Ein Käfig ging einen Vogel suchen

von Franz Kafka
Regie / Bühne Andreas Kriegenburg
Dramaturgie Juliane Koepp
Premiere am 13. Februar 2016
Elias Arens
Laura Goldfarb
Moritz Grove
Bernd Moss
Jörg Pose
Nele Rosetz
Natali Seelig
Lisa Quarg
nachtkritik.de
Michael Wolf, 14.02.2016
Blumfeld und Co. leben nur hypothetisch, sind besorgte Bürger, die ihre Bedenken so eng um die Hälse geschlungen tragen wie die Krawatten, in denen sie sich verheddern. Nur an dieser einen Stelle treten sie als Gruppe auf, um sich zu fünft gegen einen sechsten zu verbünden: 'Wir fünf haben zwar früher einander auch nicht gekannt, und wenn man will, kennen wir einander auch jetzt nicht, aber was bei uns fünf möglich ist und geduldet wird, ist bei jenem sechsten nicht möglich und wird nicht geduldet.' (...) So ist das deutsche Haus gebaut, in dem sich Loriot und Kubrick, Spießertum und Horror um eine zweifelnde oder besser verzweifelte Seele streiten. German Angst steht auf dem Klingelschild, schließlich werden Messer gewetzt. Etwas Gelassenheit, Zuversicht, Vertrauen, als Aus-, als Mittelweg scheinen unmöglich. Blumfeld und Co. werden niemals zur Ruhe kommen. Zwischen Sense und Topfpflanze ist kein Platz mehr auf dem Spitzendeckchen. Ihre einzige Rettung besteht in unablässigen Erwägungen, was wäre wenn – ein Schutzwall im Konjunktiv, aufgetürmt, um sie vor der Zukunft zu bewahren. Gibt es eine treffendere Beschreibung für ein Land, das seiner eigenen Gastfreundschaft so lange misstraut hat, bis es seiner Skepsis endlich recht geben durfte? "Blumfeld und Co. leben nur hypothetisch, sind besorgte Bürger, die ihre Bedenken so eng um die Hälse geschlungen tragen wie die Krawatten, in denen sie sich verheddern. Nur an dieser einen Stelle treten sie als Gruppe auf, um sich zu fünft gegen einen sechsten zu verbünden: 'Wir fünf haben zwar früher einander auch nicht gekannt, und wenn man will, kennen wir einander auch jetzt nicht, aber was bei uns fünf möglich ist und geduldet wird, ist bei jenem sechsten nicht möglich und wird nicht geduldet.' (...) So ist das deutsche Haus gebaut, in dem sich Loriot und Kubrick, Spießertum und Horror um eine zweifelnde oder besser verzweifelte Seele streiten. German Angst steht auf dem Klingelschild, schließlich werden Messer gewetzt. Etwas Gelassenheit, Zuversicht, Vertrauen, als Aus-, als Mittelweg scheinen unmöglich. Blumfeld und Co. werden niemals zur Ruhe kommen. Zwischen Sense und Topfpflanze ist kein Platz mehr auf dem Spitzendeckchen. Ihre einzige Rettung besteht in unablässigen Erwägungen, was wäre wenn – ein Schutzwall im Konjunktiv, aufgetürmt, um sie vor der Zukunft zu bewahren. Gibt es eine treffendere Beschreibung für ein Land, das seiner eigenen Gastfreundschaft so lange misstraut hat, bis es seiner Skepsis endlich recht geben durfte?"
Berliner Zeitung
Ulrich Seidler, 15.02.2016
Vier hingewürfelte, nahezu identisch eingerichtete Wohnzellen hat scheinbar der Zufall so aufgestapelt, dass sie das Bühnenportal ausfüllen. (...) Die Ecken der schiefen Schachteln stoßen ineinander, die durchborstenen Wände bilden keine rechten Winkel, alles ist perspektisch verschoben, einen Fluchtpunkt gibt es nicht. Hier in diesem windig-hermetischen Gebilde, das alles Außen abhalten soll, haben sich die kleinbürgerlichen Junggesellen eingenistet, die Franz Kafka in seinem Werk stellt. (...)
Mögen diese angstverkniffenen Abziehbilder in ihren so lächerlichen wie ohnmächtigen Abwehrverrenkungen zum Lachen reizen - sie sind natürlich keinen Deut schlechter als wir, vielleicht ein bisschen virtuoser im ungeschickten Umgang mit ihren Angst-, Chaos- und Unheil-Bewältigungsstrategien. Und ganz so ungemütlich oder gar langweilig scheint es in diesem vielfachverspiegelten, ausweglosen, einsamen Höllenstapel nun auch wieder nicht zu sein. Zumindest zugucken mach Spaß, wie man auch an dem großen Schlussjubel erkennen konnte.
