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Programmzettel P*RN

  • Aufklärung
  • FSK16!
  • Tabuthema

CONFETTI BANG Wir sind heute Abend hier, um über ein besonderes Thema zu sprechen: PORNOS –

SUPERNOVA – die für uns natürlich tabu sind: So wie es vom Gesetzgeber gewollt und geboten ist! Denn sobald man unter 18 einen Porno schaut, und wenn es auch nur ein klitzekleiner Schnipsel ist, dann kommt sofort die Polizei!

SEXY SUNSHINE Da hat man keine fünf Minuten mehr und dann lebenslang Knast! Mit den anderen SCHMUTZFINKEN!

CONFETTI BANG Denn alle, die unter 18 sind und Pornos schauen sind SCHMUTZFINKEN, die in den Schmutz gehören!

PINK PEGASUS … auch wenn wir das Gesetz natürlich respektieren und lieben, wie alle Jugendlichen, können wir doch nicht anders, als heute vor euch zu stehen ...

BUBBLEGUM BLUE Wir können nämlich nicht mehr, wir fühlen, wie etwas uns lockt von dort, hinter der Alterssperre ... Es zerfrisst mich so!

SEXY SUNSHINE Uns alle, Bubblegum!

Zusammen mit sechs Jugendlichen entwickeln Sofie Boiten und Lorenz Nolting ein Stück über Pornografie, eine Sprache über die Sprachlosigkeit und einen Umgang mit all den Tabus, die lange vor der Altersabfrage auf einer Internetplattform beginnen. Das DT hat ein Schutzkonzept für die Teilnehmenden erarbeitet, in der Inszenierung werden keine pornografischen oder sexualisierten Inhalte dargestellt. 

Besprechen statt Bewerten von Johann Otten

Eine Szene auf dem Schulhof: Drei feixende Jungs stecken die Köpfe zusammen, kichernd. Sie sind fünfzehn, vielleicht ist der links auch noch vierzehn, alle drei aus der Klasse über dir. Einer hält ein Smartphone in der Hand, gerade so hoch, dass die anderen es sehen können, du aber noch nicht. Langsam näherst du dich, neugierig. Was schauen sie sich wohl an? Die Stimmung ist irgendwie aufgeladen, haben sie das Telefon vielleicht geklaut? Du stehst hinter ihnen, reckst den Kopf, willst sehen, was sie sehen. Da dreht sich der mit dem Handy um und streckt dir das Display direkt vors Gesicht. Die Bilder, die Körper, ihre Bewegungen, sie brennen sich ein, du wirst sie lange nicht vergessen können. Du weißt, was das ist, hast davon schon gehört, aber es ist ein seltsames Gefühl, das jetzt durch deinen Körper geht, überrumpelt, angezogen. Überforderung. Was gefällt den dreien hier, gefällt es ihnen überhaupt? Diese Bilder, dieser Porno?

Diese Szene, sie hätte sich genauso im Freibad oder den Umkleiden eines Fußballvereins ereignen können. Vielleicht wäre dieser erste Blick aber auch eine Datei gewesen, geteilt über WhatsApp und unwissentlich geöffnet, überfordernde Bilder allein auf dem eigenen Handy, im Bus nach Hause. Und gleichzeitig eine im Grunde unmögliche Szene: Pornografie ist eigentlich unzugänglich für Minderjährige, unverkäuflich, im Internet versperrt durch eine Altersschranke. Dennoch selbstverständlich in der Allgegenwärtigkeit des Internets und der technischen Verfügbarkeit jedweder Information und Datei, auch auf einem Schulhof. Noch ist diese Altersbarriere keine wirkliche Grenze, Pornografie nur einen Klick entfernt. Aber das wird sich vielleicht ändern, wird doch die Europäische Kommission ab Februar 2024 überprüfen, ob Pornowebseiten die geforderten, strengeren Kontrollen zur Volljährigkeit ihrer Nutzer:innen umsetzen, vielleicht sogar digitale Ausweiskontrollen einführen.

