
Die Schönheit von Ost-Berlin
Eine Ronald-M.-Schernikau-Collage
'legende' ist der Titel seines Lebenswerks, legendär ist Ronald Schernikau selbst: Geboren in Magdeburg ein Jahr vor dem Bau der Mauer, wird er mit sechs zum Republikflüchtling wider Willen, als sich seine Mutter mit ihm im Kofferraum über die deutsch-deutsche Grenze schmuggeln lässt – der Liebe wegen. Doch der Vater, der sie nachholt, führt ein Doppelleben, politisch wie familiär. Mutter und Sohn bleiben im Westen fremd und wurzellos. Es verschlägt sie nach Lehrte bei Hannover, wo Ronald Schernikau als Flüchtlingskind, als Andersdenkender, Andersliebender und Andersträumender überall aneckt. Noch auf der Schule schreibt er sein erstes Buch 'Kleinstadtnovelle'. Die Geschichte eines schwulen Coming Outs in einem Provinzstädtchen wird zu einem Überraschungserfolg. Schernikau zieht nach West-Berlin, wird Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins (SEW) und eine der schillerndsten Figuren einer selbstbewussten Schwulenszene.
Doch der Kampf ums Überleben als Schriftsteller in West-Berlin Anfang der 80er wird immer härter. Unter erheblichen Schwierigkeiten erhält Schernikau einen Studienplatz am Leipziger Institut für Literatur und beschreibt die Kluft zwischen DDR und BRD unter dem Titel 'die tage in l'. Als ihm sein Mentor Peter Hacks rät, in die DDR zu ziehen, wenn er ein großer Dichter werden wolle, erfüllt sich Ronald Schernikau den Traum, den schon seine Mutter seit ihrer Flucht immer geträumt hat: Er erwirbt (wieder) die Staatsbürgerschaft der DDR. Am 1. September 1989 siedelt er nach Berlin-Hellersdorf über, gegen den Strom derer, die in Scharen das Land verlassen. Schernikaus scharfe, hochpointierte Kapitalismuskritik bleibt ungehört, sein Werk weitgehend unbeachtet. Unter äußersten Anstrengungen gelingt es ihm, sein Hauptwerk 'legende' fertig zu stellen: Collage und Kompendium seines Lebens und Schreibens. Zwei Jahre nach dem Fall der Mauer stirbt Ronald Schernikau an den Folgen von AIDS.
Gegen die Erinnerungsseligkeit des 25. Mauerfalljubiläums geht der Regisseur Bastian Kraft ('Der Besuch der alten Dame') in einem collageartigen Ronald-Schernikau-Abend dieser widersprüchlichen und widerständigen Figur nach.
Doch der Kampf ums Überleben als Schriftsteller in West-Berlin Anfang der 80er wird immer härter. Unter erheblichen Schwierigkeiten erhält Schernikau einen Studienplatz am Leipziger Institut für Literatur und beschreibt die Kluft zwischen DDR und BRD unter dem Titel 'die tage in l'. Als ihm sein Mentor Peter Hacks rät, in die DDR zu ziehen, wenn er ein großer Dichter werden wolle, erfüllt sich Ronald Schernikau den Traum, den schon seine Mutter seit ihrer Flucht immer geträumt hat: Er erwirbt (wieder) die Staatsbürgerschaft der DDR. Am 1. September 1989 siedelt er nach Berlin-Hellersdorf über, gegen den Strom derer, die in Scharen das Land verlassen. Schernikaus scharfe, hochpointierte Kapitalismuskritik bleibt ungehört, sein Werk weitgehend unbeachtet. Unter äußersten Anstrengungen gelingt es ihm, sein Hauptwerk 'legende' fertig zu stellen: Collage und Kompendium seines Lebens und Schreibens. Zwei Jahre nach dem Fall der Mauer stirbt Ronald Schernikau an den Folgen von AIDS.
Gegen die Erinnerungsseligkeit des 25. Mauerfalljubiläums geht der Regisseur Bastian Kraft ('Der Besuch der alten Dame') in einem collageartigen Ronald-Schernikau-Abend dieser widersprüchlichen und widerständigen Figur nach.
Regie Bastian Kraft
Bühne Peter Baur
Kostüme Inga Timm
Musik Ingo Schröder
Dramaturgie John von Düffel
Uraufführung 7. November 2014
Margit BendokatDie Mutter