"Vier hingewürfelte, nahezu identisch eingerichtete Wohnzellen hat scheinbar der Zufall so aufgestapelt, dass sie das Bühnenportal ausfüllen. (...) Die Ecken der schiefen Schachteln stoßen ineinander, die durchborstenen Wände bilden keine rechten Winkel, alles ist perspektisch verschoben, einen Fluchtpunkt gibt es nicht. Hier in diesem windig-hermetischen Gebilde, das alles Außen abhalten soll, haben sich die kleinbürgerlichen Junggesellen eingenistet, die Franz Kafka in seinem Werk stellt. (...)
Mögen diese angstverkniffenen Abziehbilder in ihren so lächerlichen wie ohnmächtigen Abwehrverrenkungen zum Lachen reizen - sie sind natürlich keinen Deut schlechter als wir, vielleicht ein bisschen virtuoser im ungeschickten Umgang mit ihren Angst-, Chaos- und Unheil-Bewältigungsstrategien. Und ganz so ungemütlich oder gar langweilig scheint es in diesem vielfachverspiegelten, ausweglosen, einsamen Höllenstapel nun auch wieder nicht zu sein. Zumindest zugucken mach Spaß, wie man auch an dem großen Schlussjubel erkennen konnte."
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Irene Bazinger, 15.02.2016
Natali Seelig, Elias Arens, Moritz Grove, Bernd Moss und Jörg Pose bilden das Quintett der einsamen Männer, die sich morgens pedantisch an- und abends ebenso ausziehen, in der Zeitung lesen, ihr Jackett bürsten, ein bisschen Gymnastik treiben. Das sieht nie trist oder elend aus, sondern ist als eine amüsante Choreographie der Vergeblichkeit arrangiert. Kriegenburg gelingt es tatsächlich, den Texten immer wieder ihre Komik abzulauschen und diese in bizarre, im wahrsten Sinne des Wortes schräge Bilder umzusetzen. "Natali Seelig, Elias Arens, Moritz Grove, Bernd Moss und Jörg Pose bilden das Quintett der einsamen Männer, die sich morgens pedantisch an- und abends ebenso ausziehen, in der Zeitung lesen, ihr Jackett bürsten, ein bisschen Gymnastik treiben. Das sieht nie trist oder elend aus, sondern ist als eine amüsante Choreographie der Vergeblichkeit arrangiert. Kriegenburg gelingt es tatsächlich, den Texten immer wieder ihre Komik abzulauschen und diese in bizarre, im wahrsten Sinne des Wortes schräge Bilder umzusetzen."
Der Tagesspiegel
Christine Wahl, 15.02.2016
Andreas Kriegenburg und Dramaturgin Juliane Koepp holen aus den Kafka-Erzählungen aus dem frühen 20. Jahrhundert tatsächlich ein tagesaktuelles Pegidisten-Porträt heraus. Als besonders cleverer Schachzug erweist sich dabei die Engführung der berühmten, vielschichtig ausdeutbaren (und wie viele Kafka-Texte unvollendet gebliebenen) Erzählung „Der Bau“ mit der Situation des zwanghaft-rückzugswilligen Blumfeld. 'Der Bau' beschreibt aus der Sicht eines Tieres – Kafka benutzte die Kapitel über den Dachs und über den Maulwurf aus 'Brehms Tierleben' als Vorlage – die unendliche Perfektionierungsarbeit an der ultimativen, allseits gesicherten, quasi wasserdicht gegen sämtliche potenziellen Eindringlinge und Einflüsse abgeschotteten Höhle. "Andreas Kriegenburg und Dramaturgin Juliane Koepp holen aus den Kafka-Erzählungen aus dem frühen 20. Jahrhundert tatsächlich ein tagesaktuelles Pegidisten-Porträt heraus. Als besonders cleverer Schachzug erweist sich dabei die Engführung der berühmten, vielschichtig ausdeutbaren (und wie viele Kafka-Texte unvollendet gebliebenen) Erzählung „Der Bau“ mit der Situation des zwanghaft-rückzugswilligen Blumfeld. 'Der Bau' beschreibt aus der Sicht eines Tieres – Kafka benutzte die Kapitel über den Dachs und über den Maulwurf aus 'Brehms Tierleben' als Vorlage – die unendliche Perfektionierungsarbeit an der ultimativen, allseits gesicherten, quasi wasserdicht gegen sämtliche potenziellen Eindringlinge und Einflüsse abgeschotteten Höhle."
taz
Katharina Granzin, 15.02.2016
Es ist ein textintensiver Theaterabend, der den Darstellern auch physisch viel abverlangt. Für die Zuschauer ist es nicht annähernd so anstrengend, ganz im Gegenteil. Selten wird einem die Kafka-Rezeption so freundlich entgegengetragen. (...)
