„Nachhaltigkeit und Kunst sind kein Widerspruch!” Julia Plickat über reizarme Waschmittel, das Verhältnis von Kunstfreiheit und Nachhaltigkeit und den Weg des DT in eine emissionsfreie Zukunft.
Ohne Julia Plickat gäbe es in der Box des Deutschen Theaters wahrscheinlich kein Theater. Als künstlerische Produktionsleiterin der Box sorgt sie dafür, dass die Ausstatter:innen der verschiedenen Inszenierungen ihre Visionen umsetzen können. Denn im Gegensatz zu Produktionen, die in der Kammer und auf der DT Bühne stattfinden, gibt es in der kleinsten DT-Spielstätte keine Produktionsassistenten. Immer im Blick: die Nachhaltigkeitsregeln des ETC Green Book. Die Box ist nämlich eine Art Testlabor für das gesamte DT: Wie sehen nachhaltige Produktionen aus? Und wie müssen die Abläufe und Strukturen angepasst werden, damit die Emissionsfreiheit bis 2030 zumindest am DT kein Wunschtraum bleibt?
Liebe Julia, du bist seit Sommer 2023 als künstlerische Produktionsleitung der Box am DT und außerdem Mitglied in der Nachhaltigkeits-AG des Hauses. Wie hängt beides zusammen?
Nachhaltigkeit war zentraler Teil der Stellenbeschreibung damals, und da ist mir das Herz aufgegangen. Ich fand das so toll! Ich bin seit 20 Jahren als freischaffende Bühnen- und Kostümbildnerin tätig, und achte als Ausstatterin eigentlich schon immer darauf, bei der Umsetzung einer Bühne oder eines Kostüms immer zuerst die vorhandenen Ressourcen des Hauses zu berücksichtigen. Mit Nachhaltigkeit war ich also schon auf mannigfaltige Art konfrontiert und habe mich aber immer gefragt: Wie kann man das, was ich tue, spreaden, wie kann man andere mit dem Thema infizieren?
Wie berücksichtigst du Fragen der Nachhaltigkeit bei der Ausstattung von Stücken ganz konkret?
Als Ausstatterin plündere ich immer den Fundus: Ich frage , was so vorhanden ist, an altem Holz, an Podesten, was es an Material schon gibt. Weil ich das so wichtig finde, nicht immer alles anzufertigen. Im schlimmsten Fall wird ein neu gefertigtes Bühnenbild nur wenige Vorstellungen lang genutzt, um dann kurze Zeit darauf verschrottet zu werden. Kostüme gehen immerhin in den Fundus und kommen so zu einem zweiten oder dritten Leben, allerdings auch nicht immer. Manche versauern dann irgendwo und das war's dann.
Eine Box, unendliche Möglickheiten
In meiner Arbeit war Nachhaltigkeit also schon immer selbstverständlich. Daneben bin ich seit vielen Jahren Veganerin und scheue mich grundsätzlich Lederprodukte zu kaufen, geschweige denn diese auf die Bühne zu stellen. Deswegen ist es für mich zwingend, in den Fundus zu gehen, wenn ich z. B. Lederschuhe haben will – denn die gibt es schon, das Geld ist ausgegeben, das Tier ist tot – oder ich kaufe sie secondhand.
Ist dieser Ansatz Usus in Theaterhäusern?
Das hängt davon ab, wie gut die Häuser aufgestellt sind. Gerade was das Kostüm angeht, ist man oft verwundert gewesen, wenn ich gesagt habe: „Ich will erstmal im Fundus gucken, was ihr habt. Schuhanfertigung mache ich nicht, ich bin Veganerin und nehme 100 Prozent des Leders aus dem Bestand.”
Oft steht ja das Vorurteil im Raum, das Ergebnis könnte dann nicht so künstlerisch ansprechend sein, wie das, was dem Team vorschwebt. Mich treibt genau das an, zu zeigen, dass es geht und dass es cool ist, alte Dinge zu benutzen. Oder sie im Secondhandladen zu kaufen, umzuarbeiten oder einzufärben.
