
Clavigo
nach Johann Wolfgang Goethe
„Every bad situation is a blues song waiting to happen.“
Amy Winehouse
Amy Winehouse
„Wunderlich! Mich dünkt doch, man lebt nur einmal in der Welt, hat nur einmal diese Kräfte, diese Aussichten, und wer sie nicht zum besten braucht, wer sich nicht so weit treibt als möglich, ist ein Tor.“
Der junge Goethe, von seinen Lesern für Werther frenetisch gefeiert, ist des Genie-Daseins mit 24 Jahren bereits überdrüssig. Es zieht ihn nach Weimar, wo er politisch Karriere machen wird. Vorher aber will er ein Stück in "geregelter Manier" verfassen, nicht so wild und gewagt wie sein Götz, der ein Jahr zuvor erschien. Spielerisch, in nur acht Tagen schreibt er seinen Clavigo. Das von den Zeitgenossen wenig geliebte Trauerspiel beruht auf einer wahren Begebenheit: Die Schwester des Schriftstellers Beaumarchais wurde in Madrid nach wiederholten Heiratsversprechungen von dem Höfling Clavijo verlassen. Goethe baut diese Affäre aus; auf der einen Seite die erfolgshungrigen Jungautoren Clavigo und Carlos, auf der anderen Marie, ihr Verehrer Buenco sowie ihr Bruder Beaumarchais, der die Schwester rächen will. Es endet mit Maries Tod, sie stirbt am Kummer über den Verrat…
Karriere und Liebe – es sind dies zwei Koordinaten, die den Dichter Goethe sein ganzes Leben beschäftigen und deren Unvereinbarkeit er nicht müde wird zu beschreiben. Umso bemerkenswerter, dass Goethe sie bereits in Clavigo als diametrale Lebensentwürfe zeigt. Seine Titelfigur Clavigo, offensichtlich alter Ego Goethes, Autor unterschiedlichster Schriften, attraktiv und erfolgreich, braucht die Liebe, um kreativ sein zu können: Sie beflügelt und berauscht, ist Balsam für seine künstlerische Seele. Doch sobald das romantische Gefühl mit Treue, Versprechen oder gar Ehe einher geht, wie für seine Braut Marie selbstverständlich, ist es mit dem Zauber schnell wieder vorbei. Braucht der Künstler doch den erotischen Kitzel und: absolute Freiheit!
Was in Goethes Zeiten fast ausschließlich Männern vorbehalten war, erotische Abenteuer, beruflicher Aufstieg und egozentrisches Freiheitsstreben, ist längst auch eine Domäne der Frauen geworden. Clavigo wird in Stephan Kimmigs Inszenierung von einer Frau gespielt – ihre libidinöse Unabhängigkeit und erfolgreiche Karriere werden als selbstverständlich gezeigt, Faktoren wie Mann, Frau, Zeit, Biologie spielerisch genommen, Begriffe wie Freiheit, Leidenschaft, Schmerz oder Widerspruch ohne feste Rollenzuschreibungen untersucht. Goethes Text dient in seiner Komplexität als Spiegeltext – mitsamt der historischen und rollenspezifischen Differenz – und wird im Spiel mit der Welt von heute gekontert. Es entstehen Fragen nach gesellschaftlichem Engagement des Künstlers, nach seinem Selbstbild und nach Projektionen, aber auch nach Selbstbetrug, Lüge und Leere. Es sind Fragen, die auch Goethe in seinen Dramen gestellt hat. Warum können wir nicht ohne einander und nicht miteinander leben und lieben? Was bedeutet die Freiheit des Künstlers? Ist die romantische Vorstellung von dauernder Liebe eine Illusion? Das Glück nur ein Augenblick?
