Everything Everywhere All At Once Ein Gespräch mit den Schauspieler:innen Katrija Lehmann, Anja Schneider und Janek Maudrich über Sparmaßnahmen, die Liebe zum Publikum und warum Humor so lebenswichtig ist. 

Ihr habt jetzt fast zwei Jahre unter der Intendanz von  Iris Laufenberg verbracht. Wie geht es euch?  

ANJA Also mir geht es sehr gut, weil ich zuletzt in der Produktion Hospital der Geister dabei sein durfte. Ein geliebter Mensch von mir war in der Vorstellung und meinte, das ist eine Machtdemonstration des Theaters. Und das meinte er komplett positiv. In der heutigen Zeit, in der man daran zweifelt, ob wir noch Zuwendungen bekommen sollten, einen Abend hinzuzaubern, der zeigt, was für Möglichkeiten wir haben, wieviel Potenzial in uns steckt und der die Leute in Scharen anzieht und sie über vier Stunden bleiben lässt – und an dem sie am Ende aufstehen vor Begeisterung, das ist toll. Dass wir das geschafft haben, dafür bin ich dankbar.

JANEK Mir geht es auch spitze. Weil ich das Privileg habe, so viele diverse Stücke spielen zu dürfen und dadurch eine gewisse Anforderungsvielfalt habe. Das Hospital ist so „everything everywhere all at once”. Das ist Genre-Hopping: Krimi, Komödie, Tragödie, Musical – Binge-Watching im Theater mit einem großen inklusiven Ensemble – das ist total geil! Ich habe gerade gesagt, mir geht es gut, andererseits geht es mir auch nicht gut, wenn ich in die Gesellschaft schaue und man sieht, dass sie sich spaltet. Dem setzt die Produktion Vertikale Wale, in der ich spiele, etwas entgegen. Ein philosophischer Abend über das Zusammenkommen. Viele Zuschauer:innen sagen danach oft: Ich hätte auch gerne dieses Gefühl von Zusammensein.   

KATRIJA Ich hatte vor kurzem die sogenannte „Anita- Vulesica-Vorstellungswoche“, wo ich in drei verschiedenen Inszenierungen von ihr gespielt habe, die ich alle sehr mag. Oder die Arbeiten mit der Regisseurin Pınar Karabulut. Das sind wahnsinnig tolle Regie-Frauen und ich bin froh, ihnen in der Arbeit begegnet zu sein. Gleichzeitig merke ich, wie schwer es ist auszublenden, dass wir in Zeiten leben, die scheiße sind. Weil das, was uns gerade erwartet, drastische Kürzungen sind, die uns suggerieren, dass Kunst und Kultur eigentlich nicht so wichtig ist für die Berliner Regierung. Und manchmal ist es schwer, weiterhin zu glauben, dass das, was wir jeden Tag tun, über unseren eigenen Rahmen hinaus geht. Sich immer wieder davon zu überzeugen, kostet viel Kraft. Und das funktioniert nur durch Vorstellungen, durch unser Publikum, durch Reaktionen und dadurch, im Widerstand zu bleiben und darum zu kämpfen, dass das, was wir hier tun, sehr wohl überlebenswichtig ist im Sinne einer Öffnung von Denk- oder Freiräumen.

Hat sich eure Arbeit durch den Druck verändert, permanent Erfolg erzielen zu müssen, der in ökonomischen Werten gemessen wird?   

KATRIJA Ich finde schon. Natürlich gab es Gespräche darüber, dass man sich nicht mehr viele Stücke leisten kann, die zwar schlecht verkauft sind, die man aber weiterspielt, weil man sie für künstlerisch wertvoll hält. Es spielt ein wirtschaftlicher Faktor rein. Da wir eine öffentliche Institution sind, ist dieser wirtschaftliche Faktor nachvollziehbar, nur gerade habe ich das Gefühl, er nimmt Überhand. 

JANEK Um die Sparvorgaben zu erfüllen, werden zukünftig keine Gast-Schaupieler:innen mehr engagiert, Repertoirevorstellungen mit Gästen umbesetzt und auslaufende Verträge von einigen Kolleg:innen in anderen Abteilungen nicht verlängert. Das ist ein Riesenverlust, ein Horror. Und dann immer diese Paranoia, dass man produktiv sein und alles gut laufen muss. Sonst ist es vorbei.

ANJA Man müsste sich über die ureigene Qualität unentbehrlich machen, sie als Instrument nutzen. So empfinde ich auch meine Aufgabe als Schauspielerin. Ich kann mich nur da hinstellen mit allem, was ich habe, mit aller Liebe, die ich zu geben habe. Es ist wertvoll, wenn das Publikum sagt, dass wir bleiben sollen, unbedingt. Das ist mein heimliches Ziel.

Und wie erlebt ihr gerade das Publikum? 

KATRIJA Ich glaube, die meisten Menschen wissen gar nicht genau, wie hart es die Berliner Kulturlandschaft gerade trifft. Der Teil des Publikums, der es weiß, zeigt eine große Zugewandtheit und sagt, das ist wichtig, was hier passiert und das sind Räume, die wir gesellschaftlich brauchen. Deswegen darf man jetzt den Mut nicht verlieren. Ich frage mich aber manchmal, ob sich wirtschaftlicher Erfolgsdruck und künstlerische Freiheit nicht eigentlich gegenseitig ausschließen. Ich will auch auf keinen Fall die Räume leer spielen. Ich glaube daran, dass, wenn unsere Arbeit gesellschaftlich relevant ist, sich dann auch ein Publikum finden wird. Aber ich glaube nicht, dass Erfolg planbar ist. 

