Programmzettel Das Schiff der Träume [fährt einfach weiter]
Die Diva ist tot! Testamentarisch hat sie verfügt, dass ihre Asche auf ihrer Geburtsinsel mitten im Meer verstreut werden soll. Eine Trauergemeinschaft macht sich am Vorabend des Ersten Weltkriegs mit dem Luxusdampfer Gloria N. auf, der besten Opernsängerin aller Zeiten, Edmea Tetua, die letzte Ehre zu erweisen. An Bord ist die Crème de la Crème der Opernwelt. Die Expedition wird zur Irrfahrt durch das offene Meer mit ungewissem Ausgang. Federico Fellinis bildstarkes Meisterwerk E la nave va (Das Schiff der Träume) wird zur Groteske, wenn ein Sänger:innenwettstreit vor dem dahinsiechenden Nashorn stattfindet, eine Prinzessin die Farben von Musik sehen kann, der Geist von Edmea Tetua aus der Totenwelt beschworen wird und munter italienische Opernarien zur Versöhnung der Klassen und Kulturen gesungen werden.
Die bissige Gesellschaftssatire des Maestro des italienischen Films aus dem Jahr 1983 ist ein Totenoratorium für die Diva, deren Wiederkehr ersehnt wird in einer Welt, die von Kapitalismus, Globalisierung, Krieg und Werteverfall gezeichnet ist. Ein musikalischer Abgesang auf die Welt, wie wir sie kannten. Als würde ein letztes Konzert angestimmt auf den unausweichlichen Untergang.
Der Autor und Dramatiker Thomas Perle, dem DT-Publikum durch die Uraufführung seines Stücks karpatenflecken bekannt, hat Fellinis Filmklassiker bearbeitet und um einige Monologe ergänzt. Für seine Prosa und Dramatik wurde er mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Retzhofer Dramapreis und mit dem renommierten Nestroy-Autor:innenpreis.
Viva la Diva Daniel Richter über Narren am Rand des Vulkans
Die Diva ist tot.
„O cuore dono fatale Retaggio di dolore, Il mio destino è questo: O morte, O morte, O Amore! O Herz, trauriges Geschenk, Grab an Schmerzen, Mein Schicksal ist der Tod: Der Tod oder die Liebe!“
Abend für Abend verlieh Maria Callas, die Diva assoluta den für die Liebe sterbenden Frauenfiguren in Tosca, La Traviata, Norma, Medea oder in der zitierten Oper La Gioconda eine unvergesslich kraftvolle Stimme, die Schönheit und Verwundbarkeit vereinte. Allabendlich vollzog sie den Operntod auf der Bühne, bis sie 1977 mit 53 Jahren einsam, tablettenabhängig und mit gebrochener Stimme an einem Herzinfarkt verstarb. Ihr Tod bestürzte die Menschen zutiefst. In Saint Stéphane, der griechisch-orthodoxen Kathedrale von Paris, fand die Trauerfeier statt, ihre Urne wurde auf dem berühmten Friedhof Père Lachaise beigesetzt.
Zwei Jahre später kehrte die Sängerin posthum in die Heimat ihrer Vorfahren zurück, als ihre Asche nach Griechenland überführt und in einem symbolhaften Akt ins Ionische Meer vor der Insel Skorpios verstreut wurde, auf der ihre große Liebe Aristoteles Onassis begraben lag. Bewundert wurde sie für ihr unübertroffenes Stimmkunstwerk, ihr Repertoire an Abgründen, die sie mit ihrer Stimme erreichte, und für ihre existenzielle Verkörperung. Ihr Tod wurde zum Signum einer untergehenden Epoche von Gefühlskultur, Transzendenz und Wahrhaftigkeit. Sie verkörperte die romantische Seele wie keine andere. Wie ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit wirkte Maria Callas in der erkalteten bürgerlichen Kultur, die serielle Ästhetik und normative Kunstparameter hervorbrachte. Nach ihrem Tod wurde sie zum Mythos, zur unsterblichen Ikone.
Die Diva als Störfall
Für die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen haftet der Diva etwas Göttliches an, zugleich etwas Fragiles, Fatales, Versehrtes. Es ist ihr Charisma, das sie über den normalen Star erhebt und die Diva zu einem „Unfall“ in der industriellen Maschinerie des Starsystems macht. Für Elisabeth Bronfen operieren Diven unentwegt an Grenzen, was sie zu Märtyrerinnen macht, die sich physisch und psychisch bis zur Selbstaufgabe verausgaben und an ihrer extremen Kreativität zerbrechen. Ihr Doppelwesen, Identifikations- und Erlösungsfigur zu sein, ist Grund für ihre Bewunderung. Es haftet ihr etwas „Heiliges“ an, was der „reinen Vernunft“ unserer Alltagskultur wie ein Störanfall begegnet. In einer entzauberten Welt stellt die Diva die flüchtige Rückeroberung von Zauber und Magie dar, Kompensation für unsere zerworfene Alltagswelt, weil sie selbst eine Versehrte ist. Ihre magische Ausstrahlung wärmt nach Bronfen unsere Gegenwart, indem sie ihre Glut in unseren traurigen, kalten Alltag mit seinen Unzulänglichkeiten und Gebrechen hineinbringt.