Das alles ist so temporeich und voll Witz umgesetzt, dass man erst einmal damit beschäftigt ist, sich nach Kräften zu amüsieren. (...) Die gewisse paranoide Grundgestimmtheit von Kafkas Prosa wird immer deutlicher und kulminiert in einer Szene von 'Der Bau', in welcher alle grauen Männer in einer Pose erstarren, die im Kino bedeuten würde, dass jetzt das große Meucheln beginnt. Aber so weit kommt es bei Kafka sowieso nie. Das Schreckliche liegt in der Vorahnung; in seiner unbeirrbaren Konsequenz ist das gleichzeitig auch bedrohlich komisch.
"Es ist ein textintensiver Theaterabend, der den Darstellern auch physisch viel abverlangt. Für die Zuschauer ist es nicht annähernd so anstrengend, ganz im Gegenteil. Selten wird einem die Kafka-Rezeption so freundlich entgegengetragen. (...)
Das alles ist so temporeich und voll Witz umgesetzt, dass man erst einmal damit beschäftigt ist, sich nach Kräften zu amüsieren. (...) Die gewisse paranoide Grundgestimmtheit von Kafkas Prosa wird immer deutlicher und kulminiert in einer Szene von 'Der Bau', in welcher alle grauen Männer in einer Pose erstarren, die im Kino bedeuten würde, dass jetzt das große Meucheln beginnt. Aber so weit kommt es bei Kafka sowieso nie. Das Schreckliche liegt in der Vorahnung; in seiner unbeirrbaren Konsequenz ist das gleichzeitig auch bedrohlich komisch."
Süddeutsche Zeitung
Peter Laudenbach, 16.02.2016
Andreas Kriegenburg hat am Deutschen Theater Berlin Texte von Franz Kafka (...) zu einem so verspielten wie irritierenden Theaterabend montiert: 'Ein Käfig ging einen Vogel suchen'. Hinter der surrealistisch-bunten Oberfläche ist diese Inszenierung ein kluger Kommentar zur Angst vieler Europäer vor den Zuwanderern und der näher rückenden Konflikte jenseits des eigenen Wohlstandsidylls. Die Wohnzimmer-Gemütlichkeit der möblierten Herren kippt in die Paranoia und wird aggressiv gegenüber einem imaginären Feind. (...)
Der Ansatz, entgegen der Konjunktur tagesaktueller, gut gemeinter, szenisch und gedanklich oft hilfloser Flüchtlingsstücke im Theater auf Kafkas großräumige Bilder zu vertrauen und das mit tänzerischer Leichtigkeit zu inszenieren, ist schlüssig und faszinierend: Selten wurde auf der Bühne der Zusammenhang zwischen Wohlstandsangst und Aggression so hellsichtig, facettenreich und mit böser Komik beleuchtet.
"Andreas Kriegenburg hat am Deutschen Theater Berlin Texte von Franz Kafka (...) zu einem so verspielten wie irritierenden Theaterabend montiert: 'Ein Käfig ging einen Vogel suchen'. Hinter der surrealistisch-bunten Oberfläche ist diese Inszenierung ein kluger Kommentar zur Angst vieler Europäer vor den Zuwanderern und der näher rückenden Konflikte jenseits des eigenen Wohlstandsidylls. Die Wohnzimmer-Gemütlichkeit der möblierten Herren kippt in die Paranoia und wird aggressiv gegenüber einem imaginären Feind. (...)
Der Ansatz, entgegen der Konjunktur tagesaktueller, gut gemeinter, szenisch und gedanklich oft hilfloser Flüchtlingsstücke im Theater auf Kafkas großräumige Bilder zu vertrauen und das mit tänzerischer Leichtigkeit zu inszenieren, ist schlüssig und faszinierend: Selten wurde auf der Bühne der Zusammenhang zwischen Wohlstandsangst und Aggression so hellsichtig, facettenreich und mit böser Komik beleuchtet."

Außerdem im Spielplan

PREMIERE
von Ewald Palmetshofer nach Christopher Marlowe
Regie: Jessica Weisskirchen
anschl. Premieren-Party in der Bar
Box
19.30
Ausverkauft
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
Wiederaufnahme
Mit englischen Übertiteln
von Gotthold Ephraim Lessing
Regie: Anne Lenk
DT Bühne
19.30 - 21.25
Eine Inszenierung des DT Jung*

Nathan

nach Gotthold Ephraim Lessing
in einer Überschreibung von Joanna Praml und Dorle Trachternach
Kammer
20.00 - 21.45
Ausverkauft
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
Wiederaufnahme
von Yasmina Reza
Ein Abend von und mit Helmut Mooshammer
Regie: Friederike Drews
Raum 315 – Treffpunkt Haupteingang
20.00 - 21.00
Ausverkauft
Evtl. Restkarten an der Abendkasse