Scheiss auf was ich Dir sage! Die Autorin Katja Brunner über männliche Egos, Theater als kollektiven Transformationshort und das Genre „seichte Rache“
Katja Brunner ist die erfolgreichste Gegenwartsdramatikerin der Schweiz. Ihre Stücke sind sprachgewaltige, vielstimmige Textkompositionen, die sich sprachkritisch mit Gewaltspiralen und Machtmissbrauch auseinandersetzen und nicht davor zurückschrecken, ihr Augenmerk auf die blinden Flecken unserer Gesellschaft zu richten und Gegenerzählungen zu entwerfen. Für das Deutsche Theater überschreibt sie Shakespeares Klassiker Der Widerspenstigen Zähmung. Ein Stoff, der es in sich hat.
Wie ist es als Autorin in einer Zeit zu schreiben, die von Krisen und Kriegen erschüttert ist?
Katja Brunner Scharf ist’s! Endlich hat mensch wieder was zu tun. Nein, ein fauler Scherz. Ich denke, wir als Schreibende und/ oder Theaterschaffende sind jetzt vermehrt und vehementer dazu aufgefordert, der Differenziertheit Schneisen zu schlagen – und trotzdem erst recht Haltung zu beziehen. Ich empfinde es so: Differenziertheit ist das Netz und insofern es ein gutes Sicherheitsnetz ist, kann man obendrüber umso wilder Kapriolen schlagen und Kunststücke. Aber ein hehrer Anspruch ist das.
Vielleicht milder gedacht: Auslegeordnungen um neuralgische Punkte herum, das ist Schreibarbeit bei mir. Perspektiven einnehmen und verrauschen, Sprachbilder suchen, Angebote machen, die uns blühen. Ansonsten als Privatperson hilft mir der Blick in die Geschichte – Stichwort Sternstunden der Menschheit –, um keinen zu argen Pessimismus zu schieben. Darin darf mensch sich aber auch nicht verkriechen, also in der Vergangenheitsbetrachtung. Ich denke, wir müssen 100-mal ernster nehmen, was uns Demokratie alles gibt, echt jetzt. Ich glaube, wir stecken noch blind in Selbstverständlichkeiten und verteidigen die Grundvoraussetzung für jene zu wenig.
Warum schreibst du für das Theater?
Theater als Reflektorium ist für mich einfach major wichtig, es ruft, spielt und speit zurück, was wir in den Gängen der Tage so tun – es hat die monumentale Aufgabe, zu sezieren, was passiert, in welchen Stimmungen und Sümpfen wir so waten – und aus diesem Schlick etwas zu formen, das vielleicht Licht spendet oder Schatten wirft. Es ist ein kollektiver Transformationshort und als solcher unabdingbar, finde ich.
Konkret: Es kann uns vereinen, es kann uns aktivieren, es gibt uns Verkörperungen (tatsächliche und metaphorische), es lässt uns Gemachtheiten erkennen. UND Sprache als Lehm, den Machtgesten geformt haben, sie als solche zu zeigen und vielleicht wieder zu entfremden, zu unserer eigenen Sprache zu machen – auch über den Umweg einer Künstlichkeit, das wäre mir ein Anliegen. Das darf aber alles auch Spaß machen, zu zeigen, dass alle unsere Vereinbarungen Fiktion sind, Gegenstand von Aushandlung, fortlaufender, dass darin eine Schönheit liegt und eine Fragilität, etwas Schützenswertes namens – vielleicht – Freiheit.
Nach Richard 3. Ministerin aus der Hölle wendest du dich wieder einem großen Stoff von William Shakespeare zu: Der Widerspenstigen Zähmung. Was fasziniert dich an diesem Autor, dessen Lebenswelt doch Jahrhunderte von unserer Gegenwart entfernt ist?
Er ist eine Grube, in die man fallen kann – der Shakespeare, mensch kommt als andere:r raus, das mag ich.
Der Widerspenstigen Zähmung ist im Kern ein misogynes Stück, das die Domestizierung der Frau durch ein patriarchal geprägtes heteronormatives Wertesystem feiert. Aus kanonkritischer Perspektive dürfte das Stück heute kaum begeisterte Verfechter:innen finden. Wie geht das mit dir als feministisch perspektivierter Autorin zusammen?
Ach naja, es könnte sich heutigen Auges auch lesen lassen als Persiflage auf überdrehte männliche Egos, auf weltmännisches Gebaren und Anspruchsdenken – ein karikierendes Lehrbuch für alle Punkte, die toxische Männlichkeit definieren.