Assistierende sind für diesen Ansatz schnell zu begeistern und eine große Unterstützung sowohl bei der Umsetzung, als auch bei der grundsätzlichen Reform der Strukturen. Vieles muss in den Häusern ja erst noch entstehen, z. B. eine Liste mit allen Secondhandläden in der Stadt, eine Übersicht über den Fundus ist, inklusive Fotos. Aktuell muss man da meist selbst auf die Suche gehen.
Es ist wichtig, dass den Künster:innen klar ist, dass Nachhaltigkeit am Deutschen Theater ein absolut zentrales Element in der Arbeit ist und kein nice-to-have. – Julia Plickat, künstlerische Produktionsleitung Box
Gleichzeitig unterstützen die Häuser in der Regel solche Prozesse, weil man damit Geld sparen kann. Und so sind die Theater am Ende immer extrem glücklich darüber, dass ich mit 10-20 Prozent des Budgets auskomme. Und dann sind viele überrascht, dass das geht, ohne künstlerische Abstriche zu machen.
Seit der Spielzeit 2023/24 gelten entsprechend des ETC Green Book strengere Nachhaltigkeitsregeln für Produktionen in der Box. Du bist verantwortlich dafür, dass sie umgesetzt werden. Wie klappt das?
Da kommt es immer auf die künstlerischen Teams an: Manche sind begeistert, andere nicht, manchmal stößt man auf taube Ohren und manchmal rennt man offene Türen ein, weil die sagen: „Ich kaufe meine Sachen doch eh nur secondhand.” Wenn ich es schaffe, sie für einen nachhaltigen Zugriff auf Ressourcen zu begeistern, dann wäre das für mich schon ein Erfolg.
Wie gehst du mit tauben Ohren um?
Aktuell sind wir ja noch dabei diese Strukturen zu etablieren, also gebe ich das an die Abteilungen weiter, spreche auch mit allen Beteiligten und hoffe, dass es beim nächsten Team besser klappt. Es ist wichtig, dass den Künster:innen klar ist, dass Nachhaltigkeit am Deutschen Theater ein absolut zentrales Element in der Arbeit ist und kein nice-to-have.
Und dann ist es an einer anderen Stelle zu entscheiden, ob und wenn ja, wie eine nochmalige Zusammenarbeit aussehen kann. Muss alles neu und aus Plastik und Gummi sein, wie beim letzten Mal oder ginge es auch anders? Sanktionen gibt es aber keine.
Nachhaltige Neuerungen im DT
- Astrein: zertifiziertes Papier in allen Druckern
- Sauber: Waschmittel, das weder Hände noch Natur angreift
- Friedlich: Wohnraum für Bienen auf dem Dach
- Erfrischend: Trinkbrunnen für die Belegschaft des denkmalgeschützten Gebäudes
- In Planung: Solarpanels auf dem Dach
Das DT verpflichtet sich selbst dazu, die Nachhaltigkeitsstandards des ETC Green Book einzuhalten und dafür die nötigen nachhaltige Lösungen zu finden. Was heißt das für deinen Alltag?
Ich wusste, dass es das Green Book gibt, aber die Arbeit damit war mir neu. Total toll war, dass ich mir im Rahmen der Nachhaltigkeits-AG die Zeit nehmen konnte, jede einzelne Box-Produktion nach den Kriterien des Green Book zu evaluieren. Dabei kam heraus: In der Spielzeit 2023/24 sind von sieben Box-Produktionen nur zwei nach Green Book Standard durchgefallen, aber zwei Produktionen haben 50 von 100 Punkten erreicht, zwei sogar 75. Das ist super. Aktuell werte ich die Produktionen in der Kammer und auf der DT Bühne aus, das ist allerdings deutlich aufwändiger.
