
Liebes Publikum,
was geschieht, wenn Menschen zusammenkommen? Vermutlich ist diese Fragestellung der Ausgangspunkt jeder dramatischen Literatur. Was tun diese Menschen im Miteinander oder Gegeneinander? Erlösen sie sich gegenseitig oder übertrumpfen sie sich? Schlagen sie sich die Köpfe ein und stoßen sich voneinander ab? Verbinden oder verraten sie sich? Alle möglichen Varianten haben wir schon erlebt, auf der Bühne und im Leben. Die Philosophin Hannah Arendt hat für diese Frage eine überraschende und wagemutige Antwort gefunden: "Wenn Menschen zusammenkommen, muss man mit Wundern rechnen." Solche Wunder, denen nichts Esoterisches anhaftet, erfolgen nicht zwangsläufig. Gleichwohl sind sie eine Möglichkeit. Offensichtlich geschieht aus der Sicht von Hannah Arendt innerhalb von Gemeinschaften etwas, das die Möglichkeiten jeder monologischen Existenz übersteigt oder gar potenziert. Etwas, womit man rechnen sollte, das man aber nicht ausrechnen kann. Etwas, das die Dimensionen vernünftiger Vorhersage übersteigt.
"Die Wahrheit beginnt zu zweit", auch das hat Hannah Arendt gesagt. Gleichzeitig warnt sie in einer irritierenden Gegenrede, dass auch das Selbst eine Art Freund sein könne. Dass also nicht allein in den Anderen die Rettung verborgen ist. Das Zusammenkommen ist eine Art Aufgabe, die nicht automatisch zur Lösung führt. Irgendetwas Unverfügbares schwingt immer mit. Das Theater, in dem so viel übers risikobehaftete Zusammensein herausgefunden wurde, ist selbst eine Kunstform, die nur in Verbindungen und Gemeinsamkeit funktioniert. Und wenn auf der Bühne nicht immer mit Wundern gerechnet würde, wäre ein Abbruch des Arbeitens häufig in Sichtweite.
Was wir in der aktuellen Spielzeit, gestärkt durch Hannah Arendts Zuversicht, auch in düsteren Stoffen erkunden wollen, klingt also hoffnungsvoll. Die Erfahrungen aus der Pandemie, in der sich, trotz aller Verwerfungen und Fehler, Gesellschaft und Politik bewährt haben, in der auch der Zusammenhalt im DT und die Verbindung zu unseren Besucher:innen eine schöne Verlässlichkeit darstellte, ermuntern uns zu dieser Hoffnung. Hoffnung könnte auf diese Weise etwas sein wie die zärtliche Form des Widerstandes gegen Trauer und Schmerz, gegen all die Brüche, die wir alltäglich zu überwinden versuchen.
Ihr Ulrich Khuon und DT-Team
was geschieht, wenn Menschen zusammenkommen? Vermutlich ist diese Fragestellung der Ausgangspunkt jeder dramatischen Literatur. Was tun diese Menschen im Miteinander oder Gegeneinander? Erlösen sie sich gegenseitig oder übertrumpfen sie sich? Schlagen sie sich die Köpfe ein und stoßen sich voneinander ab? Verbinden oder verraten sie sich? Alle möglichen Varianten haben wir schon erlebt, auf der Bühne und im Leben. Die Philosophin Hannah Arendt hat für diese Frage eine überraschende und wagemutige Antwort gefunden: "Wenn Menschen zusammenkommen, muss man mit Wundern rechnen." Solche Wunder, denen nichts Esoterisches anhaftet, erfolgen nicht zwangsläufig. Gleichwohl sind sie eine Möglichkeit. Offensichtlich geschieht aus der Sicht von Hannah Arendt innerhalb von Gemeinschaften etwas, das die Möglichkeiten jeder monologischen Existenz übersteigt oder gar potenziert. Etwas, womit man rechnen sollte, das man aber nicht ausrechnen kann. Etwas, das die Dimensionen vernünftiger Vorhersage übersteigt.
"Die Wahrheit beginnt zu zweit", auch das hat Hannah Arendt gesagt. Gleichzeitig warnt sie in einer irritierenden Gegenrede, dass auch das Selbst eine Art Freund sein könne. Dass also nicht allein in den Anderen die Rettung verborgen ist. Das Zusammenkommen ist eine Art Aufgabe, die nicht automatisch zur Lösung führt. Irgendetwas Unverfügbares schwingt immer mit. Das Theater, in dem so viel übers risikobehaftete Zusammensein herausgefunden wurde, ist selbst eine Kunstform, die nur in Verbindungen und Gemeinsamkeit funktioniert. Und wenn auf der Bühne nicht immer mit Wundern gerechnet würde, wäre ein Abbruch des Arbeitens häufig in Sichtweite.
Was wir in der aktuellen Spielzeit, gestärkt durch Hannah Arendts Zuversicht, auch in düsteren Stoffen erkunden wollen, klingt also hoffnungsvoll. Die Erfahrungen aus der Pandemie, in der sich, trotz aller Verwerfungen und Fehler, Gesellschaft und Politik bewährt haben, in der auch der Zusammenhalt im DT und die Verbindung zu unseren Besucher:innen eine schöne Verlässlichkeit darstellte, ermuntern uns zu dieser Hoffnung. Hoffnung könnte auf diese Weise etwas sein wie die zärtliche Form des Widerstandes gegen Trauer und Schmerz, gegen all die Brüche, die wir alltäglich zu überwinden versuchen.
Ihr Ulrich Khuon und DT-Team

