Drei Schwestern

nach Anton Tschechow
Bühne / Kostüme Nina von Mechow
Musik und Sounddesign Arvild Baud
Licht / Video Voxi Bärenklau
Dramaturgie John von Düffel
Premiere
12. November 2018, Deutsches Theater
Bernd MossOlga / Werschinin
Michael GoldbergMascha / Kulygin
Benjamin LillieIrina / Tusenbach
Felix GoeserAndrej / Natascha
Angela WinklerIrina
Olga / Werschinin
Mascha / Kulygin
Irina / Tusenbach
Andrej / Natascha
nachtkritik.de
Christian Rakow, 12.11.2018
Angela Winkler, die einzige Frau in der Besetzung erscheint in einem mächtigen, aufgebockten Landhaus, das Nina von Mechow auf die große Drehbühne des DT zimmern ließ. Ein Designerbau mit surrealen Ecken und Kanten. [...]

Die Vergangenheit kann in düsteren Schemen aufsteigen. Voxi Bärenklau zaubert geisterhafte Umrisse auf die Bühnenrückwand. Es sind Projektionen der Spieler, die uns in antiquierten Kleidern und Uniformen entgegentreten. [...]

Angela Winkler, diese Wunderfrau des deutschen Theaters, die in ihrem Alter von bald 75 Jahren noch wie ein jugendliches Gemüt verborgenen Sinn zu wittern vermag, die Worte spricht, als habe sie sie eben erst gefunden, die neugiert und zögert und wagt – sie entert die Bühne. Als Irina.
Angela Winkler, die einzige Frau in der Besetzung erscheint in einem mächtigen, aufgebockten Landhaus, das Nina von Mechow auf die große Drehbühne des DT zimmern ließ. Ein Designerbau mit surrealen Ecken und Kanten. [...]

Die Vergangenheit kann in düsteren Schemen aufsteigen. Voxi Bärenklau zaubert geisterhafte Umrisse auf die Bühnenrückwand. Es sind Projektionen der Spieler, die uns in antiquierten Kleidern und Uniformen entgegentreten. [...]

Angela Winkler, diese Wunderfrau des deutschen Theaters, die in ihrem Alter von bald 75 Jahren noch wie ein jugendliches Gemüt verborgenen Sinn zu wittern vermag, die Worte spricht, als habe sie sie eben erst gefunden, die neugiert und zögert und wagt – sie entert die Bühne. Als Irina.
Berliner Zeitung
Ulrich Seidler, 13.11.2018
Der Nebel der Erinnerungen lichtet sich, eine containergroße Wohneinheit wird auf halber Höhe ins Bild gedreht, darin steht die alterslose Bühnenträumerin Angela Winkler mit ihren 74 Jahren, lässt ihre Augen schimmern, ihr Wesen in Sphären hinaus- und in ihre Seele hineinlauschen.
[...]
Die Schwestern sind mit Männern besetzt, um den Text fremd zu stellen. Mit Hilfe von Glattmasken und Kostümwechseln können diese jeweils in eine zweite Rolle springen und die Männer, die die Schwestern lieben oder eben nicht, gleich mitspielen: Benjamin Lillie ist sowohl der euphorisch liebesbekümmerte Tusenbach als auch die jung ermüdete Irina. Mascha und ihr zu alter, langweiliger, unterwürfiger Lehrermann Kulygin stecken im Körper von Michael Goldberg, und die Kehrseite von Bernd Moss' Olga ist der einzige ernstzunehmende Mann Werschinin – Amtsnachfolger des Vaters, leider in einer unglücklichen Ehe gefangen, aus der er bestimmt noch ausgebrochen wäre, wenn seine Brigade nicht verlegt worden und mit ihr das letzte Leben aus dem Städtchen entwichen wäre.
Der Nebel der Erinnerungen lichtet sich, eine containergroße Wohneinheit wird auf halber Höhe ins Bild gedreht, darin steht die alterslose Bühnenträumerin Angela Winkler mit ihren 74 Jahren, lässt ihre Augen schimmern, ihr Wesen in Sphären hinaus- und in ihre Seele hineinlauschen.
[...]
Die Schwestern sind mit Männern besetzt, um den Text fremd zu stellen. Mit Hilfe von Glattmasken und Kostümwechseln können diese jeweils in eine zweite Rolle springen und die Männer, die die Schwestern lieben oder eben nicht, gleich mitspielen: Benjamin Lillie ist sowohl der euphorisch liebesbekümmerte Tusenbach als auch die jung ermüdete Irina. Mascha und ihr zu alter, langweiliger, unterwürfiger Lehrermann Kulygin stecken im Körper von Michael Goldberg, und die Kehrseite von Bernd Moss' Olga ist der einzige ernstzunehmende Mann Werschinin – Amtsnachfolger des Vaters, leider in einer unglücklichen Ehe gefangen, aus der er bestimmt noch ausgebrochen wäre, wenn seine Brigade nicht verlegt worden und mit ihr das letzte Leben aus dem Städtchen entwichen wäre.
Kulturradio vom rbb
Barbara Behrendt, 13.11.2018
"Nach Moskau, nach Moskau!" – Zwei Worte, und jeder Theatergänger weiß, worum es geht: um Tschechows "Drei Schwestern", die in der Provinz feststecken und von einem anderen Leben im Zentrum der Welt träumen.
 
