Programmzettel
Penthesilea: Ein Requiem /
პენთესილეა. რეკვიემი
Die Griechen vor den Mauern Trojas: Der Kampf der Systeme ist zum Stellungskrieg geworden, als das Volk der Amazonen vor dem Heerlager erscheint. Die Amazonen sind stolze Kämpferinnen – an ihrer Spitze: die Königin Penthesilea auf der Suche nach dem einst glänzenden Helden Achill. Sie, die das nicht darf, liebt ihn. Und er, der das nicht sagen kann, liebt sie. Beide sind des Mordens müde. Aber der Krieg ist größer als jede Heldin und jeder Held. Und so entspinnt sich zwischen ihnen ein unerbittliches Spiel aus Liebe und Tod, während die Schlachtfelder ringsum zum Leben erwachen.
Die in Georgien geborene Schriftstellerin und Regisseurin Nino Haratischwili ist eine der wichtigsten literarischen Stimmen in Deutschland. Ihre Romane Das achte Leben (Für Brilka) (2014), Die Katze und der General (2018) und Das mangelnde Licht (2022) wurden vielfach ausgezeichnet und erzählen von einem Land am Rande Europas, von einem übermächtigen Russland und vom permanenten Kriegszustand. Mit Penthesilea. Ein Requiem legt Nino Haratischwili eine Neudeutung des antiken Mythos vor und untersucht mit kriminalistischer Präzision das Aufeinandertreffen zweier Welten. Gemeinsam mit Schauspielerinnen aus Georgien und dem Ensemble des Deutschen Theaters bringt sie den Liebesmord in Zeiten des Krieges in einer zweisprachigen Inszenierung auf die Bühne.
Alte Wunden Gespräch mit Nino Haratischwili
Liebe Nino, was unterscheidet das Schreiben für Buchdeckel vom Schreiben für die Bühne?
Ich kann diese Frage eigentlich nicht so richtig beantworten: Schreiben ist natürlich Schreiben, der Prozess ist ähnlich, man nähert sich an, man denkt nach, sucht, manchmal monatelang, manchmal sogar jahrelang … die Vorgehensweise ist immer ähnlich. Aber eine Sache zeichnet das dramatische Schreiben dann doch aus: Ich kann als Autorin gänzlich ‚verschwinden‘. Auf der Bühne müssen die Figuren für sich sprechen, sie müssen sich selbst erklären oder eben nicht, sich selbst offenbaren und verschleiern – und das reizt mich sehr, weil ich gerne in Figuren eintauche, mich gerne in ihre Welten verliere. Natürlich sind alle meine Figuren mit mir verbunden, ich muss sie durch mich durchsickern lassen wie durch ein Sieb. Trotzdem genieße ich es sehr, hinter ihnen zu verschwinden. Deswegen liegt mir zum Beispiel autofiktionales Schreiben überhaupt nicht. Das ist nicht mein Zugriff.
Deinem Theaterstück liegen verschiedene Vorgängerdramen und Sagenkreise zugrunde: antike Erzählungen rund um den Trojanischen Krieg, aber auch Heinrich von Kleists gleichnamiges Drama. Du überschreibst sie alle, weichst auch von allen ab. So heißt Alcibie bei Kleist Prothoe, Agamemnons Entführung von Briseis kommt bei Kleist nicht vor; bei dir kämpfen die Amazonen auf Seiten der Troer, bei Kleist ziehen sie gegen Troer und Griechen in die Schlacht, usw. Wie ist der Text entstanden? Was bedeuten die Vorlagen für dich? Und wie sehr denkst du im Schreibprozess über die Vorgängertexte nach?
Als ich angefangen habe, mich dem Stoff anzunähern, habe ich natürlich von Homer bis Kleist alles wieder hervorgeholt, aber ab einem gewissen Punkt habe ich beschlossen, mich nicht zu sehr von den Vorlagen beeinflussen und vor allem einschüchtern zu lassen. Ich hab dann alles recht schnell zur Seite gelegt. Bei einer Neuschreibung muss man noch viel mehr als bei einem Original um einen eigenen Zugriff ringen, sonst macht sie ja gar keinen Sinn. Und so war es für mich wichtig, meine ganz eigene Sicht, meine eigene Vision des Stoffes zu entwickeln.
