
Versetzung
von Thomas Melle
Ronald hat alles. Privat kann ihm seine Frau Kathleen wunderbare Neuigkeiten mitteilen. Und beruflich steht er kurz davor, Schütz, der in Ruhestand geht, als Direktor zu beerben. Ronald ist ein Lehrer, wie man ihn sich wünscht: authentische Respektsperson und bewunderter Kumpeltyp in einem – von den Schülern geliebt und den Kollegen gebraucht, mit Respekt bei den Eltern und Wertschätzung beim Chef. Er ist charismatisch, intelligent und redegewandt. Aber Ronald trägt ein Geheimnis in sich. Eine Krankheit, die seine Vergangenheit bestimmt hat und seine Zukunft bedroht. Und natürlich hat auch Ronald Schwächen, Neider und Gegner. Ein Beben kündigt sich an und dessen Erschütterungen versetzen Ronald urplötzlich vor das Nichts.
Nach dem autobiographischen Roman Die Welt im Rücken, in dem er vom Leben mit seiner eigenen manisch-depressiven Erkrankung erzählt, injiziert Thomas Melle das gleiche Schicksal nun der Hauptfigur von Versetzung. Auf der Projektionsfläche von Ronalds bipolarer Störung stellt er in diesem Auftragswerk für das Deutsche Theater Berlin allgemeingültige Fragen nach Zurechenbarkeit und Teilhabe, Verantwortung und Vertrauen, Erfolg und Ansehen. Wie reagiert eine von Leistungsdruck und Gesundheitswahn geprägte Gesellschaft, wenn eines ihrer Mitglieder sich für sie als scheinbar ungesund erweist? Was ist Realität und was nicht? Ist alles Wahrheit oder alles Lüge? Wo liegt die Norm? Wer sind wir? Und will man im Zweifel lieber Täter oder Opfer sein?
Nominiert für den Mülheimer Dramatikerpreis 2018
Eingeladen zum Heidelberger Stückemarkt 2018
Nach dem autobiographischen Roman Die Welt im Rücken, in dem er vom Leben mit seiner eigenen manisch-depressiven Erkrankung erzählt, injiziert Thomas Melle das gleiche Schicksal nun der Hauptfigur von Versetzung. Auf der Projektionsfläche von Ronalds bipolarer Störung stellt er in diesem Auftragswerk für das Deutsche Theater Berlin allgemeingültige Fragen nach Zurechenbarkeit und Teilhabe, Verantwortung und Vertrauen, Erfolg und Ansehen. Wie reagiert eine von Leistungsdruck und Gesundheitswahn geprägte Gesellschaft, wenn eines ihrer Mitglieder sich für sie als scheinbar ungesund erweist? Was ist Realität und was nicht? Ist alles Wahrheit oder alles Lüge? Wo liegt die Norm? Wer sind wir? Und will man im Zweifel lieber Täter oder Opfer sein?
Nominiert für den Mülheimer Dramatikerpreis 2018
Eingeladen zum Heidelberger Stückemarkt 2018
Regie Brit Bartkowiak
Bühne Johanna Pfau
Kostüme Carolin Schogs
Musik / Sounddesign Joe Masi
Chor-Einstudierung Bernd Freytag
Dramaturgie David Heiligers
Uraufführung
17. November 2017, Kammerspiele
17. November 2017, Kammerspiele
Daniel HoevelsRonald Rupp

Anja SchneiderKathleen Rupp

Helmut MooshammerSchütz

Judith HofmannInga Römmelt

Christoph FrankenFalckenstein

Linn ReusseSarah

Caner SunarLeon

Birgit UnterwegerManu Cordsen

Michael GoldbergLars Mollenhauer

Ronald Rupp
Kathleen Rupp
Schütz
Inga Römmelt
Falckenstein
Sarah
Leon
Manu Cordsen
Lars Mollenhauer
Mülheimer Theatertage
31. Mai 2018
Heidelberger Stückemarkt
24. April 2018
31. Mai 2018
Heidelberger Stückemarkt
24. April 2018
Außerdem im Spielplan
PREMIERE
Künstlerische Leitung: Sofie Hüsler, Kristina Stang
Im Anschluss Nachgespräch mit Nils Mohl, Autor von Henny & Ponger. Moderation: Annette Wostrak von LesArt
Anschließend: Premierenparty in der Bar
Anschließend: Premierenparty in der Bar
Box
19.00
Ausverkauft
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
Evtl. Restkarten an der Abendkasse
VORSTELLUNGSÄNDERUNG
Regie: Hanna Rudolph
Aufgrund eines Krankheitsfalls im Ensemble muss die heutige Vorstellung von Liebe, einfach außerirdisch von René Pollesch (Regie: René Pollesch) leider entfallen. Stattdessen zeigen wir Tagebuch eines Wahnsinnigen von Nikolai Gogol (Regie: Hanna Rudolph). Bereits gekaufte Karten für Liebe, einfach außerirdischkönnen Sie ab sofort umbuchen oder innerhalb von 14 Tagen an der Theaterkasse zurückgeben.