[...] Drei Männer spielen die Rollen der drei Schwestern. An ihrer Seite und als einzige Frau auf der Bühne: Angela Winkler.
Winkler, bald 75 Jahre alt, wundersam mädchenhafte Theaterzauberin, steht in weißem Sommerkleid auf dem sich drehenden Bühnenkasten: ein verwinkeltes Haus, bedrohlich beleuchtet. Plötzlich kippt es ein Stück zur Seite, die Möbel rutschen die Schräge herab, und aus dem Schrank heraus rollt der Brummkreisel, den Irinia von ihrem Verehrer zum Geburtstag geschenkt bekommen hat, und jener Oberleutnant Tusenbach in Uniform, dem das Blut über die Schläfe rinnt. [...]

Ein starker Auftakt, der eine Rahmenhandlung setzt: die gealterte Irina erinnert sich zurück – im Verlauf wird das Drama in ihrem Kopf abspulen. Den Tod des Verehrers inszeniert Karin Henkel als Irinas Trauma, das sie ein Leben lang verfolgt, immer wieder knallt der Pistolenschuss durch ihre Erinnerung.

[...] Die Regisseurin spitzt zu und erschafft – ihre große Stärke – eine eigene, geschlossene Kunstwelt. Das sich drehende Haus, auf das Schemen und Schatten projiziert werden, durch das ferne Stimmen und Musiken hallen, entwickelt eine schaurige Albtraumatmosphäre.
"Nach Moskau, nach Moskau!" – Zwei Worte, und jeder Theatergänger weiß, worum es geht: um Tschechows "Drei Schwestern", die in der Provinz feststecken und von einem anderen Leben im Zentrum der Welt träumen.
 
[...] Drei Männer spielen die Rollen der drei Schwestern. An ihrer Seite und als einzige Frau auf der Bühne: Angela Winkler.
Winkler, bald 75 Jahre alt, wundersam mädchenhafte Theaterzauberin, steht in weißem Sommerkleid auf dem sich drehenden Bühnenkasten: ein verwinkeltes Haus, bedrohlich beleuchtet. Plötzlich kippt es ein Stück zur Seite, die Möbel rutschen die Schräge herab, und aus dem Schrank heraus rollt der Brummkreisel, den Irinia von ihrem Verehrer zum Geburtstag geschenkt bekommen hat, und jener Oberleutnant Tusenbach in Uniform, dem das Blut über die Schläfe rinnt. [...]

Ein starker Auftakt, der eine Rahmenhandlung setzt: die gealterte Irina erinnert sich zurück – im Verlauf wird das Drama in ihrem Kopf abspulen. Den Tod des Verehrers inszeniert Karin Henkel als Irinas Trauma, das sie ein Leben lang verfolgt, immer wieder knallt der Pistolenschuss durch ihre Erinnerung.

