Programmzettel Das Schiff der Träume [fährt einfach weiter]
Bei frühmorgendlichen 38 Grad im November ist nicht nur der Familienzusammenhalt gefährdet, viel lebt da nicht mehr, draußen, im Kalifornien der näheren Zukunft. Doch gerade im engen Kreis der lieben Verwandtschaft wird deutlich, wie die äußere Hitze auch die Gemüter überreizt. Schon der kleinste Streit eskaliert und überhaupt ist das soziale Miteinander eigentlich nur noch leicht angetrunken akzeptabel. In Florida ist es auch nicht besser, da ist es zwar nicht so heiß, doch dafür hört der Regen nicht mehr auf. Das Meersalz frisst sich ins Gebälk der Strandhäuser und selbst auf das beste Elektrofahrzeug ist auf überfluteten Highways kein Verlass mehr. Zwischen Kalifornien und Florida seziert T.C. Boyle eine Gesellschaft, die sich dank meisterlicher Verdrängung aller klimatischen Kipppunkte in die eigene Sackgasse manövriert hat. Und interessiert sich dabei vor allem für die Innenwelt seiner Protagonist:innen, die schmaler werdenden Korridore ihrer Fantasie und gleichzeitig ihren unbändigen Widerstandsgeist, trotz allem an diesem einen Leben festzuhalten. Denn die Klimaveränderungen sind Realität – sich damit zu beschäftigen, wie ein Leben darin aussehen kann – ist noch zu erkunden. Auch jenseits des Theaters.
Turbulenzen im Kopf von Johann Otten
Kurz vor dem Ende der Probenphase zu dieser Inszenierung wird es über Nacht Herbst. Es ist nicht so, dass es niemand geahnt hätte. Die Wetternachrichten waren sich senderübergreifend einig, dass an diesem einen Sonntag alle Kinopläne verworfen und unbedingt noch eine Fahrt zum nächsten See oder ins Freibad geplant werden sollte. Doch geglaubt hat es vorher niemand, langsam erst, als die dünnen Kleider von gestern zu plötzlich seltsamen Relikten eines jäh beendeten, sorglosen Sommers wurden. Und mit dem grauen Himmel der Dauerregen einsetzte und nur einen Augenblick nach der letzten Kugel Erdbeereis schon mancherorts neuerliche Rekordwasserstände bescherte. Nichts davon ist neu, jeder Sommer geht zu Ende und wer diesen gänzlich sorglos erlebte, gehört ohnehin zu einer privilegierten Minderheit. Außerdem ist ein Berliner Herbst natürlich keine Bedrohung gegenüber einer existenzgefährdenden Flut. Dennoch, was zunehmend fehlt, sind die Übergänge, die Rampen, die Vorbereitung. Auf jedem neuen Tag können wir plötzlich ausrutschen wie auf Blitzeis, das eben noch Regen war. Bei gleichzeitiger Hoffnung, dass es doch nicht so schlimm kommen möge, dass alles beim Alten bliebe, dass wir unser bekanntes Leben einfach weiterleben könnten.
Der britische Künstler James Bridle fand für diese Übergangslosigkeit in den zunehmend häufiger auftretenden Turbulenzen in der Luftfahrt eine passende Metapher: Ein entspannter Interkontinentalflug mit kühlen Getränken bei knapp tausend Stundenkilometern Reisegeschwindigkeit kippt von einer Sekunde zur nächsten in einen Alptraum, sobald ein Flugzeug in durch die globale Erwärmung zunehmend schwerer prognostizierbaren Luftverwirbelungen fliegt und fällt ruckartig in die Tiefe. Wobei eine fatale Abhängigkeit zwischen der Reiseform und ihrer eigenen Gefährdung besteht – sind die Emissionen der Luftfahrt doch schließlich wichtige Mitverursacher klimatischer Veränderungen. Klar, wir wissen um die Notwendigkeit, die eigenen Reise- und Konsumentscheidungen zu überdenken, das Fahrrad dem Auto, das saisonale Gemüse dem importierten Steak vorzuziehen. Doch ist uns bewusst, welche innere Unsicherheit sich Bahn bricht, wenn deutlich wird, dass sich Orkane und schmelzende Gletscher nicht allein von der richtigen Ernährung oder Reiseform aufhalten lassen? Dass die nächsten Jahrzehnte unruhig, gefährlich, beängstigend werden, auch bei der Umsetzung der ambitioniertesten Klimaschutzvorhaben? Und dass der zunehmend schwankende Boden unseres Planeten auch zum psychischen Ungleichgewicht führt? Dabei geht es nicht darum, dies als zynischen Vorwand für die Hängematte der eigenen Bequemlichkeit zu missbrauchen, wenn doch ohnehin alles den Bach heruntergeht. Vielmehr ist es an der Zeit, die materiellen und die psychischen Konsequenzen eines sich erhitzenden Planeten zusammenzudenken. Wissenschaftlich bewiesen sind die zunehmende Aggressivität bei steigender Hitze, der Zusammenhang zwischen posttraumatischen Belastungsstörungen und Extremwettererfahrungen, die bleibenden Angsterkrankungen nach Überschwemmungen oder Waldbränden. Die Welt, in die wir T.C. Boyles Figuren folgen, sieht unserer zum Verwechseln ähnlich. Doch sind in ihr nicht bloß weitere Temperaturrekorde gebrochen, sondern es wird als Gereiztheit und Überforderung sichtbar, was die bislang noch wenig diskutierten Folgen der Klimaveränderungen sind. Sehen wir genau hin, noch bleibt eine Lücke zur einsamen Apokalypse, die es hier und in der realen Welt zu verhindern gilt.