DT Bühne.
20:00 - 21.15
Ronald ist Lehrer an einem Gymnasium. Auffällig an ihm ist nichts, er scheint beliebt bei Schülern und Kollegen, fast schon charismatisch. Gleich am Anfang dieser Inszenierung von Brit Bartkowiak steht Ronald (erst gedämpft, dann explosiv: Daniel Hoevels) vorm Eisernen Vorhang und doziert zehn Minuten lang in eine imaginäre Klasse hinein über Schimpfworte, die auf den zurückfallen, der sie benutzt. Er spricht über unseren fließenden Begriff von Normalität. [...]
Doch dann ändert sich auch für Ronald die Realität. [...]
Seine Konkurrenten haben jetzt Munition. Ist ein psychisch Gestörter geeignet, eine Schule zu leiten? Ronalds Frau Kathleen (intensiv-weiblich: Anja Schneider) erwartet ein Kind und will nicht an Konflikte glauben. Aber sie sind da, der Druck wächst - und plötzlich ist auch die Manie wieder da. [...]
Durch Daniel Hoevels geht ein Ruck, oder eher: Es zieht sich ein Riss. Sein Ich, oder das, was es vorstellte, ist zerbrochen. Dieses Zerbrechen hat Melle mit der Präzision eines Betroffenen protokolliert. Ronald hört plötzlich Sätze, die nicht gesagt wurden, aber hätten gesagt werden können. Ronald ist von einer irritierenden Hellhörigkeit ergriffen. In seinem Mund bilden sich - fast ohne sein Zutun - Wortassoziationsketten, die explosionsartig aus ihm herausschießen. Die eigene Geschichte, die Thomas Melle in seinem Roman Die Welt im Rücken erzählte, ist der Hintergrund dieses Auftragswerks für das Deutsche Theater. Die einer falsch gehenden inneren Uhr, einer manisch-depressiven Erkrankung, auch bipolare Störung genannt. Während die Depression als Melancholie die Welt im Dunkel-Licht zeigt, zucken durch die Manie lauter grelle Lichtblitze. [...]
Ronald ist Lehrer an einem Gymnasium. Auffällig an ihm ist nichts, er scheint beliebt bei Schülern und Kollegen, fast schon charismatisch. Gleich am Anfang dieser Inszenierung von Brit Bartkowiak steht Ronald (erst gedämpft, dann explosiv: Daniel Hoevels) vorm Eisernen Vorhang und doziert zehn Minuten lang in eine imaginäre Klasse hinein über Schimpfworte, die auf den zurückfallen, der sie benutzt. Er spricht über unseren fließenden Begriff von Normalität. [...]
Doch dann ändert sich auch für Ronald die Realität. [...]
Seine Konkurrenten haben jetzt Munition. Ist ein psychisch Gestörter geeignet, eine Schule zu leiten? Ronalds Frau Kathleen (intensiv-weiblich: Anja Schneider) erwartet ein Kind und will nicht an Konflikte glauben. Aber sie sind da, der Druck wächst - und plötzlich ist auch die Manie wieder da. [...]
Durch Daniel Hoevels geht ein Ruck, oder eher: Es zieht sich ein Riss. Sein Ich, oder das, was es vorstellte, ist zerbrochen. Dieses Zerbrechen hat Melle mit der Präzision eines Betroffenen protokolliert. Ronald hört plötzlich Sätze, die nicht gesagt wurden, aber hätten gesagt werden können. Ronald ist von einer irritierenden Hellhörigkeit ergriffen. In seinem Mund bilden sich - fast ohne sein Zutun - Wortassoziationsketten, die explosionsartig aus ihm herausschießen.
