© Armin Smailovic Isabelle Redfern

Programmzettel Der Auftrag / Psyche 17

  • Freiheit Gleichheit Brüderlichkeit
  • Zusammenarbeit
  • Vive la révolution!

Nach der Französischen Revolution reisen drei Gesandte mit einem geheimen Auftrag der neuen französischen Regierung in die Karibik: Auf der Insel Jamaika, einer französischen Kolonie, sollen die neuen Machtverhältnisse installiert und die Sklav:innen befreit werden. Als sie nach langer Reise ankommen, ist der Auftrag der drei Revolutionäre das Papier nicht mehr wert, auf dem er formuliert wurde: Die Revolution ist in Frankreich gescheitert, Napoleon hat sich zum Kaiser gekrönt. Die drei höchst unterschiedlichen Männer gehen ihrer Wege – in den Tod und in den Verrat. Müllers Stück, das seinerseits auf einer Erzählung von Anna Seghers basiert, leistet poetische Trauerarbeit über eine „gescheiterte Revolution“, die sich in der Spätphase der DDR ab Ende der 70er Jahre bereits abzuzeichnen begann. In der gegenwärtigen Debatte um Dekolonialisierungsprozesse spielt unser Umgang mit Rassismus eine große Rolle, und so konfrontiert diese Inszenierung den modernen Klassiker von Müller mit einer Erwiderung des togoischen Autors Elemawusi Agbédjidji, der unsere Aufträge aus der Perspektive des globalen Südens reflektiert und uns, dem Geschichtspessimismus Heiner Müllers zum Trotz, einen möglichen Weg in die Zukunft weist. 

Müller global Interview mit Jan-Christoph Gockel

Du hast dich bereits 2016 mit Heiner Müllers Auftrag beschäftigt. In den vergangenen sieben Jahren ist viel passiert, sowohl in der Welt, als auch bei dir als Regisseur. Was genau?

Unsere Formen der Zusammenarbeit sind dialogischer geworden. Und damit ist der Wunsch entstanden, sich noch einmal mit dem Text von Heiner Müller zu beschäftigen, ihn aber um eine Stimme zu erweitern. Wir wollen nicht nur eine nördliche, weiße, europäische Perspektive zeigen, sondern dazu eine andere Autorenstimme hörbar machen. Es gibt ganz unterschiedliche Perspektiven auf die europäischen „Beauftragten“ im Stück.

Deine Inszenierung bringt zwei Autoren zusammen: einen alten, weißen Mann, der ein moderner, aber nicht mehr lebender Klassiker ist und einen, der jung, lebendig und schwarz ist. Ist das die Zukunft des Theaters?

Ich hoffe es! Theater ist ja grundsätzlich ein dialogisches Medium, dessen Kern es ist, unterschiedliche Stimmen auf der Bühne sprechen zu lassen und in eine Auseinandersetzung miteinander zu bringen. Also ja, der Dialog ist unsere Praxis, aber im Fall vom Auftrag und Psyche 17 ist er auch ein Statement. Heiner Müller spricht in seinem Stück über politische Aufträge und politische Praxis, Themen, die heute noch relevant sind für uns. Er hat aber auch einiges damals nicht wissen können … oder wollen. Und da wird es für mich interessant. Obwohl Müller sich mit dem nigerianischen Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka getroffen hat und auch Frantz Fanon und Aimé Césaire bei ihm durchklingen mit ihrer Theorie postkolonialer Befreiungsbewegungen, bemüht er sich an vielen Stellen nicht, die Perspektive eines Weißen in Frage zu stellen, der auf den Rest der Welt – auf schwarze Menschen, auf Frauen – herabblickt. Heute ist es eine große Frage, ob wir diese Konflikte überhaupt noch erzählen sollte. Ich denke: ja. Die Frage ist aber wie? – Wer wird gehört, wer bekommt Raum? Deswegen ist die Stimme von Elemawusi Agbédjidji wichtig. Er schreibt in seinem Stück: „Ich hätte es besser gefunden, wenn es in der Geschichte die Sklaven gewesen wären, die selbst revoltieren, um sich zu befreien. So wie es in Wirklichkeit war, bevor die Literatur der Wahrheit den Hals umgedreht hat. Aber gut, Fiktion, ok, warum nicht.“

Was für ein Verhältnis hast du zu Heiner Müller?

