Programmzettel DAVE
Die nahe Zukunft: In einem klaustrophobischen Wohn- und Laborprojekt arbeiten Programmierer:innen Tag und Nacht an der künstlichen Superintelligenz DAVE. Die Außenwelt ist unbetretbar geworden, wie die Fernsehshow von Prof. Babusch warnt. DAVE soll für die angeschlagene Menschheit alles zum Besseren wenden.
Überraschend wird der 28-jährige Computernerd Syz befördert und gelangt in den Inner Circle der Einrichtung. Dort erfährt er, vor welchem Problem das Team um Professor Fröhlich steht: Ohne eine Persönlichkeit kann DAVE nicht sich selbst erkennen – und somit nicht proaktiv handeln. Syz soll dafür die Lösung bringen, indem er in sogenannten Kopiesitzungen DAVE Modell steht – mit seinen eigenen Erinnerungen.
Doch je fortgeschrittener der Kopiervorgang und je tiefer Syz‘ Einblick in die Funktionsweisen des Labors gewinnt, desto mehr gerät nicht nur sein Glaube an die Technik, sondern zunehmend auch sein Realitätsempfinden ins Wanken. Welche Absichten verfolgt Fröhlich? Was wurde aus seinem Vorgänger, dem jungen Wissenschaftler, der DAVE vor Jahren bereits als Vorbild diente? Und sind all diese Erinnerungen überhaupt noch seine eigenen?
Is this the real life? Lilly Busch
In Raphaela Edelbauers Science-Fiction-Roman tüftelt eine Laborgesellschaft wie besessen an einer Künstlichen Intelligenz. Die Programmierer:innen stellen sogenannte Scripts her, klein portionierte Handlungsanweisungen zum Mensch-Sein, die in DAVE eingespeist werden, damit die KI ein eigenes Bewusstsein erlangt. Ein Mensch beherrscht Millionen solcher Scripts, Dinge wie: ein Gericht zubereiten, ein Kompliment erwidern oder jemanden einladen, gehören dazu. DAVE wird durch Simulationen geschickt, um zu prüfen, wie seine Fähigkeiten gedeihen. Doch der finale Durchbruch lässt auf sich warten und die Belegschaft ist uneins, ob die Zahl der Scripts schlicht noch nicht genügt, oder ob DAVE einer einzelnen Person nachempfunden sein muss, um tatsächlich selbst Handlungsmotivation zu gewinnen. Die Laborleitung verfolgt letztlich den Ansatz der Personenhypothese: Als Modell für DAVE liefert Syz persönlich gefärbte Scripts, an die Gefühle von Stolz, Enttäuschung, Schmerz und Freude gebunden sind, statt neutraler Handlungsschemata. Schlagartig scheint sich das Leistungsvermögen von DAVE zu verbessern. Aber im Laufe des Kopiervorgangs wird die Trennlinie zwischen Syz und DAVE immer unschärfer. Syz‘ Zeit- und Raumwahrnehmung geraten durcheinander, er empfindet Entfremdung gegenüber der Laborrealität. Mehr noch, es schleicht sich der Verdacht ein, die erzählte Welt könnte selbst eine Simulation sein, an deren glitchende Ränder Syz stößt. Wie lässt sich überhaupt noch zwischen Mensch und Bot unterscheiden?
Edelbauers 2021 mit dem österreichischen Buchpreis ausgezeichneter Roman spielt durch, wie die Bewusstwerdung einer sich selbst verbessernde künstlichen Superintelligenz aussehen könnte. Ein technologischer Entwicklungssprung, dessen Umsetzbarkeit heutzutage in nicht allzu weiter Ferne zu liegen scheint. Dabei wird in der erzählten Geschichte bis zuletzt nicht vollends aufgeklärt, was simuliert und was echt ist, wo der Computer anfängt und wo der Mensch aufhört. Gerade darin ist das Buch hochaktuell: Leben wir doch in einer Gegenwart, in der Realitätserkennung eine neu zu erlernende Kompetenz ist, weil Mensch-MaschinenRelationen sich stetig wandeln. Die menschliche Bereitschaft, maschinengeneriertem Wissen zu vertrauen, ist groß – dieses zu überprüfen, ist indes kein so leichtes Unterfangen, weisen Sprachprogramme wie ChatGPT etwa gar keine Quellen aus, generieren Programme wie Midjourney oder Sora täuschend echte Bilder und Videos. Ist der Reflex, dieser gesellschaftlichen Entwicklung mit Furcht und Misstrauen zu begegnen, berechtigt? Was ist gefährlicher – die eigenständige Maschine oder deren missbräuchliche Anwendung durch Menschen? In DAVE wird der Gedanke verfolgt, dass eine selbst denkende KI die Menschheit eher vor Schaden bewahren würde, der drohen könnte, wenn einzelne Menschen sie als mächtiges Werkzeug benutzen. Die Tatsache, dass Tech-Unternehmen in der Lage sind, Einsatz und Verfügbarkeit von KI- Entwicklungen global zu lenken, macht diese Überlegung nachvollziehbar.
