© Jasmin Schuller Leon Rüttinger, Lucy Blasche

Programmzettel Sneaker oder Was bleibt uns übrig

  • Chancen
  • Umverteilung
  • Lebenslotterie

„Du kannst alles schaffen, wenn du nur dran glaubst!“, lautet eine Verheißung, aber nicht alle laufen von der gleichen Startlinie los: Was wir erben, bedingt, wie wir wegkommen. Was erbt jede:r Einzelne, was alle zusammen? Eigentum ermächtigt, Eigentum trennt. Und besser, man spricht nicht darüber. Erbe ist Zufall, es fällt uns in den Schoß oder nicht – ohne dass wir dafür gearbeitet haben, oder etwas dafür können. Erbe gehört umverteilt! Oder hat die Lotterie des Lebens auch ihre positiven Seiten? Was wollen wir erben und wie und was wollen wir vererben und an wen?  In Sneaker trifft der CEO und Erbe eines führenden Turnschuhherstellers auf eine für die Umverteilung von Reichtum kämpfende Aktivistin. Die beiden Figuren, deren Ansichten gegensätzlicher nicht sein könnten, verstricken sich in eine rasante und lustvolle Auseinandersetzung über Verantwortung und Gerechtigkeit und über die Frage, was mit dem Reichtum Einzelner in einer faireren Gesellschaft eigentlich anzustellen wäre. 

Torte der Wahrheit von Katja Berlin

Ererbtes und erarbeitetes Geld

Sechs Milliarden. Wie kann man diese Zahl überhaupt denken? Das sind sechstausendmal eine Million. Angenommen man würde pro Sekunde einen Euro verdienen, also 3600 Euro in der Stunde, dann müsste man immer noch 190,2 Jahre nonstop 24 Stunden sieben Tage die Woche arbeiten, um so viel Geld zu verdienen. Aber wer verdient schon 3600 Euro pro Stunde?  

Eins ist klar: Den Wert der  Firmenanteile, die der Turnschuh-Unternehmer Louis in Sneaker ohne eigenes Zutun erworben hat – sechs Milliarden – kann sich kaum jemand aus eigener Kraft im Laufe des eigenen Lebens erarbeiten. Wohlstand und auch Aufstiegschancen hängen wesentlich vom Vermögen ab, mit dem man aus reinem Zufall bei der Geburt ausgestattet worden ist. Wer reich ist, hat meistens geerbt. Jährlich wird in Deutschland geschätzt 400 Milliarden Euro an Erbvolumen weitergegeben (im Vergleich dazu: Der Bundeshaushalt beträgt rund 500 Milliarden Euro). Die Steuereinnahmen aus der Erbschaftsteuer lagen im Jahr 2022 jedoch nur bei etwa neun Milliarden Euro, also etwas mehr als zwei Prozent.

Den Nachkommenden gute Startvoraussetzungen im Leben zu bieten, etwas weiterzugeben an die Zukünftigen, ist ein nachvollziehbarer menschlicher Wunsch. Erbe per se zu verteufeln, greift daher zu kurz. Und es ließe sich nicht einmal in der Theorie einfach abschaffen, besteht es doch nicht nur aus dem offensichtlichsten Faktor – Besitz und Vermögen – sondern auch in immateriellen Dingen wie Ähnlichkeit und Erfahrungswissen. Auch gesundheitliche Veranlagungen und Beziehungen werden vererbt, Schulden, Konflikte und Traumata, und nicht zuletzt: der Zustand des Planeten.

Vermögen qua Geburt

Aber kann Familienzugehörigkeit astronomische Vermögen rechtfertigen? Stünde dieser Reichtum nicht zumindest anteilig denen zu, die ihn ermöglicht haben? Ohne die Menschen, die tatsächlich Dinge herstellen, transportieren, reparieren, instand halten, würde jeder Konzern stillstehen. David Graeber schreibt dazu in seinem Buch Bullshit Jobs: „Angenommen, wir würden alle eines Morgens aufwachen und feststellen, dass nicht nur Krankenschwestern, Müllarbeiter und Mechaniker verschwunden sind, sondern dass auch Busfahrer, Lebensmittelverkäufer, Feuerwehrleute und Schnellrestaurantköche in eine andere Dimension transportiert wurden: Die Folgen wären katastrophal.“ Das gleiche gilt für die Arbeiter:innen in Familienunternehmen.

Doch paradoxerweise ist die Erhöhung von Erbschaftssteuern auch unter Nicht-Erb:innen unbeliebt. Hat das damit zu tun, dass die Zahlen, um die es geht, schlicht und ergreifend jenseits der Vorstellungskraft liegen? Wie viele Nullen haben nochmal sechs Milliarden? Der Grund scheint auch zu sein: Obwohl die Ungerechtigkeit in der Verteilung der Erb-Rucksäcke offensichtlich ist, ist der Glaube daran, aus eigener Kraft erfolgreich zu sein, alles schaffen zu können, ein hartnäckiger – und wahrscheinlich auch ein unabdingbarer. Denn was bleibt einem anderes übrig, als an sich und die Möglichkeit des Aufstiegs, des Erreichens der eigenen Ziele zu glauben, allen Widerständen zum Trotz?

20 000 Euro für alle?  

Welche Wege zu mehr Chancengleichheit gäbe es? Der Gerechtigkeitstheoretiker Stefan Gosepath schlägt ein Grunderbe für alle vor: Um die Startchancen der jungen Erwachsenen auszubalancieren, soll der Staat allen 20 000 Euro zahlen. Bei ca. 750 000 jungen Erwachsenen pro Jahrgang ließe sich das mit 15 Milliarden Euro pro Jahr finanzieren, eine Summe, die man über höhere Steuern auf Erbschaften und Vermögen realistisch finanzieren könnte. Könnte es nicht sogar eine Vision sein, mit zunehmendem Abstand der Erb:innen vom tatsächlichen Aufbau eines Unternehmens den weitergegebenen Besitz prozentual zu verringern, Firmenerbe also beispielsweise in zweiter Generation nur noch um 50 Prozent an die Nachkommen zu vererben, in dritter Generation um 25 Prozent, und so weiter?

Warum hegen wir Reichtum nicht demokratisch ein?  

In jedem Fall ist Erbe etwas, über das unbedingt gesprochen und gestritten werden sollte: unter vier, sechs, oder acht Augen, in einer Schulklasse, im Verein, auf jeden Fall gemeinsam. Denn wie die Aktivistin Lou es im Stück formuliert: „Sobald es um viel Geld geht, richtig viel Geld, sollte es immer ein Wir geben.“

„Weißt du, es ist mir auch manchmal peinlich, wie pervers viel Geld wir haben. Der Schuh und das Geld kommen beide immer zu meiner Familie zurück. Wie ein Bumerang. Ich komm ja kaum hinterher mit dem Spenden. Und es wird trotzdem nicht weniger. Kann ich auch nichts für, ok!?“