Anschreiben gegen Gloom and Doom von Marie Eisenmann

Ursula Le Guin stellt in der Tragetaschentheorie des Erzählens die These auf, dass die Art und Weise, wie wir uns Geschichten erzählen bestimmt, wie wir uns als Menschen und als Menschheit begreifen.

Die Geschichten über den Klimawandel enden meist in der Katastrophe. Aber wenn wir uns nur in Endzeitstimmung und Katastrophendenken wiegen, verlieren wir die Hoffnung auf eine bessere Zukunft – und damit unsere Handlungsfähigkeit.

An diesem Freitagabend, kurz vor Anpfiff des ersten Spiels der Europameisterschaft, sprechen vier Autor:innen aus vier verschiedenen Ländern über das Schreiben im Angesicht der Klimakrise: Simona Hamer aus Slowenien, Himali Kothari aus Indien, Pat To Yan aus Hongkong und Marwa Manai aus Tunesien.

Krisenmüdigkeit auf dem Vormarsch

Sie sind Teil des Podcastserie ATT On Air, in der ein Jahr lang Autor:innen aus aller Welt Geschichten über Krise und Hoffnung erzählen. Viele der Stühle vor der Bühne im Rangfoyer bleiben unbesetzt. Vielleicht weil wir alle ein wenig krisenmüde geworden sind. Schließlich ringen Nachrichten über Überflutungen neben Berichte über Kriege, ökonomische Ungleichheit, Rechtsextremismus permanent um unsere Aufmerksamkeit. Simona Hamer erzählt von einem Schreibworkshop in einer Schule. Sie habe damit gerechnet, dass alle Schüler:innen den Klimawandel thematisieren würden. Doch diese entgegneten: „Wir haben genug davon. Wir wollen über etwas anderes sprechen.“

Ins Theater gehen ist noch kein Aktivismus

Im Theater scheint das Krisenbewusstsein performativ zu bleiben. Das Inszenieren der Krise diene der Selbstbestätigung, so Marwa Manai. Menschen, die längst Bescheid wissen, adressieren andere Menschen, die längst Bescheid wissen. Und alle meinen, sie seien politisch aktiv, dabei sitzen sie nur im Theater. Selten schaffe es dieses Krisenbewusstsein von der Bühne in die alltägliche Praxis des Theatermachens.

Das zeigt auch ein Beispiel aus Slowenien. Das Nationaltheater in Ljubljana führt ein Stück auf, in dem eine Nachbarschaft gegen die Abholzung eines Baumes protestiert. Wenige Zeit später fällt dasselbe Theater einen alten Kastanienbaum wegen Renovierungsarbeiten auf dem eigenen Gelände.

Hoffnung statt Pseudo-Protest

Es muss also anders über Krisen gesprochen werden. „Wir müssen uns zurückerinnern an die heilende Funktion des Gesichtenerzählens“, sagt Simona Hamer. Geschichten sollen nicht nur aufklären, warnen und thematisieren, sondern uns auch an unser Menschsein erinnern. „Ich will, dass meine Geschichten Hoffnung bringen“, ergänzt Himali Kothari. Gerade im Theater sei Raum für unsere Menschlichkeit, so Pat To Yan, weil sich dort wirklich Menschen begegnen. Während der Autor:innenTheaterTage war die menschliche Gemeinschaft bei Stücken wie Blutstück und PEACES (Fragments of Love) besonders sichtbar.

Ursula Le Guin versteht Literatur als Tragetasche, in der Geschichten über das Menschsein durcheinanderpurzeln, als „Versuch, das zu beschreiben, was passiert, was Leute tun und fühlen, wie Menschen sich zu allem anderen in diesem riesigen Sack Befindlichen in Beziehung setzen, zu diesem Mutterleib des Universums, zu dieser Gebärmutter der Dinge, die einst kommen, und dieser Grabstätte der Dinge, die eins waren, jener unendlichen Geschichte.“ Im Angesicht der Klimakrise scheinen sich die Autor:innen einig zu sein, worauf es ankommt: „Die Hauptsache ist es, menschlich zu bleiben, Liebe und Empathie zu zeigen und Hand in Hand weiterzulernen.“