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Programmzettel Der Liebling

Was macht Macht mit Menschen? von Lilly Busch

Das Stück Der Liebling lässt sich auf viele Weisen beschreiben: als Karrierekomödie, Wirtschaftsthriller oder Könniginnendrama. Es handelt von Frauen, die als Chefinnen, Konkurrentinnen, Schwestern, Mütter, Verbündete und Opportunistinnen mit unterschiedlichen Strategien ihr Stück vom Kuchen erhaschen wollen.

Die Figuren haben allesamt Schmerzen davongetragen: durch ausbeuterische Arbeitsstrukturen, durch familiäre oder misogyne Gewalt – und zahlen sich das schonungslos gegenseitig zurück.

Keine der Frauen ließe sich leichtfertig mit den Kategorien „gut“ oder „böse“ fassen, alle sind komplexe Figuren, die in ihrem Streben und Trachten verschiedenste Strategien anwenden: Während Franka König eine an Abhärtung glaubende Einzelkämpferin ist, die ihren feministisch aufgeklärten Sohn Karsten unterbuttert, regiert Bettina Fürstenberg ihren Konzern vermeintlich als moderne Geschäftsfrau. Ihre Tochter Rebekka hat hingegen als traditionelle Hausfrau der Lohnarbeit abgeschworen und sich an den rechten Rändern der Internetkultur als Influencerin einen Namen gemacht. Derweil spinnen die gekündigte Happinessmanagerin Luna und ihre theateraffine Schwester Mary unerwartete Rache- und Aufstiegspläne. Alle wollen wirtschaftliche Macht – und jemandes Liebling sein.

divide et impera

Die Autorin Sophia Fritz dekonstruiert in ihrem Buch Toxische Weiblichkeit weibliche Prototypen wie „die Mutti“, „die Bitch“, „das gute Mädchen“ oder „die Powerfrau“ und deren klischeehafte Verhaltensmuster. Sie zeigt auf, dass toxisch weibliches Verhalten, von dem auch Der Liebling erzählt, als eine Notlösung verstanden werden kann, um sich als Frau einer patriarchalen, kapitalistischen Struktur anzupassen und in ihr erfolgreich zu sein. Eine Struktur, die nach dem Prinzip divide et impera funktioniert – teile, um zu herrschen: Konkurrenz zwischen den Menschen wird befeuert und damit verhindert, dass sie sich zum Wohl von allen zusammenschließen.

Was macht Macht mit Menschen? Eine Frage, auf die das Weltgeschehen derzeit verstörende Antworten gibt, kriegen wir doch tagesaktuell vor Augen geführt, was passiert, wenn Macht und enormer Reichtum in den Händen weniger Personen liegt, die Wahlkämpfe beeinflussen und Demokratien gefährden können. Wir erleben, wie Frauen sich zu Gesichtern von misogynen Bewegungen machen, und dabei nicht nur gegen andere Frauen, sondern letztlich auch gegen sich selbst arbeiten.

Gemeinsame Stoßrichtung

Was müsste aufgegeben werden, damit Solidarität möglich bleibt? Wie könnte der Moment ergriffen werden, um Errungenschaften wie die der Bewegung MeToo nicht nur für die Zukunft zu sichern, sondern zu verhindern, dass sie rückgängig gemacht werden? Ein erster Schritt vielleicht: den Schmerz der anderen anerkennen, und versuchen, ihn zusammen in etwas Anderes zu verwandeln, sich nicht weiter zu fragmentieren, sondern eine gemeinsame Stoßrichtung zu finden.

„Das leidendste Tier erfand sich das Lachen“ lautet ein Bonmot von Friedrich Nietzsche, das auch zu diesem Theaterabend spricht, liegt doch in der Möglichkeit, über den eigenen Schmerz und die Schrecklichkeit der Dinge zu lachen, auch etwas Tröstliches.

Genres als Portale zu neuen Pfaden Gespräch mit Svenja Viola Bungarten

Wie kam es zu der Idee für Dein Stück?

Ich habe einen Weg gesucht, darüber zu sprechen, wie rechtsextreme Werte aus unerwarteten Richtungen kommen, wie Feminismus kommerzialisiert wird und wie die Hustle-Kultur uns unserer politischen Handlungsfähigkeit beraubt. Wir leben in Zeiten, in denen rechtsextreme Parteien soziale Medien effektiv nutzen, um eine neue, jüngere Generation von Wähler:innen zu gewinnen, junge Frauen zu Werten von vor 50 Jahren zurückkehren und Le Pen, Meloni und Weidel mühelos antifeministische, faschistische Politik in unsere Zukunft einweben. Weiblichkeit wird dazu benutzt, patriarchale Macht aufrechtzuerhalten und rechten Narrativen zu mehr Einfluss im Mainstream und zur Normalisierung zu verhelfen – damit wollte ich mich befassen.

Frauen in Führungspositionen sind in der Realität immer noch verhältnismäßig rar. Welche Bedeutung hat es für Dich, dass hier auf der Bühne mächtige Frauen im Zentrum stehen?

Mir ist es wichtig, darüber nachzudenken, dass jede Form von Diskriminierung in einer patriarchalen Gesellschaft vor allem strukturell funktioniert und alle Führungspositionen in dieser Struktur eine patriarchale Ordnung perpetuieren, die immer eher Entsolidarisierung als Zusammenschluss fördert. Deshalb bedeutet Macht nicht gleich Macht zur Veränderung. Der Text entspringt meiner eigenen Reflexion über patriarchale Weiblichkeit und darüber, wo sie in meinem Leben und meinen Entscheidungen verankert ist. Dieses Stück ist also genauso ein Gespräch mit mir selbst, wie es ein Angebot für eine Diskussion mit dem Publikum ist.

