Ein Tagebuch. Ein Fragment. Ein Bild, ein Abbild schaffen. von Sophia Sill

Im kleinen Raum sind Einsamkeit und Verzweiflung deutlich zu spüren.

Eine traurige Wahrheit, durch die alle – Zuschauer:innen und Spieler:innen – miteinander verbunden werden sollen.

Ein Erzähler, der an einem Pult steht und aus seinem Tagebuch vorliest. Wie in einem Fiebertraum erscheint es (es „scheint“ so, denn es soll erinnert, nicht geträumt werden).

Eine Konfrontation, die zu einem kollektiven Erlebnis führen soll. eine schwierige Aufgabe.

Die Gespenster der Vergangenheit leben in Berlin. Überall zeigt sich ihre triste Wahrheit: in den Häusern, die erbaut wurden, bevor die Bomben fielen. In den Stolpersteinen, die erinnern sollen. Eine Warnung überall. „Habt Angst“ heißt es in Wir werden diese Nacht nicht sterben. Drei Figuren nehmen darin das Publikum mit auf eine Reise in eine Realität, die nicht in Vergessenheit geraten darf. Doch „wenn ich erinnere, dann lebe ich nicht in der Gegenwart“, bemerkt der Weggefährte des Erzählers Aron. Ein Zwiespalt.

Ein kleiner Raum, eine intensive Geschichte. Ton, Licht und Videoinstallation gehen eine Verbindung ein, die überwältigt. Und das muss es bei dieser Geschichte, bei all den Geistern, die keine Ruhe finden und sich nichts sehnlicher wünschen, als gesehen und nicht vergessen zu werden. Ein berauschendes Ohnmachtsgefühl: die Lichter grell, die Videoinstallation voll farbiger Pixel, der Bass dröhnt. Und da hinein, die Überforderung des Erzählers, der in einem Land lebt, das blutige Hände hat. Doch keine Schuld soll er spüren, er soll erinnern. Er soll die gleiche Angst spüren wie seine jüdischen Großeltern. Wie soll er das leisten?

„Der Himmel aus Marmor“, so beschreibt es die Figur Aron beim Spazierengehen, doch die Stadt unter den Wolken versinkt im Zwiespalt. Kann sie eine Symbiose geben, die an die Vergangenheit erinnert, ohne zu vergessen, in der Gegenwart zu leben?

Überall Zeichen, die voll Warnung sind. Eine Bitte, diese nicht zu übersehen und diese Stadt mit ihren Geistern wahrzunehmen.

Doch es schleicht sich eine Verunsicherung ein: Wie entsteht eine Erinnerung, die nicht meine ist, die intergenerational anverleibt wird? Für diese Schwierigkeit wird kein Raum gelassen. Es wird keinen Einklang geben zwischen dem Vergangen und der Gegenwart. Wie auch. Überall in der Stadt ist der Zwiespalt spürbar. Er hat diese quälende Macht und erhält die Erinnerung, denn die Toten wünschen sich nichts mehr, als dass man sie nicht vergisst.

Das bemerkt auch der Erzähler, auf der Suche nach der jüdischen Geschichte seiner Familie, von der er nichts weiß, er selbst hat den religiösen Glauben abgelegt. Und trotzdem wird ihm bewusst, dass die Geister der Vergangenheit durch die Straßen wandern, ihre Existenz real ist. Er sucht nach Ruhe, um die Geister ziehen lassen, mit der Trauer abzuschließen. Doch vielleicht ist ein völliges Verschwinden ihrer nicht möglich. Ein Abschluss, der so nicht gewollt ist. Denn wie sonst könnte man ihren Wunsch erfüllen und erinnern? So tragen alle ihr Schicksal, werden begleitet von den eigenen Geistern und es ist kein Ende in Sicht.

Gibt es Hoffnung, obwohl die Geschichte noch keine Antwort weiß? Womöglich lässt sich keine universelle Lösung zu den erdrückenden Themen finden? Zu den Fragen wie erinnere ich, welche Erinnerungen sind es wert, erinnert zu werden? Welchen Einfluss hat die Religion? Warum gibt es keine Zeit ohne Ausrottung?

Der Erzähler findet jedenfalls keine Antwort, warum er kein Jude ist, obwohl seine Familie jüdisch ist. Wohlmöglich muss man sich damit begnügen, dass bestimmt Dinge unausgesprochen bleiben und dennoch allgegenwärtig sind – so wie die Geister.

Wie Herr T ausführt, alles ist dort, wo es sein muss. Manchmal muss man nichts Konkretes finden, um dennoch Frieden zu schließen, um in der Gegenwart leben und diese genießen zu können, ohne Schuld zu verspüren – ohne die Geister zu vergessen, sich ihrer Gegenwart bewusst zu sein und zu hoffen, dass sie an einem vollkommenen Ort sind und wissen, dass man sich an sie erinnert.

Es wird dunkel. Weißes Licht auf der Videoinstallation, der Epilog steht geschrieben.

Die Geister singen.