[...] Die Regisseurin spitzt zu und erschafft – ihre große Stärke – eine eigene, geschlossene Kunstwelt. Das sich drehende Haus, auf das Schemen und Schatten projiziert werden, durch das ferne Stimmen und Musiken hallen, entwickelt eine schaurige Albtraumatmosphäre.
rbb24
Fabian Wallmeier, 13.11.2018
Karin Henkel lässt Tschechows "Drei Schwestern" am Deutschen Theater von Männern darstellen. Das geht erstaunlich gut auf – weil die Inszenierung sich nicht für Travestie-Klischees interessiert, sondern geschickt auf Verfremdung setzt.
[...]
Die Komik, die dabei immer wieder durchbricht, kommt nicht aus dem geschlechtlichen Verwirrspiel, sondern schlicht aus den Figuren selbst – und aus der Tatsache, dass die Darsteller neben den drei Schwestern auch noch ihre jeweiligen Verehrer oder Gatten spielen. Man muss natürlich auch Schauspieler zur Verfügung haben, die dazu in der Lage sind. Henkel hat sie: Bernd Moss ist als älteste Schwester Olga mal blasiert, mal beleidigt, mal entnervt – und als Major Werschinin eine lässig skizzierte Witzfigur. Felix Goeser ist als Bruder Andrej ein wunderbar weinerlicher Jammerlappen – und als dessen Frau Natascha furchteinflößend dominant.

Michael Goldberg tapert als mittlere Schwester Mascha verloren mit einem Radio über die Bühne, auf der Suche nach besserem Empfang der Signale aus der herbeigesehnten Ferne. Als Maschas Mann Kulygin ist er dagegen ein überaus seifiger Schwätzer. Benjamin Lillie spielt von Tusenbach als ungelenken Aufdringling – und letztlich tragische Gestalt. Seiner Variante der Irina gibt er derweil etwas Entrückt-Melancholisches mit, eine zarte Kraftlosigkeit.

Angela Winkler setzt sich mit ihrer Version der Irina davon ab. Wenn sie an die Rampe tritt, beginnt die Figur zu leben, sie wird greifbarer, wärmer, konkreter, vermeintlich echter. Doch diese Echtheit hat kein Durchkommen an diesem Abend, Henkel lässt sie nur als Ahnung einer besseren Welt durchschimmern.
Karin Henkel lässt Tschechows "Drei Schwestern" am Deutschen Theater von Männern darstellen. Das geht erstaunlich gut auf – weil die Inszenierung sich nicht für Travestie-Klischees interessiert, sondern geschickt auf Verfremdung setzt.
[...]
Die Komik, die dabei immer wieder durchbricht, kommt nicht aus dem geschlechtlichen Verwirrspiel, sondern schlicht aus den Figuren selbst – und aus der Tatsache, dass die Darsteller neben den drei Schwestern auch noch ihre jeweiligen Verehrer oder Gatten spielen. Man muss natürlich auch Schauspieler zur Verfügung haben, die dazu in der Lage sind. Henkel hat sie: Bernd Moss ist als älteste Schwester Olga mal blasiert, mal beleidigt, mal entnervt – und als Major Werschinin eine lässig skizzierte Witzfigur. Felix Goeser ist als Bruder Andrej ein wunderbar weinerlicher Jammerlappen – und als dessen Frau Natascha furchteinflößend dominant.

Michael Goldberg tapert als mittlere Schwester Mascha verloren mit einem Radio über die Bühne, auf der Suche nach besserem Empfang der Signale aus der herbeigesehnten Ferne. Als Maschas Mann Kulygin ist er dagegen ein überaus seifiger Schwätzer. Benjamin Lillie spielt von Tusenbach als ungelenken Aufdringling – und letztlich tragische Gestalt. Seiner Variante der Irina gibt er derweil etwas Entrückt-Melancholisches mit, eine zarte Kraftlosigkeit.