Das Stück verpackt Kritik in Komödie und arbeitet lustvoll mit der Umdeutung von Genre. Kannst Du diese Strategie erläutern?

Ein Genre zu bedienen ist ja immer eine Art Erwartungsmanagement, und es zu brechen, oder ein Genre mit dem anderen zu verbinden, auch. Ich sehe Genres als Portale, als Türen. Der Weg, den uns ein Genre eröffnet, kommt uns meist bekannt vor. Oft ist das ein Lustgewinn und der kann für das Verhandeln von „schweren“ Themen hilfreich sein. Da wird es für mich produktiv, wenn ein Genre uns einen Eingang auf einen scheinbar bekannten Pfad beschert und dann eine Irritation entsteht, wenn dieser Pfad eine unvorhergesehene Abbiegung nimmt und ein neues Portal erscheint, und sich so das eine Genre in der Kreuzung mit einem anderen Genre in etwas Drittem auflöst. Die Dinge sind ja selten das eine oder das andere, sondern oft das eine und das andere (und das andere andere).

Wie ist es für Dich, in einer Zeit zu schreiben, die von Krisen und dem Erstarken autoritärer Kräfte geprägt ist?

Mich beschäftigt die Frage, wie ich mit dem Schreiben einen Beitrag zu Politisierung leisten kann. In meiner Recherche halte ich die Sensibilisierung für den Zusammenhang von Antifeminismus, Transphobie, Rassismus, Kapitalismus und rechtem Gedankengut in sozialen Medien für essenziell, um das Staunen über die momentane faschistische Wende mit Wissen zu ersetzen, das ermächtigt. Für mich ist Humor dabei ein Mittel, um mit Verzweiflung umzugehen. Ich setze mich aber auch stärker damit auseinander, welchen Beitrag ich außerhalb meines Handwerks zum antifaschistischen Widerstand zu leisten kann.

Die Welt übertrifft Satire Gespräch mit Anita Vulesica

Der Liebling zeigt auf vielschichtige Weise Frauen, die Macht haben oder an sie ranwollen. Was hat Dich an dem Stoff interessiert?

Mich hat die Form und das Genre interessiert: Es ist eine zeitgenössische, gut geschriebene Komödie, die relevante Themen untersucht. Es geht um Macht und somit auch sofort um Politik. Es geht um Deutungshoheit, und das überwiegend mit weiblichen Figuren – das ist selten genug.

Das Stück verbindet Humor mit Kritik, etwas, was ich als typisch für Deine Arbeiten empfinde. Würdest Du das auch sagen?

Ja, ich würde ergänzen: Humor und Traurigkeit, Humor und Melancholie, Humor und keine Ahnung haben, was man der Welt sagen kann. Also: Dunkel und Licht! Das Tragisch-Komische ist für mich ein Muss in jeder Arbeit, das suche ich auch in jedem Stoff.

Hat das Stück für Dich mit den politischen Entwicklungen – vom Amtsantritt Trumps bis zu den Wahlen in Deutschland – seit Beginn des Jahres neue Bedeutungen bekommen?

Wir leben in einer Zeit, in der die Welt sich stündlich überschlägt, auch jetzt gerade, während ich die Frage beantworte. Ich bin geschockt und müde über die Welt und ihre mächtigen Money-Männer. Ich denke, so geht es sehr vielen Menschen: Mein Hirn kann das alles gar nicht mehr fassen, es übertrifft Satire, es wird hässlich, vor laufenden Kameras und der Welt. Einerseits ist es für uns Künstler:innen und Theatermachende ja immer Gold, wenn wir uns an der aktuellen Welt abarbeiten können, und auch beim Liebling haben wir einen Stoff, der relevant ist, weil er den Wahnsinn dieser Welt widerspiegelt: das unversöhnliche Streben nach Macht, das wenig bis gar nicht Empathische, die Ohnmacht derjenigen, die die Macht nicht erreichen können. Aber andererseits würde es mir absolut reichen, mir das als Fantasie vorzustellen!

Wenn Du auf die Welt schaust, was macht Dir Hoffnung?

Hoffnung fällt mir gerade wirklich schwer. Ja, sie stirbt zuletzt, und ja, es gibt sie, aber momentan bin ich eher damit beschäftigt, täglich Strategien zu entwickeln, um nicht irre zu werden, nicht abzustumpfen oder paralysiert in der Gegend rumzustehen. Wir befinden uns an einem extremen Kipppunkt. Aber wenn ich sehe, dass viele, viele junge Menschen sich mit linken Themen auseinandersetzen, mit Bildung, mit sozialen Fragen oder Klassenfragen, und dass sie bei dem gegensteuern, was die AfD vorantreibt und wo sich die konservative CDU dranhängt, dann habe ich Hoffnung.

Wie kann Theater in unserer Gegenwart wirken?

Theater kann und muss in unsere Gegenwart wirken. Ich glaube an den Mut des Theaters und würde mir wünschen, dass das Theater viel mehr nach außen trägt, wofür es steht. Und wenn es Banner, Fahnen und Sprechchöre vor den Theatern sind. Oder dass die Zuschauer:innen, die ins Theater kommen, zu einer gemeinsamen Demo werden.