Freiboxen: Selbstporträt zwischen Steppe und Wald
Inhalt
Freiboxen heißt am DT das Format, in dem Ensemblemitglieder die Möglichkeit haben, sehr persönliche Projekte und Anliegen vorzustellen: mit kurzer Anlaufzeit, inhaltlich überraschend und ästhetisch vielfältig im Ergebnis. In unregelmäßigen Abständen werden ab der kommenden Spielzeit diese Formate wieder den Spielplan der Box bereichern. Den Auftakt macht kurz vor der Sommerpause Alexej Lochmann, der sich und seine Geschichte freiboxt.
Seine Herkunft ist – insbesondere im Lichte aktueller politischer Ereignisse – interessant und nicht wenig verwirrend: Geboren ist er in Qaranghandy in Kasachstan, aufgewachsen ist er im Hamburg der 90er Jahre als Kind einer Spätaussiedlerfamilie mit einem russlanddeutschen Vater und einer ukrainisch-russischen Mutter. Alexej Lochmanns Familie war damals und ist bis heute gefordert, sich immer wieder neu zu finden und zu erfinden, musste immer wieder vertraut gewordene Orte verlassen und hat trotzdem oder vielleicht gerade deswegen auch immer wieder Stücke ihrer alten Heimat mitgebracht in die neue. Dieser Abend handelt von der Zerstreutheit einer Familie in alle Himmelsrichtungen und über mehrere Länder und Ideologien hinweg, von den Ereignissen, die ihre Umzüge und Umsiedelungen auslösten, von Zugehörigkeiten und kulturellen Eigenarten. – Wie viele Bäume braucht es eigentlich, bis aus der Steppe ein Wald wird?
Der aus Sibirien stammende Regisseur Nikita Betekhtin musste kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine aufgrund gefährlich gewordener politischer Äußerungen seine Heimat verlassen. Seit dem Sommer 2023 lebt er nun in Berlin und hatte seit dem Beginn dieser Spielzeit mit einem Stipendium des US-amerikanischen Artist Protection Fund am Deutschen Theater für ein Jahr eine neue Theaterheimat gefunden: hospitiert, deutsch gelernt und sich mit den Gegebenheiten des deutschsprachigen Theatersystems vertraut gemacht.
Für den Freiboxen-Abend bringt der am berühmten Moskauer GITIS-Theaterinstitut ausgebildete Regisseur eine aus Russland stammende Inszenierungsmethode mit: In sogenannten „Laborinszenierungen“ erforschen in Russland landesweit junge Regietalente auf Einladung von Schauspielhäusern in sehr kurzer Probenzeit, ohne Budget, Anschaffungen oder Anfertigungen, quasi aus dem Fundus heraus, aber mit dem vollen Support des Theaters ihre Fähigkeiten, Geschichten mit einfachsten Mitteln zu erzählen.
Fotos
mit
- Regie Nikita Betekhtin
- Ausstattung Ramona Hufler
- Dramaturgie Karla Mäder
- Regie- und Dramaturgieassistenz Lara Bruckschen