Was folgt aus den Ergebnissen dieser Selbstzertifizierung nach dem Green Book Standard?
Die Ergebnisse trage ich zurück in die Leitungsebene, dann kann dort damit weitergearbeitet werden. Die erste Evaluierung im Sommer 2024 hat, glaube ich, ganz viele Kolleg:innen motiviert, das Thema anzugehen, weil man gesehen hat: Wir stehen ja gar nicht so schlecht da, es ist keine unmögliche Aufgabe. Erst in der Box zu gucken, dort auch alle Fehler machen zu können, und von dort aus weiterzugehen: Das ist einfach eine super Strategie.
Das Green Book erleichtert es Theatern, den nachhaltigen Wandel selbst in die Hand zu nehmen. Warum hilft er euch beim Vorankommen?
Weil der gesunde Menschenverstand zu Papier gebracht worden ist, mit ganz einfachen, aufeinander aufbauenden Vorschlägen und praktischen Tipps und Leitlinien. Das Green Book nimmt wirklich jeden an die Hand, nach dem Motto: „Das und das kannst du machen, und wenn es nicht klappt, nicht schlimm, dann versuchst du es beim nächsten Mal – oder überlegst, ob es das wert ist.”
Das Green Book ist kein Pamphlet mit lauter Verboten, sondern ein Leitfaden, den man benutzen kann. Wenn man den Ratschlägen darin folgt, kommt man mit Abläufen und Orten in der Organisation, auf die man vpn sich aus gar nicht gekommen wäre. Das Buch ist positiv bestärkend!
Welche Rolle spielt dabei die Nachhaltigkeits-AG, deren Mitglied du auch bist?
Das ist richtig cool: Das Green Book ist nämlich in drei Teile aufgeteilt und jeder von uns repräsentiert einen Aspekt: Die Produktionen liegen bei mir, Torsten Bill von der Technischen Direktion ist für die baulichen Aspekte des DT zuständig und Johann Otten aus der Dramaturgie für die Abläufe. So bearbeiten wir in der AG nicht nur unsere Bereiche, sondern auch die vielen Schnittmengen im Haus und tragen dazu bei, dass sich die Abteilungen miteinander vernetzen.
Die Nachhaltigkeits-AG ist total toll, weil wir Türen aufmachen und sagen können: „Wir haben einen Vorschlag, wollen wir das nicht in Zukunft anders machen?” – Julia Plickat, künstlerische Produktionsleitung Box
Wie können wir uns eure Zusammenarbeit vorstellen?
Wir treffen uns alle 14 Tage, wenn es gerade heißer hergeht, auch wöchentlich. Johann ist der mit den Visionen, der sagt: „Wir müssten doch mal…” – und dann kann ich aus der Praxis die realistische Einschätzung aus Sicht der Produktionen liefern und Torsten seine im Bezug auf Vorschläge zum Gebäude. Ein gutes Beispiel ist die Nutzung von nachhaltigem Papier: Der Anstoß kam von Johann, das sei Vorschrift in Berlin, also müssten wir das jetzt durchsetzen. Andere sind damit schon gegen verschlossene Türen gestoßen; dabei gab es nämlich große Fragezeichen, ob denn dieses spezielle Papier für die Drucker freigegeben ist. Wir haben mit den Abteilungen des Hauses gesprochen, ermuntert, es mal auszprobieren – und plötzlich war die Sorge verschwunden.
Und dafür ist die Nachhaltigkeits-AG total toll, weil wir Türen aufmachen und sagen können: „Wir haben einen Vorschlag, wollen wir dies nicht in Zukunft anders machen?”
Von den Dingen, die ihr auf den Weg gebracht habt: Gab es Änderungen, die dich überrascht haben?
