© Jasmin Schuller Til Schindler, Chenoa North Harder

Programmzettel Sonne und Beton

Ein Sommer zwischen Plattenbauten. Hitze, Langeweile, Gewalt. Zu wenig Geld, zu wenig Platz in der Familie. Und ab und zu auch Schule. Der 16-jährige Lukas wird in einen Konflikt zwischen Dealergruppen verstrickt. Gibt der Klügere nach? Oder tritt der Klügere nach? Beides scheinen schlechte Optionen. Sanchez, der neue Mitschüler, hat eine geniale Idee und in einem schwindelerregenden Moment beschließen Lukas und seine Freunde, die nagelneuen Computer zu stehlen, die der Senat seiner „Problemschule“ gestiftet hat – ohne dass die Jungs zu Ende denken, wie man sie eigentlich unauffällig zu Geld machen könnte. Ein rasanter Wettlauf gegen alle Wahrscheinlichkeiten beginnt. Felix Lobrechts autobiografisch inspirierter Roman erzählt zugleich humorvoll, drastisch und berührend vom Aufwachsen in Berlin-Gropiusstadt. DT Jung* bringt Sonne und Beton in einer mobilen Uraufführung nach ganz Berlin: in die Klassenzimmer der verschiedensten Bezirke, genauso aber auch ins Jugendzentrum, in den Fußballclub oder die Vereinskantine. Abgerundet wird die Aufführung mit einem anschließenden Nachgespräch vor Ort

Bloß nicht in Klischees steckenbleiben Ein Gespräch mit Karsten Dahlem

Was hat Dich an dem Stoff Sonne und Beton gereizt?

Die Geschichte einer Freundschaft, die Felix Lobrecht erzählt. Sie findet in einem herausfordernden Umfeld statt, geprägt von Dingen, die man in der Kindheit oder Jugend eigentlich nicht erleben will – Gewalt, Drogen. Wie diese Gruppe an Jungs da durchgeht und sich am Ende auf sich selbst besinnt, das ist schon besonders. Da treffen völlig verschiedene Charaktere aufeinander, die vereint, dass sie aus einem Viertel, aus einem Kiez kommen. Sie kennen die Probleme, die der andere hat.

Was hat Dich und das Team herausgefordert?

Herausfordernd ist die wahnsinnige Wucht, die der Stoff hat. Rapmusik spielt darin eine große Rolle, da kommen aber auch Inhalte vor, bei denen ich denke: Das möchte ich so nicht eins zu eins erzählen oder darstellen. Ich möchte den Zuschauer:innen nicht immer wieder das gleiche Abbild liefern und in Klischees steckenbleiben. Wenn man ein Klischee darstellt, dann will ich zumindest eine Tür aufmachen, sodass man sieht, es gibt auch einen Ausgang daraus.

Wie erzählt man einen Roman in 60 Minuten?

Indem man viel streicht und versucht, das Buch auf den roten Faden zu konzentrieren, ohne dass dabei die Emotionalität verloren geht. Wichtig ist, dass es Szenen gibt, in denen man spürt, wie es den Figuren geht. Das Besondere ist, dass wir das Ganze mit zwei Spieler:innen umgesetzt haben: Eine Schauspielerin springt in viele Figuren, während uns der andere als Erzähler Lukas mit auf die Reise dieser Gruppe nimmt.

„Wer guckt? Warum guckt er? Wie lange – halte ich den Blickkontakt? Laufe ich da lang? In welches Abteil in der U-Bahn steige ich am besten? Wen kennt der? Mit wem hängen die rum? Ist er krass? – Handy geben oder weg rennen? Kämpfen oder sich schlagen lassen?“ 
– aus: Sonne und Beton

Erwachsenwerden zwischen Hochhausschluchten von Lilly Busch

Lukas und seine besten Freunde Julius, Gino und Sanchez vertreiben sich zusammen die flirrende Sommerzeit. Um sie herum: Erwachsene mit ihren eigenen Sorgen, überforderte Lehrer:innen. Die Räume sind zu eng, die Aussichten eher mau, außer vom Hochhausdach, mit Blick auf die ganze Gropiusstadt. Dabei plagen die Freunde eigentlich die universellen Probleme der Pubertät und des Erwachsenwerdens: Die Sehnsucht nach Anerkennung, nach Liebe, nach genügend Geld, um sich die spannenden Dinge des Lebens zu leisten, wie Clubbesuche, Taxifahren und neue Klamotten.

Erwachsenwerden, das ist auch die Suche nach Orientierung und Zugehörigkeit. Welchem Rat folgt man, wessen Weltbild schließt man sich an? Von welchen Haltungen und Wertvorstellungen der Menschen um einen herum grenzt man sich ab? Im Umfeld von Lukas und seinen Freunden sind da vor allem die Stimmen und Autoritäten von großen Brüdern, Vätern, Lehrern und nicht zuletzt Rappern. „Der Klügere gibt nach“, mahnt der eigene Vater. „Der Klügere tritt nach!“ ist wiederum der Rat des großen Bruders, der sagt: „Wenn einer mit Messer vor dir steht, rennst du. Aber wenn du siehst, das sind Lappen, dann gib ihn Bombe.“