Lässt sich je überhaupt mit Sicherheit bestimmen, was virtuell und was real ist? Die Frage, wie wir etwas als real identifizieren können, gestaltet sich im KI- Zeitalter, in dem sich das Leben immer mehr ins Netz verlagert, unter anderen Prämissen. Schon 2003 stellte der Philosoph Nick Bostrom mit der Simulationshypothese die Behauptung auf, die Menschheit lebe in einer Computersimulation. Was nach Verschwörungstheorie klingt und popkulturell vielfach verarbeitet wurde (Filme wie Matrix, Die Truman Show oder Black Mirror: San Junipero seien genannt), ist gleichfalls eine ernsthaft geführte wissenschaftliche Diskussion. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um eine der ältesten Problemstellungen des Denkens. So hinterfragte in der Antike schon Platons Höhlengleichnis, wie die Realität von Dingen eigentlich feststellbar sei: In seinem Gleichnis sehen in einer Höhle angekettete Menschen die Welt in Form eines Schattenspiels und halten die Schatten für die Wirklichkeit. Einer von ihnen kann die Höhle verlassen und sieht die reale, schöne Welt außerhalb, doch als er zurück in der Höhle davon berichtet, will ihm niemand glauben. Während darin auch verhandelt wird, wo das gute Leben zu führen sei – in oder außerhalb der Höhle – und das Draußen die lebenswertere Wahl scheint, argumentiert der zeitgenössische Philosoph David J. Chalmers, das virtuelle Leben sei dem realen völlig gleichwertig. Chalmers findet, dass virtuelle Realität echte Realität sei, und hält es für denkbar und dabei keineswegs beängstigend, dass wir bereits in einer Simulation leben.
Als Kunstform, die Geschichten im Modus des „Als ob“ erzählt und zugleich eine eigene Bühnenrealität herstellt, die, wenn man so möchte, also etwas simuliert und real ist, ohne dafür notwendigerweise technologische Mittel zu benötigen, ist vielleicht gerade das Theater ein geeigneter Ort, um derartige Fragen zu erkunden.
Natürliche und künstliche Intelligenzen Interview mit Wilke Weermann
Worin lag für dich der Reiz, den Roman DAVE von Raphaela Edelbauer für die Theaterbühne zu adaptieren?
Für mich eignet sich das Theater als älteres Medium gut, um über die Zukunft nachzudenken. Mir fällt es leichter, ein bestimmtes Verhältnis zu Technologie zu reflektieren, wenn ich den Rahmen, der von ihr bestimmt ist, verlasse. Im Theater laufen höchstens natürliche Intelligenzen herum. Es ist einer der wenigen Räume, in denen wir den Flugmodus anmachen. Raphaelas Text ist sprachlich und inhaltlich komplex, er braucht einen konzentrierten Raum. Das mag ich am Theater: Man weiß, dass die Leute nicht nebenbei bügeln oder einschlafen, dass sie für 100 Minuten einigermaßen konzentriert bei einer Sache dabei sind. Am Roman selbst finde ich bemerkenswert, dass das Buch einerseits Sci-Fi-Erzählkonventionen mitträgt – ist DAVE eine Waffe oder wirklich die Lösung? –, dann aber eine Geschichte verfolgt, in der es um Identität geht.
Das Buch arbeitet eine enorme Menge an wissenschaftlicher Forschung zu künstlicher Intelligenz auf. Welche Aspekte waren dir für deine Umsetzung wichtig?
