© Jasmin Schuller Caner Sunar

Programmzettel Männerphantasien

  • Autoritärer Backlash
  • Tradwife
  • Countertenor

Mit seiner Analyse des „soldatischen Mannes“ stellte Klaus Theweleit in den 1970er Jahren die Zusammenhänge von Männlichkeit, Sexualität und Faschismus in ein neues Licht. Etwa 45 Jahre nach der Ersterscheinung nimmt sich Regisseurin Theresa Thomasberger das Werk als Sprechtext für die Bühne vor. Die epochale Untersuchung bildet für sie und ihr Team die Grundlage für eine Befragung heutiger Ausprägungen von Fascho-Männlichkeit, von der Abwertung von Frauen* in der medial geprägten Wirklichkeit bis hin zu aktuellen abgründigen Formen von Kollektivität. Wie wirken Theweleits Texte heute? Welche Anknüpfungspunkte bieten sie? Um das zu ergründen, haben die Dramatikerinnen Svenja Viola Bungarten, Ivana Sokola und Gerhild Steinbuch die Männerphantasien textlich ergänzt und aus heutigen, weiblichen Perspektiven weitergedacht.

Kaleidoskop der Fascho-Männlichkeiten Interview mit Theresa Thomasberger

Männerphantasien ist ein Theoriewerk mit ca. 1300 Seiten. Was macht Klaus Theweleits Buch für dich interessant als Sprechtext fürs Theater? Wie hast du es auf ein erzählbares Maß kondensiert?

Zum einen: der Fokus auf das Thema Körper. Sich mit Körpern und Körperbildern zu beschäftigen ist naheliegend und ergiebig im Theater. Dazu kommt die extrem geformte, poetisch-theoretische Sprache, die die Form einer Doktorarbeit, als die der Text ursprünglich gedacht war, überschreitet. Wir haben für die Bühnenfassung Themengebiete eingekreist, die uns interessieren, und dann angefangen, das Material auf Spielbarkeit zu überprüfen und darauf, was als thematische und ästhetische Setzung Sinn macht. Der ganze Abend basiert auf einem Prinzip der Montage, das auch Theweleit benutzt. Er kombiniert Primärliteratur der präfaschistischen Freikorps aus den 1920er Jahren mit seinen eigenen Analysen, aber auch mit Texten aus der Psychoanalyse, mit feministischen Texten und mit Bildmaterial: Filmstills, Comics und Bilder, die er irgendwo in den Weiten der Weltgeschichte gefunden hat.

Die Inszenierung schlägt einen Bogen von Theweleits Konzept des „soldatischen Mannes“ zu aktuellen Formen toxischer Männlichkeit im Internet. Welche Verbindungslinien sind dir wichtig?

Es gibt in unserer Fassung den Satz: „Die Faschisten haben überwintert“. Sie waren nie weg. Wir stehen direkt auf dieser „Blut und Boden“-Erde, von der die frühen Faschisten der 1920er besessen waren. Es ist mir wichtig, die Kontinuität von faschistischen Ideologien und Persönlichkeitsanteilen, von denen Theweleit schreibt, zu zeigen. Nazis haben heutzutage nicht unbedingt Springerstiefel an und sind in Hugo Boss-Lederkluft unterwegs, sondern sie sehen zum Beispiel aus wie der Philosophiestudent Martin Sellner, mit dem ich studiert habe. Sie kommunizieren über Memes, sie verstecken sich hinter Avataren in Foren. Der Raum des Faschismus ist zwar auch die Straße, aber vor allem eben das Internet: Andrew Tate, der momentan auf seine Verurteilung als Menschenhändler und Vergewaltiger wartet, hat zum Beispiel eine riesige Followerschaft unter sehr jungen Männern. Die Incel Community, die reddits und subreddits zum Thema Frauenhass, produzieren reale Täter und reale Opfer.

Drei zeitgenössische Theaterautorinnen haben, wenn man so will, jeweils eine Männerphantasie ergänzt. Was hat sich daraus für die Gesamtkomposition ergeben?

Ich bin sehr froh, dass sich das tentakelhafte Riesenprojekt um drei weitere Arme und Männerphantasien erweitert hat. Unsere Autorinnen Svenja Viola Bungarten, Gerhild Steinbuch und Ivana Sokola haben scharfsinnige zeitgenössische Perspektiven auf den Themenkomplex Faschismus und Männlichkeit geliefert, die das Kaleidoskop um neue Blickwinkel und Brechungen erweitern. Klaus Theweleit sagt selbst, dass er Männerphantasien in den Begrifflichkeiten der 1970er geschrieben hat, dass es den Begriff „queer“ zu dem Zeitpunkt noch nicht gab. Wenn man heute eine Aktualisierung von Theweleits Werk wagt, finde ich es angebracht, den Begriff Männlichkeit noch stärker als Kontinuum zu begreifen und auch weibliche Täterinnenschaft in den Fokus zu rücken, über mögliche weibliche Perspektiven zu sprechen.

Du hast das Stück mit einem Ensemble von drei Frauen und einem Mann sowie mit einem Sänger inszeniert. Was bewirkt diese Gruppenkonstellation?

Wenn weiblich gelesene Personen sich Tätermännlichkeiten nähern, sie vorführen und verkörpern, dann wird etwas sichtbar und gleichzeitig anders verdaulich. Wenn man mit einem rein männlichen Cast arbeitet, der in den simpleren Zuschreibungen ident ist mit den Männern, über die Theweleit schreibt, dann kommt nicht so viel ins Spiel. Mir geht es aber um die Darstellungsweisen von Faschismus, darum, wie faschistische Körper sich heute bewegen, welche Vorbilder sie sich nehmen. Da hilft ein wenig Abstand.