Angela Winkler setzt sich mit ihrer Version der Irina davon ab. Wenn sie an die Rampe tritt, beginnt die Figur zu leben, sie wird greifbarer, wärmer, konkreter, vermeintlich echter. Doch diese Echtheit hat kein Durchkommen an diesem Abend, Henkel lässt sie nur als Ahnung einer besseren Welt durchschimmern.
Berliner Morgenpost
Felix Müller, 14.11.2018
Die "Drei Schwestern" sind mit Männern besetzt. Wir sehen Bernd Moss als Olga, Michael Goldberg als Mascha und Benjamin Lillie als Irina – mal mit, mal ohne eine puppenhafte Maske. Was man als abgeschmackte Travestie belächeln könnte, erweist sich als plausible Entscheidung: Dem Stück wird die etwas platte sozialhistorische Lesart als Frauengeschichte entzogen, während es zugleich auf seinen allgemein menschlichen Gehalt geprüft wird.

[...] Es macht Spaß, Bernd Moss in der Rolle der Olga zu sehen, die mit ihrer monotonen Aufgabe im Schuldienst hadert. Zugleich schlüpft er in die Uniformjacke des gelangweilten Offiziers Werschinin. Auch Michael Goldberg als schlaksige Mascha, den wir nebenbei auch als betrogenen Ehemann Kulygin sehen, spielt souverän und nuancenreich auf der Klaviatur des Unglücks. Und Benjamin Lillie als jüngste Schwester Irina weiß schon in der ersten Szene Schutzbedürfnisse zu wecken, als er mit drei Ballons um den Hals die Bühne betritt, als stehe nicht Irinas Namenstag, sondern ihr Tod durch den Strang bevor. Felix Goeser als Bruder Andrej und Schwägerin Natascha weiß für unterhaltsame, oft lustige Momente zu sorgen – während die Ausnahmeschauspielerin Angela Winkler alle überstrahlt, die, obwohl bald 75 Jahre alt, in der Eingangs- und der Schlusssequenz den Part der jungen Irina übernimmt und diese mit einer so stillen, kraftvollen Intensität verkörpert, dass man sich nicht mehr zu atmen traut.
Die "Drei Schwestern" sind mit Männern besetzt. Wir sehen Bernd Moss als Olga, Michael Goldberg als Mascha und Benjamin Lillie als Irina – mal mit, mal ohne eine puppenhafte Maske. Was man als abgeschmackte Travestie belächeln könnte, erweist sich als plausible Entscheidung: Dem Stück wird die etwas platte sozialhistorische Lesart als Frauengeschichte entzogen, während es zugleich auf seinen allgemein menschlichen Gehalt geprüft wird.