Texte zur Spielzeit
Die Texte von Thomas Meyer, Eva Horn, Adrian Daub, Özlem Özgül Dündar, Joachim Hake, Christina Clemm und Niko Paech sind Originalbeiträge für unser Spielzeitheft 2021/22. Der Text von Eva von Redecker ist ein Auszug aus ihrem Buch: Revolution für das Leben. Philosophie der neueren Protestformen. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2020. O S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main. Abdruck mit freundlicher Genehmigung. Ausführliche Biografien der Autor:innen finden Sie hier.

Die Gesprächsreihe
Unserem Spielzeitmotto Mit Wundern rechnen widmen wir zugleich eine monatliche Gesprächsreihe im Rangfoyer (Saal) des DT, in der sich Cilja Harders, Professorin für Politikwissenschaften an der FU Berlin, mit unterschiedlichen Gesprächspartner:innen zu aktuellen Themen unterhält. Wir laden Sie herzlich dazu ein! Der Eintritt ist frei. Die Reihe findet statt in Kooperation mit dem Sonderforschungsbereich "Affective Societies", gefördert von der DFG Forschungsgemeinschaft.
Die einzelnen Gespräche können Sie anschließend als Podcast nachhören.
Die einzelnen Gespräche können Sie anschließend als Podcast nachhören.
Podcasts zum Nachhören
Mitschnitt vom 15. November 2021
Unter dem Titel "Affektive Zugehörigkeiten – Aktuelle Perspektiven von Geflüchteten in Deutschland" und im Gespräch mit Cilja Harders stellen die Psychiater:innen Malek Bajbouj (Charité Berlin) und Thi Minh Tam Ta (Charité Berlin die Ergebnisse einer aktuellen Studie zu Emotionen und Affekten rund um das Thema Migration (AFFIN) vor. Mitschnitt anhören:
Unter dem Titel "Affektive Zugehörigkeiten – Aktuelle Perspektiven von Geflüchteten in Deutschland" und im Gespräch mit Cilja Harders stellen die Psychiater:innen Malek Bajbouj (Charité Berlin) und Thi Minh Tam Ta (Charité Berlin die Ergebnisse einer aktuellen Studie zu Emotionen und Affekten rund um das Thema Migration (AFFIN) vor. Mitschnitt anhören:
Mitschnitt vom 8. Februar 2022
"Wenn nur noch Wunder helfen – Affekt, Politik und die Klimakrise." Angesichts der sich stetig verschärfenden Klimakrise scheint die moderne Demokratie wenig handlungsfähig zu sein. Von politischer Überforderung von Bürger:innen und Politiker:innen ist die Rede. Ein wichtiger Grund dafür, so die These von Jan Slaby, könnte unser affektives und emotionales Unvermögen sein, die Tragweite der Krise tatsächlich zu erfassen. Jan Slaby ist Professor für Philosophie des Geistes und der Emotionen an der Freien Universität Berlin und leitet dort auch ein Forschungsprojekt im Sonderforschungsbereich "Affektive Societies". Im Gespräch mit Cilja Harders geht er der Frage nach, ob etablierte Mechanismen der Demokratie ausreichen, um zentrale Zukunftsprobleme zu bewältigen. Mitschnitt anhören:
"Wenn nur noch Wunder helfen – Affekt, Politik und die Klimakrise." Angesichts der sich stetig verschärfenden Klimakrise scheint die moderne Demokratie wenig handlungsfähig zu sein. Von politischer Überforderung von Bürger:innen und Politiker:innen ist die Rede. Ein wichtiger Grund dafür, so die These von Jan Slaby, könnte unser affektives und emotionales Unvermögen sein, die Tragweite der Krise tatsächlich zu erfassen. Jan Slaby ist Professor für Philosophie des Geistes und der Emotionen an der Freien Universität Berlin und leitet dort auch ein Forschungsprojekt im Sonderforschungsbereich "Affektive Societies". Im Gespräch mit Cilja Harders geht er der Frage nach, ob etablierte Mechanismen der Demokratie ausreichen, um zentrale Zukunftsprobleme zu bewältigen. Mitschnitt anhören:
Mitschnitt vom 21. Februar 2022
In der dritten Ausgabe unserer Gesprächsreihe spricht Moderatorin Cilja Harders unter dem Motto "Von der Gier zur Gegenseitigkeit? Zur aktuellen Diskussion über ethnologische Objekte" mit Paola Ivanov, Kuratorin des Ethnologischen Museums. Mitschnitt anhören:
In der dritten Ausgabe unserer Gesprächsreihe spricht Moderatorin Cilja Harders unter dem Motto "Von der Gier zur Gegenseitigkeit? Zur aktuellen Diskussion über ethnologische Objekte" mit Paola Ivanov, Kuratorin des Ethnologischen Museums. Mitschnitt anhören:

