
Programmzettel Jugend ohne Gott
„Was wird das für eine Generation? Eine harte, oder nur eine rohe?“, fragt sich der noch junge Lehrer eines Gymnasiums, als er seine Schüler beobachtet. Von Propaganda geformt, zeigen sie wenig Mitgefühl und glorifizieren den Krieg. Die Verrohung der Jugendlichen und die wachsende Distanz zu seiner Klasse lassen ihn verzweifeln. Später fährt der Lehrer mit der Klasse in ein Zeltlager, wo die Jugendlichen eine militärische Grundausbildung erhalten. Als ein Schüler erschlagen aufgefunden wird, steht dessen Zeltpartner unter Mordverdacht. Allein der Lehrer weiß, dass dieser unschuldig ist, fürchtet aber, durch eine Aussage in dem darauffolgenden Prozess seine Anstellung und finanzielle Sicherheit zu verlieren. Während er mit seinem Gewissen ringt, tritt ein geheimer „Klub für Wahrheit und Gerechtigkeit“ auf den Plan, in dem eine Gruppe von widerständigen Schülern nach dem tatsächlichen Täter sucht. Ödön von Horváth beschreibt 1937 das beklemmende Gefühl eines gesellschaftlichen Wandels, welcher von Militarisierung und ideologischer Indoktrination in Vorbereitung auf einen Krieg geprägt ist. Er fasst die Hilflosigkeit in Worte, die daraus resultiert, dass die Sorge um die eigene Zukunft auf die Sorge um die Zukunft der Gesellschaft trifft. Gleichzeitig zeigt er aber auch, wie Einzelne ihre Ohnmacht überwinden, sich zusammenfinden und versuchen können, moralische Werte hochzuhalten: ein Fünkchen Hoffnung inmitten einer härter werdenden Realität.
Jugend, oh Gott! von Jasmin Maghames
Ödön von Horváths Jugend ohne Gott ist mehr als eine Zeitdiagnose der 1930er Jahre – der Roman steht für eine grundlegende Auseinandersetzung mit Moral, Mitläufertum und der Manipulierbarkeit junger Menschen in autoritären Systemen und gilt als eines der wichtigsten Bücher im Kanon antifaschistischer Literatur. Was passiert, wenn Mitgefühl als Schwäche gilt? Wo beginnt Mitläufertum? Wie kann man sich moralische Integrität bewahren? Und was braucht es, um widerständig zu sein?
Zentral ist die Frage nach der individuellen Verantwortung in einer Gesellschaft, die von Konformitätsdruck und Feindbildern geprägt ist. Der namenlose Lehrer, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, beginnt als resignierter Opportunist, der sich nicht gegen die aufkommende Unmenschlichkeit in seiner Schülergeneration stellt. Erst durch eine Verkettung dramatischer Ereignisse – darunter ein Mordfall in einem paramilitärischen Lager – wird er gezwungen, Position zu beziehen. Der Roman zeigt, dass Schweigen und Anpassung Mitschuld erzeugen, aber auch, dass ein spätes Umdenken möglich ist. Horváths Werk steht damit für die Gefahren von Propaganda, die Macht der Sprache und die schleichende Erosion moralischer Werte. Es beschreibt, wie ein System, das auf Gehorsam und Kälte basiert, junge Menschen formt und ihnen die Fähigkeit zum kritischen Denken nimmt. Gleichzeitig erzählt der Roman aber auch von der Möglichkeit, sich gegen diese Mechanismen zu wehren – wenn auch mit Konsequenzen.
Was bedeutet Widerstand?
In einer Zeit, in der gesellschaftliche Spaltung, autoritäre Tendenzen und die Radikalisierung junger Menschen wieder hochaktuell sind, in der demokratische Werte zunehmend infrage gestellt werden, Verschwörungsideologien florieren und populistische Stimmen lauter werden, ist Jugend ohne Gott ein Mahnmal und ein Weckruf zugleich. Es fordert auf, nicht wegzusehen, sondern hinzuhören, nachzudenken und Haltung zu zeigen. Gerade in Deutschland, wo rechtsextreme Tendenzen wieder sichtbarer werden, Hass gegen Minderheiten geschürt und die Meinungsfreiheit durch neue Formen der Manipulation herausgefordert wird, stellt sich die Frage, welche Verantwortung jede:r Einzelne für das gesellschaftliche Klima trägt, und welcher Weg hinausführen kann.