Waschmittel! Zuhause achte ich auf solche Dinge, kaufe das im Unverpacktladen und fülle es selbst ab. Hier im Haus musste ich erst einmal gucken, womit gewaschen wird, das war ein Standard-Waschmittel. Also habe ich in herumgefragt und bin darauf gestoßen, dass es eine große Unzufriedenheit gibt, weil dieses Waschmittel die Haut angreift und sich die Ankleider:innen, die permanent in der Lauge drin sind, die Hände kaputt machen. Also haben wir nach Alternativen gesucht und festgestellt, dass nachhaltige Alternativen gar nicht utopisch sein müssen. Es gab schon einen Testlauf mit einem ökologischen Waschmittel – und es ist kein Problem.
Ich merke, dass die Dinge Zeit brauchen [...] Das DT ist ein Betrieb mit einem immensen Wissensschatz, der über viele Jahre gewachsen ist. Die Herausforderung ist, diesen mit den neuen Anforderungen zu verweben. – Julia Plickat, künstlerische Produktionsleitung Box
Veränderung ist also komplexer, als man denkt?
Ich merke, dass die Dinge Zeit brauchen, das man sie nicht umschalten kann, sondern besprechen muss. Das DT ist ein Betrieb mit einem immensen Wissensschatz, der über viele Jahre gewachsen ist. Die Herausforderung ist, diesen mit den neuen Anforderungen zu verweben und auch die mitzunehmen, die aus einer anderen Tradition kommen und Zeit brauchen, sich mit Dingen auseinanderzusetzen. Ich finde, das funktioniert super!
Welche Erfolge könnt ihr noch verbuchen?
Seit dem Sommer 2024 haben wir Bienen auf dem Dach. Auch Solarpanels sind angedacht, die Planung läuft. Außerdem arbeiten wir daran, den Fuhrpark auf E-Autos umzustellen.
Anfang März 2025 haben wir außerdem unsere alten Wasserspender durch Trinkbrunnen von den Berliner Wasserwerken ersetzt, da ist gekühltes und gesprudeltes Leitungswasser drin.
Und kritisch betrachtet: Wo ging es mit der Nachhaltigkeit nicht voran?
Es gab Produktionen, da wurde die künstlerische Idee des Teams über die Nachhaltigkeit gestellt, sprich der Entwurf für Bühne und Kostüme wurde nicht mit nachhaltigen Mitteln realisiert.
Wie gewichtet man denn das, sollte Nachhaltigkeit an erster Stelle stehen?
Nein, künstlerische Freiheit und Nachhaltigkeit sind ja kein Widerspruch. Zwänge gibt es immer, sie es das Budget, die Probenzeit oder einfach der Premierentermin. Ich sehe unsere Arbeit eher als Einladung, weil wir davon ausgehen, dass Veränderung nur durch Selbsterkenntnis erfolgen kann. Theoretisch wird es auch weiterhin möglich sein, nicht nachhaltige Produktionen zu machen.
Im Idealfall wird Nachhaltigkeit aber schon mitgedacht, bevor ich etwas sagen muss. In solchen Fällen trägt das Team alle Aspekte und Konsequenzen von nachhaltigen Entscheidungen mit.
Nehmen wir das Beispiel zertifiziertes Holz: Das ist etwas teurer und geht auf das Gesamtbudget einer Produktion: Wenn der Entwurf für die Bühne abgegeben und kalkuliert ist, fehlt dieses Geld beim Kostüm. Aber das Team trägt die Entscheidung gemeinsam. Und diese gemeinsame Verantwortung macht die Arbeit auch so fruchtbar.
Was steht auf eurem To-Do-Zettel für die Zukunft?
Ich finde Kreisläufe interessant, um weniger Müll zu produzieren. Wie kann man mehr unverpackt hauswirtschaften? Kann man Großgebinde kaufen und abfüllen – und kann das große Gebinde ein Behälter sein, den man wieder zurückgeben und der neu befüllt werden kann? Das würde ich am DT gern unter die Lupe nehmen.