
Programmzettel Wasteland: Peter Pan
T.S. Eliots Gedicht Das öde Land gilt als eines der bedeutendsten literarischen Werke des 20. Jahrhunderts. 1922 veröffentlicht, spiegelt Eliots Text die Verwerfungen und Unsicherheiten seiner Zeit wider. Entstanden ist es nach dem 1. Weltkrieg, in einer Phase des Umbruchs und der Desillusionierung, die geprägt war von Trostlosigkeit und Leere, die der Mensch in einer von Krieg und Krisen durchzogenen Welt empfand. Auch unsere heutige Zeit, die sich fragmentiert und rastlos anfühlt, wird von politischen Unruhen, Katastrophen, Kriegen und Zerwürfnissen durchgerüttelt.
1904 veröffentlichte J. M. Barrie sein Theaterstück Peter Pan oder Der Junge, der nicht erwachsen werden wollte. Die Kunstfigur des Peter Pan avancierte seither zum Symbol-Bild für ewige Jugend und die Sehnsucht, niemals erwachsen werden zu müssen. Barries Erzählung besteht jedoch nicht nur aus Abenteuern und Fantasiebildern, sondern ist auch gleichzeitig ein vielschichtiges Werk über Verlust, Identität, Endlichkeit und der Sehnsucht nach der Unbeschwertheit der eigenen Kindheit.
Alexander Eisenach, Jan Jordan und das Ensemble schaffen gemeinsam in Wasteland: Peter Pan ein Kaleidoskop mit Teilen aus T.S. Eliots Gedicht, Barries Geschichte und einem zeitgenössischen Text der Autorin Patty Kim Hamilton, in dem sie Wendys Geschichte – die am Ende ihres Lebens angekommen ist – erzählt und reflektiert. So entsteht ein Geflecht aus Bildern, Stimmen, Motiven, Figuren und Songs, die gleichermaßen verspielt, düster und alptraumhaft wirken und neben der Verlorenheit der Figuren auch Momente von Hoffnung und Liebe durchschimmern lassen
Eine Insel im Nirgendwo von Christopher-Fares Köhler
J. M. Barries titelgebende Figur Peter Pan ist ein Junge, der nie erwachsen wird. Er lebt im Neverland mit den Lost Boys – Kindern, die im realen Leben verloren gegangen sind und auf der Insel landen. Schlüsselfigur der Geschichte ist Wendy Moira Angela Darling, ein Mädchen aus London, das mit seinen beiden jüngeren Geschwistern und den Eltern Mr. und Mrs. Darling zusammenlebt.
Eines Nachts, nachdem sie dem bei ihr im Kinderzimmer gestrandeten Peter seinen Schatten wieder angenäht hat, folgt sie ihm ins Neverland. Wendy führt durch ihr Ankommen Peter und die Lost Boys in die Welt der Geschichten und des „Erwachsenseins“ ein. In der Peter-Pan-Geschichte zeichnen sich im Original dunklere Facetten ab. Barrie hat Bilder und Motive kreiert, die von Morbidität künden und vieldeutiger sind, als die Disney-Märchen-Version, die viele mit Peter Pan verbinden, ahnen lässt. Barries Werk zeigt auf, dass das Festhalten an der Kindheit sowohl berauschend als auch sehr tragisch sein kann.
Auch J. M. Barries eigene Familiengeschichte ist von frühen Schicksalsschlägen gezeichnet. Im Alter von sechs Jahren erlebte Barrie, wie sein älterer Bruder beim Schlittschuhlaufen verunglückte und einen Tag vor seinem vierzehnten Geburtstag verstarb. Sein Tod stürzte seine Mutter in eine Depression. Barrie versuchte seine Mutter zu trösten, indem er Davids Kleidung anzog und sich verhielt wie sein älterer Bruder. Und tatsächlich: Barries Mutter fand Trost in der Tatsache, dass ihr verstorbener Sohn für immer ein Junge bleiben würde, der niemals erwachsen werden und sie verlassen würde. Doch der überlebende Sohn blieb ein Leben lang gezeichnet von dieser Maskerade, und sein Peter Pan ist der Versuch einer Auseinandersetzung damit.
„Und ich werde dir etwas zeigen, das anders ist als der Schatten, der dir morgens nachläuft, Und - als der Schatten, der dich abends ein holt; Ich zeig dir die Angst in einer Handvoll Staub“ – T.S. Eliot: Das öde Land
„These fragments I have shored against my ruins“ („Mit diesen Bruchstücken stützte ich meine Trümmer“), heißt es bei Eliot kurz vor dem Ende des Gedichts The Waste Land.
Das öde Land wie die neueste Übersetzung von Land Norbert Hummelt heißt, ist eines der bekanntesten und einflussreichsten Gedichte des 20. Jahrhunderts. Das Werk gilt als Meilenstein der modernen Literatur und spiegelt die Desillusionierung und Verwirrung der Nachkriegszeit nach dem 1. Weltkrieg wider. Eliots Gedicht ist in fünf Abschnitte unterteilt, die von der Bestattung der Toten über Eine Runde Schach, Die Feuerpredigt, den Tod durch Wasser hinführen zu dem, Was der Donner sagte.
Alle fünf Teile sind unterschiedlich lang und stehen in keinem auf den ersten Blick erkennbaren Zusammenhang. Vielmehr nutzt Eliot eine Vielzahl von literarischen Anspielungen, Zitaten und kulturellen Referenzen und zeigt den Leser:innen so eine von verschiedensten Stimmen durchdrungene, fragmentierte Welt. Er lässt Menschen aller Art sprechen, zitiert literarische, religiöse und mythologische Werke, unter anderem die Bibel, Dante, Shakespeare und die indischen Upanishaden, eine Sammlung philosophischer indischer Texte, die zwischen 200 und 700 vor Christus entstanden. Das dreimal wiederholte Wort, mit dem sein Gedicht endet – „Shantih, Shantih, Shantih“ – ist die Schlussformel jeder Upanishad. „‘Der Friede, der alle Vernunft übersteigt‘, gibt die Bedeutung dieses Wortes nur mangelhaft wieder“, bemerkt Eliot in seinen Anmerkungen zu The Waste Land.
Entfremdung, Identität, Sexualität, Spiritualität und - die Suche nach Erlösung sind wichtige Themen seines Gedichts. Eliot verwendet Freiverse und Collagetechniken, springt zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen und kreiert in 434 Zeilen einen dichten Resonanzraum voll unterschiedlicher Symbole und Referenzen. Sein Gedicht ist herausfordernd, ein nehmend und faszinierend. Gut 100 Jahren nach seiner Entstehung spiegelt es auch heute noch die moderne Existenz wider, indem es ein Gefühl von Chaos und Verwirrung generiert.
T.S. Eliot sagte selbst: „Genuine poetry can com municate before it is understood.“ Gute Poesie kann also zu uns sprechen, etwas auslösen, noch bevor wir sie gänzlich verstehen können. Ein zentrales Motiv ist die Trostlosigkeit und Leere, die der Mensch in einer von Krieg und moralischen Krisen geprägten Welt empfindet, eine Welt voller Dürre, Ruinen und Verfall. Gleichzeitig wird jedoch auch eine Hoffnung angedeutet, die sich vor allem in den letzten Zei len des Gedichts manifestiert – ein Streben nach Erneuerung und Wiedergeburt.