Plädoyer für ein Theater der Gefühle von Marie Eisenmann

 Im Saal pochen die Herzen.

Sie erwarten die Eröffnungsrede des Festivals von Patty Kim Hamilton, eine der vier Autorinnen der ATT Ateliers. Ihr Stück Und der Himmel über uns ist sein eigenes Land wird in zehn Tagen bei der Langen Nacht der Autor:innen aufgeführt werden. Aber jetzt steht nur sie auf der Bühne.

Was braucht eine Autorin um Bedeutendes und Großes zu schreiben? Geld und ein Zimmer für sich allein, sagt Virginia Woolf. „Zeit“, ergänzt Patty Kim Hamilton. Und Zeit bekam sie am Deutschen Theater, genauer: ein Jahr, um ein neues Stück zu schreiben. Einzige Vorgabe: völlige Freiheit. Also beginnt sie auf eine Idee zu warten. Sie denkt nach, führt Gespräche, probiert aus. „Ich schrieb einen Monolog über’s Schnecken ernten“, erzählt sie. „Ich hatte eine Krise.“ Sie pendelt zwischen Sachsen-Anhalt und Berlin. Auf einer Zugfahrt steigt die Inspiration mit ins Abteil, als Hamilton aussteigt, verlässt neben ihr auch eine Idee den Zug. Ein Stück über den Osten, über Heimat und über Zugehörigkeit soll es werden.

Aber neben Erzählungen über Autor:innenschaft, über Stofffindung, kollaboratives Arbeiten wirft Patty Kim Hamilton an diesem Abend viele Forderungen an die Neue Dramatik in den Saal, wo das Publikum und viele Theatermacher:innen im halbbeleuchteten Rot und Crème des Raumes sitzen. Sie verlangt ein Theater der Gefühle. Ein Theater mit Herz. Ein Theater, das blutet, das bewegt. In Deutschland seien Stücke oft so verkopft. So viel Sinn, so wenig Sinnlichkeit, nach dem Motto: ins Theater gehen und sich mit Hochkultur zudröhnen.

„Aber die Krisen werden doch immer unaushaltbarer, als würde uns die Welt entgleiten“, beschreibt Patty Kim Hamilton ihren Eindruck unserer Gegenwart. Das Theater der Zukunft, so Hamilton, solle mit diesen Krisen ringen. Es solle uns emotional etwas abverlangen. Uns brechen und bloßstellen, sodass wir uns verändern müssen. „Wieso lesen wir heute auch nach fast 500 Jahren noch Shakespeare?“, fragt die Autorin. „Weil er uns zeigt, was es bedeutet, Mensch zu sein.“

Und trotzdem reicht es nicht, nur Shakespeare zu spielen. Der Kanon der Zukunft muss Hamilton zufolge heute auf die Bühne. Und am besten ist dieser Kanon voller Versuche pochende, lebende Herzen zu schreiben.