Bestürzend genau – Michel Houellebecq im Deutschen Theater
Joachim Hake, Direktor der Katholischen Akademie Berlin
Wer Michel Houellebecq genauer verstehen möchte, muss ins Deutsche Theater gehen und sich Die Unterwerfung von Stephan Kimmig (Regie) und David Heiligers (Dramaturgie) anschauen. Jenseits oberflächlicher Satire und politischer Zeitanalyse wird hier ein Michel Houellebecq ansichtig, den zu entdecken sich wirklich lohnt. Ein verlorenes von Hingabe und Liebe träumendes Kind, ein verzweifelt postromantisch sehnsüchtiger Erotomane und ein Nachfolger La Rochefoucaulds und der französischen Moralistik, der gefangen ist in seiner gleichgültigen Schwermut und der gnadenlos luziden Analyse der Gegenwart. Zärtlich, behutsam, leise schichtet die Inszenierung die Tiefen eines "depressiven Selbst" ab, das die Westeuropäer heute mehr bestimmt, als sie wahrhaben wollen. Mit jedem wackeligen Schritt und jeder ungelenken komischen Figur mehr führt der bestürzend genau spielende Steven Scharf den aufmerksamen Zuschauer tiefer ein in die Verlustgeschichten einstmals geteilter Hoffnungen und Utopien, jener politischen und religiösen Kräfte, von denen ein funktionierendes demokratisches Gemeinwesen ebenso lebt wie von der Kraft zu Hingabe und Liebe. Diese Inszenierung ist von hohem Anspruch und liebäugelt mit niemandem: nicht mit den Theaterkritikern, nicht mit dem Publikum und auch nicht mit Michel Houellebecq. Sie will einfach verstehen und bewegt sich so auf dem Niveau der besten Houellebecq-Interpretationen wie z.B. der von Thomas Steinfeld oder Julian Barnes. Wer sich diese Inszenierung nicht anschaut, ist selbst schuld.