© Daria von Loewenich, Caner Sunar

Programmzettel Wonderwomb

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In New York setzt ein zockender Börsenmakler sein letztes Geld auf die steigenden Ölpreise, in Bagdad eliminiert ein aus Washington konzertierter Drohnenangriff den Kommandeur der Revolutionsgarde, in der Straße von Hormus explodieren Sprengsätze an einem Öltanker, in Europa putzt eine vor dem Krieg ums Öl geflohene Tochter die Toiletten einer Universität. Die globalisierte Welt gleicht einer Geisterbahn, auf der hinter jeder Kurve ein anderer Schrecken lauert. In Panik ihren Sinn zu entschlüsseln, die Zusammenhänge zu begreifen: fast unmöglich.

Wäre da nicht ein Elixier, das wie ein geheimer Zaubertrank dem Chaos auf einmal Sinn verleiht: Erdöl. Als hoch explosives Antriebsmittel katapultiert es die globale Wirtschaft in immer neue Höhen, zerstört währenddessen das fragile Ökosystem des Planeten ungebremst, vernichtet Biografien und verspricht gleichzeitig wohligen Luxus. Millionen Jahre alte Pflanzen und Tiere werden als komprimierter Tod zum Überlebenselixier des fossilen Fortschritts, ein Widerspruch, der leichter zu verdrängen als zu begreifen ist. Hier liegt der Ausgangspunkt einer multiperspektivischen Reflexion über unsere Gegenwart, um die es Amir Gudarzi in Wonderwomb geht. Der Nahostkonflikt, westlich-bürgerliche Borniertheit und die Klimakatastrophe finden hier eine sprachliche Form, die der medialen Überforderung mit Witz und Hoffnung begegnet: Solange wir von der Welt erzählen, können wir sie noch verändern.

2022 erhielt Amir Gudarzi für Wonderwomb den Kleist-Förderpreis, für die aktuelle Inszenierung ergänzte er den ursprünglichen Text um die fossilen Bestrebungen Russlands. 

Die Couch in der  Geisterbahn.  von Johann Otten

Gejagt von Geistern

Mit dem Auto auf dem Highway, im Rückspiegel die Berge, rhythmisch die Streifen auf dem Boden, vielleicht ein Sonnenuntergang, weit entfernt eine Ampel, die auf Rot schaltet. Wenn das Fahrzeug beschleunigt, möglicherweise der Hauch einer Abgaswolke, trotz Katalysator, ein feiner Nebel. Eine Landschaft mit Untertitel: OBJECTS IN THE MIRROR ARE CLOSER THAN THEY APPEAR. Fast ein spöttischer Scherz, dieser Hinweis auf die konvexe Krümmung des Spiegels und der so entstehenden Fehleinschätzung, von hinten herannahende Fahrzeuge als noch ausreichend weit entfernt für ein flottes Überholmanöver zu beurteilen. Spöttisch, weil sich dieser Untertitel so vieldeutig gibt und mehr zu meinen scheint, als bloß die Verhinderung eines Auffahrunfalls. Als ob den amerikanischen Autobauern bewusst wäre, dass der Tritt aufs Gaspedal nur möglich ist mit der Heimsuchung durch die Geister, die im Moment der Beschleunigung in den Windungen des Motors ihre explosive Kraft freisetzen. Als ob jede Fahrt immer auch eine Flucht wäre, vor den Folgen, die die Verbrennung der im Öl, im Benzin, im Diesel, komprimierten Zeit mit sich bringt. Doch was, wenn uns diese Geister einholen, selbst der stärkste Motor nicht mehr genug Kraft aufbringt, ihnen zu entfliehen? Wenn der Highway zur Geisterbahn der aus dem Tank geflohenen Ungeheuer wird?

Sie leben!