Die Spielzeitbücher 2021/22
Die Spielzeitbücher des Deutschen Theaters sowie vom Jungen DT erhalten Sie kostenfrei im Deutschen Theater Berlin. Hier können Sie auch einen digitalen Blick in beide Publikationen werfen.

Die Bildkampagne

Motiv: Julius von Bismarck, "Talking To Thunder (Palm Tree)", 2017
Die visuelle Kampagne der Spielzeit 21/22 steht im Zeichen der Arbeiten des Künstlers Julius von Bismarck. Von ihm stamm auch das Motiv hier im Webseiten-Header: "Punishment".
Von Bismarck studierte Visuelle Kommunikation in Berlin und New York, USA, und war 2012 bis 2013 Schüler der Meisterklasse von Olafur Eliasson. Seine Werke waren in zahlreichen Einzelausstellungen zu sehen, unter anderem im Palais de Tokyo in Paris oder der Villa Medici in Rom. Seine Werke sind eine Synthese von Wissenschaft und Kunst, involvieren häufig die Kraft von Naturgewalten und zielen auf einen Perspektivenwechsel bei den Betrachter:innen. "Durch meine Arbeiten," sagt er, "möchte ich die Menschen einen Perspektivenwechsel erleben lassen. Und zwar ohne das gesprochene Wort, nur mit Mitteln der bildenden Kunst. Wir bewegen uns oft in unserer jeweiligen medialen oder persönlichen Meinungskammer und das potenziert einseitige Wahrnehmung. Unser Miteinander ist fragil. Der einseitigen Wahrnehmung und den raschen Verurteilungen muss der Reichtum der Vielseitigkeit entgegengesetzt werden. Für unser globales wie einzelstaatliches Miteinander ist die Fähigkeit zum Wechsel der Perspektiven elementar."
Von Bismarck studierte Visuelle Kommunikation in Berlin und New York, USA, und war 2012 bis 2013 Schüler der Meisterklasse von Olafur Eliasson. Seine Werke waren in zahlreichen Einzelausstellungen zu sehen, unter anderem im Palais de Tokyo in Paris oder der Villa Medici in Rom. Seine Werke sind eine Synthese von Wissenschaft und Kunst, involvieren häufig die Kraft von Naturgewalten und zielen auf einen Perspektivenwechsel bei den Betrachter:innen. "Durch meine Arbeiten," sagt er, "möchte ich die Menschen einen Perspektivenwechsel erleben lassen. Und zwar ohne das gesprochene Wort, nur mit Mitteln der bildenden Kunst. Wir bewegen uns oft in unserer jeweiligen medialen oder persönlichen Meinungskammer und das potenziert einseitige Wahrnehmung. Unser Miteinander ist fragil. Der einseitigen Wahrnehmung und den raschen Verurteilungen muss der Reichtum der Vielseitigkeit entgegengesetzt werden. Für unser globales wie einzelstaatliches Miteinander ist die Fähigkeit zum Wechsel der Perspektiven elementar."

Julius von Bismarck © Xandra Linsin

Grußwort zur zur Spielzeit 2021/22
Im Video begrüßt Intendant Ulrich Khuon das Publikum, resümiert die vergangene Spielzeit unter Corona-Bedingungen, gibt Einblicke und Hintergründe zum Motto "Mit Wundern rechnen" sowie zum Spielplan.