Essen und Moral Karla Mäder über den Bauch des Theaters

Zwei Ehepaare erörtern ein Problem: Ihre Söhne haben etwas richtig Schlimmes gemacht.

War es kindliche Naivität, jugendliches Austesten von Grenzen oder ein kaltes Verbrechen? Fakt ist: Am Ende ist ein Mensch tot. Doch die Bilder auf der Überwachungskamera sind so unklar wie die Ansichten der Eltern darüber, wie man mit dem Vorfall umgehen soll. Muss man die Jugendlichen zur Verantwortung ziehen – oder das Ganze lieber vertuschen, um ihre Zukunft nicht zu ruinieren? Schließlich war es doch nur eine Obdachlose, die zu Tode kam. Darf man sich etwa nicht mehr darüber aufregen, dass die sich einem ungefragt inzwischen überall in den Weg legen? Und haben nicht auch die Erwachsenen etwas zu verlieren? Einer der beiden Väter steht mitten im Wahlkampf – als aussichtsreicher Kandidat für den Posten des Premierministers.

Vom Nobelrestaurant in die DT-Kantine

Der Schauplatz dieses Moral-Krimis aus der Feder des niederländischen Autors Herman Koch ist ein Nobelrestaurant, in dem man am Ende des Abends mehrere hundert Euro auf den Tisch legen muss. Ein Ort also, der nicht weiter entfernt sein könnte von der Kantine des DT, in der mir zwei Männer gegenübersitzen, die Geschäftspartner und -freunde sind: Tom Unguraitys und Gunnar Kohlmetz. Gemeinsam sorgen sie dafür, dass das DT auch jenseits des Vorstellungsbesuchs Anlass zum Verweilen bietet, offen und zugänglich ist und jedem etwas gibt, der mittags oder vor der Vorstellung noch etwas essen oder am Abend etwas trinken will.

Für uns Theaterschaffende sind Kantine und Bar halb-private Stammlokale, in denen sich viel Freud und Leid unseres Theateralltags abspielt: „Gerade in der Kantine bekommen wir sehr explizit die Stimmung mit, wie es läuft und welche Dramen sich gerade wo abspielen“, bemerkt Gunnar. Ist er als Kantinenwirt auch Beichtinstanz und Kummerkasten? „Oh ja! Man verfolgt schon immer einen psychologischen Ansatz, versucht Dinge zu verstehen und Spannung rauszunehmen“, sagt Gunnar. Toms Strategie: „Trost und Zuspruch.“

Dem Theater verbunden

Nicht wenige ihrer Mitarbeitenden sind schon lange dabei, als teilnehmende Beobachter:innen von Theaterleben und Vorstellungsalltag. „Das Besondere ist, dass in der Kantine und auch in der Bar eigentlich nur Leute arbeiten, die sich auch sehr für das Theater interessieren“, meint Tom, der seit 2001 Theaterwirt ist und seit 2009 im DT arbeitet. „Das ist ja auch nicht immer ein leichtes Arbeiten hier, umso wichtiger ist es, dass man sich mit dem Theater identifiziert“, ergänzt Gunnar und erzählt, dass alle ihre Mitarbeiter:innen auch jenseits ihrer Kernkompetenzen zum Gelingen des Theaters beitragen: indem sie mit dem Ensemble über Inszenierungen fachsimpeln, die Probenpläne im Blick haben, bei Premierenfeiern auflegen.

Letzte Runde? Kann warten

Die wilden, alten Zeiten, als in nur für Eingeweihte zugänglichen Theaterkantinen Revolutionen geplant wurden, sind zwar, so scheint’s, zumindest im DT vorbei, jedoch sind die Nächte auch in der Bar oft lang.

„Das Bar-Team hat nie gelernt ‚letzte Runde‘ zu rufen, und das letzte Bier dauert bei uns eben manchmal anderthalb Stunden. Wir versuchen einfach einen Raum zu schaffen, wo alle sich wohlfühlen“, meint Tom und Gunnar schaut im kalten April schon hoffnungsvoll in den Sommer: „Mein liebster Ort ist ja der Vorplatz. Ich freue mich schon darauf, vor den Vorstellungen wieder am Grill zu stehen. Es macht Spaß, die Leute so auf das Theater einzustimmen.“

Wenn Sie diesen Artikel lesen, ist es soweit: Der Grill ist aufgebaut. Und Gesprächsstoff nach einem Theaterbesuch gibt es immer, z. B. im Herbst nach dem Stück Das Dinner. Tatsächlich ist das ein Stoff über familiären und gesellschaftlichen Zusammenhalt, mit dem man sich die Köpfe heiß reden kann über das, was richtig und was falsch läuft – in der Gesellschaft oder in der eigenen Kleinfamilie. Bei einem Getränk in der Bar? Interessante Menschen zum Reden werden immer da sein.

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