[...] Es macht Spaß, Bernd Moss in der Rolle der Olga zu sehen, die mit ihrer monotonen Aufgabe im Schuldienst hadert. Zugleich schlüpft er in die Uniformjacke des gelangweilten Offiziers Werschinin. Auch Michael Goldberg als schlaksige Mascha, den wir nebenbei auch als betrogenen Ehemann Kulygin sehen, spielt souverän und nuancenreich auf der Klaviatur des Unglücks. Und Benjamin Lillie als jüngste Schwester Irina weiß schon in der ersten Szene Schutzbedürfnisse zu wecken, als er mit drei Ballons um den Hals die Bühne betritt, als stehe nicht Irinas Namenstag, sondern ihr Tod durch den Strang bevor. Felix Goeser als Bruder Andrej und Schwägerin Natascha weiß für unterhaltsame, oft lustige Momente zu sorgen – während die Ausnahmeschauspielerin Angela Winkler alle überstrahlt, die, obwohl bald 75 Jahre alt, in der Eingangs- und der Schlusssequenz den Part der jungen Irina übernimmt und diese mit einer so stillen, kraftvollen Intensität verkörpert, dass man sich nicht mehr zu atmen traut.
Süddeutsche Zeitung
Peter Laudenbach, 14.11.2018
Karin Henkel hat auf der großen Bühne Anton Tschechows "Drei Schwestern" einer so radikalen wie genauen Neulektüre unterzogen. [...] Starke Schauspieler, ein kluger Umgang mit literarischen Stoffen, markante Regiehandschrift und das Vertrauen darauf, dass das Publikum bereit ist, auch kompliziertere Wege mitzugehen. 
[...]
Angela Winkler ist eine Wehmuts- und Sehnsuchtsspezialistin, nichts könnte dieser erstaunlichen Schauspielerin fremder sein als die handelsübliche Theaterironie. Immer scheint sie leise vor Glück zu strahlen, als würde sie garantiert keinen Wert darauf legen, in einer entzauberten Realität anzukommen. Ihre Auftritte rahmen den Abend, was wir sehen, sind die Erinnerungen der alten Frau, die sich weigert, ihre Mädchenhaftigkeit gegen erwachsenen Wirklichkeitssinn einzutauschen. Bei jeder anderen Schauspielerin wäre das purer Kitsch, bei Angela Winkler formuliert es eine Wahrheit.
Karin Henkel hat auf der großen Bühne Anton Tschechows "Drei Schwestern" einer so radikalen wie genauen Neulektüre unterzogen. [...] Starke Schauspieler, ein kluger Umgang mit literarischen Stoffen, markante Regiehandschrift und das Vertrauen darauf, dass das Publikum bereit ist, auch kompliziertere Wege mitzugehen. 
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Angela Winkler ist eine Wehmuts- und Sehnsuchtsspezialistin, nichts könnte dieser erstaunlichen Schauspielerin fremder sein als die handelsübliche Theaterironie. Immer scheint sie leise vor Glück zu strahlen, als würde sie garantiert keinen Wert darauf legen, in einer entzauberten Realität anzukommen. Ihre Auftritte rahmen den Abend, was wir sehen, sind die Erinnerungen der alten Frau, die sich weigert, ihre Mädchenhaftigkeit gegen erwachsenen Wirklichkeitssinn einzutauschen. Bei jeder anderen Schauspielerin wäre das purer Kitsch, bei Angela Winkler formuliert es eine Wahrheit.
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Irene Bazinger, 15.11.2018
Die große Angela Winkler, diese irrlichternd magische, unzähmbar eigensinnige, souverän freie Ausnahmekünstlerin, konnte als Gast für diese Produktion gewonnen werden. Sie ist, obwohl sie als gealterte Irina nur zu Beginn und am Schluss mitwirkt, das intensiv glühende Kraftzentrum der Inszenierung. 

[...] Es sind nicht wirklich Figuren, die hier in knapp zwei Stunden von dem überzeugenden Ensemble gezeichnet werden, sondern eher  typisierte Karikaturen, die in der Regie von Karin Henkel allerdings Prägnanz und Farbe, Schlüssigkeit und Struktur haben. 

Tschechows komplexes Menschendrama verträgt selbst derlei schematisierende Charakterisierungen, zumal sie mit Sinn und Verstand, Witz und Schwung geglückt sind. Immerhin denkt sich Tusenbach das Leben der Menschen in der Zukunft "genauso wie heute", sie werden sich "vor dem Tod fürchten und nicht sterben wollen". Mit ihren Mitteln der szenischen Groteske und der existentiellen Verrückung erzählt Karin Henkel genau das – als komprimierte Oberflächenreize in anrührend-morbider Kolorierung. Und dann ist da ja noch Angela Winkler als die ältere Irina, die am Ende die Gefühle und Geschichten, die Räume und Zeiten freischwebend sicher zusammenfügt. Während ihr Tusenbach verspricht, dass all ihre Träume bald in Erfüllung gehen werden, schweift Irinas Blick angstvoll ins Leere ab – sie weiß sofort, dass nichts davon klappen wird. Angela Winkler spielt das auf eine Weise, dass darin eine ganze Welt eingeschlossen ist und Tschechows Stück die Dimension erhält, die es birgt – und die uns mit einschließt, ob wir es wollen oder nicht.
Die große Angela Winkler, diese irrlichternd magische, unzähmbar eigensinnige, souverän freie Ausnahmekünstlerin, konnte als Gast für diese Produktion gewonnen werden. Sie ist, obwohl sie als gealterte Irina nur zu Beginn und am Schluss mitwirkt, das intensiv glühende Kraftzentrum der Inszenierung. 