Der junge Goethe, von seinen Lesern für Werther frenetisch gefeiert, ist des Genie-Daseins mit 24 Jahren bereits überdrüssig. Es zieht ihn nach Weimar, wo er politisch Karriere machen wird. Vorher aber will er ein Stück in "geregelter Manier" verfassen, nicht so wild und gewagt wie sein Götz, der ein Jahr zuvor erschien. Spielerisch, in nur acht Tagen schreibt er seinen Clavigo. Das von den Zeitgenossen wenig geliebte Trauerspiel beruht auf einer wahren Begebenheit: Die Schwester des Schriftstellers Beaumarchais wurde in Madrid nach wiederholten Heiratsversprechungen von dem Höfling Clavijo verlassen. Goethe baut diese Affäre aus; auf der einen Seite die erfolgshungrigen Jungautoren Clavigo und Carlos, auf der anderen Marie, ihr Verehrer Buenco sowie ihr Bruder Beaumarchais, der die Schwester rächen will. Es endet mit Maries Tod, sie stirbt am Kummer über den Verrat…
Karriere und Liebe – es sind dies zwei Koordinaten, die den Dichter Goethe sein ganzes Leben beschäftigen und deren Unvereinbarkeit er nicht müde wird zu beschreiben. Umso bemerkenswerter, dass Goethe sie bereits in Clavigo als diametrale Lebensentwürfe zeigt. Seine Titelfigur Clavigo, offensichtlich alter Ego Goethes, Autor unterschiedlichster Schriften, attraktiv und erfolgreich, braucht die Liebe, um kreativ sein zu können: Sie beflügelt und berauscht, ist Balsam für seine künstlerische Seele. Doch sobald das romantische Gefühl mit Treue, Versprechen oder gar Ehe einher geht, wie für seine Braut Marie selbstverständlich, ist es mit dem Zauber schnell wieder vorbei. Braucht der Künstler doch den erotischen Kitzel und: absolute Freiheit!
Was in Goethes Zeiten fast ausschließlich Männern vorbehalten war, erotische Abenteuer, beruflicher Aufstieg und egozentrisches Freiheitsstreben, ist längst auch eine Domäne der Frauen geworden. Clavigo wird in Stephan Kimmigs Inszenierung von einer Frau gespielt – ihre libidinöse Unabhängigkeit und erfolgreiche Karriere werden als selbstverständlich gezeigt, Faktoren wie Mann, Frau, Zeit, Biologie spielerisch genommen, Begriffe wie Freiheit, Leidenschaft, Schmerz oder Widerspruch ohne feste Rollenzuschreibungen untersucht. Goethes Text dient in seiner Komplexität als Spiegeltext – mitsamt der historischen und rollenspezifischen Differenz – und wird im Spiel mit der Welt von heute gekontert. Es entstehen Fragen nach gesellschaftlichem Engagement des Künstlers, nach seinem Selbstbild und nach Projektionen, aber auch nach Selbstbetrug, Lüge und Leere. Es sind Fragen, die auch Goethe in seinen Dramen gestellt hat. Warum können wir nicht ohne einander und nicht miteinander leben und lieben? Was bedeutet die Freiheit des Künstlers? Ist die romantische Vorstellung von dauernder Liebe eine Illusion? Das Glück nur ein Augenblick?
Regie Stephan Kimmig
Bühne Eva-Maria Bauer
Kostüme Johanna Pfau
Musik Pollyester
Video Julian Krubasik, Lambert Strehlke
Dramaturgie Sonja Anders
Berlin-Premiere am 13. November 2015
Koproduktion mit den Salzburger Festspielen
Koproduktion mit den Salzburger Festspielen
Susanne WolffClavigo

Moritz GroveCarlos

Kathleen MorgeneyerBeaumarchais

Marcel KohlerMarie Beaumarchais

Franziska MachensBuenco

Clavigo
Carlos
Beaumarchais
Marie Beaumarchais
Buenco
Salzburger Festspiele
2., 4., 6., 7., 9. August 2015
2., 4., 6., 7., 9. August 2015
Außerdem im Spielplan
Infotreffen
DT Jung*
Kick-Off der SpielKlubs
Die künstlerischen Leiter:innen der DT Jung* Spielklubs stellen die Klubs der neuen Spielzeit vor. Um Anmeldung wird gebeten.
Ort wird noch benannt
17:00
Vorstellung fällt leider aus
Regie: Jessica Weisskirchen
anschließend im Bühnenbild DT Kontext: Jetzt mit Anfassen! Das andere Publikumsgespräch
Leider muss die Vorstellung von Edward II. Die Liebe bin ich entfallen. Der Grund dafür sind Erkrankungen im Ensemble.
Box
19.30
Ausverkauft
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
Auf der Bühne sind die Gefühle nicht mehr echt. Marie ist völlig ausgelaugt. Clavigo erkennt, dass sie den Zenit womöglich erreicht hat. Marie zieht sich eine Plastiktüte der Saatchi Gallery über den Kopf und erstickt unter bunten Punkten von Damien Hirst. Clavigo ist auch nicht mehr zu retten. Im letzten Bild steht der Ballon startbereit da. Doch eine Himmelfahrt wird es nicht geben.
