„Das geht gar nicht. Das ist nicht rechtens“ von Violetta Zwick
Der starre Text, die strengen Kostüme und Frisuren, die durchchoreografierte Körperlichkeit, das stählerne Gerüst eines Hauses auf der Bühne: Zeitweise wünscht man sich in diesem Abend, dass all das sich auflöst, es einbricht, es ein Entkommen gibt, für die vier Frauen die dieses Haus bewohnen. Aber das gibt es in Antrag auf größtmögliche Entfernung von Gewalt von Felicia Zeller nicht. Denn auch wenn es immer wieder Frauen aus ihrem persönlichen Gefängnis schaffen, häusliche Gewalt ist ein strukturelles Problem, das schwer zu durchbrechen ist.
Und doch wird in der Inszenierung aus Oberhausen zumindest Stück für Stück immer mehr Sichtbarkeit dafür geschaffen. Die schwarzen Vorhänge, die die Sicht auf das Innere des Hauses erschweren, werden stetig aufgezogen, weggeschmissen und eingerissen, sodass die Frauen und ihre Geschichten dahinter zum Vorschein kommen.
Keinerlei Ablenkung
Die Geschichten und Figuren, die auf der Recherche im Oberhausener Frauenhaus beruhen, überlappen und vermischen sich in Felicia Zellers Text zu einem undurchsichtigen Knäuel an Ungerechtigkeiten und Gewalt. Denn so individuell die Fälle auch alle sein mögen, es geht hier weniger um Einzelschicksale als um das System an sich. Es wird nicht durch Effekthascherei ein möglichst mitleidserregendes Bild geschaffen, damit sich das Publikum gemeinschaftlich im fremden Leid suhlen kann – und doch ist die Inszenierung von Eike Weinreich alles andere als kalt und unemotional. Es braucht dieses starre Gerüst aus Text und Inszenierung, damit es keinerlei Ablenkung gibt und man wirklich zuhört, was die sechs Frauen, die von den vier Spieler:innen verkörpert werden, zu sagen haben.
Auch die unsichtbaren Täter selbst sind so divers wie die Frauen und in letzter Konsequenz dann doch alle gleich: Da ist ein Mann mit Heimweh nach „unsicherem Herkunftsland“, ein hochangesehener, erfolgreicher Mann, dem es nicht passt, das seine Frau Karriere macht, ein Mann, dem die Kinder einfach zu laut sind, ein Mann, der trinkt. Sie alle sind Männer, die ihre Frauen schlagen, die ihnen drohen, sie würden ihnen die Kinder wegnehmen, wenn sie sie verlassen, die die finanzielle Abhängigkeit ihrer Frauen ausnutzen, die ihnen immer wieder einreden, sie seien selber Schuld an der Gewalt, es sei verdient.
Kraft für die Flucht
Die Inszenierung macht klar, dass die physische Gewalt nur der Anfang ist. Wenn frau es schafft, diese als Ungerechtigkeit anzuerkennen, wütend zu werden, aus der Gedankenspirale es ist nicht so schlimm – er liebt mich doch – er hat das nicht gewollt – er ist kein schlechter Mensch auszubrechen und sich Menschen anzuvertrauen, fängt die Ungerechtigkeit des Kein-Gehör-Findens an.
„In dem Moment, in dem eine Frau die Kraft hat zu gehen, muss eine Frau gehen“, heißt es in einer Szene; aber wenn sie dann keine Beweise für die ihr angetane Gewalt hat, sitzt sie wieder fest. „Schaut. Ich bin alle Beweise“, sagt die mit blauen Flecken übersäte Frau. „Er ist doch dein Mann“ sagt ihre Mutter. Wenn dann die Polizei in die Wohnung stürmt und die Polizistin der am Boden liegenden, blutenden Frau sagt: „Das geht gar nicht. Das ist nicht rechtens“, ist noch immer nicht alles gut: Dann beginnt die Ungerechtigkeit der Bürokratie. In einem Frauenhaus zu wohnen kostet Geld, wenn man vor seinem gewalttätigen Partner in ein anderes Bundesland flieht, kostet das die Aufenthaltsgenehmigung, wenn man sich durch alle Anträge durchkämpfen muss, kostet das Kraft. „Eigentlich hätte man so viele Rechte, aber man will sie nicht durchsetzen, weil sie machen so viel Ärger“.
Längst bekannt, noch immer tabu
Felicia Zellers eigenwillige, rhythmisch-poetische Sprache ist ebenfalls ein System, aus dem die Akteur:innen nicht ausbrechen können. Immer wieder fehlen Wörter in den Sätzen, sind sie unvollständig und doch auf den Punkt und klar. Denn wir können uns denken, wie jeder dieser Sätze endet, wir kennen sie. Wir kennen die Muster, wir kennen die Floskeln, wir kennen das System, das auf die Unterdrückung der Frau basiert. „Gewalt an Frauen wird als ein Frauenproblem gesehen, statt als ein Problem der Täter“: Jede:r kennt ein Opfer, niemand kennt einen Täter. Männer fragen einander nicht: Sag mal, warum ist eigentlich deine Frau plötzlich bei dir ausgezogen? Man fragt die Frauen: Warum lässt du denn das alles mit dir machen? Niemand sagt den Männern: Hör auf!
Immer wieder baut Zeller sogenannte Girl-Inversions ein, in denen die Frauen so über und mit den Männern sprechen, wie sie selbst von ihnen behandelt wurden. Diese Umkehrungen voller Gewaltfantasien haben nicht nur eine empowernde Wirkung, sondern zeigen vor allem die Absurdität der Ungleichbehandlung von Mann und Frau auf. Es fängt ja schon damit an, dass es erstaunlich schwierig ist für Männer ein wirklich beleidigendes Schimpfwort zu finden, während es für Frauen unendlich viele gibt. „Für einen Cis-Mann gibt es keine bessere Beleidigung als Cis-Mann“ ist schließlich das ernüchternde Ergebnis dieser Suche.
Das unvermittelte Ende des Stückes ist nur konsequent. Tagtägliche Gewalt an Frauen ist ein fortbestehendes Problem und Antrag auf größtmögliche Entfernung von Gewalt bietet auch keine Lösung, sondern Sichtbarkeit. „Wo leben die eigentlich? Was kriegen die eigentlich mit von der Welt“, fragt sich eine Schutzsuchende im Frauenhaus, als sie der Stadtangestellten zu erklären versucht, dass die zu stellenden Anträge wenig Sinn ergeben.
Ja, was kriegen wir mit von der täglichen Gewalt gegen Frauen, die nicht auf offener Straße, sondern in den vier Wänden der Anderen stattfindet? Zu wenig. Und deswegen sind Stücke wie dieses so wichtig. Was ich daraus mitnehme ist: Schau hin. Hör zu. Glaube dem, was dir anvertraut wird.