Was bedeutet Widerstand? Woraus muss dieser bestehen, um einen Gegenentwurf und einen Ausweg zu ermöglichen? Widerständig sein, also sich bewusst gegen Ungerechtigkeit, Unterdrückung und gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu stellen, erfordert vor allem kritische Reflexion, moralische Standhaftigkeit und kollektives Handeln. Widerstand setzt die Fähigkeit voraus, etablierte Narrative zu hinterfragen, Mechanismen der Manipulation zu durchschauen und sich unabhängig von Mehrheitsmeinungen eine informierte Haltung zu erarbeiten. Ein zentrales Element ist das kritische Denken. In Zeiten zunehmender Desinformation und ideologischer Verzerrung der Wirklichkeit bedarf es einer fundierten Urteilsfähigkeit, um zwischen Fakten und Propaganda zu unterscheiden. Widerstand beginnt mit der intellektuellen Weigerung, unreflektiert vorgegebene Deutungsmuster zu übernehmen, und manifestiert sich in der Bereitschaft, Missstände zu benennen und ihnen entgegenzuwirken.
Doch Erkenntnis allein führt nicht zwangsläufig zu widerständigem Handeln – es bedarf auch moralischer Entschlossenheit und Zivilcourage. Widerstand verlangt die Fähigkeit, persönliche Risiken in Kauf zu nehmen, sei es durch den Widerspruch gegenüber diskriminierenden Äußerungen im sozialen Umfeld, die aktive Verweigerung unmoralischer Anweisungen oder das Eintreten für demokratische Grundwerte trotz gesellschaftlicher oder institutioneller Widerstände.
Ebenso essenziell ist die Dimension der Solidarität. Widerstand ist in den seltensten Fällen ein individueller Akt, sondern entsteht aus kollektiven Strukturen und Netzwerken. Erst durch gemeinschaftliches Handeln wird Widerstand wirksam, indem er vereinzelt bleibende Proteste in eine breite gesellschaftliche Bewegung überführt. Historische Beispiele belegen, dass grundlegende politische und soziale Veränderungen stets das Resultat koordinierten und anhaltenden Engagements vieler Akteur:innen waren.
Schließlich erfordert Widerstand Beharrlichkeit. Gesellschaftliche Machtverhältnisse lassen sich in der Regel nicht durch einmalige Aktionen erschüttern, sondern nur durch kontinuierliche Opposition und nachhaltiges Engagement. Dies verlangt Resilienz gegenüber Rückschlägen, die Fähigkeit zur strategischen Anpassung und die Überzeugung, dass Wandel trotz anfänglicher Widerstände möglich bleibt. Widerständig zu sein heißt, sich nicht der Resignation hinzugeben, sondern aktiv für eine gerechtere Gesellschaft einzutreten – mit Verstand, Mut und solidarischer Entschlossenheit.
Generationenfrage
Der Roman erzählt von Jugendlichen in einer stark autoritären und ideologisch geprägten Gesellschaft, die ihre politischen und persönlichen Freiheiten massiv einschränkt und von einer repressiven politischen Ordnung durchdrungen ist. In dieser Zeit haben die Jugendlichen kaum eine Möglichkeit zur politischen Mitbestimmung, sondern leben in einem System, das keine eigenen Meinungen wünscht oder fördert, sondern stark indoktriniert, vor allem durch die Schule und andere staatliche Institutionen. Ihre Werte und Überzeugungen sind weitgehend vom autoritären Regime vorgegeben. Selbst der Bildungsweg ist darauf ausgerichtet, die Jugendlichen für die Ideale des Staates zu formen, anstatt sie zu kritischem Denken oder politischer Partizipation zu ermutigen.
Im Gegensatz dazu haben Jugendliche heute in vielen westlichen Demokratien deutlich mehr politische Mitbestimmungsmöglichkeiten. Sie können, je nach Land, an Wahlen teilnehmen, sich politisch engagieren und an Protesten oder sozialen Bewegungen teilhaben. In vielen Gesellschaften haben sie Zugang zu unterschiedlichen Informationsquellen und können ihre eigenen politischen Meinungen bilden. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht, sich politisch zu engagieren, sind grundlegende Freiheiten, die es den Jugendlichen heute ermöglichen, sich für Themen wie den Klimawandel, soziale Gerechtigkeit oder Menschenrechte einzusetzen. Zudem gibt es verschiedene Jugendvertretungen und Organisationen, die eine direkte Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen fördern.
Ausgehend von der Frage des Lehrers „Was für eine Generation wird das sein? Eine harte oder nur eine rohe?”, besteht der zweite Teil der Inszenierung aus Gesprächen mit unterschiedlichen Jugendlichen aus Berlin. Dafür nahmen wir Kontakt zu Schulen auf und besuchten mit dem Ensemble drei Klassen von 15 bis 17-jährigen Schüler:innen, die zu ihren Eindrücken und Wahrnehmungen der politischen Lage, ihren Ängsten und Problemen, aber auch ihren Wünschen an die Zukunft befragt wurden.
Herzlichen Dank für die Gespräche mit:
Prof. Dr. Michael Wildt, Historiker bis 2022 Professor für deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt im Nationalsozialismus am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin
Ina Lorenz und Daniel Krellmann, Kulturbüro Sachsen e.V. im Bereich Empowerment und Gemeinwesenarbeit
Katrin Adler, Bildungsreferentin Gedenkstätte Deutscher Widerstand