Wie zu erwarten, zerbricht Ronald Rupp an all dem, wird paranoid und rasend. Wie sich Daniel Hoevels in dessen zunehmende Manie reinsteigert, körperlich rastlos die Melleschen Sprachexzesse durchsteht, verdient höchste Anerkennung. [...] Brit Bartkowiak inszeniert nah am Text, der das auch verdient hat mit seiner fast Wittgenstein’schen Bedeutungssuche ("Die Welt ist das Wort, mehr nicht.") Ronald Rupp: Schon der Name ist ein kleines Sprachspiel, so wie das gesamte als Drama überschriebene Stück vor Wortkaskaden schäumt. Knackige, teils gereimte und überwiegend abgehackte Dialoge wechseln mit philosophischen, kontemplativen Monologen über kosmische Daseinszufälle – so wird Sprache gekonnt zum Spiegelbild einer inneren Welt völliger Zerrissenheit der Hauptfigur: Ronald Rupp ist bipolar wie auch der Stückautor Thomas Melle. Seine Lebenswirklichkeit besteht nur in Extremen. [...]
Wie zu erwarten, zerbricht Ronald Rupp an all dem, wird paranoid und rasend. Wie sich Daniel Hoevels in dessen zunehmende Manie reinsteigert, körperlich rastlos die Melleschen Sprachexzesse durchsteht, verdient höchste Anerkennung. [...] Brit Bartkowiak inszeniert nah am Text, der das auch verdient hat mit seiner fast Wittgenstein’schen Bedeutungssuche ("Die Welt ist das Wort, mehr nicht.")
Die Krankheit bezieht Melle intelligent in das Stück ein, indem er seinen traurigen Helden Sätze missverstehen lässt, später kann er nur noch in Versen und Sonetten sprechen, das kommt dicht und verstörend daher – und absolut schonungslos. Ein Mensch im freien Fall. Die smarte Regisseurin Brit Bartkowiak, die Rupp mit Gespür für Spannung und zwischenmenschlich komplizierte Situationen durch ein Labyrinth aus Elternrat (Michael Golberg) und irre Schülermutter (Birgit Unterweger) schickt, inszeniert den Fall des Rupp mit einer gehörigen Portion Dramatik (in weiteren Rollen: Helmut Mooshammer, Judith Hofmann, Christoph Franken, Linn Reusse, Caner Sunar).
Die Krankheit bezieht Melle intelligent in das Stück ein, indem er seinen traurigen Helden Sätze missverstehen lässt, später kann er nur noch in Versen und Sonetten sprechen, das kommt dicht und verstörend daher – und absolut schonungslos. Ein Mensch im freien Fall.
Im Stück "Versetzung" des Schriftstellers und Dramatikers Thomas Melle ist es der Lehrer Ronald Rupp, der in Erklärungsnot gerät und seinem schulischen Umfeld die homöopathische Version der Hölle verabreichen soll. Der Pädagoge, den Daniel Hoevels als ehrlich engagierten Humanisten im Rollkragenpullover gibt, setzt eingangs seiner Klasse in gestochenen Worten den Irrsinn des Schmähworts "Opfer" auseinander: "Es liegt dem ein Denken zugrunde, das die allgemeine Unterdrückung nicht nur annimmt, sondern sogar feiert". Nicht lange, und Ronald findet sich selbst als Opfer wieder. [...]
"Wir sind Kippfiguren", erklärt der Lehrer einmal. Auch die Bühne von Johanna Pfau ist eine Kippfläche, eine mit blauem Teppich ausgekleidete Weltscheibe mit Aquarium, die am Ende zur Rutschbahn hochfährt. Ein schlüssiges Bild. Überhaupt: Eine schlüssige, stringente Inszenierung von Brit Bartkowiak, die Melles immer wieder theoretisch überschießender Figuren-Rede einen glasklaren Ton verpasst.