Es ist ein ziemlich männlich geprägter, ziemlich gewaltbereiter Dunstkreis. Die Lebensweisen, die darin vorkommen, bieten Vorteile und Schattenseiten im Umgang mit der unmittelbaren Realität. In den Problemlagen, die sich ihnen stellen, probieren die - Freunde mal die eine, mal die andere Herangehensweise aus, auf der Suche nach ihrem eigenen Kompass. Dabei stoßen sie an Gewissensfragen und auch an die - Grenzen der Legalität: Ist es berechtigt, Regeln zu bre - chen, um sich Zugang zu Dingen und Räumen zu ver schaffen, die einem sonst verwehrt blieben? Kann man überhaupt irgendwie aus der Kette von Gewalt und Gegengewalt aussteigen? Doch besonders schwierig wird es, wenn die, die eigentlich Vorbilder sein sollten, rassistischen Gesinnungen anheimfallen. So wie der Lehrer, der plötzlich meint, „wir Deutschen müssen zusammenhalten“. Ein Fall, der sich so, oder so ähnlich, vermutlich in mehr Klassenzimmern ereignen kann, als man sich wünschte.

„Lass irgendwat machen, Lukas, irgendwat” sagt Sanchez in einem Moment, in dem erkennbar wird, dass der Ausweg aus den Problemen nur durch sie selbst passieren kann, durch den eigenen Antrieb, etwas zu ändern. Herausfordernd. Schwierig. Und vielleicht auch unmöglich. Aber der emanzipatorische - Impuls ist da, sich nicht den vermeintlichen Vor bildern anzuschließen, sondern als Freundesgruppe gemeinsam zu versuchen, die vorgegeben Wege anders zu nehmen.

Sonne und Beton wurde in den Nullerjahren Sonne und Beton geschrieben. Zwanzig Jahre später ist die Gropiusstadt - eine andere, der Stadtteil ist von ähnlichen Proble men geprägt wie der Rest der Stadt, allen voran: zu wenig und zu teurer Wohnraum. Auf 150 neu gebaute Degewo-Wohnungen kommen tausende Bewerbungen. Während Lukas und seine Freunde im Roman noch - keine Smartphones hatten und ständig zu wenig Gut haben, um sich zu erreichen, verbringt heute jeder Teenager einen Großteil des Tages online. Durch die sozialen Medien verbreiten sich immer mehr und täglich neue Vorbilder. Wohin sich da orientieren? In welche Richtung zeigt der Kompass?

Sonne und Beton als Schullektüre Ein Gespräch mit Marek Steinke, Lehrer an der Georg-von-Giesche-Schule

Wie kam der Roman bei den Schüler:innen an?

Die meisten Schüler:innen haben das Buch sehr gerne gelesen. Vor allem die Sprache und Authentizität des Stoffes hat viele in ihren Bann gezogen. Dadurch, dass so gesprochen wird, wie viele Jugendliche es aus ihrem Alltag kennen, wird die Identifikation mit den Figuren erleichtert. Dass sich die Protagonisten nicht an die Regeln halten, Probleme machen, aber gleichzeitig doch liebevoll und plausibel sind, macht das Buch als Schullektüre für die Jugendlichen besonders.

Welche Themen waren für euch zentral?

Wir haben uns vor allem mit Zugehörigkeit, Freundschaft und Herkunft beschäftigt und damit, wie eine solche Zugehörigkeit entsteht, beziehungsweise woran sich diese messen lässt (Ethnie, Sprache, Soziolekt, Umfeld, usw.). Auch über Familie, Familienverhältnisse und deren Rolle beim Heranwachsen wurde gesprochen. Und über Armut und Reichtum: Hier lassen sich insbesondere ethisch/ moralische Fragen ableiten. Ist es vertretbar zu klauen, wenn man sich selbst in einer finanziellen Notlage befindet?

Was waren Streitpunkte?

Ein großer Streitpunkt war für uns das Verhältnis zwischen Jungen und Mädchen und darüber, was für Geschlechterrollenbilder und Erwartungshaltungen in unserer Gesellschaft bestehen. Das Buch zeigt einen sehr männlichen Blick, die Mädchen werden nur aus einer sehr bestimmten Perspektive betrachtet. Erstaunlich war für mich jedoch, dass diese Perspektive (und damit auch die Geschlechterrollenbilder) bei vielen Jungen tatsächlich sehr verankert sind. Im Klassengespräch konnten auch andere (weibliche) Perspektiven sichtbar gemacht werden, das habe ich als große Bereicherung empfunden.

Was hat Sie an der Auseinandersetzung überrascht?

Mich hat es überrascht, wie sehr die Probleme und Fragen, mit denen die Figuren im Buch im Jahre 2003 konfrontiert sind, denen gleichen, denen meine Schüler:innen heutzutage begegnen. Was ist meine Rolle in der Welt? Wie hat sich ein Junge zu verhalten? Stehe ich zu meinen Freunden, auch wenn diese etwas Verbotenes tun? Gleichzeitig wird deutlich, dass das Buch milieuabhängig auch sehr unterschiedlich gelesen wird. Für manche Schüler:innen wird eine Welt widergespiegelt, die sie selbst kennen und erleben. Für andere ist der Stoff eher abstrakt und überspitzt. Ich würde sagen, dass genau das die Chance ist, die der Stoff bietet – er liefert Einblick in eine Welt, die immer noch existiert, aber nicht für jeden sichtbar ist.