
Der zerbrochne Krug
von Heinrich von Kleist
In einer Fassung von Anne Lenk und David Heiligers.
Im Dorfe Huisum ist Gerichtstag und Richter Adam stolpert gleich am Morgen aus dem Bett und über sich selbst. Jedenfalls behauptet er das. Denn so sehr dieser Adamsfall als Metapher stimmt, ist dies tatsächlich nur die erste einer Vielzahl von Lügen, die der Richter ungeniert von sich geben wird. Der wirkliche Grund für seinen lädierten Fuß und das zerschundene Gesicht ist die Folge eines Missbrauchs, den er in der Nacht zuvor begangen hat: Die junge Eve in deren Zimmer bedrängend, wird er überrascht von ihrem Verlobten Ruprecht und verletzt sich beim flüchtenden Sprung durchs Fenster. Obendrein geht dabei ein Krug entzwei. Mit diesem zieht Eves Mutter Marthe nun vor Gericht und bezichtigt Ruprecht des nächtlichen Übergriffs. Jener widerspricht heftig, während Eve von Adam erpresst wird und schweigt. Dies alles im Beisein von Schreiber Licht, der klüger und mitwissender ist als er es zeigt, sowie unter den Augen der neuen Gerichtsrätin Walter, die zur Prüfung und Revision der Justiz angereist ist. In aller Öffentlichkeit macht Adam sich demnach selbst den Prozess, wobei sein Ziel offensichtlich ist: Ruprecht als Täter verurteilen und den Fall schnell zu den Akten legen.
Was Kleists Drama von 1811 zur Komödie macht, ist vor allem die Dreistigkeit, mit der hier vom Patriarchat Macht ausgeübt, Positionen gesichert und Verhältnisse zementiert werden. Die Wahrheit zählt dabei nicht im Geringsten; stattdessen gilt es, unverfroren und skrupellos jede Verantwortung von sich zu schieben. Gestützt von einer Gesellschaft, die scheinheilig mitspielt – stolz vor ihrem kulturellen Erbe stehend und sich vormachend, es würde sie die Gerechtigkeit interessieren.
Im Dorfe Huisum ist Gerichtstag und Richter Adam stolpert gleich am Morgen aus dem Bett und über sich selbst. Jedenfalls behauptet er das. Denn so sehr dieser Adamsfall als Metapher stimmt, ist dies tatsächlich nur die erste einer Vielzahl von Lügen, die der Richter ungeniert von sich geben wird. Der wirkliche Grund für seinen lädierten Fuß und das zerschundene Gesicht ist die Folge eines Missbrauchs, den er in der Nacht zuvor begangen hat: Die junge Eve in deren Zimmer bedrängend, wird er überrascht von ihrem Verlobten Ruprecht und verletzt sich beim flüchtenden Sprung durchs Fenster. Obendrein geht dabei ein Krug entzwei. Mit diesem zieht Eves Mutter Marthe nun vor Gericht und bezichtigt Ruprecht des nächtlichen Übergriffs. Jener widerspricht heftig, während Eve von Adam erpresst wird und schweigt. Dies alles im Beisein von Schreiber Licht, der klüger und mitwissender ist als er es zeigt, sowie unter den Augen der neuen Gerichtsrätin Walter, die zur Prüfung und Revision der Justiz angereist ist. In aller Öffentlichkeit macht Adam sich demnach selbst den Prozess, wobei sein Ziel offensichtlich ist: Ruprecht als Täter verurteilen und den Fall schnell zu den Akten legen.
Was Kleists Drama von 1811 zur Komödie macht, ist vor allem die Dreistigkeit, mit der hier vom Patriarchat Macht ausgeübt, Positionen gesichert und Verhältnisse zementiert werden. Die Wahrheit zählt dabei nicht im Geringsten; stattdessen gilt es, unverfroren und skrupellos jede Verantwortung von sich zu schieben. Gestützt von einer Gesellschaft, die scheinheilig mitspielt – stolz vor ihrem kulturellen Erbe stehend und sich vormachend, es würde sie die Gerechtigkeit interessieren.
Regie Anne Lenk
Bühne Judith Oswald
Kostüme Sibylle Wallum
Musik Lenny Mockridge
Licht Cornelia Gloth
Dramaturgie David Heiligers
Premiere
18. Dezember 2021
Deutsches Theater
Dauer: 90 Minuten, keine Pause
18. Dezember 2021
Deutsches Theater
Dauer: 90 Minuten, keine Pause
Ulrich MatthesAdam, Dorfrichter