Doch die Hoffnung, Überforderung durch stärkere Kontrollen zu verhindern, scheint angesichts der Fülle des Materials fast vergeblich. Rund ein Drittel des digitalen Datenverkehrs besteht schließlich aus Pornografie und diesen ganz abzuschirmen ist wohl kaum umsetzbar. Lohnt es sich also vielleicht zu fragen, ob die strengere Einschränkung der Zugänglichkeit die richtige Lösung ist. Folgt man der Pornowissenschaftlerin Madita Oeming, dann ist weniger der jugendliche Konsum von Pornografie das Problem, sondern vor allem die Sprachlosigkeit, die die eigene Erfahrung von Pornografie umgibt. Zudem das Fehlen von Wissen, was Porno alles bedeuten kann, jenseits eines frühsexualisierenden Mediums. Vielmehr sei eine universelle Schädlichkeit oder auch Harmlosigkeit von Pornos immer eine unzulängliche Pauschalisierung, so die Wissenschaftlerin. Anstatt sich nur an der Frage nach der Wirkung von Pornografie aufzuhalten, schlägt sie eine aktive, mündige und wertfreie Auseinandersetzung mit den Umständen unter der eigenen Pornonutzung vor, die Reflexion der Motive und Gefühle die damit verbunden sind.

Selbstverständlich bedeutet dies nicht, es gäbe keinen Handlungsbedarf: Die problematische Seite der Pornoindustrie geht weit über die leichte Zugänglichkeit für Minderjährige hinaus: Pornoproduktion kann noch immer mit Ausbeutung, Sexismus und Diskriminierung einhergehen, auch wenn sich die Produktionsweisen im digitalen Zeitalter durch die Entwicklung alternativer, queerfeministischer Plattformen, die unabhängige Selbstvermarktung von Amateurdarsteller:innen und medienwirksame Erfolgsgeschichten glücklicher, pornoproduzierender Paare in fränkischen Dörfern stark verändert haben.

„Die Debatten rund um Pornografie haben Aktivist:innen in ein Anti- und ein Pro-Porno-Lager geteilt. Die eine Seite agiert entlang der Annahme: „Porno ist Grund für alles Übel!“ Die andere unter dem Credo: „Porno befreit uns alle!“ Beides ist verkürzt. Porno ist nicht nur Unterdrückungs- oder nur Befreiungsinstrument. Porno fetischisiert marginalisierte Gruppen und nicht-normative Körper, bietet ihnen aber auch einen Ort, sich auszudrücken und sich selbst zu finden. Porno schreibt die Rassismen und Sexismen unserer Gesellschaft fort und bricht mit ihnen. Er festigt die bestehenden Grenzen und fordert sie zugleich heraus. Porno hat emanzipatorisches Potenzial und kann dennoch ausbeuterisch sein. Ich hätte auch gerne simple Antworten, aber stattdessen lauern überall Ambivalenzen. Diese gilt es aufzuzeigen, anzuerkennen und mitzudenken.“

– Madita Oeming in PORNO. Eine unverschämte Analyse

Umso wichtiger scheint daher das Schaffen von Wissen und einer Sprache über Pornografie. Pornos sind Teil der Alltagskultur, beinahe altersunabhängig und in Zeiten zunehmend polarisierender Debatten ist der Versuch einer wertfreien Auseinandersetzung damit ein zwingend notwendiger, politischer Akt. Wenn eine aktive Auseinandersetzung damit, was wir mit Pornos machen wollen ein Denken des passiven Ausgeliefertseins vor den zwangsläufigen Folgen des Pornoskonsums ablöst – und diese Auseinandersetzung schlussendlich zu mehr Wissen über die eigenen Bedürfnisse, Sehnsüchte, den eigenen Körper führt – wem sollte das schaden?