Was ist Wahrheit, was ist Lüge? Was ist gesund, was ist krank? Was Realität, was Illusion? An diesen Fragen entlang bewegen sich Stück und Regie. Der Schauplatz Schule als Ort, wo Werte vermittelt und Menschen zum Funktionieren geformt werden sollen, ergibt dabei absolut Sinn. Hier hat Michael Goldberg einen tollen Auftritt als irrlichternder Impfgegner und machtbewusster Vater des Problemschülers Leon. Hier schneit Birgt Unterweger als befremdend distanzlose Mutter und möglicherweise ehemalige Affäre von Ronald Rupp herein.
Wie sich dem die Welt auflöst, das erzählt Melle mit beklemmender Unaufhaltsamkeit und einem ganz eigenen, von schmerzhafter Erfahrung befeuerten Humor. Daniel Hoevels hat als Rupp furiose Szenen. Etwa, wenn er sich in einen hyperventilierenden Vortrag über Shakespeares Sonette schraubt. Oder wenn er sich schlussendlich im Reime-Duell mit einem tragischen Paranoia-Chor wiederfindet. Wie sich eine bipolare Störung anfühlt? Mal himmelhochjauchzend, mal zu Tode betrübt, wie man's eben kennt aus der gemütsschweren Lyrik oder der Stimmungs-Achterbahn des eigenen Alltags? Nein, sagt Ronald. Es ist extremer. [...]
Im Stück "Versetzung" des Schriftstellers und Dramatikers Thomas Melle ist es der Lehrer Ronald Rupp, der in Erklärungsnot gerät und seinem schulischen Umfeld die homöopathische Version der Hölle verabreichen soll. Der Pädagoge, den Daniel Hoevels als ehrlich engagierten Humanisten im Rollkragenpullover gibt, setzt eingangs seiner Klasse in gestochenen Worten den Irrsinn des Schmähworts "Opfer" auseinander: "Es liegt dem ein Denken zugrunde, das die allgemeine Unterdrückung nicht nur annimmt, sondern sogar feiert". Nicht lange, und Ronald findet sich selbst als Opfer wieder. [...]
"Wir sind Kippfiguren", erklärt der Lehrer einmal. Auch die Bühne von Johanna Pfau ist eine Kippfläche, eine mit blauem Teppich ausgekleidete Weltscheibe mit Aquarium, die am Ende zur Rutschbahn hochfährt. Ein schlüssiges Bild. Überhaupt: Eine schlüssige, stringente Inszenierung von Brit Bartkowiak, die Melles immer wieder theoretisch überschießender Figuren-Rede einen glasklaren Ton verpasst.
Was ist Wahrheit, was ist Lüge? Was ist gesund, was ist krank? Was Realität, was Illusion? An diesen Fragen entlang bewegen sich Stück und Regie. Der Schauplatz Schule als Ort, wo Werte vermittelt und Menschen zum Funktionieren geformt werden sollen, ergibt dabei absolut Sinn. Hier hat Michael Goldberg einen tollen Auftritt als irrlichternder Impfgegner und machtbewusster Vater des Problemschülers Leon. Hier schneit Birgt Unterweger als befremdend distanzlose Mutter und möglicherweise ehemalige Affäre von Ronald Rupp herein.
Wie sich dem die Welt auflöst, das erzählt Melle mit beklemmender Unaufhaltsamkeit und einem ganz eigenen, von schmerzhafter Erfahrung befeuerten Humor. Daniel Hoevels hat als Rupp furiose Szenen. Etwa, wenn er sich in einen hyperventilierenden Vortrag über Shakespeares Sonette schraubt. Oder wenn er sich schlussendlich im Reime-Duell mit einem tragischen Paranoia-Chor wiederfindet.
In dem Stück "Versetzung", das Regisseurin Brit Bartkowiak als Uraufführung in den Kammerspielen des Deutschen Theaters inszenierte, werden wir Zeuge, wie einem die Welt zerspringt. Geschrieben wurde der Text von Thomas Melle. Der weiß, wie sich das anfühlt. In seinem an allen Nerven rüttelnden Buch "Die Welt im Rücken" beschrieb er seine eigene manisch-depressive Erkrankung. Und wie sich der Blick auf die Welt dadurch verändert. In seinem Auftragswerk fürs Deutsche Theater nun kehrt er die Perspektive um und zeigt, wie sich der Blick der Welt auf den manisch Kranken verändert. [...]