[...] Es sind nicht wirklich Figuren, die hier in knapp zwei Stunden von dem überzeugenden Ensemble gezeichnet werden, sondern eher  typisierte Karikaturen, die in der Regie von Karin Henkel allerdings Prägnanz und Farbe, Schlüssigkeit und Struktur haben. 

Tschechows komplexes Menschendrama verträgt selbst derlei schematisierende Charakterisierungen, zumal sie mit Sinn und Verstand, Witz und Schwung geglückt sind. Immerhin denkt sich Tusenbach das Leben der Menschen in der Zukunft "genauso wie heute", sie werden sich "vor dem Tod fürchten und nicht sterben wollen". Mit ihren Mitteln der szenischen Groteske und der existentiellen Verrückung erzählt Karin Henkel genau das – als komprimierte Oberflächenreize in anrührend-morbider Kolorierung. Und dann ist da ja noch Angela Winkler als die ältere Irina, die am Ende die Gefühle und Geschichten, die Räume und Zeiten freischwebend sicher zusammenfügt. Während ihr Tusenbach verspricht, dass all ihre Träume bald in Erfüllung gehen werden, schweift Irinas Blick angstvoll ins Leere ab – sie weiß sofort, dass nichts davon klappen wird. Angela Winkler spielt das auf eine Weise, dass darin eine ganze Welt eingeschlossen ist und Tschechows Stück die Dimension erhält, die es birgt – und die uns mit einschließt, ob wir es wollen oder nicht.
Theater heute
Franz Wille, 02.01.2019
Am Anfang steht ein Schlussbild: Auf der tiefschwarzen Drehbühne kreiselt gegen den Uhrzeigersinn das Haus der drei Generalstöchter herein, bleibt mit dem offenen Innenraum zum Publikum stehen, kippt dann schwer nach rechts, worauf ein blasser Tusenbach mit Schusswunde in der Schläfe krachend durch die Tür hereinfliegt. Er hält den alten Brummkreisel von Irinas 24. Geburtstag im Arm und gerät ansatzlos in einen kleinen Depressionsdialog mit ihrer 75-jährigen Darstellerin Angela Winkler über das Vergessen-Werden aller Zeitgenossen in 100 Jahren. Das elegische Zwiegespräch kommt allerdings wie in einer Endlos-Schleife überlaut vom Band, und die zombiehaften Schauspieler bewegen dazu nur noch ungenau ihre Lippen. Mehr Endspiel geht nicht.

Damit hat Regisseurin Karin Henkel eigentlich schon alles gesagt zu ihren Drei Schwestern: der mäßig bewegte, absturzbedrohte Stillstand am immer selben Fleck, das Feststecken in einem nicht gelebten Leben aus Wiederholungsschleifen, die tiefe Existenzausweglosigkeit. Was folgt, ist eine knapp zweistündige, so beeindruckend konsequente wie erschreckend beinharte Exekution dieses Regiekonzepts.

Damit sich gar nicht erst atmosphärisch befeuerte komplexe Einfühlungsszenarien entwickeln können, ist Tschechows Figurenpanorama auf acht Kernfiguren zusammengestrichen, die von fünf Schauspieler*innen zum Teil crossgegendert verwaltet werden. [...]

Die Zusammenlegungen der Figuren erledigen nicht nur die meisten der ausgesprochen-unausgesprochenen Konflikte, sondern falten alle Liebes- und Lebenskatastrophen sauber in abgeschlossene Einsamkeitsmonaden unterschiedlichen Temperaments zusammen. Die trocken-müde Variante bei Bernd Moss, eher hysterisch-auffahrend Michael Goldberg, dazu jugendlich-elegisch Benjamin Lillie. Felix Goeser sucht mit Glatze, Haarkranz und fett auswattiert die grotesk-komödiantischen Töne. Ihnen allen hat Nina von Mechow ein zusammengestückeltes Zuhause aus improvisiertem Landhausausbau und stehengebliebener 70er-Jahre-Moderne entworfen, über dessen graue Wände Voxi Bärenklau (Licht und Video) gelegentlich unscharfe Schraffur- und Schatten-Projektionen scheinen lässt: verblichen zu Lebzeiten.