Jeremy MockridgeLicht, Schreiber

Lorena HandschinWalter, Gerichtsrätin

Franziska MachensFrau Marthe Rull

Lisa HrdinaEve Rull, ihre Tochter

Tamer TahanRuprecht Tümpel

Julia WindischbauerFrau Brigitte

Adam, Dorfrichter
Licht, Schreiber
Walter, Gerichtsrätin
Frau Marthe Rull
Eve Rull, ihre Tochter
Ruprecht Tümpel
Frau Brigitte
Das handlungsarme Lustspiel, das 1808 bei seiner von Goethe inszenierten Weimarer Uraufführung durchfiel, bevor es zum Dauerbestseller wurde, zeigt noch in der gestrafften Fassung von der Regisseurin und David Heiligers seine bis an die Grenze der Albernheit reichende Freude an Wortspiel und Doppeldeutigkeit. Der Schwung von Kleists Jamben wird genutzt und klingt besonders schön nach, wenn die Figuren zwischendurch in melancholischen Denkpausen verharren. Bevor es zu verschwatzt werden könnte, schneidet ein Black ins Geschehen, die Farbenpracht verlischt in einem Rahmen aus weißem LED-Licht und Jazz-Rhythmen straucheln und stürzen übereinander (Musik: Lenny Mockridge).
Die Regisseurin Anne Lenk, die am Haus ihren dritten Klassiker vorlegt, nachdem sie mit Molières "Menschenfeind" und Schillers "Maria Stuart" Theatertreffeneinladungen einheimste, besetzt Walter weiblich (mit Lorena Handschin). Sie markiert so neben dem kolonialistischen Aspekt auch den feministischen und schließt umstandslos an die Debatten der Gegenwart an. Das funktioniert dann wie von selbst und ganz ohne weiteres Gebastel. [...]
Das handlungsarme Lustspiel, das 1808 bei seiner von Goethe inszenierten Weimarer Uraufführung durchfiel, bevor es zum Dauerbestseller wurde, zeigt noch in der gestrafften Fassung von der Regisseurin und David Heiligers seine bis an die Grenze der Albernheit reichende Freude an Wortspiel und Doppeldeutigkeit. Der Schwung von Kleists Jamben wird genutzt und klingt besonders schön nach, wenn die Figuren zwischendurch in melancholischen Denkpausen verharren. Bevor es zu verschwatzt werden könnte, schneidet ein Black ins Geschehen, die Farbenpracht verlischt in einem Rahmen aus weißem LED-Licht und Jazz-Rhythmen straucheln und stürzen übereinander (Musik: Lenny Mockridge).
So sind an diesem Abend einerseits starke Auftritte und konzeptionell aufgewertete Frauenrollen zu sehen – allen voran von Lisa Hrdina, die das von Adam eingeschüchterte Missbrauchsopfer Eve sehr klar und selbstbewusst spielt. Am Schluss soll denn auch in nächster Instanz dem Richter – so beschließt die Dorfgemeinschaft progressiver als bei Kleist – der Prozess gemacht werden. Andererseits steckt in diesem Abend aber auch viel durchaus traditionelle Stadttheater-Komödie.
Lenk forciert einerseits tatsächlich die große Komödie [...]. Andererseits zielt die Regisseurin auf umfassende Systemkritik, indem sie den Krug als Raubkunst thematisiert und so den kolonialen Diskurs, der bei Kleist nur am Rande anklingt, mit dem patriarchalen verknüpft – und damit in den Vordergrund ihrer Inszenierung rückt. Darauf bezieht sich auch Judith Oswalds Bühnenbild. [...]
So sind an diesem Abend einerseits starke Auftritte und konzeptionell aufgewertete Frauenrollen zu sehen – allen voran von Lisa Hrdina, die das von Adam eingeschüchterte Missbrauchsopfer Eve sehr klar und selbstbewusst spielt. Am Schluss soll denn auch in nächster Instanz dem Richter – so beschließt die Dorfgemeinschaft progressiver als bei Kleist – der Prozess gemacht werden. Andererseits steckt in diesem Abend aber auch viel durchaus traditionelle Stadttheater-Komödie.
[...] Die Inszenierung ist neunzig knackige Minuten kurz. Blacks, die den die Bühne eingrenzenden Lichtrahmen leuchten lassen, sind ein frischer, sinnlicher Übergang zur nächsten Szene und die Figurenstills, die danach für Sekunden bleiben, sind fürs Auge ein wahres Schmankerl. Denn es ist ein wenig Zeit da, die verschiedenen Orangetöne der witzig-hintergründigen Kostüme (Sibylle Wallum) zu zählen.
