Als die Götter Menschen waren von Christoph Güthner

Bevor ich das Theaterstück von Amir Gudarzi anschaue, macht der Trailer dazu etwas mit mir.

Mit einem harten Beat, rasant geschnittenen Bildern, Tanzszenen und Farben, die das Auge in ihren Bann ziehen, nimmt es mich mit, ohne dass ich mich ihm erst mal intellektuell annähern kann. Es ist, als ob ich unversehens auf eine Tanzfläche gezogen werde und der Beat in meine Beine fährt.

Ich denke an meine erste Theatererfahrung vor mehreren Jahrzehnten: Schule erfüllt Bildungsauftrag und schleppt die Klasse bei Frühlingswetter ins dunkle Provinztheater zum Zerbrochenen Krug und in die Apologie des Sokrates. Letztere gespielt von einem für mich als Jugendlichen steinalten Mann in einem grauen Bademantel. Danach galt Theater die nächsten Jahre für mich als maximal unsexy und von den Themen, die mich umtrieben, wofür ich Feuer fangen konnte, meilenweit entfernt. All das fand ich in den Jahren danach stattdessen in der Filmkunst.

Jetzt dieser Trailer für das Theaterstück – und ich gehe gebannt in den Theatersaal. Wird das Stück bei mir die durch den Trailer geweckten Hoffnungen erfüllen? Bereits während wir Zuschauer die Sitzreihen füllen, schwebt über uns eine Wolke Bühnennebel.

Menschheitsthemen auf der Bühne

In dem Stück Als die Götter Menschen waren erzählt der aus dem Iran stammende und in Wien lebende Autor die Geschichte der Menschheit in drei Erzählsträngen. Dabei geht er von dem 4.000 Jahre alten mesopotamischen Mythos Wie die Götter die Menschen schufen als ersten Erzählstrang aus. Der Grund für die auftretenden Götter, Menschen zu erschaffen, war egoistischer Natur: Sie wollten nicht mehr arbeiten und brauchten Wesen, auf die sie das zu Erledigende abwälzen konnten. Die Götter schufen die Menschen nach ihrem Ebenbild, also sind diese nicht minder egoistisch – und machen einen Haufen Probleme.

Der zweite Erzählstrang handelt in der Jetztzeit und erzählt von einem aus Syrien stammenden, ausgebeuteten Paketboten in Wien und von einer weit unter ihrer Qualifikation bei Tesla arbeitenden Ingenieurin aus dem Iran. Während der Paketbote mit seinem kärglichen Lohn versucht, seine Mutter in Aleppo zu unterstützen und einem Freund die Flucht nach Europa zu ermöglichen, versucht die Ingenieurin einen Umweltskandal bei ihrem Arbeitgeber aufzudecken und wird Opfer eines Unfalls (?) mit Säure.

Der dritte Erzählstrang liegt weit in der Zukunft auf dem Mars, wohin Elon Musk mit einem Raumschiff gleich der Arche eine Gruppe Menschen gerettet hat, weit weg von der in Chaos und Wassermassen untergehenden Welt. Musk führt diese Marskolonie gottähnlich an, die Hauptstadt heißt, wie könnte es anders sein: Tesla.

Allein eine junge Frau, nicht zufälligerweise mit dem Namen Eva, strebt nach Erkenntnis und sammelt jede Information, die sie über das Leben auf der früheren Erde finden kann, um sich ein eigenes Bild davon zu machen; eines, das sich von Elon Musks Version der Geschichte unterscheidet. Der Apfel vom Baum der Erkenntnis wird in dem Stück von einem Datenstick voll mit Filmen und Dateien über das untergegangene Leben auf der früheren Erde ersetzt, den Eva von ihrer Großmutter kurz vor deren Tod erhalten hat. Anhand der Filme versucht Eva nun, das vergangene Verhalten der Menschen auf der Erde zu enträtseln. Das nutzt der Autor genüsslich, um uns Zuschauern den Spiegel vorzuhalten.

Düsteres Urteil, überwältigender Effekt

In dem Stück verhandelt der Autor nichts weniger als die Geschichte der Menschheit und die Realitäten, von denen unsere Nachrichten voll sind. Er offeriert dabei keine Lösung, Happy End oder auch nur einen einzigen hoffnungsvollen Ansatz. Sein Urteil über die Menschheit ist düster. Die Schicksale der Protagonisten in der Jetztzeit, des Paketboten und der Ingenieurin, werden dem Zuschauer eindrücklich vor Augen geführt. Der Zuschauer leidet mit diesen Menschen, die mitten unter uns leben, und er bekommt eine Ahnung hinsichtlich deren Aussichts- und Hoffnungslosigkeit.

Die Stärke des Stücks ist die Vielfältigkeit und Aktualität der Themen, die der Autor auf die Zuschauer einprasseln lässt. Das Verlesen der Übersetzung des letzten Briefs des vom iranischen Regime hingerichteten Mohammad Hosseini in dem Stück ist überwältigend.

Die Anzahl der Themen hätte für mindestens zehn Theaterstücke gereicht. Ob dabei dann alles geglückt ist, ist nicht wichtig: Bei der Fülle der Bilder und Themen ist es gar nicht möglich, dass für jeden Zuschauer alles stimmig ist. Vielleicht war die Musik zu leise und die Sitze im Saal hätten beben müssen. Vielleicht waren die Götter ein bisschen zu zottelig und schräg dargestellt. Egal, bei der Fülle gibt es genug, was den Einzelnen vollauf beschäftigt.

Gudarzi verhandelt die Natur, Geschichte und Zukunft des Menschen, die Ohnmacht desselbigen, seine Lebensumstände zu verändern, weitere Themen sind die wirtschaftliche Ausbeutung, Religion, Verlust des Glaubens, das Leiden der Menschen unter brutalen Diktatoren, der Herrschaft des Geldes, das Auseinandergerissen werden von Familien, die Zerstörung von Biografien, die Konsumgesellschaft, die Rücksichtslosigkeit der Menschen, Umweltverbrechen und die Zerstörung der Lebensgrundlage auf unserem Planeten thematisiert.

Showdown an der eigenen Haustür

Das sind Themen, die bei mir Feuer fangen. Gleichzeitig ist der Beat, der Nebel und das farbige Licht, zu dem die Götter durch das Stück tanzen genau die Atmosphäre, zu der wir in unserer Lebenslust durch die Szeneclubs tanzen.

Sowohl mit dieser Lebenslust als auch mit den Themen holt das Theater mit diesem Stück uns dort ab, wo wir sind. Und damit hebt es sich positiv im Vergleich zu meiner ersten Theatererfahrung ab. Aus uns bricht Lebenslust, gleichzeitig sehen wir durch die Nachrichten bestens unterrichtet die Welt zugrunde gehen und geben uns keiner Hoffnung hin. Durch das Stück schafft es der Autor, dass uns dem gewahr werden.

Mit der Frage, was wir daraus machen, schickt uns der Autor ins Foyer und schlussendlich wieder nachhause in unsere Lebensrealität. Momentan habe ich noch zwei Bestellungen bei Amazon offen. Bereits morgen oder kommende Woche stehe ich Auge in Auge mit einem Paketboten.

Sobald dieser klingelt, geht das Stück weiter.