Erstaunlicherweise gibt es von Penthesilea, anders als bei vielen anderen großen, antiken Frauengestalten wie Antigone, Medea, Iphigenie, etc. kaum neue Deutungen. Das hat mich verblüfft. Und zugleich hat es mir die Sache leichter gemacht: Der Mythos und Kleist hallten natürlich die ganze Zeit in mir nach, haben dann aber zu einer eigenen Form gefunden. Ich wollte meine Version schon zu Beginn als ein Kammerspiel anlegen, auf wenige Figuren und auf wenige Tage reduziert, wie eine Verdichtung all dieser irrsinnigen Themen, die im Mythos enthalten sind … wie eine Art Reagenzglas.
Genauso wichtig war mir, eine eigene Archaik in der Sprache zu finden. Ich wollte den Stoff nicht ins Heute zerren und ihm seine jahrtausendealte Dimension nehmen. Ich wollte mit dem Mythos als solchem spielen. Das ganze Stück lang erzähle ich meine Version von Penthesilea, aber beendet wird das Stück vom Mythos. Das Finale des Stücks schreibt sich quasi selbst … Das ist ja das wunderbare an dieser Art von Neudichtung. Man versucht seine eigene, kleine Schicht auf diese ewigwährende, ewigandauernde, sich ewig fortsetzende Erzählung zu legen, eine kleine Färbung, eine kleine, eigene Vision, aber den Kern bildet etwas, was sehr alt und vielschichtig ist …
Penthesilea ist Teil einer Trilogie: Phädra, das erste Stück dieser Trilogie, hast du am Royal District Theater in Tiblissi uraufgeführt. Mit Penthesilea kommt nun der zweite Teil zur Uraufführung. Im kommenden Jahr folgt dann noch Klytämnestra. Gab es die Trilogie-Idee von Anfang an?
Nein, ursprünglich wollte ich nur Phädra schreiben, damit hatte ich schon länger geliebäugelt, aber davor hatte ich sehr lange ausschließlich Prosa geschrieben und als ich anfing, an Phädra zu arbeiten, war ich wieder so sehr für die Dramatik und vor allem für die Antike entflammt, dass ich einfach nicht aufhören konnte und wollte. Und so beschloss ich, eine Trilogie zu machen. Die Antike bleibt eine Art ewiger Inspirationsquell für mich. Ich könnte alle paar Jahre dorthin zurückkehren und Neues entdecken …
Was verbindet die drei Frauengestalten?
Auf den ersten Blick sind die Frauengestalten nur rudimentär miteinander verbunden: Alle drei sind Königinnen. Theseus, der Gatte von Phädra, ist zugleich der erste Gatte und Entführer von Penthesileas Schwester Antiope. Agamemnon, der Mann Klytämnestras, kämpft neben Achill, gegen den wiederum Penthesilea kämpft, usw. Aber das sind nur lose Fäden, die im Grunde keine entscheidende Rolle spielen. Viel wichtiger ist, dass die Frauen drei sehr unterschiedliche Archetypen darstellen. Phädra, die ewig Zögernde und Sehnende, Penthesilea, die Ideologin und Kriegerin, und Klytämnestra, die Rächende. Alle drei sind Opfer und Täterinnen zugleich. Das reizt mich sehr. Keine ist nur schwarz oder nur weiß, alle drei sind äußerst komplex und ambivalent und alle drei geraten auf unterschiedliche Art und Weise in einen Konflikt mit der Macht.
Das Stück trägt den Untertitel Ein Requiem. Warum?
Es ist ein Todeslied, ganz klar. Mich reizt an diesem Stoff die Ausweglosigkeit, die dem Konflikt zwischen Achill und Penthesilea zugrunde liegt. Im Grunde ist alles von Anfang an zum Scheitern verurteilt und es gibt keinen Ausweg, egal, wie man es dreht und wendet. Eine Lösung ist einfach nicht vorgesehen und doch findet in dieser Ausweglosigkeit das ganze Leben im Schnelldurchlauf statt: Liebe, Hass, Sehnsucht, Pflicht versus Gefühl, Glück, Verlust und natürlich der Tod. Ich fand es für mich als Autorin eine äußerst reizvolle Herausforderung, ein abendfüllendes Stück darüber zu schreiben, dass es keinen Ausweg aus dem Konflikt gibt – weder in der fünften Minute noch nach anderthalb Stunden.
