Ein törichtes, ein schändliches Stück
„Das ist schon ein ziemlich albernes, ein schlimmes Stück, diese Räuber, die der Schiller, unser Schiller geschrieben hat, als er 19, 20 Jahre alt war. Was passiert hier nicht alles? Da wird dem alten Grafen Moor ein fingierter Brief des Sohnes Karl vorgelegt und schon ist der alte Moor bereit und willens, den Sohn zu enterben und zu verfluchen. Kaum hat der Sohn gehört, dass er enterbt wurde, und schon gibt der Karl Moor sein bisheriges Leben auf und lässt sich zum Räuberhauptmann wählen, statt den Vater aufzusuchen und mit dem Papa ein paar vernünftige Worte zu reden. Kaum ist er bei den Räubern, schon will der Franz seinen Vater auf intelligente Weise töten, wieder mit einer fingierten Nachricht, der Sohn, der Karl Moor sei gefallen, sei umgekommen. Der Schreck, so hofft er, werde den Vater töten. Aber nein! Leider! Der Vater ist noch nicht tot, er ist nur ohnmächtig und den Ohnmächtigen, den noch Lebenden lässt Karl, die Kanaille, verfrachten, in einen Sarg unterbringen. Schrecklich! Es ist der bare Kitsch! Aber der alte Moor wird aus dem Sarg gerettet. Er kann immerhin noch eine Weile leben. Was passiert hier nicht alles! (…) Der Kitsch triumphiert, die Trivialliteratur auf Schritt und Tritt und alles, das Schlimmste, was es in der Trivialliteratur gibt, die Leute können sich gar nicht wiedererkennen. Der alte Moor kann seinen Sohn Karl nicht wiedererkennen, vielleicht ist er senil, aber die junge Amalie, die hübsche junge Frau, die Braut des Karl, er kommt verkleidet und auch sie kann ihren Bräutigam nicht wiedererkennen. Was soll dieser ganze Unsinn, das hört ja gar nicht auf. (…) Meine Damen und Herren, es ist schon ein Blödsinn sondergleichen und das Ganze begleitet von einem Geschwätz wie man es bisher noch nicht gehört hat. Der Schiller protestiert mit dem Munde Karl Moors gegen das „tintenklecksende Säkulum“ – keine schlechte Formulierung, weiß Gott! Aber er, Schiller repräsentiert doch das tintenklecksende Säkulum, er kann die Tinte doch gar nicht halten. Hier wird geschwätzt ohne Ende und geflucht. (…) Kurz: Ein Werk aus dem Bereich der Trivialliteratur, ein miserables, ein törichtes, ein schändliches Stück. Lächerlich und albern. – Aber ich muss doch gestehen, dass ich es liebe.“
Marcel Reich-Ranicki
Freiheit ruft die Vernunft, Freiheit die wilde Begierde. – Friedrich Schiller
Bereits in ihrer gefeierten Uraufführung von Rainald Goetz‘ Baracke am DT spürte die Regisseurin Claudia Bossard dem Zusammenhang von Familie und Gewalt im bürgerlichen Milieu nach. Indem sie Schillers berühmten Klassiker als mentalitätsgeschichtliches Zeitdokument liest, setzt sie ihre Auseinandersetzung mit der deutschen bürgerlichen Gesellschaft fort und ergründet das Zusammenspiel von Kunst, Ethik und Politik im Terror der Festung Familie.