Kimmig hat "Clavigo" als Ich-Festspiele inszeniert. Statt Dialogen führt er Monologe auf. Hier ist jeder nur mit sich beschäftigt, in einsamen Performances gefangen. Auf diesem Kunstmarkt der Eitelkeiten steht nicht mehr das Artefakt im Vordergrund, sondern die Ökonomisierung der Aufmerksamkeit für dessen Schöpfer – egal, ob er etwas schafft oder nicht. Und ausgerechnet der Kuratorenfiesling Carlos (Moritz Greve) erkennt das Kernproblem künstlerischer Entfaltung. "Kunst ist Spiel", sagt er zu Clavigo. "Kreativität ist zu wenig." Stephan Kimmig hat dem Stück den Staub aus den Kostümen geklopft, es entschlackt, gestrippt und wieder angekleidet, mit Goethe-Zitaten, Spoken-Word-Performances, Videoprojektionen und Elektro-Beats. Er hat "Clavigo" in die Gegenwart geholt. Und wo könnte ein Spiel um Karrieristen, Freiheitsdrang und Ich-Bezogenheit besser stattfinden als auf dem Feld der Kunst? Man weiß nicht, was für eine Art Künstlerin diese Clavigo nun ist. Performerin? Pop-Star? It Girl? Die charmant burschikose Susanne Wolff weiß sie bestens zu verkaufen. Als schickes Model, das wie Lady Gaga über die Bühne fegt. Als Beaumarchais (Kathleen Morgeneyer) mit einem Fernsehteam anrückt, um ihr eine Entscheidung für Marie abzuringen, dauert es eine Weile, bis Clavigo versteht, was ihr da droht: Kimmig deutet die altmodische Blutrache in zeitgemäßes Stalking um. Doch was macht Clavigo? Flirtet mit der Kamera, schließlich werden die Bilder live in den Saal übertragen.Auf der Bühne sind die Gefühle nicht mehr echt. Marie ist völlig ausgelaugt. Clavigo erkennt, dass sie den Zenit womöglich erreicht hat. Marie zieht sich eine Plastiktüte der Saatchi Gallery über den Kopf und erstickt unter bunten Punkten von Damien Hirst. Clavigo ist auch nicht mehr zu retten. Im letzten Bild steht der Ballon startbereit da. Doch eine Himmelfahrt wird es nicht geben.Kimmig hat "Clavigo" als Ich-Festspiele inszeniert. Statt Dialogen führt er Monologe auf. Hier ist jeder nur mit sich beschäftigt, in einsamen Performances gefangen. Auf diesem Kunstmarkt der Eitelkeiten steht nicht mehr das Artefakt im Vordergrund, sondern die Ökonomisierung der Aufmerksamkeit für dessen Schöpfer – egal, ob er etwas schafft oder nicht. Und ausgerechnet der Kuratorenfiesling Carlos (Moritz Greve) erkennt das Kernproblem künstlerischer Entfaltung. "Kunst ist Spiel", sagt er zu Clavigo. "Kreativität ist zu wenig."