In der DT-Inszenierung wird der Krieg der Kulturen auch zu einem Krieg der Sprachen. Du hast Eka und Anano aus Tiblissi ans DT geholt; das Ensemble hat schnell zusammengefunden; aber es gab während der Proben und gibt während der Szenen keine gemeinsame Sprache. Es sind Kulturen, auch Spiel- und Theaterkulturen, die in der Produktion aufeinandertreffen. Was ist der Reiz einer solchen Konstellation?
Es ist eine Bereicherung und eine Herausforderung zugleich: denn, wie du es sagst, in unserer Produktion haben wir die Sache mit den zwei Kulturen und Sprachen wörtlich genommen und nicht nur auf der Stückebene durchgespielt. So wie Penthesilea und Achill zu Beginn vermeintlich keine gemeinsame Sprache haben und sich als Feinde gegenüberstehen, so standen sich bei uns in gewisser Weise auch die Schauspieler:innen gegenüber: sprachlos. Und für alle ist es eine immense Herausforderung, denn Georgisch ist keine Sprache, die mit irgendwas verwandt ist und die sich von irgendwas ableiten ließe. Ein Sprung ins kalte Wasser, ein Experiment. Aber natürlich ist es auch toll, weil sich die Geschichte im Prozess wiederfindet: Wo kein Verständnis und keine Gemeinsamkeiten entstehen sollen und können, geschieht es dann doch! Zwei Menschen, zur Sprachlosigkeit und zum Hass bestimmt, verlieben sich ineinander. Und so ist es ein wenig auch bei uns: Man muss Wege finden, sich anzunähern, eine Gemeinschaft schaffen, wo man keine Sprache und keine Mittel zur Verfügung hat. Also muss man Umwege gehen, andere Ebenen suchen, z. B. das Körperspiel, man muss anders aufeinander zugehen und viel Geduld mitbringen. Und was es am Ende für uns alle bringt und mit uns macht, das sehen wir dann am 23. Februar bei der Premiere.
Du lebst in Deutschland, verbringst aber viel Zeit in Georgien und verfolgst die Geschicke deines Heimatlands. Wie hat sich die Situation in Georgien durch den Ukraine-Krieg verändert?
Ach, alte Wunden sind wieder aufgerissen worden. Der letzte Krieg mit Russland war erst 2008 und ich erinnere mich noch lebhaft an ihn … Die Regierung hat sich nach dem Überfall auf die Ukraine leider nicht so verhalten, wie sich die Mehrheit der Bevölkerung das gewünscht hätte: Sie haben sich sogar gegen die Sanktionen ausgesprochen, was zu Massenprotesten und Demos geführt hat. Die Georgier:innen zeigen sich ungemein solidarisch mit der Ukraine und einige sind auch dort hingegangen, um zu kämpfen. Man versteht diesen Krieg auch als einen eigenen. Hinzu kommt, dass neben den Flüchtlingen aus der Ukraine, die alle mehr als willkommen waren und sind, viele Tausende (die genaue Zahl weiß niemand, aber sie dürfte hoch sein!) Russen ins Land gekommen sind und niemand kann sagen, was das für Menschen sind: IT-Spezialisten, die aus einem sicheren Land weiterarbeiten wollen, Oppositionelle, wohlhabende Mittelschicht auf der Flucht vor dem Regime? Sie kaufen Immobilien, eröffnen Cafés, leben oft ein ziemlich sorgenfreies Leben. Und niemand weiß, wie lange sie bleiben. Die Regierung unternimmt nichts und kontrolliert nichts. Es ist paradox: Wir beherbergen Flüchtlinge aus dem Land, das 20% unseres eigenen okkupiert hat. Und die Situation ist entsprechend angespannt. Die Sprache z. B. ist zu einem extremen Politikum geworden.
Wieviel konkrete Kriegserfahrung und wieviel Heute steckt in diesem Theatertext?
Als ich anfing, an Penthesilea zu arbeiten, brach wenige Wochen später der Krieg in der Ukraine aus – und natürlich floss das alles mit ein, ohne dass ich irgendeine Form von Tagesaktualität versucht habe. Für mich liegen die Parallelen auf der Hand. Ich bin mit Bürgerkriegen aufgewachsen. Auch als Autorin beschäftige ich mich schon mein ganzes Leben lang mit Gewalt und mit Krieg. Ich habe viel darüber geschrieben. Und wahrscheinlich wird es mich auch weiterhin beschäftigen, denn ich habe leider keine Hoffnung, dass wir in absehbarer Zeit in einer friedlicheren Welt leben werden.
Das Gespräch führte Bernd Isele.