Regisseurin Anne Lenk schärft im Deutschen Theater den Blick für die Farce im "Zerbrochnen Krug". Die Situationskomik, die in Kleists Dialogen angelegt ist, wird mit Freude ausgespielt, aber bewusst spröde gehalten. Der Blick bleibt so frei für zwei Themenkomplexe, die Kleist schon vor über 200 Jahren im Stück verankert hatte und die das Stück mit aktuellen Diskursen verbinden: Kolonialverbrechen und Macht – in Kombination mit sexuellem Missbrauch.
[...] Die Inszenierung ist neunzig knackige Minuten kurz. Blacks, die den die Bühne eingrenzenden Lichtrahmen leuchten lassen, sind ein frischer, sinnlicher Übergang zur nächsten Szene und die Figurenstills, die danach für Sekunden bleiben, sind fürs Auge ein wahres Schmankerl. Denn es ist ein wenig Zeit da, die verschiedenen Orangetöne der witzig-hintergründigen Kostüme (Sibylle Wallum) zu zählen.
Berlin liebt Ulrich Matthes, deshalb viel Jubel und Applaus, auch von Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel im Parkett, gute Laune allenthalben.
Die muntere Inszenierung ist [...] wohltuend am Stück orientiert. Sie ist mehr unterhaltsam als kontemplativ, wobei sie sich traut, den Figuren und ihren Problemen zu folgen, ohne sie ironisch zu übermalen oder performativ aufzubrechen. Dem solcherart herausgeforderten Ensemble scheint das ziemlichen Spaß zu machen, ob Lisa Hrdina als barschem Mauerblümchen von einer Eve, die aus Erfahrung weiß, was politische Gewalt und sexueller Missbrauch bedeuten, oder ob Franziska Machens als ihre hinreißend zickige Mutter, die resolut auf ihrem Recht beharrt. Jeremy Mockridge gibt den ehrgeizig-tüchtigen Schreiber Licht, der Adams Intrigen längst durchschaut hat, wie es überdies bald Lorena Handschin als Gerichtsrätin tut. Tamer Tahan poltert eifersüchtig als Eves Verlobter Ruprecht herum, während Julia Windischbauer als die Zeugin Brigitte wie ein cleveres Power-Girlie die Spur zum wahren Krug-Zerstörer aufdeckt. [...]
Berlin liebt Ulrich Matthes, deshalb viel Jubel und Applaus, auch von Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel im Parkett, gute Laune allenthalben.
die Bühne. [...]
Mit einer klugen Umbesetzung und einem minimalen Handlungs-Twist zum Schluss verwandelt die Regisseurin die Geschichte von Machtmissbrauch und Willkür in eine Erzählung über Verantwortung und Selbstermächtigung. Gerichtsrat Walter, bei Kleist ein älterer Würdenträger, ist bei Anne Lenk eine junge Frau, die Dorfrichter Adam unaufdringlich, aber unbeugsam Paroli bietet. Statt über Adams Vergehen hinwegzugehen, bringt sie ihn gemeinsam mit der Mutter der von Adam belästigten Eve vor Gericht. Viel braucht es nicht, um inszenierend Position zu den problematischen Aspekten eines Dramenklassikers zu beziehen, ohne mit ihm zu brechen. Dann sieht man ihn auch wieder gern.
Nah am Text bleibend, analysiert sie [Anne Lenk] Personen- und Machtkonstellationen und stellt sie mit präzise choreografierter Körpersprache auf
die Bühne. [...]
Mit einer klugen Umbesetzung und einem minimalen Handlungs-Twist zum Schluss verwandelt die Regisseurin die Geschichte von Machtmissbrauch und Willkür in eine Erzählung über Verantwortung und Selbstermächtigung. Gerichtsrat Walter, bei Kleist ein älterer Würdenträger, ist bei Anne Lenk eine junge Frau, die Dorfrichter Adam unaufdringlich, aber unbeugsam Paroli bietet. Statt über Adams Vergehen hinwegzugehen, bringt sie ihn gemeinsam mit der Mutter der von Adam belästigten Eve vor Gericht. Viel braucht es nicht, um inszenierend Position zu den problematischen Aspekten eines Dramenklassikers zu beziehen, ohne mit ihm zu brechen. Dann sieht man ihn auch wieder gern.