Groteske Verschiebung der Wirklichkeit
Auch in Federico Fellinis Meisterwerk E la nave va (Das Schiff der Träume) von 1983 durchwehen die Trauer über den Verlust einer Diva und die Sehnsucht nach ihrer Wiedergeburt die filmische Erzählung. Fellini brachte in seinen Filmen unbekannte Ängste, das Verdrängte und die Sehnsüchte einer ansonsten verborgenen Welt an die Oberfläche. Augenfällig inspirierte Fellini der schicksalhafte Tod Maria Callas. So setzt Das Schiff der Träume mit dem Tod der berühmtesten Opernsängerin aller Zeiten ein: Edmea Tetua. Testamentarisch hatte auch sie verfügt, dass ihre Asche auf ihrer Geburtsinsel mitten im Meer verstreut werden soll.
„Es ist eine wunderbare Zeit, weil eine Reihe von Ideologien, Begriffen und Konventionen Schiffbruch erleiden. Es ist das Ende einer gewissen Epoche der Menschheit. Man muss bei Null wieder
anfangen. Tabula rasa, alles muss weggefegt werden.“
– Federico Fellini
Eine bourgeoise Trauergemeinschaft macht sich am Vorabend des Ersten Weltkriegs mit dem Luxusdampfer Gloria N. auf, der Sängerin die letzte Ehre zu erweisen. An Bord die Crème de la Crème der Opernwelt. Im unteren Schiffsrumpf Musik begeisterte Heizer, ein vor Liebeskrankheit übelriechendes Nashorn und serbische Geflüchtete, die nach dem Attentat auf den Thronfolger Österreich-Ungarns Zuflucht an Bord gesucht haben. Fellinis Bilder sind groteske Verschiebungen der Wirklichkeit, wenn ein Sängerwettstreit im glühenden Heizkeller vor der schwitzenden Arbeiterklasse stattfindet, eine blinde Prinzessin die Farben von Musik sehen kann, der Geist von Edmea Tetua aus der Totenwelt beschworen wird, ein Huhn von einem russischen Bass-Bariton in der Küche hypnotisiert und munter italienische Opernarien zur Versöhnung der Klassen und Kulturen gesungen werden.
Danse Macabre zwischen Leben und Tod
In Das Schiff der Träume offenbart sich, wie sich Fellinis frühe Erfahrungen mit der Zirkus- und Varieté-Welt, seine Bewunderung für die Clowns, und seine Tätigkeit als Comic-Zeichner über die Jahre durch die Poesie des Filmischen verfeinert haben. Fellinis burleskes Figurenpersonal changiert zwischen Clownerie, zirzensischem Spiel und Comic-Figurationen.
Seine barock anmutenden Bildtableaus prägen seinen ureigenen Stil, der das Spektakuläre des Karnevals, das Grausame der Todesnähe, das kafkaeske Entsetzen über die Unbegreiflichkeit und das Infernalische eines Dantesken Purgatoriums kunstvoll miteinander verbindet. Sebastian Brants satirisches Werk Das Narrenschiff – aus einer Zeit des Epochenumbruchs am Ausgang des 15. Jahrhunderts – mag gedanklich Pate gestanden haben. Bei Brant macht sich eine Narrengesellschaft auf eine gedankenlose Reise über das Meer nach Narragonien als Sinnbild für das menschliche Leben, eine Reise mit ungewissem Ausgang, die aufgrund von menschlichen Lastern und Übermut in die Katastrophe führt.
Fellinis filmisches Meisterwerk ist ein Totenoratorium für die Diva, deren Wiederkehr ersehnt wird in einer Welt, die von Kapitalismus, Globalisierung, Krieg und Werteverfall gezeichnet ist. Doch Fellinis Gesellschaft ist eine ambivalente: einerseits wünschen sich die Bohemiens sehnlichst die Wiederkehr der Diva, einer längst verlorenen Zeit, zugleich sind sie selbst zu Fortschrittsagenten des kulturellen Niedergangs geworden. Das Maß ihres Handelns bildet nicht mehr das „Heilige“, sondern die optimistisch-rationalistische Vernunft. Ihre Narrheit besteht in der Blindheit vor dem nahenden Tod.
Die politische Katastrophe lässt nicht lange auf sich warten. Ein österreichisches Kriegsschiff verlangt die Auslieferung der fremden Passagiere. Es kommt zu einem Zwischenfall, der zum Kanonenbeschuss der Gloria N. führt, die daraufhin im Meer untergeht. Die Boten des heraufziehenden Kriegs und Untergangs sind allgegenwärtig. Fellinis Trauergemeinde feiert „am Rand des Vulkans“, wie der Großherzog im Film sagt, ihr letztes Fest in einem burlesken Spektakel, hinter dem sich der innere Bewusstseinsraum einer Gesellschaft vor ihrem Untergang offenbart.
Trotz des tragischen Verlaufs besitzt der Film etwas Utopisches. Es ist eine Welt der Sonderlinge, die Fellini hinter den Rollenstereotypen sichtbar macht: Clowns, Lebensakrobat:innen, Randständige der Gesellschaft, die Scheitern zum Prinzip Hoffnung verklären und zu einem Danse macabre zwischen Leben und Tod, Traum und Wirklichkeit auffordern.
Viva la diva!