„Der Regen war nicht nur draußen, wo er aufs Dach prasselte und in den Regenrinnen zischte, er war auch in ihr, ein inneres Wetter, und er flüsterte von Dingen, über die sie nichts wissen wollte und von denen sie nichts hören wollte. Sie würde auf keinen Fall schlafen können, nicht solange der Regen rauschte, und dieser Geruch sich über alles legte und sogar in die Laken und Kissen kroch. Also blieb sie einfach an der Küchentheke sitzen, und wenn sie sich ein paar Drinks machte – wer zählte die schon?“
– T.C. Boyle Blue Skies
Was hier zurückschlägt, das ist der Planet. Ein Gespräch mit dem Regisseur Alexander Eisenach
In T.C. Boyles Roman steht eine Familie im Mittelpunkt, über die die Folgen der Klimakatastrophe hereinbrechen. Das geht nicht besonders gut aus. Machst Du Dir über deine eigene Familie auch Sorgen?
Ich lese die Familie in dem Roman weniger als Opfer, denn als Spiegel der Klimakatstrophe. Die sich zuspitzenden äußeren Krisen verstärken auch die Krise im Inneren. Die Dysfunktionalität der zwischenmenschlichen Beziehungen, die verdrängten Konflikte, all das wird unter dem äußeren Druck nach oben gespült.
Desto mehr die Krise fortschreitet, desto mehr sehnen sich alle nach der heilen Familie, der Wärme und Liebe, dem Aufgehobensein. Gleichzeitig wird genau diese Sehnsucht immer unerfüllbarer. Die Wärme kommt nicht auf, die Distanz wird nicht überwunden, höchstens im Alkoholrausch. Das greift über den Rand der Familie hinaus ins soziale Miteinander und die Frage, wie wir als Mitmenschen, als Nachbarn, als Liebende, als Eltern und Kinder miteinander umgehen, wenn sich die Lage zuspitzt, diese Frage erfüllt mich mit großer Sorge.
„Blue Skies“ spielt zwischen Kalifornien und Florida, weit weg in den USA. Was hat dieser Text mit uns in Berlin zu tun?
Florida und Kalifornien stehen für zwei extremen Pole der Klimakatastrophe: Extreme Trockenheit und Hitze auf der einen Seite. Überflutungen und Stürme auf der anderen. Das lese ich erstmal als Konstruktion, um ein Spannungsfeld zu öffnen, einen Widerspruch zu kreieren. Dass auch wir hier mit den gleichen Klimaphänomenen zu tun haben werden, steht glaube ich außer Frage. Dürren haben wir die letzten Jahre ebenso erlebt, wie extreme Hochwasser. Die Situation der Figuren entspricht bei allen amerikanischen Besonderheiten letztlich derer der westeuropäischen Mittelschicht. Wir sehen eine Konsumgesellschaft in der Sackgasse, in der sich die Wohlstandsversprechen einer Boomergeneration gegenüber ihren Kindern nicht mehr einlösen. Die ökonomische Situation wird prekärer, die Mittelschicht schmilzt, man hat vielleicht noch etwas marodes Erbe zu verwalten, aber nicht mehr das Gefühl zu gestalten. Es geht um eine Gesellschaft in Lähmung. Ich denke, das ist ein globales Bild für alle Wohlstandsgesellschaften.
Trotz des auch schon zum Zeitpunkt der Veröffentlichung polarisierenden Wahlkampfs in Amerika spielt die Politik im Text keine Rolle – ist die Klimakrise nur ein privates Problem?
Es ist interessant, dass die Menschen im Roman von jeder Staatlichkeit im Stich gelassen zu sein scheinen. Gleichzeitig gibt es bei der Elterngeneration noch diese Idee der Selbstwirksamkeit: Mein Handeln verändert die Welt. Das ist bei den Kindern wahlweise in Resignation beziehungsweise Gleichgültigkeit umgeschlagen. Eine handlungsunfähige Politik bringt eine handlungsunfähige Gesellschaft hervor. Es gibt keinen großen Entwurf, um uns aus der Lethargie und Saturiertheit zu wecken.
Im Roman webt Boyle in die Alltagserfahrungen immer wieder biblische Verweise, Bilder der apokalyptischen Plagen, die über die Familie hineinbrechen. Es entsteht der Eindruck, die Figuren würden für ihr Handeln bestraft. Wie verstehst Du den Roman hier?
Ich bin nicht religiös. Ich versuche das metaphorisch zu lesen. Was hier zurückschlägt und straft, das ist der Planet. Er reagiert auf Übernutzung und Ausbeutung. Auf Verschmutzung und Überformung. Er entzieht sich als Lebensraum. Wird zunehmend unbewohnbar. Das ist nicht moralisch, das ist einfach die Folge menschlichen Handelns. Es hilft aber diese Metaphorik abzurufen, um den Planeten als Akteur hörbar zu machen.
Jetzt, Mitte September, scheint die Leichtigkeit des Sommers verflogen, in Tschechien und Polen brechen die ersten Deiche unter neuerlichen Jahrhundertfluten, die mittelfristigen Prognosen sind nicht rosig. Woraus schöpfst Du persönlich Kraft, was gibt Dir Hoffnung?
Entscheidend wird sein, ob wir es schaffen, Menschen zu bleiben. Da habe ich schon Hoffnung. Letztlich auch durch unsere Arbeit hier am Theater, wo wir zusammenkommen, temporäre Kollektive bilden und zusammenspielen. Das ist eine eigentümliche Form der Begegnung, die quer liegt zu unserem solitären Nebeneinander, zu unserer vergifteten Streitkultur, den sich zementierenden Ausbeutungsverhältnissen und funktionalisierten Interaktionsformen. Jede kleine oder große Gemeinschaft, die sich vor allem erstmal diesem gemeinsamen Geist widmet, gibt mir Hoffnung.
Die Fragen stellte Johann Otten.