Wir haben uns viel mit der Simulationshypothese beschäftigt, von Nick Bostrom bis David Chalmers. Meine Herangehensweise an das Thema der Simulation war, dass wir sie uns als Videospiel denken, das bestimmten Einschränkungen unterworfen ist. Avatare haben begrenzte Handlungsmöglichkeiten. So ähnlich, wie es bei DAVE die Scripts gibt, die genau definieren, wie man sich verhalten kann, aber auch unendlich viele Handlungsoptionen ausschließen. Das hat für mich mit einer Vorstellung von Gesellschaft und Zusammenleben zu tun. Die Laborgesellschaft, die mehr und mehr zur Maschine wird, ist eine, die sich in Standardisierung auflöst. Außerdem war das Thema künstliches Bewusstsein für uns zentral. Darin steckt eine Machtfrage: Versucht man, ein Werkzeug zu schaffen, das Werkzeug bleibt, oder wird es größer als die Menschen, die es entwickeln? Das besondere an DAVE ist, dass wir diese Frage sozusagen von innen betrachten.
Du hast die digitalisierte Welt nicht mit technologischen Mitteln auf die Bühne gebracht, sondern sie mit den Schauspieler:innen in Körperlichkeiten übersetzt. Kannst du das erläutern?
Das Theater ist für mich eine seltsame, absurde Situation. Als Publikum sitzen wir da und tun so, als wären wir nicht da. Auf der Bühne sind Leute, die dafür bezahlt werden, so zu tun, als wären sie jemand anderes. Naturalismus ist für mich komisch, weil ich von so vielen Zeichen aus der Illusion gerissen werde, dass das gerade tatsächlich ist. Die technologische Entwicklung ist schon so fortgeschritten – mit den Mitteln, die das Theater hat und leisten kann, kann es, ohne horrende Summen auszugeben, gar nicht mithalten. Darum haben wir versucht, entschieden retro-futuristisch zu sein: Die Spieler:innen tragen keine richtige Apple Vision Pro Brille, sondern eine Schweißer-Brille.
Das Stück verhandelt auch die Problematik, dass Technikentwicklungen oft unabhängig von konkreten Anwendungsgebieten gemacht werden. Das führt zu technologischen Revolutionen, die sich die Menschen gar nicht ausgesucht haben.
Das ist für mich zu einem Grundthema des Stücks geworden. Ein Großteil der Welt labelt Fortschritt als etwas Positives. Fortschritt wird teilweise zu einem Selbstzweck, der völlig vergisst, ob es überhaupt jemals ein Problem zu lösen gab. Das Internet wurde auch als die Lösung von 1000 Problemen gefeiert, als demokratischer Raum für die Gesellschaft. Dabei hat sich niemand hingesetzt und gesagt: „Das ist unser Problem und deswegen brauchen wir das Internet“, es wurde geschaffen von Nerds für Nerds. Im Bereich der KI sind wir noch in der Wild West Phase, in der das Internet auch mal war, die chaotisch ist, in der alles geht. Heute hat die Hand des Marktes das Internet übernommen. Für KI als neuen Ausläufer von Technologie muss das wohl auch so kommen.
Würdest du dich selbst als technikoptimistischen Künstler bezeichnen?
Ja, ich bin sehr technikoptimistisch. Technologie vergrößert unseren Handlungsspielraum und damit die Möglichkeiten Lösungen zu finden. Aber wir leben weder auf einem Planeten mit unbegrenzten Ressourcen noch in politischen oder klimatischen Bedingungen, die uns endlos Zeit lassen, sodass man Sachen priorisieren müsste, die zweckgebundener und zielgerichteter sind. Ich habe noch keine Angst davor, als Künstler von KI ersetzt zu werden. ChatGPT und Midjourney sind zwar in der Lage, in einem vorgegebenen Genre Kunst zu produzieren, aber sie kommen nicht auf die Idee, eine Idee zu haben. Ich glaube, wir beschäftigen uns mit Kunst, weil wir Kontakt suchen zu anderen Menschen und deren Erlebniswelten. Gerade bei einem Roman verbinde ich mich stark mit dem Kopf von jemand anderem. Diese Person will mir etwas sagen über die Welt, in der wir leben. Und eine KI lebt einfach nicht in der Welt. Die KI will nichts, erstmal. Wenn DAVE alle Parameter und alle Relationen kennt, steht er da wie so ein Brockhaus im Regal. Aber warum sollte eine KI, der ich das nicht vorgebe, ein Haiku schreiben?