Ich verknüpfe es in meiner Version mit verschiedenen erstmal dem Stoff fremd erscheinenden Elementen; die Zerschreibung geht davon aus, dass – weil solche Darstellungen von Frauen* unseren Humor nahtlos ins Heute stark geprägt haben – das Abwerten vom Austausch zwischen Frauen als Gewäsch, das Pathologisieren von Frauen*, die ihre Meinung kundtun als Schandmaul etc. – dass solche Erzählungen, seien sie noch so humoristisch, eben die logische Konsequenz sind, dass es Männer gibt, die Frauen* töten.
Ich verknüpfe also diesen misogynen Humor Shakespeares mit der Realität von Femiziden, der härtesten Form patriarchaler Gewaltausübung. Oder zumindest der endgültigsten. Sonst geht’s um Wolken, Versöhnlichkeit, Schwesterliebe, große Gesten und Wasser. Hydrotherapie.
In einem Essay hat die Kulturjournalistin Christine Wahl in Anbetracht zahlreicher feministisch gelabelter kanonkritischer Überschreibungen an den Theatern eine überwiegend ironische, allzu simple Abwertung des männlichen Casts als Deppen oder Fieslinge ausgemacht, was der gewachsenen Gender-Stereotypisierung nicht mehr als eine neue Stereotypisierung der Geschlechter entgegensetzt, statt durch Komplexität und geschärftem analytischen Blick an neuen Erzählungen zu arbeiten. Welche Beobachtungen machst du?
Ich verstehe und sehe diese Tendenz, über die ich momentweise mich ebenso ärgern kann – und dann denke ich, ach, was, eine Art grobschlächtiges Karikieren war ja im Grunde der modus operandi während 2000 Jahren Theatergeschichte, die femme fatale, die femme fragile, das Mannsweib, etc., also darf jetzt kurz auch mal nicht total differenziert werden in Behauptungen über Männlichkeit. Wenn das ein bewusster Gestus ist, finde ich ihn irgendwo auch legitim, eher Genre seichte Rache.
Vielleicht braucht es nochmal einige Jahre das Ausstellen „männlicher” Deppen, bis wir zu was anderem kommen; postgender all inclusive und für alle fände ich knorke, aber da kommen wir erst in einer postpatriarchalen Ära hin und die Zeichen lese ich jetzt dahingehend semivielversprechend. Vielleicht zeigt das deppige Darstellen uns auch, dass unser Blick einfach sehr, sehr androzentrisch gehalten ist: Es scheint, wenn wir nicht Insights in die „männliche” Psyche bekommen, ungleich ungerechter.
Ansonsten finde ich durchaus, dass wir gerne alle mal eine Runde visionärer werden dürften, was neue Verhaltenscodices anbelangt.
Die Kunst der Wunde ist der Titel eines Stücks von dir. Eine Beschreibung, die grundsätzlich sehr bezeichnend für dein Schreiben ist, da du dich stets in die Wunden der Gesellschaft hineinbegibst. Und dennoch liegt in deiner Sprache etwas Utopisches. Verspricht der Blick in die Wunden Heilung?
Ach, ich weiss gar nicht. Ich suche eigentlich oftmals nach dem, was als Wunde noch gar nicht anerkannt wurde – und oftmals suche ich dann eine transformative Bewegung, was könnte es sonst sein? Wie könnte es anders sein? Und wie entlarve ich etwas, was als gesunde Selbstverständlichkeit gehandelt wird als vielleicht Fehler im System? Welche Sprache(n) erfinden wir, damit wir freier über eine Sache nachdenken können?
Mit der Regisseurin Pınar Karabulut arbeitest du nun schon das dritte Mal zusammen. Was verbindet eure künstlerische Arbeit?
Ich empfehle: Schaut euch den Abend an, dann wird das klar werden. Abgesehen davon: Sie ist einfach eine kraftvolle Regisseurin, die nicht mit Gefälligkeiten hantiert. Es liegt da eine Wucht in ihren Arbeiten, eine konfrontative Kraft, die schlau gerichtet ist, das mag ich.
Du unterrichtest literarisches Schreiben an einigen Kunsthochschulen. Was ist für dich das Wesentliche, was du deinen Studierenden mit auf ihren Weg geben willst?
Such Dir einen richtigen Job und dann schreib. UND: Scheiss auf was ich Dir sage!
Das Gespräch führte Daniel Richter.