© Thomas Aurin Anja Schneider, Sarah Franke

Programmzettel Weltall Erde Mensch

Parallelwelten von Karla Mäder

In der lichtverschmutzten Großstadt Berlin ist der Blick in den Sternenhimmel leider kein allzu erhebendes Erlebnis. Aber man muss nicht weit fahren, um einen der dunkelsten Orte Deutschlands zu erleben: Rund 70 Kilometer westlich der Stadt funkeln im Naturpark Westhavelland, einem von der „International Dark Sky Association“ zertifizierten Ort, Sterne, Planeten und Sternschnuppen, dass es eine Freude ist. Dort kann man den Sternenhimmel so sehen, wie ihn seit unvordenklichen Zeiten Menschen beobachtet haben, dieses jedermann frei zugängliche Naturphänomen, das die Fantasie anregt wie kaum etwas anderes.

„Jede Kultur entwirft in ihrem Sternenhimmel das symbolische Deckengemälde, in dem sie sich darstellt und aus dem sie meist auch noch ihre Energie bezieht, ihren élan vital, und ihre Götter“, meint der Schriftsteller Raoul Schrott, der für das Projekt Sternenhimmel der Menschheit Bilder sammelt, die sich 17 verschiedene Kulturen – von den Mesopotamiern über die Maya bis zu den Inuit – von den Sternen machten. Wer heute in den Nachthimmel schaut, erkennt meist zwar immer noch zumindest den großen Wagen oder den Orion, aber er oder sie sieht auch Flugzeuge, die den Himmel queren und Satelliten, die, wenn es nach Elon Musk geht, in naher Zukunft zu Zehntausenden durch den Orbit kreisen sollen, um das Internet noch in den entlegensten Winkel der Erde zu bringen.

Das Deckengemälde unserer Zeit ist eines, das neben die poetische Dimension der unfassbaren Unendlichkeit mit ihren Myriaden von Möglichkeiten für extraterrestrische Intelligenz oder metaphysische Erlösung die wissenschaftliche Erkenntnis und die kalte, rationale Erschließung und Ausbeutung stellt. Der Kapitalismus ist im Weltall angekommen, spätestens, seit sich die USA unter Barack Obama 2015 zu seinem Verwalter erklärt haben: eine unglaubliche Anmaßung, gegen die allerdings nur die Astrophysik protestierte. Diese wiederum schätzt, dass die Milchstraße 100 bis 400 Milliarden Sterne und das Universum 100 Milliarden Galaxien enthält. Unvorstellbar viel. All das macht aber nur ungefähr zehn Prozent des gesamten Universums aus, der Rest ist leer und unheimlich kalt.

Und unsere Erde?

Ist ein Zwergplanet in einem entlegenen Winkel des Weltalls, der seit etwa viereinhalb Milliarden Jahren existiert und die Hälfte seines Lebens noch vor sich hat. Die ersten Milliarden Jahre war nicht allzu viel los, dafür geschah sehr viel in den letzten 10.000 Jahren und richtig viel in den vergangenen Jahrhunderten. Doch trotz aller gemachten Erfahrungen, aller technischen und technologischen Entwicklungen, allem wissenschaftlichen Fortschritt, allen philosophischen Erkenntnissen, zivilgesellschaftlichen und politischen Anstrengungen zum Hohn: Am Beginn des dritten Jahrtausends unserer Zeitrechnung sind wir nicht in der Lage, das Zusammenleben aller Menschen friedlich und solidarisch zu organisieren und die Erde so zu behandeln, dass sie nachfolgenden Generationen als sichere und gesunde Heimat dient.