P*RN – Das Stück mit  dem Sternchen von Timo Staaks

Während des Probenprozesses haben viele Beteiligte eine sehr ähnliche Erfahrung gemacht: Das Sprechen über das Projekt provoziert Begeisterung. „Endlich ein Stück über Pornografie, das ist so wichtig!“ Doch knüpft an die Begeisterung schnell auch eine Erwartung an: Erwartet wird ein Stück, dass die eigene Meinung zu Pornografie wiedergibt, sie vergrößert und, von den Jugendlichen übernommen, die Gleichaltrigen erzieherisch aufklärt. Doch kann der Sinn eines Stücks darin liegen, Jugendliche als Sprachrohr für erwachsene Gedanken zu (be-)nutzen? Mindestens fragwürdig. Und wenn Erwachsene schon nicht zu einem Konsens kommen, schaffen es Jugendliche doch erst recht nicht – oder?

Diese These bedarf auf jeden Fall einer theatralen Überprüfung! Denn auch wenn Jugendliche vor dem Gesetz als noch nicht vollends mündig gelten, sind sie doch Expert:innen ihrer eigenen Erfahrungen, zu denen auch die freiwilligen, unfreiwilligen und übergriffigen Kontakte mit Pornografie gehören. Und die Lebenswelt Jugendlicher im Jahr 2024 ist in manchen Belangen schlichtweg anders als die Erinnerungswelt von älteren Semestern. Also, liebe Erwachsene, ihr seid jetzt nicht gefragt. Auch das Regieteam ist mal still. Die Jugendlichen machen das jetzt.

„Wenn es ein Stück über Pornografie für sechs Jugendliche gäbe, dann könnten wir das einfach spielen. Gibt’s aber nicht, deswegen müssen wir das jetzt erfinden!“, so Lorenz Nolting und Sofie Boiten bei der ersten Probe. Eigentlich eine angenehme Ausgangssituation, keine ausgetretenen Wege in diesem Themen-Dschungel – aber eben auch keine Orientierung. Wo also anfangen, wo die Schneise schlagen? Links und rechts, immer wieder Klippen, giftige Pflanzen. Es lauert und raschelt im Gebüsch. Doch da, ein Wegweiser: „Wer einen pornografischen Inhalt einer Person unter 18 Jahren anbietet, überlässt oder zugänglich macht […] wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft“. Kein Anbieten, kein Werben, kein Auffordern. So klar diese Vorgaben sind, für ein „How-To: P*RN“ reichen sie nicht aus: Ist das Aussprechen des Namens einer Porno-Plattform bereits Werbung? Im Zweifelsfall: ja. Doch was folgt daraus für die Proben und das Stück? Es soll doch ab 16 sein! Wie über etwas sprechen, das nicht alle gemeinsam gesehen und erlebt haben, wie es in anderen Probenprozessen mit Recherchematerialien den Normallfall darstellt? Was sind die unverrückbaren persönliche Grenzen der beteiligten Menschen und wie wahrt man diese? Wer muss mit auf die Reise durch den Dschungel, damit man unbeschadet am anderen Ende ankommt?

Es braucht eine Gruppe mutiger Abenteurer:innen, die als Ensemble bereit sind, sich auf die Reise zu machen, den Weg zu bestimmen und das Tempo vorzugeben, die sich darüber hinaus auch trauen, sich auf der Bühne zu behaupten. Es braucht rechtliche Beratung. Es braucht ein künstlerisches Team, das szenische Vorgänge, Situationen, Räume und Kostüme findet, die Inhalte erzählen und ernsthaft verhandeln, ohne selbst in die Porno-Falle zu tappen. Es braucht pädagogische Begleitung, die auf die Wahrung von Grenzen achtet und an die sich gewendet werden kann. Und vielleicht braucht es auch etwas pornöse Doppelbödigkeit, um alle Anwesenden vor zu viel Selbstkundgabe zu schützen.

Alles, was Sie an diesem Abend hören werden, kommt von den Spieler:innen. Aber nicht alles davon ist wahr. Wie viel genau, das bleibt ein wohlgehütetes Betriebsgeheimnis. (Wahrscheinlich mehr als Sie denken, vermutlich weniger als Sie hoffen.) Doch auch wenn es nicht wahr ist, kann es doch wahrhaftig sein.