Die entsprechend hochkondensierte Textfassung hat fast alles Tschechowsche Dialogmäandern ausgemerzt und konzentriert sich auf die schönsten Vergeblichkeitsstellen aus Zukunftsangst, Gegenwartsverdruss, Sinnverlust und Liebesunmöglichkeit. [...] Man kann solche Gesellschaftsdiagnose als Beschreibung eines Problems lesen – und an ihr zugleich das Problem selbst sehen: zirkuläre, in sich abgeschlossene Meinungs- und Gefühlswelten des strengen Unglücks, kompromisslos vorgetragen und luftdicht verpackt.
Am Anfang steht ein Schlussbild: Auf der tiefschwarzen Drehbühne kreiselt gegen den Uhrzeigersinn das Haus der drei Generalstöchter herein, bleibt mit dem offenen Innenraum zum Publikum stehen, kippt dann schwer nach rechts, worauf ein blasser Tusenbach mit Schusswunde in der Schläfe krachend durch die Tür hereinfliegt. Er hält den alten Brummkreisel von Irinas 24. Geburtstag im Arm und gerät ansatzlos in einen kleinen Depressionsdialog mit ihrer 75-jährigen Darstellerin Angela Winkler über das Vergessen-Werden aller Zeitgenossen in 100 Jahren. Das elegische Zwiegespräch kommt allerdings wie in einer Endlos-Schleife überlaut vom Band, und die zombiehaften Schauspieler bewegen dazu nur noch ungenau ihre Lippen. Mehr Endspiel geht nicht.

Damit hat Regisseurin Karin Henkel eigentlich schon alles gesagt zu ihren Drei Schwestern: der mäßig bewegte, absturzbedrohte Stillstand am immer selben Fleck, das Feststecken in einem nicht gelebten Leben aus Wiederholungsschleifen, die tiefe Existenzausweglosigkeit. Was folgt, ist eine knapp zweistündige, so beeindruckend konsequente wie erschreckend beinharte Exekution dieses Regiekonzepts.

Damit sich gar nicht erst atmosphärisch befeuerte komplexe Einfühlungsszenarien entwickeln können, ist Tschechows Figurenpanorama auf acht Kernfiguren zusammengestrichen, die von fünf Schauspieler*innen zum Teil crossgegendert verwaltet werden. [...]

Die Zusammenlegungen der Figuren erledigen nicht nur die meisten der ausgesprochen-unausgesprochenen Konflikte, sondern falten alle Liebes- und Lebenskatastrophen sauber in abgeschlossene Einsamkeitsmonaden unterschiedlichen Temperaments zusammen. Die trocken-müde Variante bei Bernd Moss, eher hysterisch-auffahrend Michael Goldberg, dazu jugendlich-elegisch Benjamin Lillie. Felix Goeser sucht mit Glatze, Haarkranz und fett auswattiert die grotesk-komödiantischen Töne. Ihnen allen hat Nina von Mechow ein zusammengestückeltes Zuhause aus improvisiertem Landhausausbau und stehengebliebener 70er-Jahre-Moderne entworfen, über dessen graue Wände Voxi Bärenklau (Licht und Video) gelegentlich unscharfe Schraffur- und Schatten-Projektionen scheinen lässt: verblichen zu Lebzeiten.

Die entsprechend hochkondensierte Textfassung hat fast alles Tschechowsche Dialogmäandern ausgemerzt und konzentriert sich auf die schönsten Vergeblichkeitsstellen aus Zukunftsangst, Gegenwartsverdruss, Sinnverlust und Liebesunmöglichkeit. [...] Man kann solche Gesellschaftsdiagnose als Beschreibung eines Problems lesen – und an ihr zugleich das Problem selbst sehen: zirkuläre, in sich abgeschlossene Meinungs- und Gefühlswelten des strengen Unglücks, kompromisslos vorgetragen und luftdicht verpackt.

Außerdem im Spielplan

Mit englischen Übertiteln

Forever Yin Forever Young

Die Welt des Funny van Dannen
Regie: Tom Kühnel und Jürgen Kuttner
Kammer
19.30 - 22.10
Ausverkauft
Evtl. Restkarten an der Abendkasse