Iphighenie bei America's Got Talent von Violetta Zwick

Da steht Iphigenie, wie eine lebende Statue im giftgrünen Neoprenanzug, auf einem Säulen-Sockel, inmitten des Publikums. Ihr gegenüber, auf der Bühne sitzen fünf, in klassische Römertrachten und Adiletten gekleidete und mit Lorbeerkranz geschmückte Personen, an einem langen Tisch. Sie erinnern an die Jury von America’s Got Talent; vor ihnen große, leuchtende Kreuze, von denen man jederzeit erwartet, sie würden grün oder rot aufleuchten und Iphigenie in die nächste Runde- oder rauswählen. Im Hintergrund spielt eine Band. Die Jury arbeitet sich die nächste halbe Stunde, die gelben Reclams schwingend, an der Statue ab. Sie sind dabei Goethe, sind Thoas (der König von Tauris) sind alle (meist männlichen) Figuren, die Iphigenie durch ihr eigenes Machtinteresse bestimmt haben. Sie sind die Literaten und Theaterschaffende, karikativ überzogenen Intellektuelle, die Iphigenie interpretieren. Wenn ein Band-Mitglied einmal interveniert mit: „Ich hier nicht mehr mit. Ich komm hier seit Jahrhunderten und Jahrtausenden nicht mehr mit!“, dann spricht er, glaube ich, für ein Großteil des Publikums.

Viele Fragen und keine Antworten

Die Fragen der Intellektuellen sind existenziell: Wo stand Iphigenie? Wann war sie? Wer war sie? Wer war sie nicht? Die Frage des „Wo’s“ bringt die Sonnenbrillen-tragende-Jury nach Griechenland, begleitet von dem bekannten Schlager Griechischer Wein. Für die Frage „Wann“ wird eine Zahl in den Raum geworfen – und gleich darauf verworfen. Antworten werden nicht gefunden. Immer wenn sie denken, sie sind ein Stückchen näher daran eine Frage zu beantworten, merken die Intellektuellen, dass sie doch gar nichts wissen. Iphigenie, festgeschrieben von der Literatur- und Theatertradition, scheint von all den kläglichen Versuchen wenig beeindruckt. Genervt schaut sie ins Publikum, löst sich schließlich aus ihrer Pose und fängt an einen Burger zu essen, bis sie schließlich Britneys Hit me baby one more time zum Besten gibt. Sie scheint die Zuschreibungen sattzuhaben  und endet mit einem Monolog über das unaufhaltsame Rollen, in das sie kommt und von dem sie niemand abhalten kann.