Erkenntnis bereitet oft Kopfschmerzen: Anschaulich bebildert wird das im Science-Fiction-Klassiker They Live von 1988, in dem der Held, der arbeitslose Ölarbeiter John Nada, durch Zufall in den Besitz einer sehr speziellen Brille kommt. Wenn er sie aufzieht, verändern plötzlich Werbeplakate und Zeitungsüberschriften ihren Sinn, statt der beworbenen Produkte liest er dort Befehle: „Gehorche!”, „Konsumiere!”, die Gesichter der auf den Straßen zur Arbeit Eilenden werden zu Totenköpfen. Die glatte Oberfläche des Konsums entlarvt sich als Gleichschaltungsmaschine – als Seitenhieb auf die Verführungskraft des Kapitalismus ein etwas holzschnittartiges, doch einleuchtendes Bild. Mit verheerenden Konsequenzen für den Protagonisten, die über jähe Migräneanfälle nach dem Absetzen der Brille hinausgehen. Sein Glaube an den American Dream beginnt zu bröckeln, seitdem ihm klar wird, dass hinter dem Schein der fröhlichen Oberfläche der Tod lauert. In John Carpenters Filmgeschichte ist es eine außerirdische Instanz, die mit geheimen Botschaften und zivil verkleidet in den amerikanischen Alltag eindringt, vermutlich, damit die Kapitalismuskritik konsumerabel bleibt. Doch die Idee der Geschichte ist bestechend: Wie lebt es sich, wenn die Selbstverständlichkeiten des Alltags ihren Sinn verlieren, sich alle Versprechen als bloße Manipulation herausstellen, oder, wie Slavoj Žižek den Film interpretiert, was passiert, wenn der Mensch plötzlich ein Instrument erhält, mit dem sich Ideologie entschlüsseln lässt. Das ist es schließlich, was die Vorstellung von unendlichem Wachstum trotz endlicher Ressourcen ist, ein Glaubensgebäude. Das erodieren würde, wenn sich die Erkenntnis durchsetzte, dass dieses Gebäude vor allem durch den Tod angetrieben ist, durch vor Millionen von Jahren verstorbene Fossilien, komprimiertes Leben. Doch kein Glauben ohne Verbote.

Ölsaugende Bohrtürme

“I’m a vampire, babe, suckin’ blood from the earth”, heißt es im Soundtrack zur Ölpreiskrise, den Neil Young 1974 veröffentlicht. Mit dem Ausbruch des Jom-KippurKriegs 1973, der zunehmenden Spannungen zwischen den USA und dem Iran und der so ausgelösten Ölknappheit, wird der Weltwirtschaft urplötzlich ihre fatale Abhängigkeit zum fossilen Rohstoff bewusst. Die Ölpreise explodieren, in Deutschland werden autofreie Sonntage eingeführt, an den Tankstellen bilden sich endlose Schlangen. Doch Young ahnt schon, dass dies kaum zur Umstellung des Wirtschaftssystems führen wird, sind die Vampire doch schließlich angewiesen auf ihr Blut, ironisch fügt er an: “Good times are comin’, I hear it everywhere I go”. Für die ölsaugenden Bohrtürme geht es schließlich gut aus, verdoppelte sich die globale Gesamtfördermenge des Erdöls seitdem beinahe. Der flüssige Kohlenwasserstoff, durch Jahrmillionen komprimierte Algen und Meerskleinstlebewesen, ist mittlerweile in alle Poren unseres Lebens eingesickert, kein Kinderspielzeug ohne Erdöl, kein Kugelschreiber, kaum eine Handcreme oder Kaugummi. 

Auf der Therapiecouch

In Amir Gudarzis Wonderwomb erwachen schließlich all die Geister, die Dämonen des Öls und beginnen zu erzählen. Geschichten, die mit dem schnellen Tritt aufs Gaspedal verschwinden würden, von der Vielgestaltigkeit der Welt und vor allem ihrer Veränderbarkeit, so wie aus Algen Öl, aus Öl Plastik und vielleicht nach langer, langer Zeit wieder Biomasse werden könnte. Theresa Thomasberger erzählt diese Geschichten in einer Geisterbahn und vielleicht ist es kein Zufall, dass eine der bekanntesten während des ganzen Jahres im Wiener Prater steht. Der Stadt der Psychoanalyse, der Theorie über das Verdrängte, das uns im Griff hat, solange wir uns ihm nicht stellen. Vielleicht ist ein wilder Ritt auf einer ölverschmierten Therapiecouch in einer Wiener Geisterbahn das passende Bild für die Unternehmungen dieses Abends. Damit wir erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Um endlich eine neue zu erfinden. ​​​​​​

Vom Stolpern über die verdrängten Zusammenhänge.  Ein Gespräch mit Theresa Thomasberger

Amir Gudarzis Wonderwomb ist wie ein Prisma, in dem diverse Realitätssplitter zu einer gemeinsamen Form finden, darunter Nachrichten zur geopolitischen Großwetterlage, die mitunter nur eine kurze Halbwertszeit haben. Welchen Aktualitätsanspruch stellst du an die Inszenierung eines Textes wie Wonderwomb?