ANJA Das Selbstverständnis, was wir lange hatten, dass die Zuschauenden eh kommen, das ist einfach nicht mehr so. Ein Gedanke stimmt mich hoffnungsfroh, wenn man die Entwicklung von KI betrachtet, denke ich oft, das ist unsere Chance. Theater wird der letzte Ort sein, wo du sehen und erleben kannst, in dem Wissen, dass es wirklich in diesem Moment stattfindet und es tatsächlich von Menschen gemacht ist. Von nichts anderem wirst du es mehr wissen. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal, welches uns noch kostbarer macht. 

Gibt es künstlerische Begegnungen, die vielleicht etwas von dem Versprechen realisieren, worüber ihr gerade nachgedacht habt? 

ANJA Ich finde es gut, dass der Regisseur Alexander Eisenach Heimsuchung von Jenny Erpenbeck im DT machen wird und freue mich auch unglaublich auf Jan Bosse und Jorinde Dröse, zu denen ich beruflich eine langjährige Verbindung habe. 

JANEK Ich freue mich sehr auf Die Räuber. Es wird um Freiheitswerte in der gegenwärtigen Gesellschaft gehen. Wessen Freiheit zur Diskussion steht und ab wann sich der Anspruch auf Freiheit radikalisiert. Mit dem Regieteam habe ich schon bei der Baracke von Rainald Goetz sehr gerne zusammengearbeitet. Auch eine Inszenierung, die sich wie Schiller mit der deutschen bürgerlichen Geschichte auseinandersetzt. Und das mit einer bildstarken, spielerischen Ästhetik zu verhandeln, die immer wieder überfordert, überrascht und humorvoll ist. 

KATRIJA Ich freue mich sehr darauf, dass es in dieser Spielzeit zum ersten Mal einen Open Call für die Box gibt. Es sind ca. 300 Einsendungen eingegangen. Über die anonymisierten Projekte werden wir innerhalb einer hausinternen Jury diskutieren und abstimmen. Ich mag es, aktiv mitgestalten zu können. Und es ist eine gute Möglichkeit, den Kürzungen etwas entgegenzuhalten und zu sagen, wir öffnen das Theater für Kunstschaffende beispielsweise aus der Freien Szene oder Menschen, die ganz andere Kunst machen als wir. Ich wünsche mir, dass das Theater vorausdenkt, dass wir die gesellschaftlichen Diskussionen immer ein wenig pushen und nicht einfach nur den Status Quo abbilden. Ja, vielleicht auch, dass man der Krise mit Humor begegnet. Das ist dann krass entwaffnend, wenn das gelingt. 

ANJA Humor schafft Verbindung, und das ist mir ein totales Anliegen. 

JANEK Das heißt ja nicht, dass jegliche Ambivalenzen und Widersprüche in der Gesellschaft dadurch ausgeblendet werden. Humor wird manchmal nachgesagt, dass er eine Verdrängung sei. Er kann aber auch eine Reflexion sein, die das Gegenteil mit sich bringt, wie über sich selbst lachen  zu können.

ANJA Ich bekomme zu den Vorstellungen viel Besuch von Freund:innen. Sie spiegeln mir ihre Eindrücke. Aus diesen höre ich oft heraus, dass das Leben und die Krisen so anstrengend geworden sind, dass sie gerne Vitalisierung erleben würden. Sie wollen Figuren sehen, eine Geschichte erzählt bekommen, an die sie andocken können, sich wiederfinden. In diesen Dienst würde ich mich gerne stellen. Ich denke wir können nachvollziehbar und packend erzählen und über die Hintertür die Themen verhandeln, die auch wir wichtig finden. 

Es gibt zunehmend eine Kluft zwischen Publikumsgunst und Kritik. Wie wichtig ist euch Kritik?  

ANJA Ich habe schon vor längerer Zeit begonnen, Kritiken nicht mehr zu lesen. Aber nicht, weil ich die Kolleg:innen, die über uns schreiben, nicht respektieren würde, sondern weil ich bei meinem eigenen Kompass bleiben will. Bei der Arbeit ist mein Kompass die Regie, die Kolleg:innen und unser Denk-, Spiel-, und Fantasieraum. Bei den Vorstellungen sind es die Menschen im Zuschauerraum. Und da möchte ich mich nicht ablenken lassen. Und für die Zuschauenden soll das ein Theater sein, mit denen wir eine Gemeinschaft bilden. Und das finde ich hochpolitisch. 

KATRIJA Ich muss einfach sagen, dass Kritiken nicht immer konstruktiv sind. Ich lese sie seit etwa zweieinhalb Jahren nicht mehr und fahre damit ganz gut. Kritiken werden wahrscheinlich auch gar nicht geschrieben, damit ich sie lese. Im besten Fall sind sie für Leute, die überlegen ins Theater zu gehen und sich vorher ein Bild machen wollen.

JANEK Ich mache das meistens so, dass ich Freund:innen und Bekannte die Kritiken lesen lasse. Und dann frage ich: Kann ich die auch lesen oder besser nicht? An sich interessiert mich das schon, wie andere einen Abend lesen. Wenn sie beschreiben, was sie gesehen haben und ein Dialog daraus zu unseren Inszenierungen entsteht. Zurzeit ist es oftmals so, dass ganze Zuschauerreihen mit Kolleg:innen belegt sind, die sich verabredet haben, um gemeinsam ein Stück zu sehen. Wenn es innerhalb des Hauses gepflegt wird, einander wahrzunehmen und ein Feedback dazu zu geben, ist das viel wert. Mein Eindruck ist gerade, dass es zugenommen hat in letzter Zeit. 

Das Gespräch führten  Lilly Busch und Daniel Richter.