Sehr clever lässt Melle in seinem Text offen, was Ursache, was Wirkung ist, die sich anbahnende Tragödie schwingt untergründig von Anfang an mit. Es ist ein extrem genau komponierter Text. [...]
Rupps explodierende Neuronen befeuern seinen Darsteller Daniel Hoevels zu ein paar großen Schauspielermomenten: Mit erschütternder Wucht stemmt sich sein Rupp gegen die Krankheit und hat doch keine Chance. Die Uraufführung des Stücks in den Kammerspielen des Deutschen Theaters besticht durch Klarheit und große Schauspielermomente. [...]
In dem Stück "Versetzung", das Regisseurin Brit Bartkowiak als Uraufführung in den Kammerspielen des Deutschen Theaters inszenierte, werden wir Zeuge, wie einem die Welt zerspringt. Geschrieben wurde der Text von Thomas Melle. Der weiß, wie sich das anfühlt. In seinem an allen Nerven rüttelnden Buch "Die Welt im Rücken" beschrieb er seine eigene manisch-depressive Erkrankung. Und wie sich der Blick auf die Welt dadurch verändert. In seinem Auftragswerk fürs Deutsche Theater nun kehrt er die Perspektive um und zeigt, wie sich der Blick der Welt auf den manisch Kranken verändert. [...]
Sehr clever lässt Melle in seinem Text offen, was Ursache, was Wirkung ist, die sich anbahnende Tragödie schwingt untergründig von Anfang an mit. Es ist ein extrem genau komponierter Text. [...]
Rupps explodierende Neuronen befeuern seinen Darsteller Daniel Hoevels zu ein paar großen Schauspielermomenten: Mit erschütternder Wucht stemmt sich sein Rupp gegen die Krankheit und hat doch keine Chance.
Als Unheil aber schwebt über allem, dass Ronald unter einer bipolaren Störung zu leiden hat, ein Begriff, den Melle "zu lasch" findet für die Katastrophe, die diese Krankheit bedeutet. [...] Melle greift diesen Zwiespalt von vielen Seiten an und spielt ihn durch, und er nutzt dabei geschickt und mit viel aufklärendem Humor die Vielbödigkeit des Theaters, sein willkürliches Ineinander von Sein, Schein und Deutung. In der Wirklichkeit entzieht sich dieses Ineinander der Kontrolle und Nachprüfbarkeit. Durch diese Tür kommt der Wahn und schreibt sein eigenes Drama.
Das nimmt dann seinen tragischen Verlauf, als die Krankheit in dem Stück langsam wieder Besitz von Ronald ergreift. Die Regisseurin inszeniert das mit situativer Verspieltheit und Sinn für das ausgestellte Detail. Ab welchem Moment ist Ronald nicht mehr normal? Wer würde in seiner sich zuspitzenden Lage nicht überreagieren, falsche Nuancen heraushören und Gesagtes missinterpretieren. [...]
So erschütternd die Erfahrung der Verlassenheit, des Nichtswissen- und Nichtsteilenkönnens sein mag, im Theater macht man sie gemeinsam und hat den Befund damit für einen Moment widerlegt. Heftiger, warmer Applaus. Herzumkrempelnde Uraufführung im Deutschen Theater: Thomas Melles "Versetzung". Da denkt man noch, Mönsch, das ist aber ein bisschen dicke, was Daniel Hoevels und Anja Schneider da spielen, da hätte sie die Uraufführungsregisseurin mal ein bisschen bremsen sollen – und schon ist man ertappt und seelisch tief durchgerührt. Brit Bartkowiak hat am Freitag die Uraufführung von Thomas Melles "Versetzung" in den Kammerspielen zur Premiere gebracht. [...]
Als Unheil aber schwebt über allem, dass Ronald unter einer bipolaren Störung zu leiden hat, ein Begriff, den Melle "zu lasch" findet für die Katastrophe, die diese Krankheit bedeutet. [...] Melle greift diesen Zwiespalt von vielen Seiten an und spielt ihn durch, und er nutzt dabei geschickt und mit viel aufklärendem Humor die Vielbödigkeit des Theaters, sein willkürliches Ineinander von Sein, Schein und Deutung. In der Wirklichkeit entzieht sich dieses Ineinander der Kontrolle und Nachprüfbarkeit. Durch diese Tür kommt der Wahn und schreibt sein eigenes Drama.