Ich bin Heiner Müller in meinen beiden Studiengängen – sowohl in Frankfurt bei dem Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann, als auch in Berlin beim Regiestudium an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch – begegnet. In diesen beiden Schulen schloss sich sehr viel aus – aber Müller ging hier wie dort! Hans-Thies Lehmann hat damals gesagt, die Welt sei noch nicht an dem Punkt, wo Müllers Stücke seien. Die Krisen und Konflikte, diese Schlachtbeschreibungen in der äußeren Welt und im Inneren des Menschen, wirkten vor 20 Jahren fremd. Sie waren damals zu alt … oder eben zu neu. Jetzt ist die Welt wieder an diesem Punkt, wo Müllers Stücke immer schon waren. Leider. Müller war seiner Zeit voraus, hat aber gleichzeitig auch etwas staubige Ecken und vor allem eine staubige Rezeption: Welchen deutschen Autor gibt es heute noch, von dem gewusst wird, „wie er zu sprechen sei“?! Bei Müller ist das so. Das führt dazu, dass bei seinen Stücken oft Autor und Werk in eins gesetzt werden, so dass sich die Rezeption der Texte auf die Stimme des Autors verengt: „Müller ist der beste Sprecher seiner Texte, weil er nicht so tut, als ob er sie versteht“, hat mal ein Kollege gesagt. Dem möchte ich eindeutig widersprechen, weil ich das ziemlich unpolitisch finde. So wird den Texten die Gegenwart verweigert. Und deswegen hört man in unserer Inszenierung die Müllertexte durch ganz unterschiedliche Stimmen und auch mal in verschiedenen Sprachen. Wir wollten für alle großen Kolonialsprachen einen Moment im Abend finden, gewissermaßen aus einer globalen Perspektive. Müller global.

Kam euch die Dramaturgie des Auftrags da entgegen?

Was uns sehr inspiriert hat, sind die Traumebenen im Stück und die Schichtungen, die sich dadurch ergeben. Das macht die ersten Bilder der Inszenierung  sehr komplex, aber die Welt ist eben auch komplex und braucht komplexe Erzählungen. Diese Arbeit fordert das Bild hinter dem Bild oder das Bild im Bild heraus – im Sinne von Werner Herzog, der von „durchsichtigen Bildern“ spricht. Außerdem war Müller selbst ein großer Collageur, der zitiert, verwendet, verbindet. Ein sehr heutiges Arbeitsprinzip.

Für diese Inszenierung arbeitest du mit Künstlerinnen und Künstlern aus Togo, der DR Kongo und Nigeria zusammen. Ich nehme dich sowieso als Regisseur wahr, der Menschen einlädt, den ästhetischen Möglichkeitsraum seines Theaters zu erweitern. Wer ist dieses Mal neu dabei?

Zum Beispiel der aus dem Kongo stammende Künstler Claude Bwendua mit seinen Skullie-Masken, die für den Heiner-Müller-Text einen formaleren Zugang zu Szenen ermöglichen. Durch die körperliche Arbeit, die Claude macht, erhält das Ganze eine neue Dimension und ich habe den Eindruck, dass die Inszenierung dadurch auch etwas bildhaft Installatives bekommt, was mir die Texte noch einmal anders erschließt. Seine weißen Masken sind Skelette, aber im Kontext des Stücks dachte ich oft an den Terror, den weiße Menschen über die Welt gebracht haben, in der Zeit des Sklavenhandels, der Kolonialzeit – und auch heute. Der Autor Elemawusi Agbédjidji kommt aus Togo und in unserer letzten Arbeit mit ihm (Wir Schwarzen müssen zusammenhalten. Eine Erwiderung, an den Münchner Kammerspielen) hat uns sehr spezifisch die deutsche Kolonialzeit dort interessiert. Das setzt sich in dieser Arbeit fort. Die persönlichen Hintergründe des Ensembles, aber auch die Erfahrungen der einzelnen sind sehr unterschiedlich und Teil dessen, was auf der Bühne zu sehen ist.

Wie nimmst du die aktuelle Situation in  Françafrique wahr und was inspiriert dich daran für die Inszenierung?

Meine Erkenntnis aus drei Reisen nach Burkina Faso, die ich in den vergangenen anderthalb Jahren gemacht habe, ist, dass die heutige Situation in Westafrika sehr viel mit den nicht erzählten Geschichten und mit dem Unausgesprochenen zu tun hat. Die Putsche in Mali, Niger und Burkina Faso, haben viel mit aktueller Politik, Rohstoffausbeutung und Geopolitik zu tun. Das allein ist schon komplex, aber dazu kommt die nicht richtig erzählte Vergangenheit: die französische Kolonialzeit. Die Versuche Frankreichs der letzten Jahre davon etwas aufzuarbeiten, waren halbherzig, das arrogante Auftreten blieb. Solange aber die Geschichten aus der Vergangenheit nicht erzählt sind, kann man keine Zukunft verabreden. Elemawusi hat im Gespräch zu mir gesagt: „Bevor wir die nächste Kolonialisierung – die des Weltraums – in Angriff nehmen, sollten wir uns vielleicht erst mal über die letzte austauschen.“

Das Gespräch führte Karla Mäder.