Wenn es auf dem Boden der Tatsachen unbequem und auf Erden beschwerlich wird, dann geht von jeher der Blick gen Himmel, auf der Suche nach Erlösung aus dem irdischen Jammertal. Insofern kann es kaum verwundern, dass nach Jahren, in denen die Astrophysik abgemeldet, die Raumfahrt auf dem Abstellgleis gelandet und Science-Fiction bestenfalls als Vorlage für Hollywoodblockbuster interessant schien, plötzlich all dies wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rückt. Kaum eine Woche im Herbst 2023, in der nicht von ge- oder missglückten Raketenstarts und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen oder verrückt scheinenden Investitionen und bahnbrechenden Forschungsvorhaben berichtet würde. Auf einmal, so scheint es, gibt es wieder eine Vision, die die Menschen zusammenschweißt und Unmögliches versuchen lässt: auf zu den Sternen!

Was braucht es für die Rettung der Zukunft?

Mary Shelley begründete Anfang des 19. Jahrhunderts das neue Genre der Science-Fiction, das sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit H.G. Wells oder Jules Verne breiter und massenwirksamer herauszubilden begann. Düstere Welten, pessimistische Zukunftsaussichten und apokalyptisches Denken sind darin genauso zu finden wie philosophische Überlegungen zum Wesen von Zeit, Raum und Realität.

200 Jahre später brauchen wir für die Rettung der Zukunft dringend neue, belastbare Ideen, die auf breiter Basis anschlussfähig sind und irdisches Leben regeln: so, wie es Religionen, Rechtssysteme und Ideologien über Jahrtausende taten. Welche Vision die geltenden Systeme aus alten Zeiten wirkungsvoll ergänzen kann, ist derzeit noch offen, aber gerungen wird darum von vielen, nicht zuletzt auch in der Kunst. Die Kolonialisierung des Weltraums, die Verlagerung von Lebensbereichen ins Digitale, die technologische Optimierung des Körpers sind kühne Entwürfe, um der Misere zu entkommen und der Natur ein Schnippchen zu schlagen; die Erlösung zu suchen in Fantasien von Natürlichkeit, Entschleunigung, Achtsamkeitsbestrebungen, die Beschäftigung mit dem Wissen alter Kulturen und neuer Spiritualität sind Erlösungsfantasien von der anderen Seite des Ideenspektrums, die es ebenso zu befragen gilt. Auf dass sich langsam, aber sicher Antworten herausschälen.

Und so steht am Beginn der neuen Intendanz am Deutschen Theater eine Produktion, die für alle auf der Bühne und im Zuschauerraum eine „unmögliche Reise“ ist: hinein in eine offene Zukunft voller Möglichkeiten. Inspiriert von Texten aus der sozialistischen Ideengeschichte und dem Füllhorn philosophiegeschichtlichen Denkens verschiedener Jahrhunderte entstand eine Collage, die Zukünfte, alternative Gesellschaftsentwürfe und parallele Universen imaginiert. Dieser Theaterabend ist eine Aufforderung zum furchtlosen Aufbrechen, lustvollen Ausprobieren und phantasiebegabten Denken. Denn wo, wenn nicht auf den Brettern, die eine Welt bedeuten können, sind Paralleluniversen denkbar und darstellbar und wo, wenn nicht in den Körpern und Köpfen der Schauspielerinnen und Schauspieler, lässt sich die Gleichzeitigkeit von verschiedenen RaumZeit-Kontinuen erfahrbar machen? Willkommen im Zeit- und Raum-Schiff des Deutschen Theaters.

1000 Jahre in die Zukunft – Utopien aus dem All  Ein Gespräch mit Regisseur Alexander Eisenach

Weltall Erde Mensch ist ein bleischwerer Sammelband, der zwischen 1954 und 1974 Jugendlichen in der DDR zur Jugendweihe geschenkt wurde – und ihnen im Grund die ganze Welt, das ganze Leben aus sozialistischer Sicht erklären sollte. Ist das auch Dein Ziel an diesem Abend?