Das nimmt dann seinen tragischen Verlauf, als die Krankheit in dem Stück langsam wieder Besitz von Ronald ergreift. Die Regisseurin inszeniert das mit situativer Verspieltheit und Sinn für das ausgestellte Detail. Ab welchem Moment ist Ronald nicht mehr normal? Wer würde in seiner sich zuspitzenden Lage nicht überreagieren, falsche Nuancen heraushören und Gesagtes missinterpretieren. [...]
So erschütternd die Erfahrung der Verlassenheit, des Nichtswissen- und Nichtsteilenkönnens sein mag, im Theater macht man sie gemeinsam und hat den Befund damit für einen Moment widerlegt. Heftiger, warmer Applaus.
Krankheit als Metapher? In Thomas Melles Stück ist sie beides: eine Wirklichkeit und ein Bild der Unordnung, die dort, wo sie nicht ausbricht, keinesfalls abwesend ist, sondern nur im Hintergrund bleibt. Wir alle spielen Theater, so hieß es einst in der Soziologie des Rollenverhaltens. Sie bezog sich nicht nur auf jene Rollen, von denen man glaubt, sie würden einem von außen zugemutet: Lehrer, Kollegin, Direktor, Elternsprecher. Sondern auch auf Rollen, die ein Nahverhältnis beschreiben: Geliebter, Mann, Frau. Jede dieser Rollen erfordert Identifikation mit ihr, keine ist nur Zumutung, keine kommt nur von außen. Und jede erfordert zugleich einen Abstand, wenn das Individuum sich in der Rolle mitdarstellen will.
Wenn der Lehrer am Schluss des Stückes nur noch in Reimen spricht, kollabiert diese Mischung aus Identifikation und Distanz zu sich selbst. Er hört nur noch sich, und die anderen Figuren treten zu einem Chor zusammen, von dem offen bleiben kann, ob er nur in der Einbildung des Kranken existiert, als Echo einer ihrerseits in Reimen sprechenden Welt. In Berlin ist es den Schauspielern ersichtlich ein Vergnügen, unter der textnahen Regie von Brit Bartkowiak diese Typen zu geben, herausragend unter den vielen guten Helmut Mooshammer als Schuldirektor und Anja Schneider als Frau des Lehrers. [...]
Krankheit als Metapher? In Thomas Melles Stück ist sie beides: eine Wirklichkeit und ein Bild der Unordnung, die dort, wo sie nicht ausbricht, keinesfalls abwesend ist, sondern nur im Hintergrund bleibt. Wir alle spielen Theater, so hieß es einst in der Soziologie des Rollenverhaltens. Sie bezog sich nicht nur auf jene Rollen, von denen man glaubt, sie würden einem von außen zugemutet: Lehrer, Kollegin, Direktor, Elternsprecher. Sondern auch auf Rollen, die ein Nahverhältnis beschreiben: Geliebter, Mann, Frau. Jede dieser Rollen erfordert Identifikation mit ihr, keine ist nur Zumutung, keine kommt nur von außen. Und jede erfordert zugleich einen Abstand, wenn das Individuum sich in der Rolle mitdarstellen will.
Wenn der Lehrer am Schluss des Stückes nur noch in Reimen spricht, kollabiert diese Mischung aus Identifikation und Distanz zu sich selbst. Er hört nur noch sich, und die anderen Figuren treten zu einem Chor zusammen, von dem offen bleiben kann, ob er nur in der Einbildung des Kranken existiert, als Echo einer ihrerseits in Reimen sprechenden Welt.
[...]
Die Bühne besteht aus einem erhöhten Spielpodest, ein eingerahmtes blaues Quadrat, das wie eine Spiegelung des Aquariums wirkt, das auf diesem Quadrat steht. Wenn Hoevels am Ende völlig durchnässt und zerstört vor diesem Aquarium liegt wie ein herausgefallener japsender Fisch, ist das ein treffend traurig-schönes Bild. Melle verhandelt hier sowohl philosophische als auch gesellschaftliche Fragen: Kann man es verantworten, jemanden Kinder unterrichten zu lassen, bei dem die Möglichkeit besteht, dass er psychisch völlig auseinanderfällt? Und, über den pathologischen Einzelfall hinaus: Ist nicht jeder Mensch in gewissem Maße ein explosives Überraschungsei? Wie Ronald im Stück sagt: "In jedem Menschen hocken zig andere rum und lauern." Auch die Sprache wird zum Verräter. Wenn die Lehrerin, die den Posten als Direktorin letztlich bekommt, sagt: "Du warst die richtige Besetzung", dann versteht Ronald: "Jetzt kommt die richtige Versetzung." Diese Verhörer schüren Ronalds Misstrauen und befeuern die Krankheit.