Dass der Weg von der Idee zur Umsetzung im Theater so kurz ist, empfinde ich als großen Luxus und Teil des politischen Potentials im Theater. Wenn während der Vorstellung außerhalb des Theaters etwas passiert, was die Spieler:innen oder ich für wichtig halten, dann können wir das auf der Bühne adressieren, füreinander da sein. Gleichzeitig ersetzt das Theater nicht die Nachrichten und ich finde es interessant, wie der gleiche Abend vor dem sich verändernden Welthintergund jeden Tag neue und andere Bedeutungsebenen hat. Während der Vorbereitungen zur Inszenierung wurde Amir und mir gleichzeitig klar, dass man heutzutage nicht über Erdöl nachdenken kann, ohne den Angriffskrieg Russlands zu erwähnen und die deutsche Verstrickung – deshalb ergänzte Amir den Text der Uraufführung noch um diese Facette.

Leitest du aus dem Realismus von Wonderwomb auch Handlungsoptionen ab?

Ich glaube, dass Wonderwomb nicht realistisch ist, sondern eine große Metapher, in die Realitäten eingewoben sind. Die Ebene der Metapher ist die der Handlung im politischen Sinne. Fakten bringen kaum jemanden zum Handeln, sonst müssten alle nach der Tagesschau direkt auf die Straße gehen. Die Apathie liegt tiefer. Den Klimawandel oder die Bedrohung durch den Faschismus zu leugnen, ist nicht dumm, es ist irrational. Und dem Irrationalen kann man im Theater sehr gut begegnen. In der Metapher liegt etwas Erschütterndes, weil der Perspektivwechsel so radikal ist. Der Chor der toten Tiere, die zu Öl geworden sind, sagt: „Das Reich der Toten ist das Reich des Werdens”. Alle können werden, was sie werden wollten. Für sie ist der Kapitalismus nicht die einzig denkbare Gesellschaftsform und die Welt erscheint als veränderbar.

Was verbindet für dich die anspruchsvolle Poetik des Textes voller zerfallender Worte, Situationen und Figuren mit seinem Thema?

So wie ich den Text verstehe, ist er eine bewusste Sprachzertrümmerung, die der Grammatik des Bestehenden misstraut. Er zitiert, spielt, macht kaputt, was benutzt wird, um den Status Quo zu verteidigen. Man stolpert durch Amirs Sprache und manchmal haut man sich an dabei: Man stolpert über die verdrängten Zusammenhänge aus 120 Jahren fossilem Zeitalter.

Warum hängen Öl-Industrie und Männlichkeitsperformance zusammen, wie es deine Inszenierung nahelegt?

Cara New Daggetts Konzept der „Petromaskulinität" hat mich in der Arbeit sehr beeinflusst. Es beschreibt die libidinöse Besetzung von fossilen Energien als Abwehrbewegung gegen als „weiblich/grün/queer/ fremd” wahrgenommene „Bedrohungen“, auch gegen die Interessen der eigenen Spezies. Das führt zu teilweise skurrilen Performanzen von fossiler Männlichkeit, zu der ich z.B. auch die obsessive deutsche Ablehnung von Tempolimits auf der Autobahn zähle.

Der Chor der zu Öl gewordenen Tiere erscheint aus einer Art Geisterbahn, die auch auf einem Rummel stehen könnte. Liegt im Petro-Horror auch ein lustvolles Moment?

Definitiv! Was uns gruselt, berührt uns. Die Geisterbahn im Wiener Prater hat mich als Kind sehr fasziniert und der Trash des Geisterbahngrusels ist super theatral. Ich mag es, dass die Effekte so sichtbar und analog sind und man sich trotzdem erschreckt und freut. Außerdem: was Spaß macht, macht Mut. Und den brauchen wir.

Das Gespräch führte Max Reiniger.

„Ein Leben, ein neues Leben
Beginnt auf Millionen Jahren Geschichte Tod“ – Wonderwomb