This is the end von Karla Mäder

„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“: ein bis heute gültiges Ideal, nach dem Menschen und Nationen zusammenleben könnten. Die Parole der Französischen Revolution ist auch der Wahlspruch des Staates Haiti, heute eines der ärmsten Länder der Welt, ein failed state, der fast vollständig von der humanitären Hilfe westlicher Länder abhängig ist. Ein tragisches Beispiel dafür, wie das einstmals reichste Land der Karibik, das sich bereits 1804 von der Kolonialmacht Frankreich seine Unabhängigkeit erkämpfte und stolze erste Republik von Schwarzen wurde, durch eine Kette unglücklicher Ereignisse, die man neutral Geschichte oder etwas pointierter Ausbeutung nennen könnte, peu à peu ins Elend und in neue, alte Abhängigkeiten geriet.

Erinnerung an eine Revolution heißt Heiner Müllers Stück im Untertitel. Darin wollen drei französische Revolutionäre Jamaika, eine Nachbarinsel von Haiti, die „Sklaveninsel, Schande der Antillen“, befreien. Zur Tarnung maskieren sie sich als die, die sie vor der Revolution waren: Sasportas, ein ehemaliger Sklave, der an der Schwarzen Revolution in der Karibik beteiligt war; Galloudec, ein Bauer aus der Bretagne; und  Debuisson, ein Arzt und Erbe einer Plantage mit 400 Sklav:innen auf  Jamaika. Unterschiedlicher könnte man kaum sein, doch eint die drei Männer die neue Ideologie. Als jedoch vor Ort klar wird, dass in Frankreich längst Napoleon regiert, zerbricht das fragile Trio. Debuisson wirft sich dem Verrat, seiner „ersten Liebe“, in die Arme und „die Welt wird, was sie war, eine Heimat für Herren und Sklaven.“

Müller kritisierte 1979 vor vor dem bereits heraufdämmernden Ende der DDR die Rolle des Intellektuellen im revolutionären Prozess: Verrat – die Todsünde jeder ideologischen Bewegung – ist für denjenigen leicht, der wenig zu verlieren hat. Während der ehemalige Sklave und der Bauer sichtbare Zeichen für den Klassenunterschied buchstäblich am eigenen Leib tragen bzw. diesen körperlich durch harte Arbeit ertragen müssen, zeichnet Müller den Intellektuellen mit dem „rosige(n) Gesicht des Sklavenhalters, der auf dieser Welt nichts zu fürchten hat als den Tod.“ Gleichheit? Ist auch eine Illusion: „Wir sind nicht gleich, eh wir einander nicht die Häute abgezogen haben.“

Die Anziehungskraft von Müllers Text besteht in der sprachlichen Verdichtung, mit der er auf das blickt, was ist. Er liefert eine bittere Zustandsbeschreibung der Welt und ringt dem traurigen Ist-Zustand eine poetische Qualität ab, nicht zuletzt auch in der berühmtesten, rätselhaftesten Szene seines Stücks, in der ein Angestellter auf dem Weg zu seinem Chef in einen Fahrstuhl steigt – und sich in einer alptraumhaften Situation in Peru auf einer staubigen Dorfstraße wiederfindet.

Momentan suchen wir mit großer Dringlichkeit nach Auswegen, die so etwas wie Freiheit,  Gleichheit, Geschwisterlichkeit ohne blutige Revolutionen entstehen lassen könnten – und sei es nur in Nischen, aus denen heraus sich die Idee eines allumfassenden Humanismus großflächiger entwickeln ließe. Heiner Müllers dichtes, aber kurzes Stück ist im Laufe seiner inzwischen mehr als 40-jährigen Rezeptionsgeschichte einige Male zusammen mit anderen Texten aufgeführt worden. Auch wir gehen diesen Weg und wollen seinen düsteren Geschichtspessimismus in Schwingung bringen mit einer Erwiderung aus dem globalen Süden: Auf den modernen deutschen Klassiker antwortet der togoische Autor Elemawusi  Agbédjidji, der eine schwarze Frau in einen Fahrstuhl steigen lässt, der sie möglicherweise zu den Sternen bringt …