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Die Bühne besteht aus einem erhöhten Spielpodest, ein eingerahmtes blaues Quadrat, das wie eine Spiegelung des Aquariums wirkt, das auf diesem Quadrat steht. Wenn Hoevels am Ende völlig durchnässt und zerstört vor diesem Aquarium liegt wie ein herausgefallener japsender Fisch, ist das ein treffend traurig-schönes Bild.
Es geht um große und kleine Pädagogik, um Wollen und Können, Können und Müssen, und über all dem wie ein imaginäres Spruchband der Titel des Stücks Versetzung.
Kennt jeder, der schon mal die Schulbank gedrückt hat, aber in diesem Fall sind gar nicht so sehr die Schüler gemeint, sondern ein Lehrer, Rupp mit Namen, Roland gerufen. Er ist das theatertaugliche Alter Ego des Autors Thomas Melle, der 2016 einen Roman vorgelegt hat (Die Welt im Rücken), in dem er von seinen Erfahrungen mit einer manisch-depressiven Störung berichtet hat, sehr differenziert, sehr in sich hineinhorchend, sehr philosophisch. [...]
Daniel Hoevels und Caner Sunar, die dieses Duo verkörpern, nimmt man den Lehrer-Schüler-Clinch durchaus ab: Der eine will den anderen pädagogisch einfangen, der andere durchschaut die humanistisch getränkte Pose (...). Dieser Leon Mollenhauer, der mit einem besessenen Vater, Impfgegner, Verschwörungstheoretiker und leider auch Elternsprecher (Michael Goldberg in ein, zwei brillanten Auftritten) geschlagen ist, hat ein Gefühl für Falsches. Aber ist er so luzide, um in die Abgründe Rupps zu blicken, seine sorgsam austarierte Balance, seine Angst vor dem nächsten Schub? "Wir sind Kippfiguren", proklamiert der Lehrer eingangs, ,"die Positionen sind ständig in Bewegung, auch wenn alles für immer festzustehen scheint."
Ein ganzes Arsenal solcher "Kippfiguren" setzt Regisseurin Brit Bartkowiak in dieser Uraufführung gegeneinander. Schütz, den Rektor, defensiv seinen beruflichen Rückzug vorbereitend und berührend verletzlich gegeben von Helmut Mooshammer. Die Schule ist die Welt im Kleinen, ein Gemeinplatz. Auf die Theaterbühne gehoben, lassen sich an ihr Widersprüche und Abgründe der Gesellschaft ausloten, mit minimalen Mitteln. Minimalistisch angelegt ist auch die Inszenierung im Kammerspiel des Deutschen Theaters Berlin. [...]
Es geht um große und kleine Pädagogik, um Wollen und Können, Können und Müssen, und über all dem wie ein imaginäres Spruchband der Titel des Stücks Versetzung.
Kennt jeder, der schon mal die Schulbank gedrückt hat, aber in diesem Fall sind gar nicht so sehr die Schüler gemeint, sondern ein Lehrer, Rupp mit Namen, Roland gerufen. Er ist das theatertaugliche Alter Ego des Autors Thomas Melle, der 2016 einen Roman vorgelegt hat (Die Welt im Rücken), in dem er von seinen Erfahrungen mit einer manisch-depressiven Störung berichtet hat, sehr differenziert, sehr in sich hineinhorchend, sehr philosophisch. [...]
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Ein ganzes Arsenal solcher "Kippfiguren" setzt Regisseurin Brit Bartkowiak in dieser Uraufführung gegeneinander. Schütz, den Rektor, defensiv seinen beruflichen Rückzug vorbereitend und berührend verletzlich gegeben von Helmut Mooshammer.