untertitel entschieden?
Mit meinem Namen könnte ich wahrscheinlich keine deutsche Nationaldichterin sein. "Sivan Ben Yishai, woher kommen Sie her?" – diese Frage kenne ich sehr gut. Ich komme aus Berlin. "Aber wo kommen Sie wirklich her?". In dem Untertitel spiele ich ein bisschen damit. Das Lustige ist, dass Google mich nach 2,5 Jahren, in denen ich dieses Stück geschrieben habe, immer noch automatisch zu "Nationaldichter" korrigiert. Ich kann also weder nach Geschlecht noch nach Nationalität die Nationaldichterin von Deutschland sein. Aber wahrscheinlich könnte ich es auch nicht für Israel sein.
Du hast Wounds Are Forever für ein deutsches Theater geschrieben. Wird über die Wunden der Vergangenheit auf deutschen Bühnen nicht genug gesprochen?
Ich denke, dass Wunden für immer ein Thema sein werden. Mein Stück zeigt ein Bermuda-Dreieck der deutsch-israelisch-palästinensischen Beziehung. Und es spielt an einem Ort, wo alle Schiffe verschwinden, aber die Oberfläche des Wassers wieder ganz still zu sein scheint. Wo hört der Diskurs plötzlich auf? Wo sind die Momente, in denen wir die Politik des Diskurses nicht mehr transparent machen können? Es gibt in diesem Dreieck viele Stellen, an denen wir aufhören müssen zu sprechen, weil man uns sonst vorwerfen könnte, eine bestimmte Perspektive zu haben. Damit setzte ich mich gern auseinander.
Denkst Du wirklich, dass die Wunden der Vergangenheit "forever" bleiben?
Es ist egal, in welcher gesellschaftlichen Konstellation wir als Menschen zusammenkommen und wie wir versuchen, unsere Lebensbedingungen auszuhandeln, ich denke, dass dieselben Konflikte um Raum und Macht, um Rechte und Diskriminierung immer wieder auftauchen werden. In meinem Stück zitierte ich Necati Öziri: "Ich weiß nicht, ob Geschichten sich wiederholen, aber sicher reimen sie sich". Die Frage ist für mich, was sie reimen lässt. Für mich sind es die Art und Weise, wie wir über Geschichten sprechen und wie wir diese Geschichten erzählen. Wenn man es nur aus einer Perspektive macht, die dominante Perspektive, sind wir dazu verdammt, eine Generation zu haben, die Geschichten nur auf eine bestimmte Weise zu erzählen und zu hören lernt. Als Autorin möchte ich diese Diskussionen öffnen, um neue Perspektiven einfließen zu lassen, wie Wounds Are Forever es auch tut.
Die Fragen stellte Anastasia Klimovskaya
Gastspiel Nationaltheater Mannheim und Theater Rampe Stuttgart
Wounds Are Forever (Selbstportrait als Nationaldichterin)
von Sivan Ben Yishai, Regie: Marie Bues
Mi., 8. Juni + Do., 9. Juni, 20.00 Uhr, Kammerspiele
Autor:innensalon mit Sivan Ben Yishai am Do., 8. Juni im Anschluss an die Vorstellung, Saal
Einführung am Fr., 9. Juni, 19.30 Uhr, Saal
Unter anderem geht es in dem Text um Offenbarung eigener Wunden, um dadurch kollektive Wunden sichtbar zu machen. Warum ist Dir das wichtig?
Das ist die Aufgabe der Kunst in der Gesellschaft. Manche können eine Analyse der aktuellen Situation aus der geopolitischen Perspektive geben, die Verbindungen zwischen den Konflikten und den Welten zeigen. Künstler:innen sprechen von einer Wunde als Spiegel, als Landkarte. Was mir an der kollektiven Wunde, wie auch an der privaten Wunde als Thema gefällt, ist, dass sie immer ein Beweis für einen Akt der Gewalt ist. Man zeigt keine Geschichte einer Person, kein Porträt, sondern das Zeugnis einer Gewalttat, einen Fingerzeig auf den Täter, der diese Gewalttat begangen hat.
In Wounds Are Forever verrätst Du schon im Untertitel, dass es auch um Deine Position als israelische Autorin an einem deutschen Nationaltheater gehen wird.