Wir wollen weder die Welt erklären, noch irgendeinen nostalgischen Sozialismus-Begriff propagieren, sondern versuchen, das utopische Menschenbild, das vor allem in der Frühphase des Sozialismus formuliert wurde, in einer Art alternativen Geschichtsschreibung in die Zukunft zu projizieren. Wir imaginieren eine befreite Gesellschaft, in der Eigentum überwunden ist und die Menschen friedlich miteinander leben. Es geht also nicht um den real existierenden Sozialismus, sondern um die weltanschaulichen Anteile daran, die sich in ein Science-Fiction-Narrativ skalieren lassen. Ich finde es faszinierend, dass in diesem Buch Gedanken verschüttet liegen, die einen heute als reine Science-Fiction anspringen, die aber wirklich gedacht wurden. Die gedacht wurden, um die Gesellschaft der Zukunft zu errichten.

Im Bühnenbild finden sich unter anderem ein jugoslawisches Denkmal oder das Café Moskau. Materielle Erinnerungen, die manche gern für immer vergessen würden. Worin siehst Du die Chance, Dich mit diesem Erbe der Vergangenheit auseinanderzusetzen?

Ich glaube nicht, dass man durch die Verbannung von Objekten eine historische Aufarbeitung erreicht. In Berlin haben wir das ja erlebt: Es wurde ein Schloss gesprengt, um den Palast der Republik zu bauen, der zerstört wurde, um das Schloss wieder aufzubauen. Und wir haben die Diskurse erlebt, die sich darum ranken. Ich habe schon das Gefühl, dass man auch ein Stück weit Geschichtsklitterung betreibt, wenn man die Wunden, die die Geschichte architektonisch in der Stadt hinterlassen hat, zu überpinseln versucht, als würde man damit die Zeit erlösen. Auf der Bühne versuchen wir eher, damit umzugehen, dieses historische Spannungsfeld aufrechtzuerhalten. Es gibt von Heiner Müller dieses berühmte Diktum, dass sich die Zukunft immer aus der Vergangenheit und aus der Erfahrung der Toten speist. Die Vorstellung, sich eine perfekte Gegenwart einzurichten, von der aus sich eine Zukunft ständigen Wachstums und immer weiter steigenden Wohlstands entwickelt, die ist naiv, das wird nicht funktionieren. 

Wie verknüpfst Du die Ebene der Auseinandersetzung mit der eigenen, lokalen Geschichte mit einem Nachdenken über das All? 

Mit diesen Gebäuden haben sich Sehnsüchte verbunden, sie sind von einem unglaublichen Utopismus geprägt: von der Idee einer Gesellschaft, die durch Wissenschaft reicher werden und ihre Affekte und dunklen Seiten überwinden kann. Und das verbinde ich auch mit dem Blick ins All. Der Mensch ist darin nur ein Fünkchen und in dem Moment, in dem man sich ins All begibt, verliert man sich im Nichts. Im Raumschiff kann man sich jahrelang mit einer unglaublichen Geschwindigkeit bewegen, aber es fühlt sich an wie Stillstand, gefühlt geht es eigentlich gar nicht voran. Der Blick ins All ist eine gute Möglichkeit, die eigene Existenz ins Verhältnis zur Unendlichkeit zu setzen.

Ist das eine Flucht oder können wir auch daraus lernen?

Ich denke, neue gesellschaftlichen Entwürfe ergeben sich vielleicht auch erst durch eine große Entfernung, durch parallele Dimensionen – der Blick von außen ermöglicht eine alternative Erde, eine alternative Geschichte. Trotzdem darf man diese philosophische Suche auf keinen Fall mit der Annahme verwechseln, es gäbe Lösungen im All. Die Vision, man könne den Mars bewohnbar machen oder Asteroiden ausbeuten, um die Rohstoffkrise zu lösen, verführt dazu, sich nicht mehr mit den vielen Krisen auf der Erde zu beschäftigen. Diese Krisen müssen aber ganz realpolitisch gelöst werden.

Das Gespräch führte Johann Otten.