Elias ArensRonald M. Schernikau

Thorsten HierseRonald M. Schernikau

Wiebke MollenhauerRonald M. Schernikau

Bernd MossRonald M. Schernikau

Die Mutter
Ronald M. Schernikau
Außerdem im Spielplan
Mit englischen Übertiteln
Regie: Claudia Bossard
DT Kontext: Im Anschluss an die Vorstellung Vortrag und Gespräch mit Rainald Goetz
DT Bühne
19.30 - 21.50
Ausverkauft
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
Wiederaufnahme
Mit englischen Übertiteln
Forever Yin Forever Young
Die Welt des Funny van Dannen
Regie: Tom Kühnel und Jürgen Kuttner
Kammer
20.00 - 21.30
Reichliche hundert Minuten lang wechselt also Perücken-Trash wie der Krimi 'Die Schönheit', der nach Castorf-Manier als Live-Film auf eine Großleinwand gekalauert wird, mit studentischer WG-Küchen-Prosa: "Sabine, könntest du dir vorstellen, in der DDR zu leben?“ Bernd Moss spreizt sich mit sichtlichem Genuss als Peter Hacks, der dem großen literarischen Talent zur Übersiedlung in die DDR rät, während Wiebke Mollenhauer mit einer kleinen Aids-Aufklärungsstunde die Achtziger wiederauferstehen lässt und Thorsten Hierse den schüchtern in seinen breitbeinigen Schulkumpel Leif alias Elias Arens verliebten B. aus Schernikaus Coming-out-Erstling 'Kleinstadtnovelle' aufs Sofa liebäugelt. Gewohnt klar, pathosfrei und gerade deswegen so berührend erzählt Bendokat die Geschichte von Schernikaus Mutter, die im Westen – in ganz anderen Denk- und Gefühlskategorien als ihr Sohn – auch nie heimisch wurde. Schernikau wäre zu Recht begeistert gewesen: Am Deutschen Theater, seiner Lieblingsbühne, gehörte Bendokat zu den von ihm ganz besonders verehrten Schauspielerinnen. Als immer Anders- (und oft Weiter-) denkender ist Ronald M. Schernikau natürlich eine Idealfigur, um die je eigenen Begrenzungen und Spießigkeiten beider Systeme en passant unters Mikroskop zu legen. Deshalb ist es eine großartige Idee des 34-jährigen Regisseurs Bastian Kraft, inmitten der Mauerfall-Jubiläums-Feierlichkeiten am Deutschen Theater unter dem Motto 'Die Schönheit von Ost-Berlin' ausgerechnet eine Schernikau-Collage herauszubringen. Elias Arens, Thorsten Hierse, Bernd Moss und Wiebke Mollenhauer hocken als langhaarige Hornbrillen-Wiedergänger des Autors in den Kammerspielen auf einer Art Wohninsel (Bühne: Peter Baur). Zwischen Schreibpult und pinkfarbenem Marx-Kopf, zwischen Pin-up-Boys, Retro-Telefon und Fluchtauto-Heck kommen, relativ chronologisch, gleichermaßen literarische Texte wie entscheidende Biografiesplitter zu Gehör: Wer sich bei Schernikau (noch) nicht so gut auskennt, hat hinterher einen guten Überblick.
Reichliche hundert Minuten lang wechselt also Perücken-Trash wie der Krimi 'Die Schönheit', der nach Castorf-Manier als Live-Film auf eine Großleinwand gekalauert wird, mit studentischer WG-Küchen-Prosa: "Sabine, könntest du dir vorstellen, in der DDR zu leben?“ Bernd Moss spreizt sich mit sichtlichem Genuss als Peter Hacks, der dem großen literarischen Talent zur Übersiedlung in die DDR rät, während Wiebke Mollenhauer mit einer kleinen Aids-Aufklärungsstunde die Achtziger wiederauferstehen lässt und Thorsten Hierse den schüchtern in seinen breitbeinigen Schulkumpel Leif alias Elias Arens verliebten B. aus Schernikaus Coming-out-Erstling 'Kleinstadtnovelle' aufs Sofa liebäugelt. Gewohnt klar, pathosfrei und gerade deswegen so berührend erzählt Bendokat die Geschichte von Schernikaus Mutter, die im Westen – in ganz anderen Denk- und Gefühlskategorien als ihr Sohn – auch nie heimisch wurde. Schernikau wäre zu Recht begeistert gewesen: Am Deutschen Theater, seiner Lieblingsbühne, gehörte Bendokat zu den von ihm ganz besonders verehrten Schauspielerinnen.
Regisseur Bastian Kraft und Dramaturg John von Düffel wollen ihre Inszenierung, wie sie mitteilen, als eine "gegen die Erinnerungsseligkeit des 25. Mauerfalljubiläums" gerichtete verstanden wissen. Es ist dies nicht die schlechteste Aufgabe eines Theaters der Gegenwart: andere Stimmen sprechen zu lassen in Zeiten, wo alle wie ein einziger großer Chor klingen. Schernikau ist so eine. Einige Sätze, die er im März 1990 auf dem DDR-Schriftstellerkongress sprach, lauten: "Wer die Gewerkschaft fordert, wird den Unternehmerverband kriegen. Wer die Buntheit des Westens will, wird die Verzweiflung des Westens kriegen. Wer Bananen essen will, muss Neger verhungern lassen." Die Inszenierung geht erfreulicherweise nicht in die Falle, die bei der Beschäftigung mit Personen wie ihm nahe läge: den politischen Schriftsteller Schernikau zu entpolitisieren, ihn zum kauzigen Exoten oder schrillen schwulen Paradiesvogel zu trivialisieren.