Zum Symbol dieser Zerrissenheit wird Kathleen Morgeneyer. In 'Bambi'-Abendrobe, helenefischerblond, leiert sie den veranstaltungsüblichen Schmalz, geht aber plötzlich über zu jener berühmten Antikapitalismus-Rede Jean Zieglers, die er in Salzburg nicht halten durfte (Kimmigs Inszenierung hatte dort im Sommer ihre Festspiel-Premiere). Mahnung daran, dass jedes tödlich an Hunger leidende Kind nicht stirbt, sondern ermordet wird. Grandios peinigend, wie Morgeneyer die bodenlose Dummheit eines Glamour-Gemüts bloßstellt, stammelnd zu harter Anklage wechselt und dies mit flehendem Beschwören einer läuternden Kunst verbindet ('Wunder sind möglich') - und wie sie das Ganze so vorträgt, dass man an den garantiert falschen Stellen erschrickt oder lacht. Wunder sind möglich - das Glaubensrefugium für Illusionäre. Wo doch der Glaube wächst, zur Reinigung der Welt seien vorrangig Wunden zu schlagen. (...) Heute, wo alle Vorstellungen von der Welt verschlissen sind, wurde alle Welt zur Vorstellung: Jeder plagt sich in einer Rolle, die er sich nicht aussuchen durfte. So geht Theater im Leben auf, aber geht dem Leben im Theater noch ein Licht auf? Vielleicht ganz gut, dass wir uns im Kreise drehen, denn erst dadurch kommen wir immer wieder bei der Grundfrage von Leben und Theater an: Was soll der Unsinn? Kimmigs Inszenierung offeriert das in einem verzweifelt komischen Zynismus und ist darin sehr wahrhaftig. Sie flattert karikierend von Moment zu Moment, wie jeder Mensch nur noch von Behauptung zu Behauptung flattert; der zweistündige Abend hat aber gleichsam, in Abständen, tief entsetzte, dunkel umränderte Augen. Trauer, freilich immer in Gefahr, ihren Grund zu vergessen." "Das Trauerspiel: wenn der Mensch, der Künstler, der vermeintlich Freie nur in sich selber die heile Welt sieht und in jedem Draußen bloß Wirklichkeitsfetzen ohne jede Alternativkraft. Kimmig zeigt, was aus allem wurde: auch ein Trauerspiel. Das elend gesteigerte: dieses grelle, hysterische Spiel mit der eigenen Bedeutungsgier unter den Bedingungen des Pop. Der freie Mensch, der sich nichts mehr vorhalten lässt - außer einem Mikrofon. Der fortwährende Sog der Songs. Der ständige Run aller in ein neues Kostüm. Hier: ein Lendenschurz aus Wiener Würstchen; Männlichkeit im Tutu; ein Glitzerkleid mit Fettbauchpolster. Ein Heißluftballon liegt auf der Bühne, dessen farbiger Stoff bildet die bauschige Rückwand der Bühne. Was hier erheben soll, braucht heiße Luft. Aus leeren Köpfen, leeren Herzen pfeift sie, aus lauter letzten Löchern. Und nur in expressiven Videofetzen zeigt sich die leidenschaftliche Nahaufnahme einer Liebe, wie sie sich Clavigo und Marie zitternd an den Leib des jeweils anderen träumten. (...) Im Spannungsfeld zwischen einem Zorn, der wehtun soll, und einer Ironie, die nichts bewirken wird, fühlt sich das Herz aller Zustandskritiker schmerzlich zerrissen. Auch das Herz dieser Inszenierung. Darin liegt ihr Wert.
Zum Symbol dieser Zerrissenheit wird Kathleen Morgeneyer. In 'Bambi'-Abendrobe, helenefischerblond, leiert sie den veranstaltungsüblichen Schmalz, geht aber plötzlich über zu jener berühmten Antikapitalismus-Rede Jean Zieglers, die er in Salzburg nicht halten durfte (Kimmigs Inszenierung hatte dort im Sommer ihre Festspiel-Premiere). Mahnung daran, dass jedes tödlich an Hunger leidende Kind nicht stirbt, sondern ermordet wird. Grandios peinigend, wie Morgeneyer die bodenlose Dummheit eines Glamour-Gemüts bloßstellt, stammelnd zu harter Anklage wechselt und dies mit flehendem Beschwören einer läuternden Kunst verbindet ('Wunder sind möglich') - und wie sie das Ganze so vorträgt, dass man an den garantiert falschen Stellen erschrickt oder lacht. Wunder sind möglich - das Glaubensrefugium für Illusionäre. Wo doch der Glaube wächst, zur Reinigung der Welt seien vorrangig Wunden zu schlagen. (...) Heute, wo alle Vorstellungen von der Welt verschlissen sind, wurde alle Welt zur Vorstellung: Jeder plagt sich in einer Rolle, die er sich nicht aussuchen durfte. So geht Theater im Leben auf, aber geht dem Leben im Theater noch ein Licht auf? Vielleicht ganz gut, dass wir uns im Kreise drehen, denn erst dadurch kommen wir immer wieder bei der Grundfrage von Leben und Theater an: Was soll der Unsinn? Kimmigs Inszenierung offeriert das in einem verzweifelt komischen Zynismus und ist darin sehr wahrhaftig. Sie flattert karikierend von Moment zu Moment, wie jeder Mensch nur noch von Behauptung zu Behauptung flattert; der zweistündige Abend hat aber gleichsam, in Abständen, tief entsetzte, dunkel umränderte Augen. Trauer, freilich immer in Gefahr, ihren Grund zu vergessen."