Du sagtest gerade "israelische Autorin", aber ich würde mich nicht so definieren. Ich bin die Autorin Sivan Ben Yishai. In Deutschland wird einem Namen gern ein Adjektiv zugeschrieben: feministisch, trans, weiblich, weiblich etc. Ich glaube, dass einem dadurch der Raum genommen wird, man wird reduziert. Wenn man das Adjektiv "israelisch" hinzufügt, bedeutet das, dass die Lektüre meines Schreibens durch diesen Filter gelesen wird, der mir weniger Raum zum Antworten lässt. Der beste Umgang damit ist für mich immer, aus einer anderen Perspektive zu antworten. Du wurdest als Jüdin gefragt, antworte als Feminist:in. Wurdest du als Feminist:in gefragt, antworte aus einer pro-palästinensischen Perspektive. Damit erobert man den Raum für sich zurück und darum geht es auch zum Teil in meinem Stück.
Wieso hast Du Dich dann für diesen Untertitel entschieden?
Mit meinem Namen könnte ich wahrscheinlich keine deutsche Nationaldichterin sein. "Sivan Ben Yishai, woher kommen Sie her?" – diese Frage kenne ich sehr gut. Ich komme aus Berlin. "Aber wo kommen Sie wirklich her?". In dem Untertitel spiele ich ein bisschen damit. Das Lustige ist, dass Google mich nach 2,5 Jahren, in denen ich dieses Stück geschrieben habe, immer noch automatisch zu "Nationaldichter" korrigiert. Ich kann also weder nach Geschlecht noch nach Nationalität die Nationaldichterin von Deutschland sein. Aber wahrscheinlich könnte ich es auch nicht für Israel sein.
Du hast Wounds Are Forever für ein deutsches Theater geschrieben. Wird über die Wunden der Vergangenheit auf deutschen Bühnen nicht genug gesprochen?
Ich denke, dass Wunden für immer ein Thema sein werden. Mein Stück zeigt ein Bermuda-Dreieck der deutsch-israelisch-palästinensischen Beziehung. Und es spielt an einem Ort, wo alle Schiffe verschwinden, aber die Oberfläche des Wassers wieder ganz still zu sein scheint. Wo hört der Diskurs plötzlich auf? Wo sind die Momente, in denen wir die Politik des Diskurses nicht mehr transparent machen können? Es gibt in diesem Dreieck viele Stellen, an denen wir aufhören müssen zu sprechen, weil man uns sonst vorwerfen könnte, eine bestimmte Perspektive zu haben. Damit setzte ich mich gern auseinander.
Denkst Du wirklich, dass die Wunden der Vergangenheit "forever" bleiben?
Es ist egal, in welcher gesellschaftlichen Konstellation wir als Menschen zusammenkommen und wie wir versuchen, unsere Lebensbedingungen auszuhandeln, ich denke, dass dieselben Konflikte um Raum und Macht, um Rechte und Diskriminierung immer wieder auftauchen werden. In meinem Stück zitierte ich Necati Öziri: "Ich weiß nicht, ob Geschichten sich wiederholen, aber sicher reimen sie sich". Die Frage ist für mich, was sie reimen lässt. Für mich sind es die Art und Weise, wie wir über Geschichten sprechen und wie wir diese Geschichten erzählen. Wenn man es nur aus einer Perspektive macht, die dominante Perspektive, sind wir dazu verdammt, eine Generation zu haben, die Geschichten nur auf eine bestimmte Weise zu erzählen und zu hören lernt. Als Autorin möchte ich diese Diskussionen öffnen, um neue Perspektiven einfließen zu lassen, wie Wounds Are Forever es auch tut.
Die Fragen stellte Anastasia Klimovskaya
Gastspiel Nationaltheater Mannheim und Theater Rampe Stuttgart
Wounds Are Forever (Selbstportrait als Nationaldichterin)
von Sivan Ben Yishai, Regie: Marie Bues
Mi., 8. Juni + Do., 9. Juni, 20.00 Uhr, Kammerspiele
Autor:innensalon mit Sivan Ben Yishai am Do., 8. Juni im Anschluss an die Vorstellung, Saal
Einführung am Fr., 9. Juni, 19.30 Uhr, Saal