Regisseur Bastian Kraft und Dramaturg John von Düffel wollen ihre Inszenierung, wie sie mitteilen, als eine "gegen die Erinnerungsseligkeit des 25. Mauerfalljubiläums" gerichtete verstanden wissen. Es ist dies nicht die schlechteste Aufgabe eines Theaters der Gegenwart: andere Stimmen sprechen zu lassen in Zeiten, wo alle wie ein einziger großer Chor klingen. Schernikau ist so eine. Einige Sätze, die er im März 1990 auf dem DDR-Schriftstellerkongress sprach, lauten: "Wer die Gewerkschaft fordert, wird den Unternehmerverband kriegen. Wer die Buntheit des Westens will, wird die Verzweiflung des Westens kriegen. Wer Bananen essen will, muss Neger verhungern lassen."
Kraft inszeniert das als wirbelndes Treiben, in dem die vier Schauspieler die schönsten Schernikau-Zitate zu Pointen abschmecken, ein Grand Prix der treffendsten Bonmots, eine intellektuelle Schlagerparade der Paradoxien – für einen, der so gerne Schlagersängerin geworden wäre. Einmal spielen sie Schernikaus überdrehten Krimi "Die Schönheit" nach, 1987 für eine Tuntengruppe geschrieben: im Bauch der Bühnen-Insel, mit Hollywood-Soundkulisse und hastigem Perückenwechsel, übertragen von der Handkamera auf die Bühnenrückwand. Trashiger kann's auch Frank Castorf nicht. Überhaupt spart Kraft nicht mit Hollywood-Pathos – das ist erstaunlich viel Herz und Schmerz für einen, der das romantische Glotz-Verbot in jeden seiner leidenschaftlich glühenden Texte trieb. Jetzt also, 25 Jahre nach dem Zusammenbruch jenes Landes, das er verzweifelt liebte, setzen Bastian Kraft und sein Team Schernikau mit 'Die Schönheit von Ost-Berlin' ein äußerst lebendiges Denkmal. Biografie und Werk haben sie zu einer halbwegs linearen Erzählung montiert und in den Kammerspielen auf eine Insel gesetzt: Peter Baur türmt dicht gedrängt Bett neben Pissoir neben rosafarbene Marxbüste, ein Audi-Heck schiebt sich unter einen Ausguck, "ich bins!" leuchtet neben einem Kaugummiautomaten. Schernikaus Kleinstadt-Isolation steckt darin, natürlich West-Berlin, aber auch ein dichterisches Universum, in dem Kommunismus, Schlager und schwuler Sex einander nicht ausschließen, sondern bedingen.
Kraft inszeniert das als wirbelndes Treiben, in dem die vier Schauspieler die schönsten Schernikau-Zitate zu Pointen abschmecken, ein Grand Prix der treffendsten Bonmots, eine intellektuelle Schlagerparade der Paradoxien – für einen, der so gerne Schlagersängerin geworden wäre. Einmal spielen sie Schernikaus überdrehten Krimi "Die Schönheit" nach, 1987 für eine Tuntengruppe geschrieben: im Bauch der Bühnen-Insel, mit Hollywood-Soundkulisse und hastigem Perückenwechsel, übertragen von der Handkamera auf die Bühnenrückwand. Trashiger kann's auch Frank Castorf nicht. Überhaupt spart Kraft nicht mit Hollywood-Pathos – das ist erstaunlich viel Herz und Schmerz für einen, der das romantische Glotz-Verbot in jeden seiner leidenschaftlich glühenden Texte trieb.
Schernikaus Lebenslauf wird im munteren Viererspiel mit Pathos, Witz und schrillen Effekten vorgeführt. Kraft hatte den schönen Regieeinfall, Schernikau von gleich vier Darstellern spielen zu lassen. Allesamt mit blonden Langhaarperücken, flaumigem Oberlippenbärtchen und Brille. Sie teilen sich Begeisterung wie Zweifel der Figur, aber auch andere Rollen. Schon Peter Baurs Bühnenbild, das im Hintergrund mit Plakaten und Bildern historisches Zeitkolorit aus Ost und West beisteuert, unterstützt die Erklärungen, mit denen Bastian Krafts Collage 'Die Schönheit von Ostberlin' aufwartet. Meist chronologisch, oft aber auch von Rückblenden aufgelockert, wird Schernikaus Leben nacherzählt. Der Schwule, der Schriftsteller und der "letzte Kommunist", wie er in einer Biografie genannt wird, ist ein Mythos. (...)
Schernikaus Lebenslauf wird im munteren Viererspiel mit Pathos, Witz und schrillen Effekten vorgeführt. Kraft hatte den schönen Regieeinfall, Schernikau von gleich vier Darstellern spielen zu lassen. Allesamt mit blonden Langhaarperücken, flaumigem Oberlippenbärtchen und Brille. Sie teilen sich Begeisterung wie Zweifel der Figur, aber auch andere Rollen.