 

Täterforschung nach Klaus Theweleit von Lilly Busch

Faschismus nicht als Ideologie, sondern als Körperzustand: mit diesem Ansatz dachte Klaus Theweleit in Männerphantasien die Geschichte des Nationalsozialismus neu, der bis dahin vor allem als Ideologie und Massenphänomen analysiert worden war. Theweleit untersuchte hingegen anhand zahlreicher literarischer Texte die gestörten Körpervorstellungen und -erfahrungen präfaschistischer Freikorps-Soldaten in der Weimarer Republik und deren Verknüpfung mit historisch geformten Männlichkeitsvorstellungen in der Gesellschaft. Er beobachtete, dass diese Männer von einer enormen Angst vor Selbstauflösung getrieben waren: einer Angst vor allem Fließenden, Lebendigen und weiblich Konnotierten, was mit Gewaltfantasien und insbesondere Hass gegen Frauen kompensiert wurde, und in entfesselten Gewalttaten mündete.

Neuartig war nicht nur der inhaltliche Zugang, sondern auch die Methodik: Literaturwissenschaft mit Psychoanalyse verbindend, arbeitete Theweleit auf innovative Weise Bildwelten und Konzepte heraus, die halfen, den Typus des „soldatischen Mannes“ zu erfassen. Dazu gehört das Bild der Nicht-zu-Ende-Geborenen: Männer, deren Ich unter anderem aufgrund rigider Erziehungsmethoden und der Missachtung kindlicher Bedürfnisse nicht fertig entwickelt ist, und die als Abwehrreaktion auf die empfundenen Bedrohungen einen Körperpanzer herausbilden. Theweleit ergründete Zusammenhänge von psychologischer Entwicklung und Gewalt, er zeigte die Existenz einer bestimmten toxischen Männlichkeit als Voraussetzung des Faschismus auf. Oder anders formuliert: Den faschistischen Mann gab es schon, bevor der Nationalsozialismus da war.

Theweleits Werk avancierte zu einem bis heute aktuellen Grundlagenwerk der Gewalt- und Männlichkeitsforschung. Während das Ideal vom „starken Mann“ heutzutage einerseits überholt scheint, bringen Kriege neue Kämpfergestalten hervor; stürmen selbstermächtigte Horden politische Institutionen und befeuern den autoritären Backlash. Auch online wird Gleichberechtigung als Unterdrückung empfunden: So glaubt die Incel-Community – unfreiwillig ohne Sex lebende Männer – sie hätte aufgrund ihres Geschlechts ein Recht auf Frauen und Sexualität; wütende AlphaMales und frauen*feindliche Pick-Up-Master beschwören unerreichbare Männlichkeitsvorstellungen und verzweifeln zugleich an ihnen. Anstatt diese Ideale zum Problem zu erklären, wird die Angst vor feministischem Widerstand geschürt, der sich zeitgleich mit großer Kraft ereignet.

Männerphantasien – ein wunderbar weit auslegbarer Begriff im Plural. Drei zeitgenössische Dramatikerinnen haben für die Bühne neue, ganz verschiedenartige Männerphantasien aufgeblättert. Gerhild Steinbuchs Text portraitiert in poetischer Sprache eine Tätermutter: eine Frau, deren Sohn sexualisierte Gewalt gegen Frauen ausübt, der zum Täter wird und damit das Selbst- und Fremdbild seiner Mutter erschüttert. In Ivana Sokolas Beitrag befragt ein erschöpfter Männersprechchor die eigene Zugehörigkeit in der Gesellschaft und sucht zwischen Gesangsverein, freiwilliger Feuerwehr und Angelurlaub nach seinem Platz. Svenja Viola Bungarten beschäftigt sich mit den rechten Rändern der Internetkultur: In ihrem Text berichtet eine Influencerin ihren Followern von ihrer persönlichen Verwandlung – von raging feminist zu tradwife.

Klaus Theweleit selbst hat als Grundlage für sein Werk hunderte faschistische Tagebücher, Briefe und Romane gelesen und analysiert. Täterforschung ist düster, wenn man sich tief ins Material gräbt. So ging es den Theatermacher:innen in der Recherche und in den Proben, und bestimmt kann sich auch das Publikum Schöneres vorstellen. Das heißt jedoch nicht, dass Täterforschung nicht auch vergnüglich sein kann. Auch heiter lässt es sich kritisieren und dekonstruieren. Aber über Ausformungen des Faschistischen zu lachen und sie damit von sich zu weisen, wäre zu kurz gegriffen. Mit Klaus Theweleit lässt sich Faschismus als etwas verstehen, in das wir alle permanent verstrickt sind, „als ständig präsente oder mögliche Form der Produktion des Realen, [die] unter bestimmten Bedingungen auch unsere Produktion sein kann und ist.“ Es reicht daher nicht, die Geschichte des Faschismus im Bewusstsein aufzubewahren, sondern, wie Theweleit mit Walter Benjamin sagt: „Was man vernichten will, das muss man nicht nur kennen, man muss es, um ganze Arbeit zu leisten, gefühlt haben.” Hier setzen die Männerphantasien 2023 in der Regie von Theresa Thomasberger an.

„Von den Alpen bis zum Meer spannt sich die Kette erstarrter Männer. Wo andere Menschen ihre Haut haben, wird ihnen ein Panzer wachsen.“

– Klaus Theweleit